Plädoyer für eine aufgeklärte Souveränität
Die positive Bezugnahme auf nationale Souveränität klingt für deutsche Ohren ungewohnt. Allein, im Kontext internationaler Diskurse hilft diese spezifisch deutsche Sichtweise wenig. Man sollte sich den Debatten um demokratische Souveränität als Leitvorstellung nicht verweigern.
Quer durch Europa sind die politischen Diskurse in Veränderung begriffen. Nicht nur entstehen und wachsen in praktisch allen europäischen Ländern Populismen unterschiedlicher Spielart, deren gemeinsamer Fluchtpunkt die Ablehnung von Kosmopolitismus und europäischer Integration ist. Auch die progressiven Debatten transformieren sich in einem Ausmaß, das ich noch vor wenigen Jahren für nicht möglich gehalten hatte. Die Leistungsbilanzkrise und die zahlreichen Übergriffe des Euro-Regimes auf interne Angelegenheiten der Schuldnerländer werden als Serie an Erniedrigungen und als Verluste an Staatlichkeit und demokratischer Selbstbestimmung erlebt. Während deutsche Progressive mehrheitlich mit dem Ruf nach mehr Europa reagieren, erlebe ich bei unseren Nachbarn eine zunehmende Reorientierung auf das Ziel der Rückgewinnung nationaler Souveränität. Als Beispiel sei auf diesen internationalen Aufruf verwiesen, dessen grobe Zielrichtung viele Leserinnen und Leser von Makroskop sympathisch finden dürften, an dem aber gleichzeitig auffällt, dass er gleich viermal den Souveränitätsbegriff aufruft.
Es wäre verfehlt, diese Vorgänge für eine gute Nachricht zu halten, wenn mit der Neufokussierung auf demokratische Souveränität auch gewiss Überproduktionen an naivem EU-Enthusiasmus mitverabschiedet werden, denen man nicht nachtrauern muss. Nein, die neuen Entwicklungen sind ein Problemindikator. Sie verdeutlichen die Zerstörungen, die der Euro an dem Willen angerichtet hat, in Europa gemeinsam zu handeln und sich positiv auf das Projekt eines Europas-im-Werden zu beziehen. Aus dem Leitbild eines solidarischen Europa ist ein Beharren auf eigener Souveränität zur Abwehr der Herrschaftsansprüche supranationaler Organisationen, der Troika und der Gläubigerstaaten geworden. Europa war schon einmal weiter als heute.
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