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Wahlbarometer: Schwarz, Grün, Ordoliberal

| 25. Juni 2021
istock.com/Carrie M. Cooper

Liebe Leserinnen und Leser,

und wieder sind wir auf der Zeitachse der Bundestagswahl ein wenig näher gerückt. Noch knapp drei Monate, dann dürfen Sie zur Wahl der Qual schreiten und ihr Kreuzchen auf einer Liste von Parteien machen, zwischen denen sowohl der Wettbewerb als auch die programmatischen Unterschiede immer bedeutungsloser werden.

Was klingen mag wie „Die machen doch eh alle dasselbe“ und 5 Euro ins Phrasenschwein der verbitterten Stimme des Volksmunds, hat für den Politologen Philip Manow in seinem Buch (Ent-)Demokratisierung der Demokratie vor allem zwei Gründe: Einerseits stellten sich nach 1990 bestimmte politische Grundsatzkonflikte nicht mehr, andererseits haben sich die Gestaltungsspielräume nationaler Politik durch die Europäisierung immer weiterer Politikbereiche stark verringert. „Der Niedergang der Repräsentationsorganisationen“, wie es Manow ausdrückt, sei „nicht zu denken ohne den Rückgang der ihnen noch verbliebenen Repräsentationsfunktionen“.

Oder anders gesagt: was sich innerhalb von Parteien vollzieht, ist nicht unabhängig von Prozessen der Denationalisierung der Politik zu verstehen. „Sie machen die Parteien zunehmend voneinander ununterscheidbar.“

Wenn Sie es anschaulich haben wollen, dann hilft zum Beispiel ein Vergleich zwischen den Parteiprogrammen von CDU/CSU und den Grünen. Vor dem Wunderwerk der Marktwirtschaft verbeugen sich beide Parteien etwa nicht weniger tief, schreibt Paul Steinhardt. So stehe zwar die Union ordnungspolitisch rechts von den Grünen. Es brauche aber keiner fähigen Brückenbauer, um sich wirtschaftspolitisch begegnen zu können. Was beide Parteien ordnungspolitisch trennt, sei bestenfalls ein Bächlein.

Heißt auch: Weder wird die Schuldenbremse in Frage gestellt noch das Projekt einer vertieften EU-Integration im Allgemeinen oder die Vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts, die Maastricht-Kriterien oder der Fiskalpakt im Besonderen. Überflüssig zu erwähnen, dass diese Dogmen mehr oder weniger ausgeprägt für nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien gelten.

Öffentliche Kritik an diesem Befund? Fehlanzeige. Die sich um Annalena Charlotte Alma Baerbock drehende Schlammschlacht etwa wirkt wie ein Spektakel der Postdemokratie. Im Mittelpunkt der medialen und politischen Auseinandersetzung stehen Versprecher und Verdreher sowie Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf.

Eine ernstzunehmende Kritik aber müsste woanders ansetzen, am Schnittpunkt der politischen Ökonomie, womit wir wieder bei der erwähnten Schuldenbremse wären. Denn die soll – geht es nach den Grünen – lediglich bei bestimmten öffentlichen Investitionen Ausnahmen vorsehen. Insbesondere für konsumtive Ausgaben, also Ausgaben etwa für Personal bzw. Verwaltung, soll sie aber weiterhin Bestand haben.  

Öffentliche Investitionen fördern und gleichzeitig höhere konsumtive Ausgaben ablehnen? Das ist so paradox wie es klingt. Schon seit Jahren scheitern wichtige Investitionen in Infrastruktur oder Klimaschutzmaßnahmen daran, dass Kommunen schlicht nicht genügend Fachpersonal haben, um drängende Projekte umzusetzen. Das Personal in Ämtern, Behörden und öffentlichen Verwaltungen wurde jahrzehntelang zusammengestrichen.

Wollen die Grünen mehr als Symbolpolitik betreiben, schreibt Julien Niemann, müssten sie das Problem der institutionell verankerten Haushalsbeschränkung endlich offen thematisieren. Denn wer von Schulden nicht reden will, sollte auch vom Klima schweigen. Doch die Grünen machen das Gegenteil. Geradezu entlarvend liest sich die Aussage im Wahlprogramm, dass man aufgrund der Corona-Krise nicht versprechen könne, dass die notwendigen Projekte am Ende noch finanzierbar sein werden.

Hier wären wir wieder am Anfang der Geschichte angelangt. Das „Demokratier“ zieht im Käfig einsam seine Kreise. Ob Fiskalpakt, Maastricht-Kriterien oder Schuldenbremsen: Was sich innerhalb von Parteien vollzieht, ist nicht unabhängig von Prozessen der Denationalisierung der Politik zu verstehen. Sie machen die Parteien zunehmend voneinander ununterscheidbar.