Ver.di’s Kampf gegen die „Logik“ progressiver Ökonomen
Viele "progressive" Ökonomen glauben fest an die Lohn-Preis-Spiralen-Logik. Wirtschaftspolitische Empfehlungen auf dieser Basis diskreditieren die Lohnforderungen von ver.di, was aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht fatal ist. Dabei ist diese "Logik" alles andere als logisch und basiert auf vielen Prämissen, die mit der Wirtschaftsrealität nichts zu tun haben.
Dass die „Zinswende“ der Zentralbanken in erster Linie als „Lohnbremse“ fungiert, wurde auf MAKROSKOP in einer Reihe von Artikeln (zum Beispiel hier) argumentiert. Doch selten monieren die wenigen „progressiven“ Kritiker der „Zinspolitik“ der EZB diese politische Einmischung einer vermeintlich politisch unabhängigen Organisation in die Lohnfindung. Vielmehr beklagen sie, dass die EZB mit der "Zinswende" die Bereitschaft der Arbeitnehmerschaft zu einem Reallohnverzicht unterminiert hat.
In einem Blog von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker liest sich dieses Argument wie folgt:
„Schauen [die Gewerkschaften] sich die Prognosen und Statements der EZB an, müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass die EZB die Preissteigerungen für so gravierend und so dauerhaft einschätzt, dass sie daraus ableitet, gar nicht anders gekonnt zu haben, als einen extrem scharfen Restriktionskurs einzuschlagen, und den auch zunächst beibehalten zu müssen. Wer kann den Gewerkschaften verdenken, dass sie da die zu erwartenden Realeinkommensverluste so gering wie möglich halten wollen?“
Flassbeck und Spiecker scheinen also ein gewisses Verständnis für den von ver.di geforderten „Inflationsausgleich“ zu haben, welchen die Gewerkschaft wie folgt begründet:
„Die Inflationsraten in Deutschland und Europa steigen aufgrund der Energiekrise in bisher ungekannte Höhen, 10 Prozent im September und im Jahresdurchschnitt knapp unter 9 Prozent. Die gestiegenen Preise zehren am Einkommen. Insbesondere Geringverdienende, Erwerbslose oder Rentner*innen wissen kaum noch, wovon sie leben sollen.“
Liest man bei Flassbeck und Spiecker etwas weiter, zeigt sich allerdings, dass sie die „Zinswende“ der EZB zwar als falsches Signal an die Arbeitnehmerschaft kritisieren. Dennoch aber unter den von ihnen behaupteten Umständen für einen Reallohnverzicht der Arbeitnehmerschaft plädieren:
„Die EZB hätte von Anfang an klarstellen müssen, dass es sich um temporäre Preisschocks durch Pandemie und Krieg handelt, die kein geldpolitisches Eingreifen erfordern, wenn es bei den Lohnzuwächsen nicht zu einer massiven Beschleunigung kommt. Dann hätten sich die Tarifparteien (…) mit Einmalzahlungen und tarifwirksamen Umschichtungen zugunsten der untersten Einkommen ohne weiteres behelfen können.“
Es ist also unproblematisch, dass die EZB die Arbeitnehmerschaft mit der Drohung von Zinserhöhungen zu einem Reallohnverzicht motivieren will. Schließlich muss bei einem „Inflationsausgleich“ mit einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale gerechnet werden, wie auch in einem Bericht des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung behauptet wird:
„Ein vollständiger Ausgleich durch die Nominallöhne vermeidet zwar Realeinkommensverluste für die Lohnempfänger, (…) führt aber zu einer Fortsetzung des Inflationsschocks durch eine Preis-Lohn-Spirale“.
Ist die Zinswende dann aber nicht doch zu begrüßen, weil die EZB mit ihr ihrer Drohung erst Glaubwürdigkeit verschafft hat? In jedem Fall scheint, dass die Kritik „progressiver“ Ökonomen einer Begründung bedarf, die über den schlichten Hinweis hinausgeht, dass es keine "gefährlichen" Lohnentwicklungen gegeben hat.
Eine beliebte Strategie ist es wie etwa auch Bill Mitchell darauf zu insistieren, dass die Preiserhöhungen nur temporär sind. Evidenz für diese These sollen die bereits wieder sinkenden Inflationsraten sein. Gegenwärtig sind wir also nicht etwa mit einer „Inflation“, sondern lediglich mit einer sogenannten „Inflationsepisode“ konfrontiert, schließt er daraus. Während eine Inflation Zinserhöhungen verlangt, sollte man bei einer Inflationsepisode Zinserhöhungen unterlassen, erklärt er in Übereinstimmung mit Flassbeck und Spiecker.
Nun bedeuten sinkende Inflationsraten aber lediglich, dass die Preise langsamer als vorher steigen. Keineswegs lässt sich daraus schließen, dass das Preisniveau wieder auf das Niveau vor der „Inflationsepisode“ sinkt. Doch nur für diesen Fall kann man aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive wie Flassbeck/Spiecker und das IMK für Einmalzahlungen und gegen eine Reallohnstabilisierung argumentieren.
Ist dagegen davon auszugehen, dass die Preise auf einem höheren Niveau verbleiben, dann sollten Gewerkschaften für eine Reallohnstabilisierung kämpfen, wie ver.di wie folgt richtig begründet:
„Sonderzahlungen sind keine gute Alternative zu tabellenwirksamen Tarifsteigerungen. Einmalzahlungen erhöhen das Lohnniveau nur kurzfristig. Denn wenn die Sonderzahlung wegfällt, sinken die Preise nicht wieder. Zur Wahrheit gehört auch, dass die nächste Tariflohnsteigerung auf dem niedrigeren Lohnniveau ohne Einmalzahlung aufsetzt. Da müssen die Abschlüsse schon sehr hoch ausfallen, um Reallohneinbußen zu verhindern.“
Die Lohn-Preis-Spiralen-Logik
Freilich wird Proponenten der Lohn-Preis-Logik dieses Argument von ver.di nicht überzeugen. Ihre Unterstellung: Verbleiben Lohnerhöhungen nicht im sogenannten „verteilungsneutralen Spielraum“, wird unvermeidlich eine Lohn-Preis-Spirale losgetreten, die eine Zentralbank zwingt, die Zinsen zu erhöhen. Was im Rahmen dieser „Logik“ notwendig zu rückläufigen unternehmerischen Investitionen und damit zu steigender Arbeitslosigkeit führt. Da das nun wirklich niemand wollen kann, folgt daraus - logisch -, dass einen "Inflationsausgleich" wirklich gar niemand fordern darf.
Nun ist richtig, dass es zwischen Preisen und Löhnen einen sehr engen Zusammenhang gibt. Der Grund dafür ist einfach zu verstehen: Unternehmen müssen kostendeckend arbeiten, damit sie nicht Konkurs gehen. Da aber die Löhne den größten Kostenblock bei einer Vielzahl von Unternehmen darstellen, sind steigende Löhne ein guter Grund für Preiserhöhungen. Daraus lässt sich aber nicht „auf einen Automatismus zwischen steigenden Löhnen und Preisen“ schließen, wie ver.di in einer informativen Pressemappe richtig festhält:
„Für Preise sind allein die Unternehmen verantwortlich. Wenn Löhne und somit Arbeitskosten steigen, erhöhen einige Firmen ihre Preise, um zu verhindern, dass ihre Gewinne schrumpfen (…).“
Schon Abba L. Lerner wies Mitte des letzten Jahrhunderts darauf hin, dass es schlicht „keine wesentliche Asymmetrie zwischen dem Lohnbestandteil und dem Gewinnbestandteil des für das Produkt verlangten Preises" gibt. Es gilt daher bei der Suche nach den Ursachen von Inflation auch die Gewinne und deren Bestimmungsfaktoren in den Blick zu nehmen.
EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabl hat in einem Interview - immerhin - die Möglichkeit einer gewinninduzierten Inflation anerkannt:
„In der Vergangenheit waren viele Unternehmen nicht nur in der Lage, ihre höheren Kosten in vollem Umfang weiterzugeben, sondern konnten oft sogar ihre Gewinnspannen erhöhen. Wir müssen uns also auch die Entwicklung der Gewinne ansehen.“
Mit diesem Zugeständnis wird die für die Lohn-Preis-Spiralen-Logik einschlägige wirtschaftspolitische Rezeptur zur Bekämpfung der Inflation und damit die Fähigkeit einer Zentralbank, die Inflation mithilfe des gesetzten Zinses zu steuern, in Frage gestellt. Flassbeck und Spiecker weisen diese Infragestellung von politisch unabhängigen Zentralbanken als kompetente Inflationswächter wie folgt zurück:
„Wenn die Unternehmen nach Belieben die Preise erhöhen und Inflation verursachen könnten, fragt man sich, warum sie das nicht in den vergangenen zehn Jahren getan haben, als die EZB gegen Deflation kämpfte. Die EZB könnte von vorneherein einpacken, wenn es keinen Wettbewerb gäbe, der die Unternehmen dazu zwingt, sich an ihre Kostensituation anzupassen. Dann gäbe es keine Marktwirtschaft und auch keine Möglichkeit, mit hohen Zinsen die Preissteigerungen zu bekämpfen. Denn dann könnten Unternehmen Gewinnspannen durchsetzen, aus denen sie jede Zinssteigerung bezahlen könnten. Nein, wenn etwas an einer Gewinn-Preis-Spirale dran ist, dann ist das ein Fall für die Kartellbehörden und nicht für die EZB.“
Damit haben sie die Voraussetzungen formuliert, die es erlauben würden, eine politisch unabhängige Zentralbank mit dem Mandat zu betrauen, mit ihrer "Geldpolitik" für Preisstabilität zu sorgen: Es bedarf dazu einer „funktionierenden Marktwirtschaft“, die durch "ausreichend" Wettbewerb unter den Unternehmen sicherstellt, dass mit Zinsvariationen der Umfang von Unternehmensinvestitionen bestimmt werden kann.
Löhne – nicht Zinsen
Paul Krugman hat diese geldpolitische „Logik“ wie folgt kommentiert:
„Es ist ein kleines, schmutziges Geheimnis geldpolitischer Analyse, dass Änderungen der Zinssätze die Wirtschaft hauptsächlich durch ihre Auswirkungen auf den Immobilienmarkt und den internationalen Wert des Dollars beeinflussen (…). Jede direkte Auswirkung auf die Unternehmensinvestitionen ist so gering, dass sie in den Daten kaum zu erkennen ist. Was solche Investitionen stattdessen antreibt, ist die Wahrnehmung von Marktnachfrage.“
Ein Blick auf Japans und Südkoreas Wirtschaft zeigt, dass es den behaupteten engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Zinsen nicht gibt.
Wie die folgende Grafik belegt, ist die südkoreanische Wirtschaft über 30 Jahre eindrucksvoll gewachsen, während die japanische Wirtschaft weitgehend stagnierte.
Allerdings lagen die Zinsen in Südkorea über diesen Zeitraum keineswegs niedriger als in Japan. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wie die nächste Grafik zeigt.
Entscheidend für die Wirtschaftsentwicklung scheint also keineswegs der Zins, sondern, wie Krugman schreibt, primär die „Marktnachfrage“. Die effektive Nachfrage selbst ist aber auch von der Reallohnentwicklung abhängig. Einen Eindruck über den Grad dieser Abhängigkeit vermittelt die folgende Grafik in Kombination mit der obigen Grafik über die Entwicklung des BIP's in beiden Ländern.
Es gibt offensichtlich einen engen Zusammenhang zwischen der Reallohnentwicklung und Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Befund sollte nicht überraschen. Denn Konsumausgaben sind in allen Volkswirtschaften der größte Wachstumstreiber. Unter der Annahme, dass die Preise nicht mehr auf das Niveau vor der „Inflationsepisode“ zurückfallen, wird ein Reallohnverzicht daher – fast schon logisch – zu einer schwachen Wirtschaftsentwicklung führen müssen.
Natürlich kann man hoffen, dass der Staat einen solchen rezessiven Impuls seitens der Verbraucher mit staatlichen Haushaltsdefiziten kraftvoll kontert. Wie die Entwicklung der japanischen Staatschuldenquote belegt, kann man den japanischen Staat kaum den Vorwurf machen, einen fiskalischen Austeritätskurs verfolgt zu haben. Seit den 1990er Jahren verfolgt Japan ganz im Gegenteil offensichtlich eine äußerst expansive Fiskalpolitik, wie der folgenden Grafik entnommen werden kann.
Der Blick auf Japans Wirtschaft zeigt auch, dass man nicht allzu große Hoffnung haben sollte, dass „Lohnmoderation“ zwingend mit Exportüberschüssen „belohnt“ wird. Trotz stagnierender Reallöhne sind die Exportüberschüsse Japans im Trend immer kleiner geworden. Inzwischen hat Japan sogar dem „Exportismus“ abgeschworen, wie die folgende Grafik anschaulich macht.
Geht man davon aus, dass das Preisniveau mittelfristig nicht mehr auf das vor den "temporären Preisschocks" fällt, dann ist das aus der Lohn-Preis-Spiralen-Logik abgeleitete Plädoyer für „Einmalzahlungen“ – also Reallohnverzichte – die Anleitung für eine wirtschaftliche Stagnation.
Gewinninduzierte Inflation
Die von Flassbeck und Spiecker exemplarisch beschriebene Lohn-Preis-Spiralen Logik ist nur wirklich überzeugend, wenn man mit der Neoklassik übereinstimmt: dass es in einer „funktionierenden Marktwirtschaft“ aufgrund des Wettbewerbs keine unternehmerischen Gewinne gibt. Dann gibt es trivialer Weise keine gewinninduzierte Inflation und Lohnerhöhungen müssen zwingend „weitergegeben“ werden.
So oder so aber stellt sich die Frage, warum es Unternehmen möglich sein sollte, zwar Lohnerhöhungen, aber nicht steigende Zinskosten „weiterzugeben“. Solange man darauf keine schlüssige Antwort hat, müsste man zugeben, dass auch Zinserhöhungen eine Inflation befeuern können. Die Lohn-Preis-Spiralen-Logik scheint also einen logischen Widerspruch zu implizieren.
Die von Flassbeck und Spiecker aufgeworfene Frage, warum Unternehmen sich gerade jetzt erlauben können sollten, ihre Preise zu erhöhen, gilt es aber dennoch zu beantworten. Denn zuzugeben ist, dass die Frage auf einer prima facie plausiblen Intuition beruht: Zwischen Preisen und der Wettbewerbsintensität gibt einen inversen Zusammenhang. Mit steigender Wettbewerbsintensität sinken Preise und umgekehrt.
Diese Intuition steht aber mit der Tatsache im Widerspruch, dass Unternehmen auf eine nachfrageinduzierte Rezession regelmäßig mit Preiserhöhungen reagieren. Tatsächlich haben die Unternehmen für dieses Verhalten gute Gründe: Mit einem Rückgang der effektiven Nachfrage sinkt die Auslastung gegebener Produktionskapazitäten. Damit steigen in diesem Fall die Stückkosten, was die Gewinnmarge des Unternehmens reduziert. Alle Unternehmen aber wissen, dass die anderen Unternehmen das auch wissen. Daher, so argumentierte Michal Kalecki schon 1954, bestehe die Möglichkeit, dass es zu „einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen Unternehmen einer Branche komme, die Gewinne zu ‚schützen‘ und folglich die Preise zu erhöhen“.
Diese Hypothese wird von Isabella M. Weber und Evan Wasner in einem interessanten Papier erweitert und verallgemeinert sowie mit empirischen Belegen unterfüttert. Daraus folgt eine Ablehnung des mehr oder weniger expliziten „Wettbewerbsbegriffs“ der Lohn-Preis-Spiralen-Logiker. Letztere unterstellen, dass „Preise optimal oder markträumend“ sind, während diese in Wirklichkeit, so Weber und Wasner, auch das Ergebnis einer „strategischen Interaktion“ zwischen Unternehmen sind. Es gelte also zu konzedieren, „dass Preisbildungsprozesse nicht durch universelle [ökonomische] Gesetze bestimmt werden, sondern pfad- und kontextabhängig sind".
Ebenso unzulässig ist es nach Weber und Wasner, Nachfragelastizitäten unabhängig von realen sozialen Kontexten zu konzeptualisieren:
„Kunden sind eher bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn Preiserhöhungen als legitim empfunden werden. Diese Legitimität für Preiserhöhungen kann durch die Medien und den öffentlichen Diskurs geschaffen werden. Ein Narrativ über unterbrochene Lieferketten und explodierende Energiepreise kann bei den Kunden […] Verständnis für steigende Preise wecken.“
Nun reichen ein Preisschock in einer Wirtschaftsbranche und damit einhergehende „stillschweigende Vereinbarungen“ ermöglichte branchenweite Preiserhöhungen nicht aus, um von einer „Inflation“ zu reden. Diese gibt es nur, wenn Preise in einer Vielzahl von Branchen merklich steigen. Inflation setzt also voraus, dass der Preisschock in einem „systemisch bedeutsamen Wirtschaftssektor“ stattfindet, dessen Güter in vielen anderen Wirtschaftssektoren benötigt werden.
In diesem Fall führen die Preiserhöhungen zu Kostenerhöhungen in anderen Wirtschaftssektoren nach dem folgenden Muster:
„Um die Gewinnspannen zu schützen, wird das nächste Unternehmen in der Kette dasselbe tun, aber nun von einem Kostenanstieg ausgehen, der sowohl die ursprüngliche vorgelagerte Kostensteigerung als auch den höheren Aufschlag des zweiten Unternehmens in der Kette berücksichtigt. Wenn sich alle Unternehmen so verhalten, gibt es einen kumulativen Effekt, der den Nominalwert der Gewinne erhöht, auch wenn die Gewinnspannen konstant bleiben.“
Hat man erst einmal verstanden, was eine gewinninduzierte Inflation kennzeichnet, dann wird klar, dass die Lohnentwicklung keine Ursache von Inflation ist, wie die Lohn-Preis-Spiralen-Logik unterstellt. Vielmehr kann sie ein Trigger-Ereignis sein, das zu einer branchenweiten Reduktion von Gewinnmargen führt. Auch in diesem Fall kann es daher zu „einer stillschweigenden Vereinbarung“ kommen, um „die Gewinne zu ‚schützen‘ und folglich die Preise zu erhöhen“.
Abschied nehmen tut weh
Ist die Vorstelllung einer gewinninduzierten Inflation daher möglicherweise nicht „absurd“, wie Flassbeck und Spiecker kritisieren, sondern vielmehr ein typisches Merkmal von kapitalistisch organisierten Geldwirtschaften?
Die Verteidigung ihrer impliziten Behauptung, dass Inflation (meist) nachfrageinduziert sei, erfordert jedenfalls Preise als durch primär Angebot und Nachfrage bestimmt anzunehmen. Was Postkeynesianer entschieden bestreiten. Nach ihrer Meinung reagieren produzierende Unternehmen auf eine zunehmende Nachfrage primär mit einer höheren Kapazitätsauslastung. Preiserhöhungen dagegen werden im Normalfall unterlassen, weil sie befürchten, dass andere Unternehmen nicht mitziehen und sie damit Marktanteile verlieren werden, was wiederum ihre Stückkosten erhöhen und Gewinnmargen reduzieren würde.
Sobald man aber der Angebots-Nachfragemechanik eine Absage erteilt, wird auch die beruhigende Rede von einer „Inflationsepisode“ problematisch. Selbst wenn man wie Flassbeck und Spiecker davon überzeugt ist, dass „sich die Preise für Gas und Öl schon [wieder] weitgehend normalisiert haben“, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass alle Unternehmen in der Produktionskette ihre dadurch möglichen Kosteneinsparungen auch an ihre Kunden weitergeben.
Im Gegenteil spricht vieles dafür, dass diese Annahme mit der wirtschaftlichen Realität nur wenig zu tun hat, wie sich dem Papier von Weber und Wasner entnehmen lässt:
„Unternehmen konkurrieren um Marktanteile. Wenn sie ihre Preise senken, […] müssen sie damit rechnen, dass ihre Konkurrenten ihrerseits mit Preissenkungen reagieren. […] Preissenkungen sind [daher selbst bei marktführenden Unternehmen] bestenfalls ein Mittel der letzten Wahl. Selbst auf eine sinkende Nachfrage reagieren Unternehmen [meist] mit verstärkter Werbung und Produktinnovationen und nicht mit Preissenkungen.“
Was die vorgetragene Kritik an der Lohn-Preis-Spiralen-Logik für die Wirtschaftspolitik im Einzelnen bedeutet, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Klar jedoch ist, dass mit ihr die Vorstellung eines apolitischen Zusammenwirkens von Lohn- und Geldpolitik in das Reich der Mythen verwiesen wird. Als Illusion erweist sich auch der Glaube, man könnte der Inflation mit „Energiepreisbremsen“ und anderen Subventionen ein weder von Unternehmen noch Lohnabhängigen beanstandetes Schnippchen schlagen. Denn Subventionen sind ebenfalls Trigger-Ereignisse, die nach dem oben beschriebenen Muster Inflationsprozesse einleiten und befeuern können.