Investitionskrise

Investitionshemmnis Unsicherheit

| 20. März 2024
IMAGO / Chris Emil Janßen

Die lange Phase stagnierender Investitionen scheint kein Ende zu nehmen. Geldpolitik und Finanzierungskosten geben keine zufriedenstellende Erklärung ab. Ein besonders wichtiges Hemmnis in Deutschland: die wirtschaftspolitische Unsicherheit.

Private Investitionen sind der doppelte Espresso am Montagmorgen: Ohne sie sind Aufgaben nicht zu bewältigen. Während öffentliche Investitionen entscheidend für Bildung, Sicherheit und Infrastruktur sind, sind es besonders private Investitionen in die Realwirtschaft, welche unsere Wirtschaftssubstanz dekarbonsieren, digitalisieren und wettbewerbsfähig für die Zukunft machen.

Eine strukturelle Investitionsschwäche

Die Investitionsrate, das heißt, das Verhältnis der Investitionen nicht-finanzieller Unternehmen zu ihrer Bruttowertschöpfung, beträgt in Deutschland etwa 20 Prozent. Das hört sich nach viel an, ist aber vergleichsweise wenig. Unsere europäischen Nachbarn investieren mehr: Spaniens Investitionsrate liegt bei 24 Prozent, die in Frankreich und Österreich sogar bei 26 Prozent.

Auf diesem niedrigeren Level erwiesen sich Investitionen in den Krisen der letzten Jahre zwar als resilient. Sie haben schnell wieder das ursprüngliche Niveau erreicht, waren aber auch wachstumsarm. Das zeigt folgende Grafik:

Quelle: EZB (2024) und OECD (2024)

Stand jetzt gibt es keine Anzeichen, dass Deutschland bald aus seiner Investitionsschwäche herauskommt: Laut der aktuellen ifo-Konjunkturumfrage planen nur etwas mehr als 1 Prozent der Unternehmen (per Saldo) ihre Investitionen zu erhöhen. Angesichts veralteter Infrastruktur und der dringenden Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Transformation ist dies ein signifikantes Problem. Womit erklärt sich das Erlahmen der privaten Investitionen?

Liegt es an den Finanzierungskosten oder der Inflation?

Einen Teil der Investitionszurückhaltung lässt sich auf das finanzielle und geldpolitische Umfeld zurückführen. Die Finanzierungskonditionen haben sich in den letzten Quartalen signifikant verschärft: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins erhöht, Banken geben dies durch höhere Kreditzinsen weiter, wie etwa die Europäische Zentralbank (EZB) und das ifo-Institut gezeigt haben.

Durch den Anstieg der Finanzierungskosten steigen gleichzeitig die Ansprüche an die Kreditwürdigkeit. Messbar wird dies durch Ablehnungen von Kreditanträgen. Wie an folgender Grafik zu sehen ist, nahmen Finanzierungskosten und abgelehnte Kreditanträge zu:

Quelle: EZB (2024)

Zwar waren die Zinsen in den letzten Jahren immer noch gering im Verhältnis zur Inflation. Doch Unternehmen schauen durchaus auf nominale Zinsen statt auf Realzinsen, wenn sie Investitionsentscheidungen treffen. Denn für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind nominale Kosten entscheidend. Außerdem kann es gut sein, dass die EZB die Zinsen trotz fallender Inflation noch eine Weile angehoben lassen wird – was einen Anstieg der Realzinsen zur Folge hätte.

Die Inflation und der hierauf dreschende Zinshammer können jedoch nicht allein verantwortlich für die anhaltende Investitionsmüdigkeit sein. Zwar haben nach der ifo-Konjunkturumfrage Unternehmen aufgrund des gestiegenen Zinsniveaus in den letzten anderthalb Jahren 8,4 Prozent weniger investiert als ursprünglich geplant. Doch der Zugang deutscher Unternehmen zu Fremdkapital ist im europäischen Vergleich immer noch herausragend. Wie der Investitionsbericht 2023/2024 der Europäischen Investitionsbank zeigt, ist nur in Schweden ist der Zugang zu Kapital besser.

Zudem hatte die Inflation kurzfristig sogar einen positiven Effekt auf Investitionen: Einerseits haben steigende Energiepreise Investitionen in Energieeffizienz angereizt. Andererseits sind die Barreserven deutscher Unternehmen laut Untersuchung der international tätigen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer seit 2003 bis 2023 von etwa 10 Prozent auf knapp einem Fünftel des BIP angestiegen. An diesen Reserven nagt die Inflation. Investitionen können kurzfristig attraktiver werden, wie die Europäische Investitionsbank feststellt.

Andere Hemmnisse wiegen schwerer

Die Europäische Investitionsbank befragt Staaten und Unternehmen nach ihrem Investitionsverhalten sowie danach, worin Firmen Investitionshindernisse sehen. Im deutschen Investitionsbericht für 2023 zeigt sich, dass für viele Firmen der Zugang zu Finanzierung ein nachrangiges Hindernis darstellt. Der Fachkräftemangel, Regulierungen und Energiekosten werden deutlich öfter als zentrale Probleme gesehen. Prominent ist außerdem die Kategorie „Unsicherheit über die Zukunft“, ein Aspekt, der noch näher beleuchtet wird.

Im aktuellen Investitionsbericht der Europäischen Investitionsbank gaben 77 Prozent der Unternehmen an, dass Unsicherheit ihre Investitionstätigkeit behindert. Dabei betrachten es 39 Prozent als großes und 38 Prozent als kleines Hemmnis. Die Unterscheidung ist wichtig, denn Unternehmen scheinen nur bei einer großen Unsicherheitswahrnehmung Investitionen zurückzufahren. In den USA nehmen beispielsweise etwa 80 Prozent Unsicherheit als Hindernis wahr, doch nur 25 Prozent betrachten sie als großes Hemmnis.

Wenn diese Unsicherheit bestehen bleibt, kann sie signifikante Auswirkungen auf Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit haben. Dies zeigt sich in einem Rechenbeispiel: Durchschnittlich tätigen Unternehmen Investitionen im Wert von etwa zehn Prozent ihres Kapitalstocks (das ist der Bestand von Ausrüstung, Maschinen, Infrastruktur und so weiter) pro Jahr. Die Unsicherheit dämpft diese Investitionsrate um etwa einen Prozentpunkt. Anders ausgedrückt: Bei zehn Jahren anhaltender Unsicherheit verlieren wir ein Jahr private beziehungsweise unternehmerische Investitionen.

Ein messbarer Unsicherheitsanstieg

Die von deutschen Unternehmen wahrgenommene Unsicherheit ist durch die Pandemie auf ein höheres Niveau gestiegen, aber sinkt trotz des Endes der Pandemie nicht:

Quelle: Europäische Investmentbank (2024)

Die neue Unsicherheit ist politischer Natur: Knapp 40 Prozent der Unternehmen, die grüne Investitionen zurückfahren, begründen dies mit den unsicheren politischen Rahmenbedingungen

Der Economic Policy Uncertainty Index[1] zeigt, dass die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland als besonders unsicher wahrgenommen werden:

Quelle: Baker, Bloom und Davis (2024)

In Deutschland ist der Index seit den Energiepreisschocks besonders stark angestiegen — und er befindet sich nach wie vor auf Krisen-Niveau. Eine Spitze nach dem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds des Bundesverfassungsgerichts im November ist ebenfalls erkennbar.

Unternehmen müssen nicht warten. Sie können auch einfach gehen

Vielleicht ist es intuitiv, dass Unsicherheit Investitionen hemmt. Aber wie genau ist der Mechanismus? Laut Untersuchungen des britisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlicher Nicholas Bloom ist ein möglicher Motor hinter Konjunkturzyklen eine Investitionsfluktuation, die mit Unsicherheit einhergeht.

 Eine große Rolle spielt der sogenannte „Wait-and-See“-Effekte: Unternehmen warten ab, bis die Unsicherheit sich reduziert. Sie sammeln mehr Informationen und vertagen ihre Investitionen. In einer finanzmathematischen Logik spricht man dabei von sogenannten Realoptionen: Wer nicht investiert, bewahrt sich die Option, später zu investieren.

Den Wert dieser Option kann man berechnen. Und je höher die Unsicherheit, desto höher dieser Wert. Steigt er über die Opportunitätskosten, die mit einer späteren Inbetriebnahme der Unternehmung einhergehen, rechnet es sich, die Investition zu vertagen.

Doch in einer globalisierten Welt warten Unternehmen nicht unbedingt auf eine abnehmende Unsicherheit im deutschen Binnenmarkt. Stattdessen können sie Ersatzinvestitionen in anderen Ländern mit geringerer Unsicherheit tätigen, selbst wenn sie eigentlich standortbedingte Kostennachteile mit sich bringen. So will das deutsche Traditionsunternehmen Stihl, Weltmarktführer bei Motorsägen, eine eigentlich in Ludwigsburg anstehende Reinvestition trotz höherer Lohnkosten in der Schweiz tätigen. Das Ironische hieran: Jahrzehntelang hatte gerade der deutsche Standort von geringer Unsicherheit profitiert.

Unsicherheit lähmt auch den Arbeitsmarkt

Den unsicherheitsbedingten „Wait-and-See“-Effekt findet man auch auf dem Arbeitsmarkt wieder. Dieser steht zurzeit noch gut dar, was sich anhand der Linse der Unsicherheit gut erklären lässt. Unsicherheit wirkt nämlich über zwei gegenläufige Effekte:

Zum einen reduziert Unsicherheit über den „Wait-and-See“-Effekt die Nachfrage nach Arbeit: Arbeitgeber überlegen es sich zweimal, bevor sie jemanden neu einstellen, gerade wenn größere Investitionen ausbleiben. Zum anderen scheuen Unternehmen bei hoher Unsicherheit vor Kündigungen, um für einen möglichen Aufschwung gerüstet zu sein. Die Ökonomen Giulia Giupponi und Camille Landais sprechen in diesem Kontext von „labour hoarding“, also dem vorsorglichen Horten von Arbeitskräften. Auch Arbeitnehmer trauen sich ihrerseits in einem unsicheren Umfeld weniger oft zu kündigen.

Diese beiden gegenläufigen Kanäle sind zwar klein, führen aber zu einem führen zu einem Gesamteffekt auf den Arbeitsmarkt. In einem erlahmten Arbeitsmarkt dauert es länger, bis Menschen im Rahmen von Transformationsprozessen aus schrumpfenden in wachsende Branchen wechseln können. Und langfristig werden die negativen Nachfrageeffekte überwiegen: Bleiben die Investitionen aus, so konstatieren die Ökonomen Saten Kumar, Yuriy Gorodnichenko und Olivier Coibion empiriebasiert, ist langfristig mit Arbeitsplatzverlusten zu rechnen. Denn Arbeit und Kapital sind ökonomische Komplemente, sodass ein Abbau des Kapitalstocks langfristig weniger Nachfrage nach Arbeit bedeutet.

Was tun?

Wie kann die Unsicherheit reduziert werden? Die Herstellung von Planungssicherheit ist eine Kunst. Aktionismus hilft nicht, denn schlecht getroffene Entscheidungen werden morgen oft kassiert. Ebenso wenig hilft es, Entscheidungen gar nicht zu treffen oder ewig hinauszuzögern.

Es gibt kein Patentrezept. Aber vielleicht hilft es, die bekannten Störfaktoren im Blick zu halten: unnötige und gefährliche Streitereien über den Haushalt, unentschlossene Schritte zur Förderung der Energiewende sowie die Erosion des gesellschaftlichen Konsenses zur wirtschaftlichen Transformation in Richtung Klimaneutralität.

Stimmen, die aktuell nach Unternehmenssteuersenkungen rufen, könnten vielleicht in Betracht ziehen, dass die wissenschaftliche Evidenz für den Effekt von Unternehmenssteuersenkungen auf das Wirtschaftswachstum dünn ist. Zu diesem Ergebnis kommen die Ökonomen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung Sebastian Gechert und Philipp Heimberger in einer Meta-Regression eines Datensatz mit 441 Schätzungen aus 42 Primärstudien.

Eine vernünftigere Finanzpolitik wäre hingegen ein positiver Beitrag. Diese würde weder von ökonomisch willkürlichen Verfassungsregeln gehemmt, noch durch den Verlust der finanziellen Tragfähigkeit bedroht werden.

Die ursprüngliche Version dieses leicht abgeänderten Beitrags ist unter Creative Common Lizenz beim Dezernat Zukunft erschienen.

------------------------

[1] Für jedes Land wird jede Ausgabe von zwei (Europa) bzw. zehn (USA) Tageszeitungen durchsucht und die Häufigkeit des Wortes „Unsicherheit“ zusammen mit Wörtern aus dem semantischen Feld Wirtschaft gezählt. Unter anderem wird der Index so normiert, dass pro Land der Durchschnitt der Indexwerte vor 2011 bei 100 liegt. Damit werden länder- und publikationsspezifische Besonderheiten Rechnung getragen.