Lauterbachs ungedeckte Schecks
Karl Lauterbach will den Entwurf seines Krankenhausreformgesetzes im Alleingang ohne Zustimmung der Länder durchziehen. Das aber wird nicht funktionieren. Sein Reformprojekt scheitert an seiner Unfähigkeit zur politischen Kommunikation.
Als Karl Lauterbach Gesundheitsminister wurde, kündigte er eine „Art Revolution“ in den Krankenhäusern an: „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund gerückt und folgt nicht der Ökonomie“. Das war ein mutiges Versprechen.
Das Gesundheitswesen ist ein riesiger Wirtschaftszweig mit einem Volumen von fast einer halben Billionen Euro, von dem etwa 35 Prozent auf die stationäre und teilstationäre Versorgung entfallen. Daher spielen bei Krankenhausreformen ökonomische Interessen zwangsläufig eine große Rolle. Die Gesundheitspolitik muss sie im Interesse einer patientenorientierten medizinischen Versorgung bändigen.
Dabei geht es auch um politische Macht. In kaum einem anderen Politikbereich gibt es derart komplizierte Strukturen und sich überlappende Zuständigkeiten wie im Gesundheitswesen. Sie lassen sich gut für parteipolitische Manöver und populistische Kampagnen nutzen.
Gesundheitspolitiker brauchen daher nicht nur den Mut zu Strukturreformen, sie müssen auch politische Bündnisse schmieden können. Die erreicht man nicht mit Posts bei X oder TikTok, sondern nur über mühselige Gespräche mit anderen politischen Entscheidungsträgern. Diese Fähigkeit geht Karl Lauterbach komplett ab. Er hat keinen Plan für die politische Realisierung einer Krankenhausreform. Der jetzt von ihm vorgelegte Gesetzentwurf ist ein Muster ohne Wert.
Strukturprobleme der stationären Versorgung
Seit Jahren berichten Reports und Gutachten über Strukturprobleme unserer Krankenhäuser, die man so zusammenfassen kann:
- Die stationäre Versorgung ist unwirtschaftlich. Ihre Bettenkapazität liegt um 70 Prozent über dem Durchschnitt vergleichbarer EU-Länder.
- Den jährliche Investitionsbedarf der Krankenhäuser wird auf sechs Milliarden Euro geschätzt, den die dafür verantwortlichen Länder nur zur Hälfte decken.
- Jede dritte Klinik hat keine für die Diagnose von Schlagfällen und Herzinfarkten erforderliche Ausstattung (CT, Koronarangiographie).
- Etliche Krankenhäuser machen anspruchsvolle Eingriffe, ohne eine dafür hinreichende Erfahrung zu haben.
- Die Beschäftigten leiden unter einer hohen Arbeitsbelastung. Die Zahl der Pflegekräfte ist trotz zunehmender Behandlungsfälle seit über zwanzig Jahren konstant geblieben.
- Über fünf Millionen Krankenhauspatientinnen und -patienten könnten ambulant behandelt werden.
Diese Sachlage trifft auf komplizierte Strukturen und Entscheidungswege im Gesundheitswesen. Es gibt weder eine planmäßige Abstimmung von ambulanter und stationärer Versorgung, noch eine bundesweit einheitliche politische Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung.
Komplizierte Gesundheitspolitik
Für die ambulante ärztliche Versorgung sind die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) verantwortlich. Für die Leistungen und Vergütungen gelten bundesweit einheitliche Vorschriften. Außerdem unterliegen die Verbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht den Weisungen der politischen Exekutive im Bund und in den Ländern. Diese haben nur die Rechtsaufsicht.
Für die Sicherstellung der stationären Versorgung sind die Länder zuständig. Die Zulassung und finanzielle Förderung von Plankrankenhäusern wird in ihren Landeskrankenhausgesetzen geregelt. Hinzu kommen vier bundesweit geltende Gesetze:
- Das Sozialgesetzbuch V bestimmt den Rahmen der von der GKV bezahlten Leistungen der Krankenhäuser.
- Das Krankenhausfinanzierungsgesetz regelt die duale Finanzierung der Krankenhäuser. Die Investitionen der in die Landeskrankenhauspläne aufgenommenen Kliniken sollen vom Land getragen werden, während die Betriebskosten aus den von Krankenversicherungen gezahlten Vergütungen abzudecken sind.
- Letztere werden vom Krankenhausentgeltgesetz bestimmt. Die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen zahlen den Plankrankenhäusern die gleichen Vergütungen.[1] Deren konkrete Gestaltung wird in der Bundespflegesatzverordnung geregelt, der die Länder im Bundesrat zustimmen müssen.
- Das kürzlich in Kraft getretene Krankenhaustransparenzgesetz verpflichtet die Krankenhäuser zur regelmäßigen Veröffentlichung ihrer Struktur- und Leistungsdaten.
Vor diesem Hintergrund benötigt eine Krankenhausreform stabile politische Mehrheiten im Bundestrag und Bundesrat. Die bekommt man nur mit politischer Sensibilität und Kompromissfähigkeit, schon weil die parteipolitischen Mehrheiten in den beiden Gesetzgebungskammern selten übereinstimmen. Aber die interne Kommunikation im politischen System ist nicht Karl Lauterbachs Ding. Seinen jetzt dem Bundeskabinett vorgelegtes Krankenhausreformgesetz (KHVVG) hat er mit den Ländern nicht abgestimmt, obwohl es ohne deren Mitwirkung nicht umgesetzt werden kann.
Reformschwerpunkte
Lauterbachs Gesetzentwurf hat vier Schwerpunkte, die hier nur stichwortartig aufgezählt werden können [2]:
- Die Plankrankenhäuser werden in Leistungsgruppen Sie orientieren sich an Qualitätskriterien und ersetzen die seit über 50 Jahren geltende Klassifizierung in Kliniken der Grund-, Regel- und Maximalversorgung.
- Die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser werden erweitert.
- Die von den Krankenversicherungen gezahlten DRG-Fallpauschalen sollen mit den bislang nicht berücksichtigten Vorhaltekosten der Krankenhäuser verknüpft und mit den neuen Leistungsgruppen der Krankenhäuser abgestimmt werden. Einzelheiten werden in der Bundespflegesatzverordnung geregelt.
- Ein Transformationsfonds soll den Investitionsstau in der stationären Versorgung auflösen. Für ihn sollen aus den Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds der GKV von 2026 bis 2035 jährlich jeweils 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Eine Beteiligung der Länder und des Bundes an diesem Fonds ist nicht vorgesehen, wird aber nicht ausgeschlossen.
Unterm Strich ist dieser Gesetzentwurf eine Mischung aus richtigen Weichenstellungen, Detailversessenheit, Holzwegen und offenen Fragen. Es ist sicher, dass er so nicht ins Bundesgesetzblatt kommt. Dafür wird schon Christian Lindner sorgen, der sich nach Lage der Dinge weigern wird, Geld für den Transformationsfonds bereitzustellen. Ihm wurde bereits eine Fristverlängerung für seine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zugestanden.
Aber das ist nur ein Randproblem im Vergleich zu anderen Ungereimtheiten und rechtlichen Fragen in Lauterbachs Gesetzentwurf. Die dessen Kern bildenden Regeln zur Gliederung der Krankenhäuser in Leistungsgruppen und deren Verknüpfung mit den Vorhaltekosten und Fallpauschalen sind äußerst kompliziert und auch für Fachleute nur schwer zu verstehen. Würden die von Lauterbach beabsichtigten Regelungen so ins Gesetz kommen, sollten die Sozialgerichte vorsorglich zusätzliche Stellen beantragen.
Trickserei und politische Unfähigkeit
Eigentlich hatte sich Karl Lauterbach mit den Ländern darauf verständigt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, aus dem man ein gemeinsam getragenes Reformprojekt hätte machen können. Diese Vereinbarung hat Lauterbach aufgekündigt und seinen Gesetzentwurf so formulieren lassen, dass er nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Damit hat er nicht nur die Länder brüskiert, es ist auch ein nutzloser legislativer Kunstgriff.
Denn der Bund kann zwar ohne Zustimmung der Länder festlegen, welche stationären Behandlungen die Krankenkassen wie vergüten. Aber die im Gesetzentwurf enthaltenen Regeln zur Krankenhausfinanzierung berühren die Verwaltungshoheit der Länder. Sie müssen deshalb in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden.
Dieses Verfahren versucht Lauterbach in seinem Gesetzentwurf teilweise auszuhebeln, indem er eigentlich in Durchführungsverordnungen gehörende Bestimmungen ins Gesetz hebt. Das führt zu einer grotesken Detailversessenheit, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
Diese Trickserei ändert auch nichts daran, dass wesentliche Teile von Lauterbachs Reformprojekt nicht ohne Rechtsverordnungen realisiert werden können, denen die Länder zustimmen müssen. Sein Gesetzentwurf ist ein ungedeckter politischer Scheck.
Lauterbach will den Ländern den Schwarzen Peter für ein Scheitern der Krankenhausreform zuschieben. Sicher, einige Landespolitiker der Union, allen voran Markus Söder, haben pure Obstruktion gegen eine Krankenhausreform betrieben. Aber es gibt auch andere wie den NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, mit denen sich Lauterbach und die von der SPD und den Grünen geführten Landesgesundheitsministerien auf eine Krankenhausreform hätten verständigen können. Nicht die Länder reiten die Krankenhausreform in die Grütze, sondern Karl Lauterbach und sein fataler politischer Autismus.
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