Habecks Reisen
Über die Kurzvisite von Robert Habeck in einem "Indigenendorf in Brasilien" wurde viel berichtet. Doch es lohnt eine Nachlese zum besseren Verständnis grüner Umweltrhetorik.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, ehemals Umweltminister genannt, besucht ein auch von Deutschland unterstütztes Dorf am Rande des Amazonas. Und zwar, weil es darum gehe, „im Regenwald zu leben“, ohne ihn zu zerstören. Er selbst – so Robert Habeck im Video auf der Homepage seines umgetauften Ministeriums – stehe hier am Rande des hinter ihm sichtbaren Regenwaldes und könne für seine Person von einem veritablen „Perspektivwechsel“ berichten, wie er für alle Reisen, besonders aber natürlich für solche „auf die andere Seite des Äquators“ paradigmatisch sei. Reisen bildet, meint der Minister – ein "Kurztrip" nach Südamerika bewirke ganz Erstaunliches.
Habeck, so sollen wir sehen, ist dem Regenwald in seinem schon immer tropentauglichen weißen Hemd – einsam und alleine im Tross der Journalisten – persönlich begegnet und weiß in Zukunft, wovon er redet. So wie er vor seiner Abreise bei einem Besuch eines Werkes zur Produktion von Windkraftanlagen zu Protokoll gab, es gehe ihm darum, ein Windkraftrad einmal anzufassen, ist das Verhältnis des grünen Ministers zur Umwelt stets körperlich und Tik-Tok kompatibel.
Den mitgereisten Journalisten erzählt Habeck, der Besuch im Dorf sei Ausdruck dessen, dass es möglich sein müsse, die glatte Oberfläche der Staatsbesuchsroutine zu durchbrechen. Man ahnt, dass Habeck als ausgebildeter Philosoph mit seinem Ausflug Tieferes im Sinn hat.
Für den Moment indes gilt es, sich den Pflichten eines Touristen zu unterziehen, der ein Indigenendorf gegen Entgelt (das auch in diesem Fall geflossen sein dürfte) besucht. Statt wie auf Hawai zur Begrüßung von jungen Mädchen einen Blumenkranz übergeworfen zu bekommen, malen hier – unter den launigen Worten der Mitgereisten, deren Humor sich der Minister nicht entziehen mag – junge Frauen mit einem Pinsel orangene Farbe in das Gesicht des Ministers und seines ihn – ebenfalls im Rang eines Ministers – begleitetenden Knappen. Später dann gilt es mit stoischer Miene dem Chorgesang der Einheimischen zu lauschen – ausweislich des schmallippigen Applauses hält sich die Begeisterung der Minister in Grenzen.
Dann aber folgen doch endlich die Sätze, um deren Tiefsinn Deutschland die ganze Welt beneiden muss: „Für uns ist das sehr spannend zu verstehen, wie ihr im Wald leben und den Wald schützen könnt. Weil in Deutschland vor tausend Jahren die Deutschen alle Bäume gefällt haben ...“, zitiert die WELT den Minister.
Mit wem Habeck da eigentlich spricht, ist unklar – seine Gastgeber können es nicht sein. Die nämlich leben nicht „im Wald“, sondern, wie Habeck ja selbst sagt, genau davor und an einem Fluss, 60km von der nächsten Großstadt entfernt. Hier warten sie auf Touristen wie ihn, damit sie ihnen – genau wie ihm – die „authentische Atmosphäre“ des Regenwaldes und ihre Hotelbetten und sonstigen touristischen Angebote gegen Geld verkaufen können.
Sie kümmern sich auch nicht besonders um den Schutz des Regenwaldes, außer, dass sie ihn nicht für den Ackerbau brandroden, um auf dem dünnen Tropenboden ein paar wenige Jahre die einfachste Form der für den Menschen zugänglichen Energie zu erzeugen: Essen für die eigene Ernährung.
Habecks Gastgeber sind da viel weiter: Sie brauchen Strom für sich und ihr Touristengeschäft, Solarpaneele sind installiert, auch ein Dieselaggregat – eigentlich tabu – läuft: Für den Schulunterricht (der teilweise – ebenso wie die Arztsprechstunde – online erfolgt), die Kühlschränke und Tiefkühltruhen nicht zu vergessen. Mehr Strom ist unbedingt notwendig, sagt eine Dorfbewohnerin. Schließlich will man – mit Deutschlands Hilfe, deren Aufstockung Habeck befürwortet – touristisch wachsen (wenn auch selbstverständlich nicht in Richtung Regenwald).
„Im und vom Wald“, ohne dass sie ihn dafür abbrennen müssten, leben allenfalls noch ein paar versprengte Eingeborenenstämme ohne näheren Kontakt zum modernen Brasilien.
Was diejenigen betrifft, die tatsächlich noch Brandrodung für Ackerbau betreiben, dürfte unklar sein, ob es sich dabei tatsächlich um indigene Urwaldbewohner oder nicht vielmehr um die ärmste Schicht der Bevölkerung handelt, der aus wirtschaftlicher Not nichts anderes übrigbleibt.
Das Kernproblem für den Bestand des Regenwaldes (die Aufrechterhaltung des Wasser- und Niederschlagskreislaufes ist klimatisch von mindestens ebenso großer Bedeutung wie seine Funktion als Kohlenstoffsenke) sind ohnehin handfeste Agrar- und Rohstoffinteressen, nicht die Brandrodung für Subsistenzlandwirtschaft.
Wenn Habeck also offenbar einem imaginären Gegenüber Aphorismen für die deutsche Medienöffentlichkeit verkündet, was bedeutet dann seine offenbar kritisch gemeinte Aussage, die Deutschen hätten vor tausend Jahren alle Bäume gefällt? „Alle“ offenbar, weil Rodung an sich – egal wieviel – etwas Verwerfliches ist? Was will der kinderbuchdichtende Minister damit sagen?
Habeck geht es um woke Korrektheit und moralischen Anachronismus. Wenn es heute wegen des Klimawandels verwerflich ist, Bäume zu fällen, dann war es das im Mittelalter selbstverständlich auch schon (ist aber leider passiert – Ihr wisst ja, die Kultur des weißen Mannes. Aber seht mich an – sehe ich etwa aus wie einer von denen?).
Allerdings kann man genauso gut fragen, warum Deutsche und andere Europäer etwa ab dem 8. Jahrhundert damit beginnen durften, Wälder zur Gewinnung von Weide- und Ackerland abzuholzen, Brasilien und anderen Amazonasanrainern dasselbe aber heute verwehrt sein soll.
Schon damals und deutlich vor dem, was wir Kapitalismus nennen, ging es um Wachstum, nämlich absolute Ertragssteigerung. Ob nun die Bevölkerung infolge besserer Erträge wuchs oder eine ohnehin wachsende Bevölkerung höhere Erträge verlangte – wenn die Erträge vorhandener Flächen ausgereizt oder sogar – wie kulturgeschichtlich belegt zumeist der Fall – sanken, mussten neue, zusätzliche her.
Der Unterschied zwischen dem damaligen Europa und dem heutigen Brasilien besteht allein darin, dass der brasilianische Regenwald – entgegen Habecks falscher Sentimentalität – nicht wegen der Versorgung der eigenen Bevölkerung bedroht ist, sondern wegen der für Europa nunmehr im Rahmen des Handelsabkommens MercoSur bestimmten Exporte etwa von Rindfleisch oder Tropenholz. Dass Habeck hierzu im Ministeriumsvideo ernsthaft zum Besten gibt, MercoSur eröffne für Brasilien die Möglichkeit, ökologische Produkte zu exportieren, was irgendwie zur Rettung des Regenwaldes beitrage, darf man getrost als grünes Geschwurbel abhaken.
Die Wahrheit ist, dass schon immer die ehemaligen Kolonien für die Versorgung der ehemaligen Mutterstaaten herhalten mussten, ja von dieser Versorgung selbst wirtschaftlich abhängig waren und sind. Es sind diese Abhängigkeiten bzw. die politische Macht der Oberschichtexporteure und die Konsumgewohnheiten in den Mutterstaaten, die von der Ökologie der Staaten des globalen Südens zehren.
Das grüne Büßergewand über der eisernen Rüstung mag daher gut für die heimische Klientel sein – der globale Süden hat den falschen Zauber längst durchschaut. Hätte Habeck wirklich Tiefsinniges erfahren wollen, hätte er die Lagerstätten der sogenannten terra preta entlang des Amazonas besuchen und dort ein Zeichen setzen sollen.
Dort lebten bis zur Ankunft der Europäer zu Beginn der Moderne hunderttausende oder mehr Menschen in wie an der Perlenschnur aufgereihten Städten und betrieben seit mehr als tausend Jahren sesshafte Landwirtschaft auf selbst geschaffenen und stetig fruchtbar erhaltenen Böden. Es war ein ökologisches Wunder, an dem sich die industrielle Landwirtschaft des Westens mit Erosion und Verschlechterung der Böden ein Beispiel nehmen könnte.
Die "moderne" Brandrodung ist dagegen durchaus ein typisch westliches Konzept, genau wie der industrielle Raubbau am Regenwald im Übrigen.
Im vormodernen Brasilien war möglich, was bislang keine westliche Kultur geschafft hat: Eine beständige Kreislaufwirtschaft im Einklang mit der Natur und sicherer materieller Versorgung. Früher dachte man, das könnte einen Grünen interessieren.