Das Chaos der Bruchlinien
Die spätmodernen Gesellschaften stecken in einer Krise der Öffentlichkeit. In einer Phase, wo gemeinsame Verständigung mehr denn je gebraucht würde, trägt sie nicht nur kaum mehr etwas zur Lösung bei, sondern scheint sich immer mehr von den realen Problemen abzulösen.
Unter dem Begriff der Postmoderne wird seit den 1970er Jahren in den reichen Industrienationen eine Erzählung propagiert, die inzwischen selbst von denjenigen geglaubt wird, die noch nie etwas von einer Postmoderne gehört haben. In ihrem Ursprung meint die postmoderne Erzählung, dass die Moderne ein Stadium erreicht hat, wo ihre großen Unterscheidungen nicht mehr zutreffen. Die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Natur und Kultur, zwischen den Nationen, Religionen oder Geschlechtern, alle diese Unterscheidungen sollen als obsolet gelten. An ihre Stelle tritt stattdessen das Chaos der Bruchlinien, die zwischen allen Menschen, Meinungen und Interessen verlaufen. Niemand ist mehr Teil eines größeren Zusammenhangs, sondern jeder lebt in der Mikroumwelt seiner hochspezialisierten Existenz.
Die Postmoderne ist die Erzählung eines radikalen Individualismus. Ihre Folgen für die Organisation und Interpretation von Realität sind gewaltig. Ihre Kernaussage lautet, dass es keine allgemeingültige Wahrheit mehr gibt, sondern nur noch einzelne Deutungen, die alle miteinander in einem Widerstreit liegen.
[...]Nichts schreibt sich von allein!
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