Analyse

Energiewende: Daten statt Dogmatik

| 06. Mai 2025
IMAGO / Presse-Photo Horst Schnase

Die deutsche Energiewende steht vor großen technischen Herausforderungen. Doch die lassen sich nicht durch Dogmatik, sondern nur durch Datenanalyse und Sachverstand lösen.

Die Diskussion um den richtigen Weg zur Energiewende ist verfahren. Jeder ist Experte, viele Wege werden vorgeschlagen, aber viele Diskussionsteilnehmer verfolgen nur ihren eigenen Weg mit religiöser Inbrunst. Dabei sprechen wir von einem technischen Problem, dass nicht durch Dogmatik, sondern eindeutig durch Datenanalyse und Sachverstand zu lösen ist.

Die Grundlage allen Sachverstands sind verlässliche Daten. Als Wissenschaftler in der Antriebstechnologie wäre man versucht, zuerst die Frage nach dem Energieumsatz im Verkehrssektor zu stellen. Man stellt aber sehr schnell fest, dass sich vernünftige Lösungen nur gesamthaft, also bei Betrachtung aller Sektoren miteinander, ergeben.

Um einen Überblick über die Energiesituation und damit den gesamten CO2-Ausstoß des Landes zu erhalten, ist es sinnvoll, den Primärenergieumsatz zu betrachten. Die Primärenergie ist das, was an Öl, Kohle, Gas und erneuerbaren Energien in Deutschland umgesetzt wird um die Energie für Industrie, Haushalte, Gewerbe und Mobilität/Transport bereitzustellen. Der Primärenergieumsatz zeigt genau wieviel von welchem Energieträger umgesetzt wurde:

Abbildung 1

Die Daten stammen von der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen bzw. vom Statistischen Bundesamt, sind öffentlich zugänglich und dürften als seriös angesehen werden. Demnach hat sich der Primärenergieumsatz von 2019 bis 2024 von circa 3600 auf knapp unter 3000 Terrawattstunden verringert. Allgemein wird angenommen, dass das auf den Rückgang der Wirtschaft zurückzuführen ist, und die echte Einsparung nur einen geringeren Anteil darstellt.

In dieser Grafik zeigt sich, dass lediglich 20 Prozent des Energieumsatzes erneuerbar ist. Aus der Grafik rechts ist zu lesen, dass rund 200 Terrawattstunden aus Wind und Photovoltaik gespeist werden, also nicht ganz sieben Prozent des Gesamtumsatzes. 300 Terrawattstunden der erneuerbaren Energie stammt aus Biomasse, also etwa zehn Prozent des Gesamtumsatzes. Rund zwei Drittel der Biomasse geht in Festbrennstoffe (Stückholz, Hackschnitzel, Pellets) überwiegend für Haushalte, teilweise aber auch für die Industrie sowie einige Heiz-Kraftwerke. Flüssige Kraftstoffe aus Biomasse machen allerdings nur 37 Terrawattstunden aus. Diese Mengen sind aus Statistiken der Deutschen Energieagentur DENA und den Daten der Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energien (AGEE) genau bekannt. Circa ein Viertel ist Biogas oder Biomethan, aus Biogas gereinigtes und konzentriertes CH4, und wird für die Stromerzeugung genutzt.

An dieser Stelle ist es angezeigt, die Größenverhältnisse dieser Betrachtungen zu erklären: eine Terawattstunde sind 1000 Gigawattstunden (GWh); eine Gigawattstunde wiederum entspricht 1000 Megawattstunden (MWh) und eine Megawattstunde sind 1000 Kilowattstunden (kWh) – womit wir bei einer allgemein bekannten Größe angekommen wären. Eine Terawattstunde ist demnach eine Milliarde kWh. Das Jonglieren mit diesen Zahlen wird am Ende dieses Kapitels noch gebraucht.

Wenn angegeben wird, dass „bereits mehr als 50 Prozent der Energie erneuerbar sei“, ist damit nur die Elektrizität gemeint. Das ist in der nächsten Grafik dargestellt. Links wieder der Gesamtumsatz, rechts der Strom, der allerdings nur ein Sechstel des Gesamtumsatzes ausmacht. Dieses Verhältnis von Gesamtprimärenergie zu Strom ist seit vielen Jahren mehr oder weniger konstant.

Abbildung 2

Die Schlussfolgerung fällt entsprechend offensichtlich und vernichtend aus: Wir haben viel zu wenig erneuerbare Energien in unserem Energiesystem. Fast 80 Prozent stammen aus fossilen Quellen. Die großen Anteile an Öl und Gas sowie jeweils rund sieben Prozent Stein- und Braunkohle sind gut zu sehen.

Wo kommt nun diese Energie her? Die nächste Grafik des Statistischen Bundesamt zeigt, dass Deutschland von 2000 bis 2022 immer zwischen 60 und 70 Prozent seiner Energieträger importiert hat.

Abbildung 3

Wir sind in dieser Situation nicht allein. Nur Länder mit sehr großer Fläche und ausreichenden Bodenschätzen können sich selbst versorgen. Aber selbst China importiert heute rund 50 Prozent seiner Energieträger. Die EU-27 teilen dieses Schicksal mit 50-60 Prozent Importen. Interessant ist hier Österreich, dass zwar große Anteile an grünem Strom aus Wasserkraft erzeugt, aber für die Heiz- und Prozesswärme genauso importabhängig ist wie der Rest Europas.

Die nächste Frage, die sich zwangsläufig anschließt, ist, wie die Zukunft aussehen kann.

Dazu gibt es diverse Vorausberechnungen, die alle zu ähnlichen Schlüssen kommen. Die hier abgebildete Grafik stammt aus einer Berechnung der Firma Wagner, Elbling und Company und wurde im Oktober 2022 veröffentlicht. Die Studie wurde von Unternehmen der deutschen Wirtschaft in Auftrag gegeben und ist öffentlich verfügbar.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 2050 nur noch ca. 2000 Terrawattstunden umgesetzt werden, die aus erneuerbaren Quellen stammen. Ist das plausibel? Hier kann man eine stark vereinfachte Betrachtung anstellen: Müsste man die knapp 1000 Terrawattstunden Strom, die die Studie voraussagt, in einem thermischen Prozess bereitstellen, dann wäre bei einem Wirkungsgrad dieses Prozesses von 50 Prozent die doppelte Menge an Primärenergie erforderlich, also 2000 Terrawattstunden. Das würde den Gesamtenergieumsatz auf das heutige Niveau von etwa 3000 Terrawattstunden heben. Die Studie erscheint also plausibel. Der „thermische Prozess“ kann entweder die Erzeugung von Dampf sein, der in Kohle- oder Atomkraftwerken die Dampfturbinen zur Stromerzeugung antreibt. Oder man verfeuert Erdgas (im Idealfall Biogas) in Großmotoren, oft für die lokale, dezentrale Stromerzeugung. Der Wirkungsgrad von 50 Prozent ist für beide Prozesse optimistisch angesetzt, rechnet sich aber einfach und die grobe Annahme reicht für eine Abschätzung völlig aus. Für Strom aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft fallen die Umwandlungsverluste aus diesen thermischen Prozessen nicht an. 

Die Studie sagt weiterhin einen Importanteil von immer noch 27 Prozent voraus, über den im Rahmen einer möglichen Selbstversorgung des Landes noch zu diskutieren ist. Die Importe bestehen aus (e)Wasserstoff, (e)Methan und erneuerbaren Kraftstoffen, die aus biologischen Quellen (bioFuels) und erneuerbarem Strom (eFuels) hergestellt wurden, gemeinschaftlich „reFuels“ genannt. Allerdings wurde in der Studie Methanol als technologische Option nicht berücksichtigt. Methanol wird in der Fortsetzung dieser Serie eine wichtige Rolle spielen. Man könnte Anteile des Import-Methans und der Import-Liquid Fuels, beide hoffentlich erneuerbar hergestellt, durch Methanol ersetzen. Die Herstellung dieser reFuels wird in dieser Serie später noch zur Sprache kommen.

Biomasse hat in dieser Vorhersage einen erheblichen Anteil von rund 400 Terrawattstunden (20 Prozent) am Erfolg der Energiewende. Das Deutsche Biomasse Forschungszentrum in Leipzig hat errechnet, dass Deutschland ein Biomassepotenzial von 400 – 500 Terrawattstunden hätte. Wie oben gezeigt, nutzen wir davon heute immerhin schon 300 Terrawattstunden und werden das bis ins Jahr 2050 auf ca. 400 Terrawattstunden steigern. Eine Ausnutzung von gut 80 Prozent ist techno-ökonomisch gesehen ein sehr gutes Ergebnis, mit der Möglichkeit eines weiteren Ausbaus.

Die vollständige Abbildung von Primär- und Endenergie zeigt, dass der Stromverbrauch inklusive eMobilität und Wärmepumpen bei etwa 600 Terrawattstunden liegen wird. Die restlichen 400 Terrawattstunden erneuerbarer Strom werden für sekundäre Energieverbraucher, wie zum Beispiel die Wasserstoffelektrolyse umgesetzt. Die Biomasse wird gewandelt in Wasserstoff, Methan, bioFuels und 110Terrawattstunden Heizmaterial.

Endenergie ist eine nicht ganz einfache Definition: Normalerweise unterscheiden sich Primär- und Endenergie durch den Wirkungsgrad der Umsetzung. Primärenergie ist die Energie, die in einen Prozess hineinfließt, Endenergie diejenige, die dabei verwertbar genutzt werden kann. Nun werden in allen Sektoren – also im Handwerks- oder Industriebetrieb, beim Fuhrunternehmer oder in Privathaushalten – Gerätschaften eingesetzt, die auch einen Wirkungsgrad haben, also die Energie wiederum nicht zu 100 Prozent ausnutzen können. Diese weiteren Wirkungsgrade könne aber in der globalen Betrachtung nicht berücksichtigt werden, denn das würde zu einer unendlich detaillierten und ebenso unendlich unübersichtlichen Wirkungsgradkette führen. Wir werden uns in dieser Serie also überwiegend mit Primärenergie beschäftigen, die ja auch den gesamten CO2-Ausstoß vollständig abbildet. Die folgende Abbildung zeigt die Aufteilung des Energieumsatzes in die einzelnen Sektoren:

Hier ist zu beachten, dass der Endenergieumsatz die Zahlen des Jahres 2023 zeigt, während aus Gründen der Aktualität beim Primärumsatz die Daten für das Jahr 2024 verwendet wurden. Der Unterschied im Primärumsatz mit 2911 Terrawattstunden in 2024 zu 2950 Terrawattstunden in 2023 ist für das Verständnis der Energiesituation vernachlässigbar.

Um die Energiebetrachtung abzuschließen, nehmen wir mit diesen Zahlen noch eine kurze Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Mobilitätssektor vor:

Der Transportsektor war 2023 mit rund 700 Terrawattstunden am Endenergieumsatz Deutschlands von 2268 Terrawattstunden beteiligt, also mit 31 Prozent. Diese 700 Terrawattstunden wurden zu über 90 Prozent aus mineralölbasierten Energieträgern gespeist, zu etwa fünf Prozent aus erneuerbaren Flüssigkraftstoffen und zu knapp über zwei Prozent aus Strom. Das zeigt, dass wir von einem elektrifizierten Transportwesen weit entfernt sind. Das hat praktische Gründe, die in dieser Serie noch besprochen werden.

Auch biologische Energieträger spielen eine nicht zu verachtende Rolle. Die rund 37 Terrawattstunden für bioFuels, die in der ersten Grafik bei den Erneuerbaren Energien ausgewiesen werden, könnte man noch deutlich steigern. Ein Vergleich mit anderen Ländern und früheren Betrachtungszeiträumen ergibt, dass man in der Regel rund ein Viertel des Primärenergieumsatzes in Industrieländern für Mobilität veranschlagen muss.

Zum Abschluss ist es unumgänglich, noch ein wenig zu rechnen. Bisher haben wir uns mit Energiemengen beschäftigt. Um nun ein Energiesystem aufzubauen, muss man mit dem Begriff Leistung hantieren. Die Leistung beschreibt, wieviel Energie eingesetzt oder übertragen werden muss, um eine Energiemenge umzusetzen.

Ein simples Beispiel ist ein Küchengerät, mit dem man mixen, raspeln oder kneten kann. Gerade das Kneten erfordert eine hohe Leistung. Hat das Gerät eine Leistung von 1000 Watt (also ein Kilowatt), und läuft das Gerät eine Stunde lang Volllast, also mit vollen 1 kW, dann wurde eine Energie von 1kW x 1h = 1kWh in den gekneteten Teig gesteckt. Der Elektromotor hat angenommen einen Wirkungsgrad von 80 Prozent. Demnach wurde „aus der Steckdose“ eine Energiemenge von 1,25 kWh bezogen. Lief das Gerät nur eine halbe Stunde mit Volllast oder eine ganze Stunde mit halber Last, dann wurde auch nur die halbe Energie bezogen beziehungsweise in den Teig geknetet. Das drückt man mit einem Lastfaktor aus. Im ersten Beispiel war der Lastfaktor 1. Die Maschine lief „Vollgas“ die ganze Stunde. Im zweiten Beispiel war der Lastfaktor 0,5, also in einer Stunde nur eine halbe Stunde Laufzeit bei Volllast oder eine ganze Stunde Laufzeit bei Halblast.

Diese Definitionen, also Leistung, Energie, Wirkungsgrad und Lastfaktor werden nun gebraucht: Wenn wir unser Stromnetz ausbauen und modernisieren oder große Teile der fossilen Energie durch einen erneuerbaren Energieträger ersetzen wollen (es gäbe noch viele Beispiele mehr), dann müssen wir ausrechnen, welche Leistungen dazu installiert werden müssen. In den Medien wird oft berichtet, dass eine neue Anlage mit X Megawatt oder Gigawatt (GW), in Betrieb geht. Was bedeutet das in Jahresenergie ausgedrückt? Ist das ausreichend, um unsere Energiewende voranzubringen?

Um einen Vergleich zu haben, betrachten wir den Gesamtprimärenergieumsatz aus der ersten Grafik: 3000 Terrawattstunden. Außerdem brauchen wir noch folgende Umrechnung, beginnend bei der bekannten Haushaltseinheit Kilowattstunde: Bei jedem Schritt wird mit 1000 multipliziert beziehungsweise durch 1000 dividiert.

1 Milliarde kWh (Kilo) = eine Million MWh (Mega) = 1000 GWh (Giga) = 1 Terrawattstunden (Tera)

Lässt man nun irgendeine Anlage mit einem Terrawatt Leistung ein ganzes Jahr lang mit 100 Prozent Last (Vollast) laufen, werden in 24h x 365Tage = 8760h demgemäß 8760Terrawattstunden umgesetzt. Fast 9000 Terrawattstunden hört sich erst einmal nach viel an. Nimmt man nun einen Lastfaktor von 0,5 (50 Prozent) und einen Wirkungsgrad der Anlage von 0.5 (50 Prozent) an, dann sinkt dieser riesige Energieumsatz auf ein Viertel (0,5 x 0,5 = 0,25). Die „Anlage“, bleiben wir beim Beispiel des Stromnetzes, mit einer installierten Leistung von einem Terrawatt setzt also in der Realität der Wirkungsgrade und Lastfaktoren nicht 8760 Terrawattstunden um, sondern tatsächlich nur 2190Terrawattstunden. Reale Zahlenwerte für Vollastfaktoren und Wirkungsgrade können noch deutlich schlechter ausfallen.

Was heißt das nun? Wir müssen in der Energiewende immer in installierten Leistungen von mehreren hundert Gigawatt denken. Kleine Beträge von fünf oder zehn Gigawatt sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Hier muss sprichwörtlich geklotzt werden, nicht gekleckert. Deshalb erschließt sich auch, dass Investitionen im 100 Milliarden Euro-Bereich absolut sinnvoll sind, um die Energiewende tatsächlich umzusetzen, so wie es beispielsweise in der WECOM Studie beschrieben ist. Die Frage, ob der Staat in der Lage ist, das Geld auch ressourcenorientiert einzusetzen, oder ob es sinnlos mit der Gießkanne verteilt wird und versickert, ist damit natürlich nicht beantwortet.

In der nächsten Folge wird diskutiert, welche Energieträger wofür und unter welchen Bedingungen geeignet sind. Auch dort werden die Begriffe Wirkungsgrad und Lastfaktor wieder eine zentrale Rolle spielen.