Strompreiszonen? Härtetest für die neue Regierung
Der deutsche Strommarkt soll in verschiedene Preiszonen aufgeteilt werden, heißt es in einem Bericht der europäischen Übertragungsnetzbetreiber. Doch das ist im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. Über Hintergründe und mögliche Auswirkungen.
In Deutschland herrscht eine Asymmetrie in der Stromerzeugung: Der windreiche Norden und Osten produzieren viel Strom aus Windkraft, im Süden und Westen ist – beziehungsweise war – die Stromerzeugung mehr auf Atomkraft ausgelegt. Und eben auf die thermische Stromerzeugung durch fossiles Gas und Kohle. Diese sind inzwischen irrelevant oder sollen es zukünftig werden.
Der Strom allerdings kostet in ganz Deutschland gleich viel, es gibt eine einheitliche Gebotszone im Strombinnenmarkt. Regionen, die viel Strom produzieren, profitieren nicht von günstigeren Preisen am Spotmarkt. Gleichzeitig ist aber der Bezug für andere Regionen planbar günstiger.
Natürlich ist es für die nördlichen und östlichen Bundesländer, die den Ausbau der Erneuerbaren stark vorangetrieben haben, ein Ärgernis, wenn die Preise die Stromproduktion nicht widerspiegeln. Man könnte argumentieren, dass eine dezentrale Preisfindung über mehrere Gebotszonen oder nodale Strompreise fairer gegenüber den Ländern und Regionen mit hoher Erzeugerleistung ist.
Einwände, wie sie prominent zum Beispiel aus Bayern kommen, sollten aber nicht gänzlich unter den Tisch fallen. So verweist die CSU auf die hohen Strompreise für Unternehmen, die insbesondere in den Industrie- und Rechenzentren Bayern, Hessen, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen ins Kontor schlagen – und steigen würden, wenn man die Preiszonen aufteilt.
Genau das will aber der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E). Nach den Modellierungen aus dem ENTSO-E-Bericht, der im vergangenen April erschien (die Daten stammen leider aus dem Jahr 2019 und bilden demensprechend die volatilen Strompreise der letzten Jahre nicht ab), würde der Markträumungspreis von 47,76 Euro pro Megawattstunde im Süden Deutschlands um etwas mehr als einen Euro steigen, im Norden und Osten um etwa fünf Euro sinken – je nachdem, welche Preiszonenkonfiguration umgesetzt würde. Diese mögliche Benachteiligung der südlichen Regionen dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Aufteilung der Strompreiszonen ablehnt.
Kritik am deutschen Modell mit einer Strompreiszone (zu der auch Luxemburg und früher ebenfalls Österreich gehört) kommt unter anderem aus Schweden. Energieministerin Ebba Busch forderte im vergangenen Dezember, dass Deutschland eine nördliche Preiszone einführt. Schweden ist mit Norddeutschland über Stromleitungen verbunden und spürt die Auswirkungen, wenn der Strompreis durch teurere Kraftwerke im Süden Deutschlands nach oben getrieben wird.
Für und Wider der Preiszonenteilung
Politisch ist sich Deutschland also mit seinen Nachbarn uneins, auch im Land selbst sind die Meinungen gespalten. Die Empfehlung von ENTSO-E – basierend auf den vorhandenen Daten – ist es, die deutsch-luxemburgische Einheitszone in fünf Strompreiszonen aufzuteilen. Diese Konfiguration hätte den ökonomisch effizientesten Effekt und würde den Status quo um etwa 339 Millionen Euro verbessern. Die Summe ergibt sich aus der Differenz positiver und negativer finanzieller Effekte auf die europäischen Verbraucher. An selber Stelle wird aber betont: Bei dieser Summe handelt es sich nicht mal um ein Prozent der gesamten Systemkosten des europäischen Netzes.
Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben eine Stellungnahme zu der ENTSO-E-Empfehlung veröffentlicht, in der sie sich gegen die Preiszonen-Teilung aussprechen. Gründe dafür sind unter anderem die methodischen Schwächen (ältere Daten und die Nicht-Berücksichtigung des in den letzten Jahren beschleunigten EE-Ausbaus), die die verhältnismäßig kleine ökonomische Effizienzsteigerung nicht rechtfertigten. In den nächsten sechs Monaten sollen die EU-Mitgliedsstaaten nun zu einer einstimmigen Entscheidung über die Ausgestaltung der Preiszonen kommen. Funktioniert das nicht, trifft die EU-Kommission eine Entscheidung.
Neben den innen- wie außenpolitischen Erwägungen müssen hier aber auch der gegenwärtige Zustand des deutschen Stromnetzes und die Erfordernisse der hiesigen Energiewende im Blick behalten werden. Dass die Produktion sauberer Energie primär aus Windkraft im Norden und Osten besser ausgebaut ist als im Süden, ist schon angeklungen. Neben politischen Konflikten bringt das technische und gesamtwirtschaftliche Fragen mit sich. Öffentlich wird dabei besonders das Engpassmanagement diskutiert. Heißt: Wie wird die Versorgung aufrechterhalten, sollte in einer Region mal zu wenig Strom aus den günstigen erneuerbaren Quellen zur Verfügung stehen?
Die Übertragungsnetze haben eine begrenzte Kapazität. Es kann also nicht jederzeit überflüssiger Strom aus dem Norden in beliebiger Menge nach Süden transportiert werden. Man reagiert dann mit sogenannten Redispatch-Maßnahmen. Das kann heißen, dass (Wind)Kraftwerke mit hoher Produktionsleistung abgeregelt werden, um das Netz nicht zu überlasten, oder regelbare Kraftwerke mehr Strom produzieren, um die Nachfrage andernorts zu decken. Zumeist sind diese regelbaren Kraftwerke Kohle- und Gaskraftwerke, früher auch Nuklearreaktoren.
Eigentlich müsste in diesen Zeiten im Norden der Strom günstig sein, im Süden teuer. Der einheitliche Strommarkt suggeriert aber, dass der Strom überall gleich gut verfügbar ist. Daraus entstehen paradoxe Situationen: Wenn im Norden Kraftwerke wegen Überschussproduktion abgeregelt werden, sinkt der Preis deutlich und gibt beispielsweise an einen Pumpspeicher in Bayern das Signal, Strom zu verwenden, um Wasser einen Berg hochzupumpen und als Energiereserve zu nutzen. Und das obwohl gerade möglicherweise ein Engpass im Netz und keine Überflusssituation im Süden vorliegt.
Dieses Beispiel zeigt: Neben dem Ausbau der Erzeugeranlagen muss auch das Stromnetz ausgebaut werden, um Strom flexibel und mit möglichst wenig Redispatch zu transportieren. Es sind die Probleme eines modernen Stromnetzes mit dynamischer Stromproduktion. Die frühere statische Auslastung durch die regelbaren Atom- oder Kohlemeiler ist nicht der zukünftige Standard im deutschen Stromnetz und die neuen Anforderungen erfordern neue Lösungen – technischer und ökonomischer Natur.
Preisfindung im Stromnetz der Zukunft
Auf Basis des ENTSO-E-Berichts lässt sich wegen der veralteten Daten und den im Bericht selbst angegebenen Grenzen der Untersuchung aus deutscher Sicht kaum eine ideale Entscheidung treffen. Teilt man Deutschland in zwei oder mehr Preiszonen, profitieren mit Sicherheit die nördlichen Bundesländer. Wirtschaftsverbände und die meisten Parteien stemmen sich dagegen, da das auch höhere Preise für den industrialisierten Süden und Westen bedeutet.
Dass diese Entscheidung jetzt von einer neuen Regierung unter beträchtlichem Zeitdruck getroffen werden muss, ist die Folge einer zu lange verfehlten Energiepolitik. Nicht nur der Ausbau der Erneuerbaren wurde vor dem Gasembargo gegen Russland auf die lange Bank geschoben. Vor allem die Übertragungsnetze kommen an ihre Grenzen und sorgen für Ineffizienzen und Stabilitätsprobleme.
Egal ob Deutschland eine einheitliche Preiszone bleibt oder in zwei bis fünf Zonen aufgeteilt wird – für die günstige und stabile Stromversorgung sind auch andere Weichenstellungen drängend: Das Netz muss weiter ausgebaut und flexibler werden. Der Verbrauch von Haushalten oder E-Autos kann an die verfügbare Strommenge angepasst werden, um die Netzlast zu regulieren. Im Haushalt ist das durch Smart Meter möglich. Auch Batteriespeicher können flexibel zum Entnehmen oder Einspeisen von Strom genutzt werden. Für die Industrie kommen Zwischenprodukte wie Wasserstoff oder Methanol aus Elektrolyse als flexible Speicher infrage. Letztlich funktionieren diese aber nur dann ökonomisch effizient, wenn die Preise die Stromerzeugung korrekt darstellen.
Über kurz oder lang müssen die Preise dezentral auf die Erzeugung reagieren können. Produktionsüberschüsse könnten dann günstig abgenommen und gespeichert werden, dauerhaft teurer Strom und hohe Netzentgelte senden dann das Signal, dass ein weiterer Ausbau in diesen Regionen notwendig ist. Aufgrund der Bedenken, die von Übertragungsnetzbetreibern und Wirtschaftsverbänden geäußert werden, darf aber bezweifelt werden, dass durch die Preiszonenteilung eine schnelle und für alle beteiligten Parteien zufriedenstellende Lösung gefunden wird.
Im Zuge des weiteren Netzausbaus kann allerdings auf dieses Problem reagiert werden. In einigen Ländern wie Peru oder Teilen der USA gibt es nodale Strompreise. Diese richten sich nach der Situation an Netzknotenpunkten wie Umspannwerken und können hunderte bis tausende Preiszonen mit jeweils adäquaten Preisen schaffen, in denen zu vorteilhaften Zeiten Strom kostengünstig verbraucht und gespeichert wird. Auf Engpässe kann dann mit der Energiereserve reagiert werden. Die Preise spiegeln in diesem Szenario die lokale Realität in der Produktion wider. Technisch ist das aber nach aktuellem Stand schwierig umzusetzen. Zumal der Netzausbau auch hohe Investitionen erfordert, die im neuen Koalitionsvertrag nur bedingt vorgesehen sind.
Die jetzt anstehende Entscheidung ist ein früher Härtetest für die neue Regierung. Man ist darauf angewiesen, sich mit den europäischen Nachbarn über die Aufteilung der Strompreiszonen zu einigen. Die Alternative, nämlich eine Weisung der EU-Kommission, könnte die ohnehin mit einer schweren Hypothek gestartete Koalition entscheidungsschwach erscheinen lassen. Zwar herrscht bei Schwarz-Rot hier grundsätzlich Einigkeit, aber man muss trotzdem einen Weg finden, die eigenen Interessen mit denen der Nachbarn abzuwägen.
Wird eine für die deutsche Wirtschaft relevante Entscheidung von der Kommission gefällt, bleibt für die Industrie weiterhin die Unsicherheit, ob und welche Investitionen lohnend sind.