Interview mit Hendrik Theine

Rückverteilung: „Systemische Fragen wurden eher ausgeblendet“

| 14. Mai 2025
@midjourney

Was passiert, wenn eine Millionenerbin ihr Vermögen verschenkt? Im Fall von Marlene Engelhorn sorgt genau das für Schlagzeilen – doch eine neue Studie zeigt: Während der für die „Rückverteilung“ zuständige Bürgerrat vor allem über strukturelle Faktoren von Ungleichheit diskutiert, sieht die mediale Berichterstattung deutlich anders aus.

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Hendrik Theine ist Sozialwissenschaftler und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft der Universität Linz. Zusammen mit der Sozioökologin Charlotta Verita – ebenfalls aus Linz – und dem Politikwissenschaftler Moritz Gartiser hat er die Studie Über Reichtum berichten – Der Gute Rat für Rückverteilung in den Medien für die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall verfasst. Das Forschungsteam sieht Diskrepanzen zwischen der Kommunikation des Rats und medialer Berichterstattung. Was sagt das über unsere Debatte um Reichtum und Ungleichheit?

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Herr Theine, in ihrer heute erschienen Studie untersuchen Sie, wie über den „Guten Rat für Rückverteilung“ in den Medien berichtet wurde.  Was ist das für ein Rat und womit hat dieser sich beschäftigt?

Der „Gute Rat für Rückverteilung“ wurde 2024 von der BASF-Nachkommin Marlene Engelhorn initiiert, um über die Verwendung ihres geerbten Vermögens in Höhe von 25 Millionen Euro zu entscheiden.

Wer zu den Begünstigten gehört, wollte aber nicht Marlene Engelhorn allein entscheiden, sondern sollte möglichst demokratisch ablaufen. Dafür wurden 50 zufällige Bürger ausgewählt, die über mehrere Wochenenden hinweg diskutierten. Am Ende legten sie im Konsensverfahren fest, welche Organisationen das Geld erhalten. Ziel war es damit, nicht „nur“ zu spenden, sondern eine demokratische Debatte über Vermögensverteilung und soziale Gerechtigkeit anzustoßen.

Und wem kam das Vermögen zugute?

Der Rat entschied, das Vermögen von Marlene Engelhorn an 77 zivilgesellschaftliche Organisationen rückzuverteilen. Dabei wurden sehr unterschiedliche Organisationen berücksichtigt, wie beispielsweise im Sozialbereich: das Neunerhaus, das obdachlosen und armutsgefährdeten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben ermöglichen will, oder die Lebenshilfe Österreich, die sich für die Interessen von Menschen mit intellektuellen Behinderungen beziehungsweise mit Lernschwierigkeiten einsetzt.

Es wurden auch insgesamt acht Straßenzeitungen mit Geldern bedacht. Im Umwelt- und Klimaschutzbereich bekamen beispielsweise das KONTEXT Institut, der Naturschutzbund Österreich sowie das Klimadashboard Gelder aus Engelhorns Erbe.

Auch Organisationen, die sich für eine sogenannte progressive Wirtschafts- und Sozialpolitik einsetzen, wurden berücksichtigt – wie das Momentum Institut, die Armutskonferenz oder Attac Österreich. Insgesamt entstand eine vielfältige Liste an Organisationen, die sich für soziale, ökologische, gesundheitliche und politische Themen einsetzen und diese Gelder wohl gut gebrauchen können.

Als Untersuchungsmethode für die Berichterstattung über den „Guten Rat“ haben sie die Kritische Diskursanalyse benutzt. Warum ist die Wahl auf diese Methode gefallen und wie geht man mit ihr vor?

Die Kritische Diskursanalyse erlaubt es, strukturelle Machtverhältnisse und gesellschaftliche Deutungsmuster in der Kommunikation sichtbar zu machen. Gerade bei einem Thema wie Vermögensungleichheit ist es zentral, zu analysieren, wie bestimmte Diskurse gestärkt oder marginalisiert werden.

Aus diskursanalytischer Perspektive betrachten wir den „Guten Rat“ als „diskursives Ereignis“, welches (potentiell) weitere Aufmerksamkeit und eine Sensibilisierung für die Frage der ökonomischen Ungleichheit sowie möglicher Umverteilungsmaßnahmen schaffen kann.

Damit zusammenhängend ergibt sich die Frage: Inwiefern konnte „Gute Rat“ (zumindest kurzfristig) eine mediale Debatte auslösen, die insbesondere die hohe Vermögensungleichheit problematisiert?

Konkret haben wir die Diskurspositionen, also die unterschiedlichen Positionen zur Frage rund um Vermögensungleichheit und Umverteilung, in der Außenkommunikation des „Guten Rats“ und in der medialen Berichterstattung systematisch untersucht und miteinander verglichen.

Welche Diskurspositionen äußerte der Rat?

Der „Gute Rat“ hat sich auf Social Media, seiner Website und in Pressemitteilungen unterschiedlich geäußert. Er thematisierte unter anderem, dass große Vermögen gesamtgesellschaftlich schädlich seien – etwa durch politische und ökonomische Machtkonzentration. Besonders betonte er die Rolle demokratischer Mitbestimmung in Umverteilungsprozessen. In weiteren Diskurspositionen kritisierte er das wirtschaftliche System („Systemversagen“), hinterfragte das Leistungsprinzip oder stellte heraus, dass individueller Reichtum nur durch kollektive gesellschaftliche Voraussetzungen möglich wird („Unterbau gesellschaftlicher Reichtumsproduktion“).

Und wie haben sich Diskurspositionen des Rats in der medialen Berichterstattung widergespiegelt? Welchen Positionen haben die Medien überproportional (im Verhältnis zur Kommunikation des Rates) Aufmerksamkeit geschenkt? Was kam zu kurz?

Die Medien griffen grundsätzlich alle Diskurspositionen des Rats auf – jedoch mit deutlichen Gewichtungen. Beispielsweise wurden die Rolle demokratischer Mitbestimmung in Umverteilungsprozessen und die Kritik am wirtschaftlichen System weniger stark aufgegriffen. Auffallend war auch, dass die Person Marlene Engelhorn viel Aufmerksamkeit bekommen hat, obwohl diese gar nicht im Zentrum der Arbeit des „Guten Rats“ stand.

Gleichzeitig wurden systemische Fragen eher ausgeblendet und etwa ein Viertel der Beiträge kritisierte explizit das Vorgehen oder Anliegen des Rats – etwa durch Verteidigung des Status quo oder durch Rückgriff auf individuelle Gegenbeispiele wie philanthropisches Unternehmertum.

Inwieweit hat sich die politische Ausrichtung in der Berichterstattung widergespiegelt, indem etwa Medienvertreter einer bestimmten Couleur bestimmte Diskurspositionen eher aufgegriffen haben und andere weniger?

Die politische Ausrichtung der Medien hatte Einfluss auf die Berichterstattung: Systemkritische und umverteilungsfreundliche Positionen wurden eher von linksliberalen Medien aufgenommen, während konservative oder rechte Medien häufiger systembewahrende oder kritische Perspektiven auf den Rat äußerten. Insgesamt blieb jedoch ein Großteil der Berichterstattung im neutralen, nachrichtlichen Stil – was häufig strukturelle Fragen ausblendete.

Wie gelungen war die Berichterstattung über den „Guten Rat“ ihrer Meinung nach?

Die Berichterstattung nutzte zwar den Anlass, das Thema Vermögensverteilung aufzugreifen, blieb dabei aber oft oberflächlich und personalisiert. Strukturelle Ungleichheiten und demokratische Mitbestimmung – zentrale Anliegen des Rats – kamen zu kurz.

Wir zeigen in der Studie, wie schwierig es ist, komplexe, systemkritische Themen jenseits von Personen medial zu verankern. Damit können wir am Beispiel der Diskussion um Vermögensungleichheit und Rückverteilung die Grenzen aktueller Medienlogiken aufzeigen.