Ist der kranke Mann Europas wieder da?

Jahrelang hat Deutschland die EU politisch und ökonomisch dominiert. Die europäische Frühjahrsprognose deutet darauf hin, dass sich das nun ändert. Damit gerät auch die Rhetorik für das herrschende Krisenmanagement ins Wanken.

Zwei Jahrzehnte ist es her, dass ‚Ketchup-Ökonom‘ Hans-Werner Sinn Deutschland den Titel „der kranke Mann Europas“ verlieh. Die Krankheitsdiagnose liest sich wie folgt: Deutschland sei „außerstande, mit seinen Nachbarn mitzuhalten“. Verantwortlich dafür sei, dass die „Wirtschaft stagniert“, es „Monat für Monat neue Pleiterekorde“ gibt, Unternehmen in „einer schweren Krise“ stecken und „die Arbeitslosigkeit immer bedrohlichere Ausmaße“ annimmt.

Als Therapie für seinen Patienten schlug Sinn verschiedene angebotsorientierte Maßnahmen vor. Diese umfassen die Unterminierung der Tarifstrukturen, die Verlängerung der Arbeitszeit, die Senkung der Kapitaleinkommenssteuer sowie die Stärkung der privaten Riester-Rente. Kern der vorgeschlagenen Maßnahmen war die Beschneidung des Sozialstaats, denn dieser sei der „eigentliche Grund für die deutsche Misere“. Sinn forderte daher „Aktivierende Sozialhilfe“ und die „Veränderung der Zumutbarkeitsregeln“. Auch angeregt durch Empfehlungen von Sinns ifo Institut wurden damals entsprechende Maßnahmen in die Agenda 2010 aufgenommen.