Christine Lagarde träumt von einem „globalen Euro“
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, sinniert von einem Euro mit „globaler Bedeutung“. Aus mehreren Gründen ist das Wunschdenken – und für Europa auch gar nicht wünschenswert.
In einem Gastbeitrag für die Financial Times argumentierte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, dass die „dominante Rolle des Dollars“ nicht mehr sicher sei und dafür der Euro zu „globaler Bedeutung“ aufsteigen könnte. Dies ist jedoch bestenfalls Wunschdenken.
Seit seiner Einführung hat der Euro weltweit kaum mehr als den Gesamtwert der nationalen Währungen erreicht, die er ersetzt hatte – nämlich etwa 20 Prozent der weltweiten Devisenreserven. Der Anteil des Dollars ist zwar von über 70 Prozent auf unter 60 Prozent zurückgegangen, aber davon hat der Euro nicht profitiert. Stattdessen haben Währungen wie der Schweizer Franken, das britische Pfund und der japanische Yen die Lücke geschlossen. Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass sich der Status des Euro nun verbessern wird.
Die Eurozone leidet nach wie vor unter strukturellen Schwächen: chronische finanzielle Fragmentierung, schleppendes Wachstum und undurchsichtige Institutionen. Trotz jahrelanger Integration ist die EU hinter andere fortgeschrittene Volkswirtschaften zurückgefallen, insbesondere in den Bereichen Innovation und Produktivität. Dies ist vor allem auf unzureichende Investitionen in Forschung und Entwicklung, einen schwachen Konsum, eine ablehnende Haltung gegenüber der Industriepolitik und ein undurchsichtiges Governance-Modell zurückzuführen, das Flexibilität und Rechenschaftspflicht behindert.
Probleme, die sich in den letzten Jahren noch verschärft haben: Steigende Energiekosten – angetrieben durch die Entscheidung der EU, sich vom russischen Gas unabhängig zu machen – haben einen Großteil Westeuropas in die Rezession und sogar in die Deindustrialisierung getrieben. Besonders hart hat es Deutschland getroffen. Diese selbstverschuldete Energiekrise hat die Kluft zwischen Europa und dynamischeren Volkswirtschaften wie den Vereinigten Staaten weiter vertieft.
Berücksichtigt man die zunehmend volatile geopolitische Lage der EU, verliert der Euro als sichere Reservewährung weiter an Attraktivität. Investoren strömen nicht in politisch instabile oder strategisch unberechenbare Länder.
Dazu kommt ein grundlegender wirtschaftlicher Widerspruch, den Lagarde ignoriert. Eine dominante Reservewährung muss die weltweite Nachfrage decken, was in der Regel hohe Leistungsbilanzdefizite erfordert. Die USA haben dies lange Zeit bewusst getan, auch wenn Trump nun versucht, diesen Kurs zu ändern. Brüssel hingegen hat sein Wirtschaftsmodell auf Handelsüberschüsse ausgerichtet. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die EU-Spitzenpolitiker bereit sind, dieses Modell auf den Kopf zu stellen.
Lagarde räumt einige dieser Herausforderungen ein, behauptet jedoch, dass sie durch eine tiefere Integration gelöst werden könnten: Vollendung des Binnenmarktes, Abbau von Regulierung, Aufbau einer Kapitalmarktunion. Aber dieser reflexartige Ruf nach „mehr Europa” ist kaum neu. Seit Jahrzehnten präsentiert die EU-Elite eine weitere Zentralisierung als Allheilmittel für die Probleme Europas. Doch nach Jahren der vertieften Integration haben sich die Ergebnisse nicht verbessert, sondern verschlechtert.
Das eigentliche Problem ist nicht zu wenig Integration, sondern die Integration selbst. Der Euro hat den Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen, flexibel auf Krisen zu reagieren und auf ihre nationalen Bedürfnisse einzugehen. Er hat die nationale demokratische Kontrolle eingeschränkt und die Macht in undurchsichtigen und nicht rechenschaftspflichtigen Institutionen wie der Europäischen Kommission und Lagardes EZB zentralisiert.
Diese Institutionen haben wiederholt Sparmaßnahmen in EU-Mitgliedsstaaten oder aggressive Sanktionen durchgesetzt, die sich wie ein Bumerang auf die europäische Wirtschaft ausgewirkt haben. Diesem Apparat noch mehr Macht zu geben, wie Lagarde vorschlägt, würde das Desaster nur noch verschlimmern.
Der eklatanteste Schwachpunkt in Lagardes Argumentation ist jedoch ihr Unverständnis für die Kräfte, die die Entdollarisierung vorantreiben. Sie stellt fest, dass die Besorgnis über die Dominanz des Dollars keine vollständige Hinwendung zu Alternativen ausgelöst hat. Sie übersieht jedoch, warum es überhaupt zu einer Entdollarisierung kommt.
Treibende Kraft ist die Instrumentalisierung des Dollars durch die US-Regierung mittels Sanktionen, Beschlagnahmung von Vermögenswerten und finanzieller Nötigung. Die anderen Länder versuchen, sich gegen dieses Risiko abzusichern, aber das bedeutet nicht, dass sie die gleiche Macht einem anderen westlichen Block in die Hände geben werden. Zumal die EU ist noch eifriger als die USA ist, wirtschaftliche Instrumente für geopolitische Zwecke einzusetzen. Warum sollten Staaten von einem Strafsystem in ein anderes wechseln?
Das ist auch der Grund, warum der chinesische Yuan den Dollar nicht ersetzen wird. Die Zukunft gehört aller Voraussicht nicht einer weiteren Hegemonialwährung, sondern einem dezentraleren System, in dem Nationen Transaktionen in ihrer eigenen Währung abwickeln. Das entspricht jedenfalls genau der Richtung, die der BRICS-Block verfolgt. Der Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Pan Gongsheng, drückte es kürzlich so aus: Das globale Währungssystem entwickle sich hin zu einem multipolaren Modell der „Koexistenz, des Wettbewerbs und der gegenseitigen Kontrolle“.
Das wirft die letzte und grundlegendste Frage auf: Warum sollte die EU überhaupt wollen, dass der Euro zu einer wichtigen Reservewährung wird? Ein solcher Status bringt zwar gewisse „exorbitante Privilegien“ mit sich – wie die Möglichkeit, Importe effektiv mit gedrucktem Geld zu bezahlen –, aber er führt auch zu chronischen Handelsdefiziten, die die heimische Industrie aushöhlen. Die Erfahrungen der USA machen das deutlich. Europa, das bereits mit dem industriellen Niedergang zu kämpfen hat, sollte sich davor hüten, diesen Weg einzuschlagen.
Letztendlich geht es bei Lagardes Vorschlag weniger um eine globale Strategie als vielmehr darum, eine stärkere Zentralisierung der EU zu rechtfertigen. Was Europa jedoch braucht, ist nicht „mehr Europa“, sondern ein ganz anderes Europa.