Wohnungskrise

Instrument ohne Architektur: Wie die Idee des Mietendeckels an der Realität zerbricht

| 24. Juni 2025
IMAGO / IPON

Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gegen den Berliner Mietendeckel setzen aktuelle Vorstöße der Linkspartei und der Grünen auf weitergehende Preisbegrenzungen. Das Scheitern ist programmiert.

Als im Jahr 2020 der Berliner Mietendeckel in Kraft trat, betrachteten ihn viele als Befreiungsschlag gegen die Eskalation des Wohnungsmarktes. Er wurde als Beweis politischen Mutes gefeiert, als Eingriff in ein überhitztes System, als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins gegenüber einer jahrzehntelangen Marktgläubigkeit.

Doch schon beim ersten Hinsehen war er wirtschaftlich fragwürdig: Frieren der Mieten auf Stand von Juni 2019, Mietobergrenzen, teilweise Mietsenkungen. Bei näherer Betrachtung: unhaltbar. Und rückblickend: nicht nur gescheitert, sondern von Anfang an nicht tragfähig. Nicht wegen der politischen Intention, sondern wegen des ökonomischen Unverständnisses, auf dem er beruhte.

Denn der Deckel adressierte die Preisentwicklung, ohne das Angebotsdefizit auch nur im Ansatz zu berücksichtigen. Er beschränkte Mieten, ohne Wohnraum zu schaffen. Er reagierte regulierend – dort, wo es strukturell zu handeln gegolten hätte. Und genau darin liegt bis heute das Problem.

Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gegen den Berliner Mietendeckel setzen aktuelle Vorstöße der Linkspartei (BT-Drs. 21/355) und der Grünen (Faire-Mieten-Gesetz, BT-Drs. 21/222) auf weitergehende Preisbegrenzungen: verbindliche Höchstmieten, ein faktisches Vermietungsmoratorium, eine dauerhafte Mietpreisbremse, reduzierte Kappungsgrenzen sowie erweiterte Mietspiegelzeiträume.

Diese Maßnahmen greifen tief in die Preissetzung ein, adressieren jedoch nicht hinreichend die zentrale Ursache der Marktdynamik – das anhaltende strukturelle Defizit im Verhältnis von Wohnraumnachfrage zu -angebot. Dadurch droht eine Wiederholung der Fehleinschätzungen, die bereits den Berliner Mietendeckel zum Scheitern brachten.

Preisregulierung im Mangelsystem

Der Mietendeckel war ein Instrument, das aus einer Logik des Überflusses gedacht war, aber auf eine Situation der Knappheit traf. Wirtschaftstheoretisch ausgedrückt: Er setzte an der Preisbildung an, obwohl das Mengenproblem längst dominant war. Wer in einem Markt mit chronischem Angebotsdefizit lediglich die Preise begrenzt, löst nicht das Ungleichgewicht – er verschiebt es. Die Nachfrage wird nicht geringer, das Angebot zieht sich zurück. Der Markt wird enger, nicht fairer. Diese Dynamik ist keine Theorie, sondern empirisch belegt – nicht nur in Berlin, sondern in zahlreichen internationalen Fällen.

In Stockholm hat die langjährige Mietpreisbindung die marktbasierte Allokation faktisch ersetzt: Der Zugang erfolgt primär über Wartelisten, die in zentralen Lagen regelmäßig zehn Jahre überschreiten. In Paris führten Mietobergrenzen zu einer sektoralen Ausweichbewegung in den unregulierten Kurzzeitmarkt. Und in Barcelona registrierte die Banco de España nach Einführung gesetzlicher Preisobergrenzen einen Angebotsrückgang von über zehn Prozent binnen eines Jahres.

Preisdeckel in unelastischen Wohnungsmärkten führen zuverlässig zu Investitionszurückhaltung, zur Umwandlung in Eigentum, zu einem Rückgang von Bestandsangebot. Genau das ist in Berlin eingetreten – mit Ansage.

Die Fehlkonstruktion lag im Ansatz

Entscheidend ist: Der Mietendeckel war keine schlechte Umsetzung einer an sich tragfähigen Idee. Er war von Anfang an ökonomisch schlecht konstruiert. Eine Maßnahme, der jedes begleitende Instrument fehlte, um tatsächlich Wirkung zu entfalten: kein öffentlicher Neubauplan, keine Flächenstrategie, keine Stärkung gemeinwohlorientierter Träger, keine Integration in eine Bodenpolitik. Er sollte die Entwicklung aufhalten – ohne sie zu beeinflussen.

Damit wurde er zur politischen Illusion. Und zur strategischen Sackgasse. Denn solange der Deckel wirkte, wurde das eigentliche Problem verdrängt: Dass es an Wohnungen fehlt – und an Institutionen, die bereit und in der Lage sind, sie zu schaffen.

Was dabei besonders schwer wiegt: Die ökonomische Problematik war bekannt. Die Einschränkungen waren beschrieben, die Risiken benannt.  Fachgutachten, wohnungsökonomische Studien und internationale Erfahrungen hatten frühzeitig und deutlich auf die Risiken statischer Mietobergrenzen in angespannten Wohnungsmärkten hingewiesen. Bereits im November 2019 veröffentlichte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Jahresgutachten 2019/20) eine kritische Einschätzung des Berliner Mietendeckels und warnte vor negativen Effekten auf das Wohnungsangebot.

Das ifo Institut wies in einer Stellungnahme im selben Jahr auf drohende Investitionsrückgänge und Angebotsverknappung hin – insbesondere im privaten Neubausegment. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), obgleich in Teilen wohlwollender, benannte in mehreren Beiträgen (u. a. Kholodilin 2017, Fratzscher 2019) die Gefahr von Fehlallokationen und rückläufiger Modernisierung im Bestand. Es war nicht die Unkenntnis, die zum Deckel führte, sondern ein bewusstes Ausweichen vor der politischen Zumutung, strukturell steuern zu müssen.

Signalpolitik ersetzt nicht Steuerung

Das grundlegende Missverständnis bestand darin, zu glauben, man könne durch einen regulatorischen Eingriff politische Handlungsfähigkeit demonstrieren – ohne dabei die systemischen Rahmenbedingungen zu verändern. Aber Regulierung ersetzt keine Planung. Und Steuerung braucht mehr als Signale. Sie braucht Ressourcen, Zuständigkeiten, Instrumente – und einen klaren, strategisch eingebetteten Zugriff auf den Wohnungsbestand und die Produktion.

All das fehlte. Und so wurde der Mietendeckel zur Maßnahme ohne Mechanismus. Zur Intervention ohne Infrastruktur und damit zu einer Politik ohne ökonomische Tragfähigkeit.

Sein juristisches Scheitern mag den Anlass für die Rücknahme geboten haben – entscheidend ist aber: Er hätte auch bei voller rechtlicher Wirksamkeit nicht dauerhaft funktioniert. Weil der Wohnungsmarkt kein Preissystem ist, das sich durch Eingriffe stabilisiert, sondern ein soziales
Versorgungssystem, das strukturell entwickelt werden muss.

Was hätte geschehen müssen – und bis heute aussteht

Die Lehre aus dem Mietendeckel ist daher nicht, dass Regulierung nicht möglich sei. Sondern dass sie nur dann tragfähig ist, wenn sie Teil eines größeren Ganzen ist: eines politischen Programms, das Nachfrage nicht nur bändigt, sondern das Angebot strukturiert erweitert. Das Flächen mobilisiert, institutionelle Träger stärkt, öffentlich baut und langfristig bindet. Ein Programm, das nicht auf einzelne Eingriffe setzt, sondern auf eine neue Steuerungspolitik – baulich, fiskalisch, rechtlich.

Diese Diskussion hat der Mietendeckel nicht angestoßen, sondern verzögert. Er hat Aufmerksamkeit gebunden, wo Handlungsfähigkeit hätte organisiert werden müssen. Er hat Erwartungen geweckt, die nicht einlösbar waren. Und damit Vertrauen verspielt – in politische
Instrumente, aber auch in die Vorstellung, dass Wohnungspolitik gestaltbar ist.

Dass bis heute manche den Mietendeckel als „guten Versuch“ verteidigen – und dass in Teilen der aktuellen politischen Debatte diese Fehlannahmen weiterhin fortgeschrieben werden – verkennt den Kern: Es war und ist kein Mangel an Mut – sondern ein Mangel an ökonomischem Realismus. Und genau deshalb bleibt der Schaden größer als das Verfassungsurteil.