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Stiglitz‘ Suche nach der Guten Gesellschaft

| 26. August 2025
IMAGO / Agencia EFE

Joseph E. Stiglitz entwirft in The Road to Freedom eine Alternative zum gescheiterten Neoliberalismus – und knüpft dabei an John Rawls’ Gerechtigkeitsphilosophie an. Eine Buchbesprechung.

Viele Wissenschaftler und Intellektuelle stellen sich seit einiger Zeit die Frage, was nach dem gescheiterten Neoliberalismus als Alternative kommen sollte. Joseph E. Stiglitz ist vielen Ökonomen bekannt durch seine langjährige Kritik neoliberaler Wirtschaftspolitik in Aufsätzen und Büchern, beispielsweise in Whither Reform? Ten Years of Transition (2000) und in Globalization and its Diskontents (2002). Für seine Arbeiten über asymmetrische Informationen als Ursache von Marktversagen erhielt Stiglitz 2001 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften.

Nun hat er ein neues Buch vorgelegt, welches wohl vorrangig an heterodoxe Ökonomen gerichtet ist. Der Titel The Road to Freedom legt nahe, es als Kontrast zu Friedrich A. Hayeks Buch The Road to Serfdom aus dem Jahr 1944 zu verstehen, welches ein Meilenstein auf dem Weg des Neoliberalismus zum Mainstream in den Wirtschaftswissenschaften seit den 1970er Jahren war. In der Tat würde Hayek, lebte er noch, alles, was Stiglitz als seinen Weg zur Freiheit skizziert, sich genau gegenteilig als Weg in die Knechtschaft vorstellen. Stiglitz strebt danach, die Aussagen Hayeks, aber auch Milton Friedmans, sowohl auf empirischer wie auch philosophischer Grundlage ad absurdum zu führen.

The Road to Freedom hat auch einen Untertitel, der da lautet: Economics and the Good Society. Auch hier gibt es wieder eine Analogie zur Geschichte des Neoliberalismus. Der Begriff der Guten Gesellschaft ist erstmals 1938 von Walter Lippmann in seinem Buch verwendet worden, der darunter die Gestaltung einer Gesellschaft durch einen erneuerten Liberalismus verstand. Lippmanns Buch gilt als wesentliche Quelle des Neoliberalismus vor dem Zweiten Weltkrieg, nicht zuletzt, weil es der Grund für seine Einladung zu einem Treffen mit europäischen Neoliberalen der ersten Stunde war, dem sogenannten Lippmann-Seminar in Paris.[1] An diesem Seminar nahmen österreichische (Hayek, von Mises, deutsche (Röpke, Rüstow), französische (Rougier, Aron) und Neoliberale der ersten Stunde aus anderen europäischen Ländern teil.

Aus dem Untertitel wird klar: Stiglitz‘ Kritik am Neoliberalismus und sein Entwurf einer Guten Gesellschaft sind aus der ökonomischen Perspektive geschrieben. Aber: Im Unterschied zu einigen jüngeren Arbeiten anderer Autoren über eine mögliche Alternative zum neoliberalen Kapitalismus präsentiert Stiglitz auch seine philosophische Grundlage, was insofern wichtig ist, als jedes wissenschaftliche Denkgebäude durch philosophische Wurzeln begründet ist. Im Falle Stiglitz ist es der amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002), dessen Gerechtigkeitsphilosophie [2] er vielfach in seinem Buch als Leitgedanken seiner eigenen Positionen anführt.

Zum weiteren Verständnis seiner Analyse und Therapie der kapitalistischen Gesellschaft sei noch erwähnt, was in seinem Buch zwar nicht explizit auf-, aber implizit durchscheint: Stiglitz, zählt zu den prominentesten Neukeynesianern, die die neoklassische Gleichgewichtsthese grundsätzlich als langfristig valide akzeptieren, aber kurzfristig der Fiskal- und Geldpolitik Bedeutung für die Herstellung gesamtwirtschaftlicher Gleichgewichte die wichtigste Rolle beimessen (sogenannte neue neoklassische Synthese). Keynesianer werden aufstöhnen, denn dabei fällt die keynesianische Begründung der makroökonomischen Instabilität der Marktwirtschaft mit der Liquiditätspräferenz und nicht kalkulierbarer fundamentaler Unsicherheit unter den Tisch.

Wie für Neoklassiker üblich, sieht Stiglitz im Marktversagen die Ursache für wirtschaftliche Instabilität. Ursache von Marktversagen sind die allgegenwärtigen Versuche der Marktteilnehmer, Kosten auf andere abzuwälzen, also zu externalisieren. Normen dienen dazu, Externalitäten zu internalisieren. Zu Normen gehören auch institutionelle Regeln, die der Staat aufstellt. Und die Formulierung von Regeln sind für Stiglitz der entscheidende Ansatzpunkt, um zu einer guten Gesellschaft zu gelangen. Während Neoliberale auf die „Befreiung“ vor allem der Arbeits-, Finanz- und Medienmärkte pochen, kommt die neukeynesianische Mikrofundierung im Buch von Stiglitz vor allem in Betrachtungen über soziale Normen und individuelle Präferenzen und in Betrachtungen über asymmetrische Informationen als Ursachen von Marktversagen zum Ausdruck – im Gegensatz zum neoliberalen Schlüsselthema des Staatsversagens.

Asymmetrische Informationen sind Informationen, die zwar prinzipiell existieren, über die ein Vertragspartner gegenüber dem anderen Vertragspartner aus institutionellen Gründen aber nicht verfügt. Das oft zitierte Beispiel ist der Gebrauchtwagenhändler, der seinem nichtsahnenden Kunden ein Auto mit einem verborgenen Defekt verkauft. Keynesianische Unsicherheit beinhaltet die Nicht-Existenz von Wissen, so dass sich keine Risiken kalkulieren lassen. Stiglitz dagegen spricht durchgängig von Risiko.

Asymmetrische Informationen und Marktversagen sind die argumentativen Hauptwaffen, die Stiglitz gegen den Neoliberalismus anführt, und institutionelle Reformen – vor allem die Beseitigung von Monopolen (Finanzen, Kapital, Medien) – als notwendige Konsequenz zu ihrer Überwindung und zur Schaffung einer guten Gesellschaft ansieht. Die von Stiglitz erst im dritten Teil seines Buches vorgelegten rudimentären Ideen für die Gute Gesellschaft basieren deshalb vor allem auf institutionellen Reformen, die auf eine Regulierung der Finanz- und Medienmärkte hinauslaufen.

Stiglitz: Ökonom in moralphilosophischer Tradition

Dass Stiglitz eher als Neukeynesianer gilt, wird traditionelle Keynesianer vielleicht von diesem Buch abhalten. Diese Entscheidung wäre allerdings voreilig, denn Stiglitz präsentiert eine große Anzahl plastischer Beispiele, guter Argumente, aber auch philosophischer Einblicke in die Grundlagen seines Denkens. Im Grunde gehen seine Reformvorschläge weit über eine neukeynesianische Mikrofundierung der Makroökonomik hinaus. Es handelt sich bei ihnen um nichts weniger als eine Revision des existierenden Gesellschaftsvertrages, wie er in der klassischen Denktradition entwickelt wurde.

Die intellektuelle Quelle für Stiglitz und seine Überlegungen ist die Gerechtigkeitsphilosophie von John Rawls. Eine Gesellschaft ist dann gut, wenn sie gerecht ist. Rawls berühmtes Gedankenexperiment – der Schleier des Nichtwissens (veil of ignorance) – ist die Methode, um vertragliche Entscheidungen über eine Gesellschaftsordnung in gerechte und ungerechte zu trennen. Der Schleier des Nichtwissens beschreibt den Zustand der Individuen in einer fiktiven Entscheidungssituation, in dem sie zwar über die zukünftige Gesellschaftsordnung entscheiden können, aber selbst nicht wissen, an welcher Stelle dieser Ordnung sie sich später befinden werden, also hinter einem „Schleier des Nichtwissens" stehen (S. 87).

Rawls geht in seinem Gedankenexperiment davon aus, dass in diesem „Urzustand" alle Menschen völlig frei und gleich sind und deswegen keine aufeinander oder gegeneinander gerichteten Interessen besäßen. Dies heißt, dass sie als interessenorientierte Wesen gezwungen werden, interessenfrei zu entscheiden. Der Urzustand ist nicht mit dem Naturzustand des Krieges einer gegen alle (Hobbes) zu verwechseln, in dem der Stärkere seine Freiheit auf Kosten der Freiheit der anderen zu erweitern trachtet und in dem das Gesetz des Dschungels herrscht, dass nur durch einen Gesellschaftsvertrag zu bändigen ist.

Praktisch bedeutet der Urzustand nach Rawls, dass kein Mitglied der Gesellschaft von den ethnischen, sexuellen, kulturellen, Präferenzen und anderen Eigenschaften der Personen auf der anderen Seite des Schleiers Kenntnis hat, also seine Entscheidung gänzlich ohne Ansehen der Personen hinter dem Schleier treffen muss. Allerdings befindet sich Stiglitz möglicherweise auf dem Holzweg, wenn er den Rawlsschen Urzustand bereits im Walras´schen Auktionator in der neoklassischen Theorie (S. 77) und noch früher in Adam Smiths „impartial spectator“ (S. 87) zu finden glaubt. Denn nichts lag Rawls ferner als eine utilitaristische Gerechtigkeitstheorie (Smith, Neoklassiker) und die Übertragung individueller Nutzenmaximierungen auf gesellschaftliche Kollektive, bei denen die Verteilung der Nutzen gar nicht jedes Individuum erreicht.

Aber Pace Stiglitz, er verwendet den Schleier des Nichtwissens an verschiedenen Stellen, vor allem im zweiten und dritten Teil seines Buches, um an konkreten Fällen aufzuzeigen, wie durch vorurteilslose Entscheidungen nichts weniger als ein neuer Gesellschaftsvertrag zu mehr Gerechtigkeit führen kann. Auch wenn er Rawls vielleicht überstrapaziert, erweist sich Stiglitz als Nachfolger der moralphilosophischen Tradition in der Ökonomik – was leider bei vielen modernen Ökonomen nicht zu erkennen ist.

Das Vorhergesagte muss man wissen, um den Weg zur Freiheit von Stiglitz und seine Kritik am Neoliberalismus zu verstehen. Das Buch beginnt mit einer Erzählung über das Denken von Ökonomen über Freiheit, welche sich – mit Ausnahmen (Adam Smith) – auf das Denken neoliberaler amerikanischer Ökonomen beschränkt. Genannt werden hier namentlich nur Friedrich A. Hayek und Milton Friedman, einmal Gary Becker. Zu kritisieren ist hier, dass europäische Autoren wie Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Walter Eucken, Luigi Einaudi (alles Ordoliberalismus) usw. überhaupt nicht erwähnt werden. Da ist eigentlich die Arbeit des Historikers Quinn Slobodian aus dem Jahre 2018[3] aufschlussreicher, denn dieser hat die Entstehung des Neoliberalismus in das Wien der 1920er und 1930er Jahre datiert und ausdrücklich auch den deutschen Ordoliberalismus einbezogen – wie selbst ordoliberale Autoren und der politische Philosoph Michel Foucault übrigens auch.

Die Balance der Freiheiten

Stiglitz müsste die englischsprachige Version von Slobodians Arbeit aus dem Jahre 2018 eigentlich kennen. Leider beginnt sein Neoliberalismus mit der bekannten Geschichte der 1947 gegründeten Mont-Pèlerin-Gesellschaft, behandelt den Aufstieg des Neoliberalismus zum politischen und ökonomischen Mainstream in den USA und beschränkt sich auf die Rollen von Reagan Thatcher und Clinton. Es ist also ein amerikanisch geprägtes Verständnis von Neoliberalismus, in das nur ab und zu Verweise zu und Vergleiche mit anderen Ländern (Blair, Schröder) eingeflochten sind. Dabei scheint er sogar die vom Ordoliberalismus geprägte “Soziale“ Marktwirtschaft in Deutschland als vorbildlich zu betrachten.

Die einzige interessante Aussage in diesem ersten Abschnitt findet sich auf S. 29, wo es heißt: „…er (der Neoliberalismus) unterschied sich kaum von den liberalen und laissez-faire-Doktrinen des 19. Jahrhunderts (…). Was wirklich neu war, war der Trick, zu behaupten, der Neoliberalismus würde Regeln abschaffen, während er in Wirklichkeit neue Regeln einführte, die Banken und die Reichen begünstigten“ (Übers. d. R.).

Das ist nun allerdings eine arge Verkürzung, denn die frühen Neoliberalen zogen die Berechtigung, einen erneuerten Liberalismus zu schaffen, aus der Kritik am Laissez-Faire-Staates, der angeblich zur Beute der Interessensgruppen (insbesondere Parteien allgemein und Gewerkschaften im Besonderen) geworden war. Sie strebten einen starken Staat an – auch Hayek und letztlich Friedman, was bekanntlich in ihrer Sympathie nicht nur für den chilenischen Diktator Pinochet und das Konzept des autoritären Liberalismus zum Ausdruck kam. 

Nach diesem eher unbefriedigenden Einstieg in die Kritik des Neoliberalismus, den man auch überschlagen kann, folgt mit Liberty and Freedom: Basic Principles der schon interessantere erste Teil des Buches. Hier präsentiert Stiglitz seine Idee, dass die Freiheiten, die sich der Stärkere nimmt, um seine Kosten zu externalisieren, immer die Freiheiten der Schwächeren beschränken, die diese Kosten letztlich tragen müssten. Das führt ihn dazu, von einem Trade-Off in der Gestaltung einer freien Ordnung zu sprechen und an vielen Beispielen zu zeigen, dass neoliberale Politik immer diese Balance der Freiheiten zugunsten der Stärkeren und Mächtigeren, sprich: Unternehmen verletzt – und zwar im Namen der „individuellen“ Freiheit.  

Stiglitz kritisiert insbesondere die moralische Legitimität des Reichtums mit dem Verweis, dass dieser in den USA durch Sklaverei, in England durch die private Aneignung der Commons und bei heutigen Generationen eigentlich nur durch Vererbung (reiche Eltern), aber nicht durch ehrliche und harte Arbeit, kreative Energie und Fähigkeiten zum Investieren entstanden sei, wie dies in der liberalen Idee behauptet wird (S. 103ff). Man könnte hier auch die Schaffung großer Vermögen durch die Arisierung in Deutschland anführen. Hinsichtlich freier Verträge (neoliberale Behauptung) und der Realität asymmetrischer Informationen zwischen den Vertragspartnern schließt Stiglitz: „Wenn eine Vertragspartei die andere ausnutzt, kann ihr Einkommen steigen und ihre Freiheit wachsen, aber die andere Person verliert ihre Freiheit, Verträge abzuschließen.” (S. 123, Übers. d. R.), also auch hier wieder der trade-off zwischen ungleichen Vertragspartnern. 

Überzeugend in diesem Teil sind insbesondere seine Ausführungen über die verschiedenen Methoden, Macht in der Vertragsgestaltung auszuüben (S. 132ff). Auch hier bezieht er sich wieder auf die amerikanische Realität, wo Unternehmen beispielsweise ihre Angestellten und Kunden vertraglich binden, im Konfliktfall nicht unabhängige Gerichte anzurufen, sondern privat zu schlichten. Unternehmen können dabei hochbezahlte Anwälte beschäftigen, während Angestellte und Kunden nicht über diese Möglichkeiten verfügen.

Der zweite Teil befasst sich mit Freiheit, Überzeugungen und Präferenzen. Hier setzt sich der Autor besonders mit der Veränderlichkeit der Präferenzen etwa von Konsumenten und dem Monopolproblem auseinander. Stiglitz kritisiert am Neoliberalismus, dass dieser in seinen Modellen die Unveränderlichkeit der Präferenzen annimmt. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn die Kritik der modernen Österreichischen Schule der Nationalökonomie an der neoklassischen Theorie – einer Quelle neoliberalen Denkens, die Stiglitz leider nicht erwähnt – richtet sich genau gegen diese Annahme.[4] 

Besonders gut gefallen auch die Ausführungen von Stiglitz über die Marktmacht der großen Tech-Konzerne. Hier führen die asymmetrischen Informationen zu immer größeren Abweichungen des Marktes von seinem kompetitiven Vorbild, welches Stiglitz ja wie die deutschen Ordoliberalen vertritt. Ja, Stiglitz beschreibt sogar, wie die Tech-Konzerne diese Asymmetrien durch Datensammlungen noch weiter verstärken, um damit ihre Profite über das „normale“ Maß in einer wettbewerblichen Umgebung zu steigern.

Das neoliberale Argument, hohe Profite zögen doch nur neue Anbieter an, widerlegt Stiglitz mit dem kaum zu widerlegenden Hinweis auf die riesigen Datenmengen, die die Techkonzerne von ihren Nutzern abziehen und sammeln, und die ihnen einen Vorteil gegenüber Newcomern geben. Manipulationsstrategien mit Hilfe dieser Daten verhindern, dass Nutzer zu anderen Anbietern wechseln. Hinzu kommt als weit verbreitete unternehmerische Methode, Informationsasymmetrien für höhere Profite zu nutzen, die sogenannte Zielpreisgestaltung (target pricing), die für ein und dasselbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen für unterschiedliche Käufer oder Käuferregionen führt.

Die Gute Gesellschaft

Im zweiten Teil und relativ spät im Buch wird dem Leser eine explizite Definition einer Guten Gesellschaft vorgestellt: „Eine gute Gesellschaft wahrt ein Gleichgewicht der Freiheiten und achtet dabei besonders darauf, dass der Missbrauch der Vertragsfreiheit nicht zu einer Ausweitung der Freiheit zur Ausbeutung führt.“ (S. 175, Übers. d. Red.). Hier wird Stiglitz konkret: Normen internalisieren Externalitäten und erhöhen somit auch die soziale Wohlfahrt (S. 194f). Hier sieht Stiglitz ein weites Feld der Regulierung, um zu einer besseren Bilanz der Freiheiten in einer gerechten Gesellschaft zu kommen.

Der dritte Teil des Buches ist mit nur 80 Seiten der kürzeste, obwohl die Leser erwarten könnten, hier etwas ausführlicher über die Strukturen einer Guten Gesellschaft zu erfahren. Das ist allerdings nicht der Fall. Der Teil beginnt mit der Frage, wo der Neoliberalismus gescheitert sei. Weiten Raum über mehrere Seiten (218-225) nimmt hier eine Tabelle mit folgenden Spalten ein: Marktversagen, neoliberale Antwort, Konsequenzen und Politik eines progressiven Kapitalismus. Eine genauere Besprechung dieser Tabelle ist nicht zu finden und unklar bleibt auch, was ein „progressiver Kapitalismus“ ist – ein demokratischer scheint es nicht zu sein, was überrascht, denn ein Gleichgewicht der Freiheiten ist in einer autoritären Gesellschaft kaum zu erwarten.

Aus den Einträgen in dieser Tabelle geht hervor, dass er eine mixed Economy in Verbindung mit einer starken Wettbewerbspolitik, Industriepolitik, Umverteilung über Steuern, öffentlichen Ausgabenprogrammen, Makrostabilitätspolitik und vieles andere mehr sieht. Dahinter erscheint eigentlich eine Kombination deutscher Ordnungspolitik (Mikro) mit keynesianischen Elementen (Makro), obwohl sich Stiglitz in seinem Buch jeder weiteren Analyse des deutschen Modells eines aufgeklärten Neoliberalismus enthalten hat. Im Weiteren basieren die von ihm vorgelegten Ideen für eine Good Society vor allem auf institutionellen Reformen in Richtung Regulierung.

Alles in allem und trotz der Kritik am Einstieg und an Teilen seiner Diagnose bleibt The Road to Freedom ein lesenswertes Buch zu einem für umgerechnet knapp 14 Euro erschwinglichen Preis. Es könnte deshalb nicht nur Eingang in Universitätsbibliotheken finden, sondern auch in private Bücherschränke. Schade nur, dass der Herausgeber ein Sach- oder Personenregister oder sogar ein Literaturverzeichnis nicht für nötig befunden hat. Das macht das Auffinden von Quellen innerhalb und außerhalb des Buches mühselig.

Joseph E. Stiglitz: The Road to Freedom. Economics and the Good Society.  London 2025: Penguin Random House. 356 Seiten, U.K. ₤ 10.99, kartoniert, in englischer Sprache.

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[1]  Walter Lippmann: An Inquiry into the Principles of THE GOOD SOCIETY. Boston 1938: Little, Brown and Company.
[2] John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft. 2024. Für eine kürzere und kritische Darstellung: siehe Ingeborg Maus: Der Urzustand, in: Ottfried Höffe (Hrsg.): John Rawls - Eine Theorie der Gerechtigkeit, Akademie-Verlag 2013, Klassiker auslegen, Bd. 15, S. 65-88.
[3] Quinn Slobodian: Globalisten.Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus. Berlin 2019: Suhrkamp.
[4] Zum Beispiel Israel M. Kirzner: The meaning of market process. London and New York 1992:  Routledge.