Degrowth

Wachstumswahn und Wachstumsgrenzen

| 17. September 2024
IMAGO / Richard Wareham

Bleibt die Wirtschaftswissenschaft weiter in den Denkmustern und Theorien vom ewigen Wachstum gefangen, wird sie zunehmend destruktiv.

Fast alle Ökonomen reden ständig vom Wachstum. Wegen angeblicher Deindustrialisierung, wegen der Schwäche des Standorts Deutschland, wegen Fachkräftemangel. Von links bis rechts debattieren sie: Wie schaffen wir wieder mehr Wachstum?

Von Vertretern der Degrowth-Theorie und von Umweltökonomen hört man immer weniger, sie geraten in die Defensive. Und so droht die Wirtschaftswissenschaft endgültig zur Ideologie der Realitätsverweigerung zu werden. Denn die Realität ist ganz trivial: Wir verfügen nur über einen Planeten.

Dieser Planet wird seit Jahrzehnen übernutzt und diese Übernutzung drückt schon gegenwärtig kräftig gegen das Wachstum. Stichworte sind: beginnende Rohstoffknappheit, Klimakatastrophe, Wassermangel, zunehmende Missernten.

Einen ungefähren Blick auf diese begrenzende Realität erlaubt der „ökologische Fußabdruck“. Danach erfordert der heutige Ressourcenverbrauch global 1,7 Planeten, der Verbrauch in Deutschland verschlingt, hochgerechnet, drei Planeten Erde. Irgendwann ist dann Schluss und die Erde ist ausgelutscht. Je flotter die Weltkonjunktur, desto eher das Desaster. 

Keine Entkopplung

Doch halt, rufen die Wachstumsfreunde: Wachstum und Ressourcenverbrauch werden doch zunehmend entkoppelt, es ist doch auch ein „grünes Wachstum“ denkbar! So riefen sie auch schon vor 20 Jahren. Getan hat sich aber wenig. Fühlbare Anstrengungen gibt es lediglich zur Energiewende und die Wirtschaftswissenschaft hat dazu ein paar mäßig effektive Konzepte wie etwa CO2-Zertifikate beigetragen. Nur: Nachhaltigkeit lässt sich absolut nicht auf CO2 reduzieren.

Nachhaltig wären Deutschland – und Europa – wenn die Energieerzeugung komplett auf erneuerbare Energien umgestellt, der Verbrauch von nachwachsenden Rohstoffen annähernd halbiert und der Neuverbrauch von nichtnachwachsenden Rohstoffen auf Null geschrumpft wäre, wenn also in einer Kreislaufwirtschaft nur noch recycelte Sekundärrohstoffe genutzt würden.

Die Daten weisen leider in die komplett entgegengesetzte Richtung. Seit 1970 hat sich der globale Ressourcenverbrauch in etwa parallel zum Wachstum entwickelt. Während sich das Welt-BIP annähernd vervierfacht hat, stieg der Ressourcenverbrauch fast im Gleichschritt um das 3,5-fache an. Bei den nicht-nachwachsenden Rohstoffen ist das Verhältnis noch ungünstiger.

Auch in den kommenden 50 Jahren würde sich, selbst bei etwas niedrigeren Expansionsraten der Weltwirtschaft als bisher, das Welt-BIP annähernd verdreifachen. Es sei denn, es bricht vorher aufgrund von Rohstoffmangel und Umweltschäden zusammen.

Die Entkopplungsanhänger setzen der Wucht dieser Vervielfachung vor allem die Hoffnung auf eine steigende Ressourcenproduktivität entgegen. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass der Einsatz von Rohstoffen pro Einheit des BIP durch technischen Fortschritt abnimmt. Ob es diese Tendenz tatsächlich gibt, ist allerdings fraglich. Beispielsweise verbesserte sich die globale Ressourcenproduktivität bei Metallen seit den 1970er Jahren tatsächlich eine Zeit lang, ab Mitte der 1990er sinkt sie aber wieder deutlich. Insgesamt werden heute weltweit rund ein Viertel mehr Metalle pro Einheit des BIP verbraucht als noch 2000.[1]

Alles in allem und über einzelne Beispiele hinaus, kann von „Entkopplung“ nicht die Rede sein. Diverse Berichte von OECD und UN prognostizieren, dass sich der Rohstoffverbrauch insgesamt bis 2060 um mindestens 60 Prozent, laut OECD um 88 Prozent erhöhen wird. Bei dieser enormen Mengenzunahme sind Effekte der Strukturänderung hin zur Dienstleistungsgesellschaft und materialsparender technischer Fortschritt bereits eingerechnet. Der globale Kampf um Bodenschätze, Land und Wasser wird heftig werden.

Die Zahlen für Deutschland sehen nicht wesentlich besser aus: Nach den Umweltstatistiken des Statistischen Bundesamts ist der Ressourcenverbrauch (Rohstoffäquivalente) seit 2010 um ca.  9 Prozent gestiegen.[2] Darin sind zu einem geringen, nicht genau feststellbaren Teil, auch recycelte Rohstoffe enthalten, weswegen die Zunahme an Primärrohstoffen etwas niedriger liegen dürfte – trotzdem bleibt es bei einer signifikanten Steigerung. Interessant an diesen Daten ist außerdem, dass sich der Verbrauch von Ressourcen in den 2010er Jahre wieder beschleunigt hat und höhere Expansionsraten aufwies als in der Dekade zuvor.

Man kann also prognostizieren: Jedes Prozent Wachstum in Deutschland wird auch in den kommenden Jahren eine Steigerung des (primären) Rohstoffkonsums um rund ein halbes Prozent nach sich ziehen.

Und so schrumpft die Erzählung von der Entkopplung zur „relativen Entkopplung“ und diese „relative Entkopplung“ bezeichnet nichts anderes als eine weitere Zunahme des Ressourcenverbrauchs in der Wachstumswirtschaft.

Kreislaufwirtschaft und Recycling

Wie unernsthaft und fahrlässig mit dem Thema Ressourcen umgegangen wird, zeigt auch ein Blick auf ein Kernelement der Nachhaltigkeit: die Kreislaufwirtschaft. Davon wird immer mal wieder gesprochen und es existieren staatliche Regelungen und EU-Verordnungen dazu.

Was aber nur ungern thematisiert wird: Kreislaufwirtschaft und Recycling retten keineswegs das Wachstum. Eine zirkuläres Produktionssystem beinhaltet ganz im Gegensatz Nullwachstum,  würde Wachstum also nicht weiterhin ermöglichen, sondern erst einmal beenden. Wenn keine zusätzlichen Rohstoffe in den Produktionskreislauf eingespeist werden dürfen, dann kann auch nichts mehr wachsen. Ein wenig Restwachstum könnte höchstens aus einer Steigerung der Ressourcenproduktivität herrühren oder aus einer Verlagerung hin zu Dienstleistungen. Aber auch Dienstleistungen sind nicht ressourcenfrei. 

Abgesehen davon sind solche Überlegungen irrelevant, da ein wie auch immer generiertes (Rest-)Wachstum kein realistisches Ziel sein kann, wenn es darum geht, den Verbrauch von sowohl mineralischen als auch nachwachsenden Rohstoffen – siehe „Fußabdruck“ – deutlich zu reduzieren. Wer Kreislaufwirtschaft sagt, müsste eigentlich wissen, dass er sich damit von der Wachstumsorientierung verabschiedet. Entweder Wachstum – oder Kreislauf. Beides zusammen geht nicht.

Aber ganz unberührt von diesen Zusammenhängen sind wir derzeit leider ohnehin Welten von einer Kreislaufwirtschaft entfernt. Die Recyclingquoten sind überwiegend schlecht. Das Bundesumweltministerium schätzt sie für Deutschland auf insgesamt 13 Prozent der eingesetzten Materialien (Circular Material Use Rate).

Auch hoffnungsvoll klingende offizielle Angaben für einzelne Produktgruppen täuschen oft. Dazu trägt bei, dass Recyclingquoten völlig unterschiedlich definiert werden können. Beispielsweise wird die umweltschädliche Verbrennung von Kunststoff oft als Recycling (thermisches Recycling) ausgewiesen. Rechnet man diesen überwiegenden Teil und zusätzlich noch die Müllexporte heraus, liegt die Recyclingrate für Kunststoffabfälle bei ca. 17 Prozent.

Ähnlich geschönt werden hiesige Statistiken unter anderem auch für Baumaterialien und Textilien, weitere Hauptquellen des Müllaufkommens. Ebenfalls unzureichend ist die Quote bei Elektronik- und Elektrogeräten, um noch eine andere wesentliche Abfallquelle zu nennen. Wie viel verwertbares Material in Form von Metallen wirklich extrahiert wird, ist nur annähernd zu ermitteln. Es dürfte aber deutlich unter 30 Prozent des neuverbauten Materials liegen.

Auch global gesehen sind bei Metallen, mit einigen Ausnahmen wie etwa Aluminium und Stahl, die Recyclinganteile niedrig. Bei 60 vom UN International Ressource Panel (IRP) untersuchten Metallen liegen 34 Elemente unter 1 Prozent Recycling. Kein Wunder, dass OECD und UN-Panel von einer rasant steigenden Primärrohstoffnutzung ausgehen.

Nun wäre eine Kreislaufwirtschaft aber überlebenswichtig und jeder Schritt dorthin ein Meilenstein – doch scheint das Thema hierzulande nicht sehr zu interessieren. Kräftige Umsetzungsschritte sind nach wie vor kaum zu sehen. Stattdessen versuchte beispielsweise die FDP zu Beginn dieses Jahres (vergeblich) eine simple EU-Verpackungsverordnung zu torpedieren, mit der das Aufkommen von Plastik- Verpackungsmüll in Europa ein wenig reduziert werden soll. Allerdings ist zumindest das Bundesumweltministerium nicht völlig untätig und legte im Juni 2024 einen Entwurf zu einer „Nationalen Kreislaufstrategie“ vor, der aber in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend ignoriert wurde.

Die Regierungspolitik verliert sich bisher in Kleinteiligkeit. Zwar gibt es immer wieder Regelungen aus dem Umweltministerium, mit denen vor allem EU-Vorgaben umgesetzt werden sollen. Ökoverbände kritisieren daran seit langem, dass diese Gesetzgebung vorrangig auf die Erhöhung von Müllsammelquoten und die Einspeisung des Abfalls in irgendwelche Extraktionsprozesse abzielt – aber dadurch keineswegs die Verwendung von Sekundärrohstoffen in der Neuproduktion (Zirkularität) beschleunigt. Denn wieviel Abfall in Recyclingsysteme eingeht, sagt wenig darüber aus, wieviel Sekundärrohstoff daraus gewonnen und wieviel davon dann tatsächlich in die Produktion eingeht. Die niedrigen Verwendungsquoten weisen in diesem Zusammenhang jedenfalls auf ein grundlegendes Problem hin: Die Nutzung von Sekundärrohstoffen wird vom „freien Markt“ behindert.

Der Marktpreis

Ein Hauptgrund für schwache Recyclingquoten (gemessen an der Neuproduktion) ist letztlich das Markpreisverhältnis. Demzufolge sind Primärrohstoffe in der Regel billiger als Rezyklate – was man politisch durch Steuern auf Primärrohstoffe durchaus ändern könnte.

Beispielsweise fordert die DGAW, ein Netzwerk von Recyclingfirmen, Ökoinstituten und Initiativen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft unter anderem:

  • Besteuerung des Ressourcenverbrauchs
  • Besteuerung von Primärrohstoffen,
  • Steuerliche Anreize für zur Förderung des Einsatzes von Sekundärrohstoffen,
  • Einführung von Substitutionsquoten zur messbaren Bewertung des Ersatzes von Primärrohstoffen durch Recyclingprodukte.

Dabei geht es schlichtweg um eine Mengenreduzierung, was wiederum bedeutet, die Preise für Primärrohstoffe solange zu erhöhen, bis die Mengenziele (beispielsweise „Null“ bei „Nichtnachwachsenden“) erreicht sind.

Nun werden selbst die meisten linken Ökonomen und Politiker darauf hinweisen, dass das alles völlig unmöglich sei, weil es ja die Produkte immens verteuern, den allgemeinen Lebensstandard auf Armutsniveau senken würde und „wir“ doch Wachstum brauchen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern, Renten zu bezahlen und öffentliche Investitionen finanzieren zu können. Und schon muss man sich mit den Vorstellungen der Postwachstumsökonomie gar nicht mehr weiter auseinandersetzen.

Doch was ändern all diese Einwände an der Tatsache, dass Luft, Wasser und Böden übernutzt werden, Rohstoffe verpulvert werden und das alles sehr endlich ist?

Der Grundwiderspruch bleibt bestehen und lässt sich langfristig nicht ausblenden: Wachstum ist der Feind der Nachhaltigkeit. Wächst die Wirtschaft schneller als die Recyclingquoten, wachsen auch der Ressourcenverbrauch und die Müllberge. Und selbst wenn durch Recycling der Verbrauch an fossilen und mineralischen Rohstoffen nicht mehr zunähme, wäre das ja nur ein Teilerfolg – um nachhaltig zu sein, muss die Vernutzung nachwachsender Rohstoffe ebenfalls schrumpfen, weil wir eben nur einen Planten haben.

Wäre es angesichts dieser Problemlage nicht angebracht, dass wir, die Ökonominnen und Ökonomen, uns vorrangig und intensiv mit der Frage beschäftigten, wie man eine Postwachstumsökonomie schaffen kann? Wie man die Widersprüche zwischen endlichen Ressourcen und materiellen Bedürfnissen lösen könnte?

Stattdessen kümmern sich sowohl Neoklassiker als auch Keynesianer unbeirrt um das angeblich unerlässliche Wachstum und auch die etwas kritischeren Geister bewegen sich meistens – manchmal ohne das überhaupt noch zu bemerken – in den Denkstrukturen der Wachstumswirtschaft. Die Wissenschaft von der Ökonomie wird damit zur bloßen Begleitmusik einer destruktiven Wirtschaftsordnung. 

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[1] siehe Garnreiter, Pauli, Sabautzki: „Wirtschaftswachstum auf dem Prüfstand“. isw- report Nr. 123, München 2020.
[2] Die Angabe beinhaltet einen Schätzwert, da das Bundesamt für 2022 und 2023 noch keine Daten vorlegt.