Geldtheorie

Geld ist staatliches Management von Ressourcen

| 25. Oktober 2023
@midjourney

Wenn Steuern keine notwendige Vorrausetzung für staatliche Ausgaben sind, wozu dienen sie sonst? Modern Money Theorie behauptet, Steuern dienten der Schaffung der für die Akzeptanz der staatlichen Währung notwendigen Nachfrage nach staatlichem Geld. Die These darf bezweifelt werden.

Modern Money Theory (MMT) hat als Theorie des Fiat-Geldsystems Bahnbrechendes geleistet. Wer Warren Moslers Soft Currency Economics oder The Natural Rate of Interest is Zero liest, betritt die Herzkammer des Geldsystems. Dessen Eigentümer, der Staat, ist für seine Ausgaben weder auf Steuern noch auf Staatsanleihen angewiesen. Vielmehr dienen beide Instrumente lediglich dazu, das von der Zentralbank erteilte Zahlungsversprechen, das auf dem Konto der Regierung als Geld erscheint, aus unterschiedlichen Gründen wieder einzusammeln, nachdem es die Regierung ausgegeben hat.

Die Regierung zahlt mit dem nur durch die unbegrenzt mögliche Lieferung weiterer Zahlungsversprechen gedeckten Zahlungsversprechen der Zentralbank. Im Fall der Steuern sammeln Regierungen Geld im Privatsektor wieder ein und schöpfen damit durch staatliche Ausgaben zuvor geschaffene Kaufkraft wieder ab. Die Emission von Staatsanleihen dient der Abschöpfung von Reserveliquidität der Geschäftsbanken, die als Folge von Staatsausgaben notwendig ansteigt. Die Abschöpfung von Reserveliquidität bewirkt, dass sich die Banken bei der Zentralbank zum dort festgesetzten Zinssatz refinanzieren müssen. Auf diese Weise setzt sich der Reservezinssatz der Zentralbank durch. Money in – Money out und immer so weiter: Von wegen „Staatsverschuldung“.[1]

Neben dieser empirischen Beschreibung des Fiat-Geldsystems versteht sich MMT als allgemeine Geldsystemtheorie und vertritt als Modellvorstellung – wie im Beitrag von Rafael Carretero Moreno – die Auffassung, Geld sei nur im staatlichen Rahmen möglich.

Fristentransformation, also die Notwendigkeit der zeitlichen Entkopplung des Warenaustauschs in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, bilde demnach keine selbständige Entstehungsursache für Geld. Gleiches gelte für die deshalb gar nicht erst erwähnte Annahme, ein reiner Tauschmarkt sei mangels Existenz eines reinen Tauschwerts und ausgeschlossenem Dritten praktisch unmöglich, sodass jeder Markt technisch die Existenz von Geld voraussetze. Zigaretten als nichtstaatliche Ersatzwährung auf dem Schwarzmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg seien nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Für die Möglichkeit eines Fiatgeldsystems sei nicht der „Vertrauensstandard“ Vorrausetzung – also das Vertrauen in das Vertrauen der anderen –, sondern die Autorität des Staates und die den Bürgern auferlegte Steuerlast. Die Akzeptanz staatlichen Geldes – so ausdrücklich die Hypothese – gehe auf die allgemeine Angst vor zukünftiger Bestrafung bei Nichtzahlung der Steuern zurück. Dies sei der wesentliche Grund für die Nachfrage nach staatlichem Geld.

Nichtstaatliches Geld in Afrika 

In Afrika existierte nichtstaatliches Geld vor der europäischen Kolonialisierung und lange Zeit parallel zu westlichen Kolonialwährungen – die Rede ist von der Kaurimuschel, die praktisch in ganz Afrika und darüber hinaus als Zahlungsmittel verbreitet war.

Geld ermöglicht auch ohne Staat beiderseitig verpflichtende Schuldverträge ohne beiderseitigen Warenaustausch. Einerseits dient dies der Fristentransformation, indem der Warenverkäufer das Verkaufsergebnis für zukünftigen Warenerwerb in Händen hält. Zum anderen setzt Geld alle Waren zueinander in ein wertfreies mathematisches Verhältnis. Die inhaltliche Wertfreiheit  des monetären Austauschtauschmaßstabs ermöglicht erst den Warenfluss, vermeidet sie doch unentscheidbare Debatten über das Verhältnis der Gebrauchswerte und damit des Tauschwertverhältnisses zweier Waren zueinander.[2] Markt ohne Geld ist undenkbar.

Kaufverträge sind eigentlich Kreditverträge, weil dort wie beim Bankkredit das Versprechen auf Geld mit dem Versprechen auf Ware korreliert. Im Fall des Bankkredits ist der Kreditvertrag als Vermögensgegenstand die Ware (Ware und Vermögenswert sind Assets auf der Habenseite der Bilanz).

Wie schon die Diskussion des Zentralbankmechanismus gezeigt hat, wird das Zahlungsversprechen des Käufers (Kreditgebers) beim Verkäufer (Kreditnehmer) zur Forderung auf Erfüllung des Zahlungsversprechens. Auf der Privatebene stellt diese Forderung im Hinblick auf die Ausfallmöglichkeit des Käufers allerdings noch kein Geld dar, sehr wohl aber eine Geldforderung, die sich verkaufen lässt (Factoring).

Gleiches gilt im Prinzip auch noch für die Zahlungsversprechen der Geschäftsbank, wo das auf diese Weise geschaffene Giralgeld auf Grund des Zugangs der Banken zu  Zentralbankgeld aber bereits als Geld verstanden wird.

Beide Zahlungsversprechen müssen erst noch erfüllt werden, beim Kaufvertrag durch die Übergabe des vereinbarten Kaufpreises, beim Geschäftsbankkredit durch die Bereitstellung des für die Zahlung mittels der Kreditsumme an Kunden anderer Banken notwendigen Zahlungsversprechens der Zentralbank (Reserven). Im Gegenzug liefert der Verkäufer den Kaufgegenstand bzw. leistet der Kreditnehmer die vereinbarte Kreditrückzahlung nebst Zinsen.

Geld in vorstaatlichen Gesellschaften 

Es ist eine empirische Schwäche so zu tun, als entstünden staatliche Geldsysteme aus dem Nichts. Der Fall der afrikanischen Kaurimuscheln zeigt, dass es Märkte gibt, bevor es Staaten gibt.

Kaurimuscheln dienten als Zahlungsmittel lange bevor die französischen Kolonialherren versuchten, mit dem Franc CFA ein koloniales Steuer- und Abgabensystem zu errichten. Erst Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts verbot Frankreich die Kaurimuschel als Zahlungsmittel in den afrikanischen Kolonien und verankerte den Franc CFA drei Jahre später als einzig legales gesetzliches Zahlungsmittel.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Frankreich schon 50 Jahre versucht, den Franc CFA mittels Steuern und Abgaben durchzusetzen. Die Kolonialherren waren dabei jedoch auf entschiedenen Widerwillen der lokalen Bevölkerung gestoßen, die erkannte, das sie über die Verwendung der Kolonialwährung in das ausbeuterische Kolonialsystem gezwungen werden sollte. Steuern und Abgaben änderten nichts daran, dass Militär auf die Märkte ausrücken musste, um den Gebrauch der Kolonialwährung zu überwachen, während die Kaurimuschel weiter zirkulierte.

Wie das Beispiel zeigt, ist die These von den Steuern als treibende Kraft der Akzeptanz der staatlichen Währung nur dann plausibel, wenn Geld und eine Geldwirtschaft erstmals eingeführt werden. Dieser Fall erscheint aber aus evolutionärer Perspektive schwer vorstellbar. Selbst wenn so etwas möglich wäre, dürften sich die Gründe für die Akzeptanz der Währung im Laufe der Zeit verlagern, wie nachfolgend dargestellt.

Übergang zum staatlichen Geldsystem

Lässt man die Möglichkeit nichtstaatlichen Geldes zu, wird es durch staatliches Geld in dem Augenblick ersetzt, in dem sich Staaten als Handlungseinheit etablieren.

Solange die Bevölkerung ausschließlich aus mehr oder weniger arbeitsteilig arbeitenden Produzenten besteht, die über den Gelderwerb ihre gegenseitige materielle Versorgung gewährleisten, besteht kein Anlass für ein staatliches Geldsystem. Dieses wird erst dann erforderlich, wenn mit Priesterschaft, Verwaltung und Militär ein zunehmender Teil der Bevölkerung materiell unproduktiv wird und dennoch versorgt werden muss.

Führt der Staat staatliches Monopolgeld in einer arbeitsteilig wirtschaftenden Gesellschaft ein, besteht ein unmittelbar eigennütziges Bedürfnis der Bürger für die Nutzung der staatlichen Währung, weil ein Überleben ohne Geld in der arbeitsteiligen Gesellschaft längst – heutzutage evident – unmöglich geworden ist.

Der Staat ist die einzige Institution, die in der Lage ist, qua Gesetz ein geschlossenes Geldsystem um die Staatsbürger herum zu errichten, ja sie darin einzuschließen. Nur der Staat kann ein Geldsystem errichten, das den Grundsätzen der Universalität sowie des Herstellungs- und Ausübungsmonopols genügt. Private zentralisierte Geldsysteme, die auf freiwilliger Nutzung beruhen, sind demgegenüber als stabile Systeme kaum vorstellbar. 

Nachdem der Franc CFA die einzige noch zur Verfügung stehende Währung war, musste er für das eigene materielle Überleben genutzt werden. Geldschulden konnten nur noch in dieser Währung eingegangen und erfüllt werden. Die Nutzung der staatlichen Währung erfolgt damit in erster Linie aus notwendigem Eigennutz. Steuern kann man zu vermeiden oder zu hinterziehen versuchen – der Überlebensnotwendigkeit entkommt man nicht.

Selbstverständlich ist für die Nutzung der Währung das Vertrauen aller anderer in das Geldsystem wichtig. Dass der Überlebenswille die Menschen angesichts der unentrinnbaren Geschlossenheit des Geldsystems zur Akzeptanz der Währung zwingt, erscheint als Grund für die Erwartung der Akzeptanz aller anderen plausibler als das Motiv der Angst vor zukünftiger Strafe bei fehlender Fähigkeit zur Steuerzahlung.

Dass Menschen für Geld über Leichen gehen, verdeutlicht die existentielle Dimension von Geld in arbeitsteiligen Gesellschaften. Sie tun es in den seltensten Fällen um Steuern zu zahlen. Doch wozu dienen Steuern, wenn nicht dazu, für die Akzeptanz der Währung zu sorgen?

Der Staat schöpft über Steuern Kaufkraft ab, um im produzierenden Sektor einen Produktionsüberschuss bezogen auf dessen Kaufkraft sicherzustellen. Der Abstand zwischen Produktion und Kaufkraft sichert den für die Versorgungsausgaben des Staates notwendigen materiellen Spielraum.

Wenn heutzutage von "fiscal space" als "Budgetspielraum" gesprochen wird, ist damit gemeint, es bestehe dank ausreichender Steuereinnahmen genug staatliche Kaufkraft, um bestimmte gewünschte Ausgaben zu tätigen. Tatsächlich bedeutet fiscal space, dass genug reale Güter und Dienstleistungen für die Bedürfnisse des Staates – seien sie konsumtiver oder investiver Art – zur Verfügung stehen, weil konkurrierende private Kaufkraft durch Steuern abgeschöpft wurde. Steuern verhindern die Verdrängung des öffentlichen Interesses durch den privaten Verbrauch der dafür erforderlichen Ressourcen.

Steuern sichern die tatsächliche, nicht die finanzielle Gestaltungsmacht des Staates. Nicht die eigene Kaufkraft ist für den Staat als Geldmonopolist das Problem, sondernzu hohe konkurrierende Kaufkraft des Privatsektors (sowie aus zu großer Konkurrenz erwachsender Kaufkraftverfall der Währung). Staatliches Geld mit der in ihm verkörperten Kaufkraft ist Anspruch auf Ressourcen und damit hergestellte Produkte und Dienstleistungen.

Proxy des Anspruchs auf Ressourcen ist der Anspruch auf Energie. Steht zukünftig weniger Energie zur Verfügung, sodass der private Verbrauch zurückgedrängt werden muss, liegt die stärkere Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen als Proxy für unangemessen hohen Energieverbrauch weitaus näher als eine Erhöhung der Verbrauchssteuern, mit denen untere Einkommen überproportional belastet werden und die bei höheren Einkommen und Vermögen ohne Wirkung bleiben.

Bill Gates zahlt nach eigenen Angaben jährlich 10 Millionen Dollar als Ausgleich für seinen Carbon Footprint (ob an eine eigene Firma, die sich auf diese Form modernen Ablasshandels spezialisiert hat, ist unbekannt). Wäre es nicht effektiver, er hätte gar nicht erst die Möglichkeit, die Umwelt durch gigantischen Energieverbrauch zu Gunsten einer einzigen Person derart zu belasten?

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[1] Staatsanleihen stellen nur formal eine Verschuldung dar, jedoch nicht materiell. Vielmehr stellen Regierung und Zentralbank den Mitgliedern des Bieterkonsortiums die Reserven für den jeweiligen Staatsanleihekredit erst zur Verfügung.  Die Regierung “finanziert” das Bieterkonsortium, nicht umgekehrt.
[2] Wer möchte, rechnet nach, wie viele Tauschverhältnisse auf einem Markt mit nur 10 Produkten möglich sind und wie unter derartigen Voraussetzungen ein konsistentes Tauschwertverhältnis aller Produkte zueinander entstehen soll, wenn jedes Produkt zugleich Gebrauchswert und potenzieller Tauschwert ist. Erst durch das Geld als universell skalierbaren Tauschwert werden die Produkte als Gebrauchswerte fixiert und als solche in eine konsistente Wertordnung zueinander gebracht.