Mit dem Smartphone in die Kreislaufwirtschaft
Auf eine bittere Medizin folgen in Ulrike Herrmanns neuem Buch die Bonbons eines gelingenden Lebens in der Post-Planungskriegswirtschaft. Das geht, weil Das Ende des Kapitalismus in politökonomischer Hinsicht eine Leerstelle ist.
Das Ende des Kapitalismus – so groß wie der Titel waren auch die Erwartungen an das im September erschienene neue Buch von Ulrike Hermann. Die gedankenreiche und eloquente Journalistin hat es mit der Zentralthese, das Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar und eine knallharte Mengenrationierung angesagt seien, auf Platz 1 der Spiegel-Beststellerliste geschafft. Auch dank intensiver Werbung des Verlages und häufiger Medienpräsenz.
Klimaschutz und Kapitalismus seien nicht vereinbar, weil letzterer auf ständiges Wachstum angewiesen und grünes Wachstum eine Illusion sei, weil der Ökostrom nicht ausreicht, so Herrmann schon in der Einleitung des Buchs. Zum geordneten Rückbau biete sich die britische Kriegswirtschaft als gut funktionierende Planwirtschaft ab 1939 an. Das sind kernige Thesen.
Wachstum und BIP: Unfruchtbare Diskussionen
Das Kapitel zur spannenden Frage, warum der Kapitalismus zwangsläufig wachsen muss, ist recht kurz: Ohne Kredite keine kapitalistische Produktion, deren Rückzahlung Wachstum erfordert.[1] Hingegen schafften – übers Knie gebrochen – ökologische Landwirtschaft und Wiederaufforstung zwar Arbeitsplätze, aber mangels „kapitalistischem Mehrwert“ würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfen.
Dem BIP werden knapp zwei Seiten gewidmet (S. 95-96). Zwar habe es seine Schwächen, eigne sich aber doch als Maßzahl für Wachstum, auch im Kontext der Klimafrage. Doch das eben ist strittig. Im Unterschied zum Wachstum eines Baumes ist das BIP an sich und insbesondere im Zusammenhang mit der Klimafrage wenig hilfreich, da es zu abstrakten, unfruchtbaren Diskussionen verleitet.
Im BIP werden Preis x Menge zusammengewürfelt, was eigentlich nicht addierbar ist (Friseurin, Automechaniker, Pflegetätigkeit), zumindest wenig aussagekräftig im Klimakontext. Rechnet man die defensiven Ausgaben heraus (Militär, Autounfall) sinkt es, rechnet man unbezahlte Haus- und Sorgearbeit rein, explodiert es. Entscheidend aber ist die Frage: Wie viele Emissionen und welchen Ressourcenverbrauch an Metallen usw. können wir uns im Weltmaßstab (noch) leisten? Konkrete Materialbilanzen wären hier gefragt, auf deren Bedeutung aber erst in Kapitel 15 kursorisch hingewiesen wird.
Doch halt. Kapitel 8 geht genau auf den Preis des Wohlstands und die Zerstörung der Welt ein. Hermann führt wesentliche Anzeichen der Zerstörung inklusive Kippunkte auf, betritt allerdings auch unnötige Seitenpfade (der überflutete Kölner Dom im „Spiegel“), und transportiert verwirrende Botschaften (Keine Angst vor dem Meeresspiegelanstieg versus wenige Kippunkte reichen, um uns in ein völlig anderes Klima zu katapultieren).
Kann klimaneutrales Leben auch schön sein?
Die Schwäche des kurzen Kapitels besteht darin, dass die Autorin nicht sagt, was konkret daraus folgt und keine Hausnummern nennt – etwa, wie viel Restbudget Deutschland, Europa und der Rest der Welt denn nun haben, um den für notwendig erachteten Reformpfad zu betreten. Für ihren doch recht rabiaten britischen Kriegswirtschaftsvorschlag hätte sie – mittlerweile offizielle – Schützenhilfe einholen können. Etwa vom Umweltbundesamt:
„Klimaverträglich wäre ein weltweiter Pro-Kopf-Ausstoß von unter 1 Tonne CO2e (…). Für den Treibhausgasausstoß pro Person in Deutschland ist eine Minderung in Höhe von rund 95 Prozent gegenüber dem heutigen Stand notwendig.“
Bei Herrmann wird anstelle hilfreicher Fachliteratur zum Beispiel auf den jüngsten IPCC-Bericht verwiesen. Aber erst ab Seite 210 wird es konkreter: „Fast 75% der Materialien müssten also eingespart werden“, „sämtliche Flughäfen wären zu schließen“. Später muss die „Wirtschaftsleistung“ um mindestens 30% schrumpfen.
Solche extremen Zahlen sollen aber nicht das Ende aller Tage sein, beschwichtigt Hermann. Man müsse nicht befürchten, wieder in Höhlen zu leben, denn Wachstumskritiker hätten gezeigt, dass klimaneutrales Leben auch schön sein kann. Der Leser wird in ein Wechselbad der Gefühle getaucht, wenn es an späteren Stellen dann heißt: „Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg“.
Der zweite Teil des Buches versucht auf rund 70 Seiten recht trocken und mit vielen Details zu belegen, dass selbst mittel- und langfristig der Umschwung auf „regenerative“ Energien und Ökostrom auf dem heutigen Niveau des Verbrauchs unmöglich ist. Der Rezensent stimmt der Verfasserin hier intuitiv zu, maßt sich aber nicht an zu behaupten, die vielen ins Spiel kommenden technischen Details kompetent beurteilen zu können.
Es spricht einerseits für Hermann, dass sie den Zweckoptimismus der von finanziellen Zuwendungen des Staates abhängigen Forschungsinstituten und drittmittelorientierten (Klima)Wissenschaftlern kritisiert. Sie dekliniert den Schrumpfungsimperativ trefflich anhand vieler Sektoren durch und trifft mit ihrer Kritik an Atomkraft, Abscheidungstechnologien und den Problemen der Speicherung bei den Regenerativen einen wunden Punkt, was sich mit selten beachteter Fachliteratur näher belegen ließe.[2]
Andererseits mag die Reaktion der Lesenden sein: Die aufgeführten Details sind mir zu kompliziert. Weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen, etwa der Hinweis darauf, dass allein die Umstellung des einen Stahlwerks von ThyssenKrupp in Duisburg bei Umstellung auf Grünstrom über 3000 riesige Windräder benötigen würde.
Ins Stahlbad der Schrumpfung
Ein Problem ihrer Darstellung besteht darin, dass Kostenaspekte, Material- und Flächenintensitätsaspekte, politische Durchsetzungs- und Akzeptanzaspekte und technische objektive, absolute Grenzen und apodiktische Aussagen („Deutschland kann nur dann klimaneutral werden, wenn es seinen Ökostrom zu Hause produziert“) durcheinandergewürfelt werden. Die Autorin ist sich ihrer Urteile sicher, obwohl sie später anerkennt, dass es keine genauen Prognosen geben kann, „denn die Zukunft kennt keiner“ und die üblichen Szenarien seien nicht falsifizierbar.
Im dritten Abschnitt des Buchs geht es ans grüne Schrumpfen. Herrmann ist zuzustimmen, dass zumindest breite Teile der Degrowth-Bewegung in voluntaristischer Einstellung den System- und „Wachstumszwang“ ausblenden, keinen konkreten Transformationspfad parat haben und bei einer radikalen Abbremsung Chaos und Massenarbeitslosigkeit droht.
Zwar sind die meisten Ökonomen ökomodernistisch eingestellt. Aber es herrscht sowohl in Politik als auch bei Klimaökonomen mehrheitlich nicht mehr unbedingt – wie von der Autorin nahegelegt – die Ansicht vor, alles über Steuern oder den Emissionshandel in einem Aufwasch „marktgläubig“ angehen zu wollen, was aber Tor und Tür für "grüne" Subventionen etwa zugunsten der Autokonzerne öffnet. Bevor wir in eine Kreislaufwirtschaft übergehen, müssen wir allerdings nach Hermanns Meinung durch das Stahlbad der Schrumpfung.
Als Vorbild dient die britische Kriegswirtschaft ab 1939, in der eine schnelle planwirtschaftlich gelenkte Umstellung der Produktion einschließlich Konsumverzicht gelang. Der Staat gab vor, was produziert wurde, aber die Unternehmen blieben im Privateigentum. Und es gab Lebensmittelmärkchen – gleiche Rationierung für Alle anstelle von unsozialen Preissignalen, daher seien die Programme so beliebt gewesen. Auf vielen Seiten werden historische Details in Erinnerung gerufen (liberale Politiker besuchten Hitler auf seinem Berghof), aber wie die Planwirtschaft im Einzelnen ablief und wie man sie sich heute in der Praxis vorstellen könnte, bleiben auf der Strecke.
Zwar solle die Regierung festlegen, wie viele Arbeitskräfte und Rohstoffe jeder Betrieb zugewiesen bekommt, Herrmann wendet sich aber gegen die Ökosozialisten wie Bruno Kern, die ein solches Rationierungsregime als Einzige bisher unerhört schon seit längerem vorschlagen.[3] Der gegen seinen Vorschlag gerichtete Punkt, eine breitflächige Enteignungswelle rufe Widerstand hervor, ist vordergründig. Bei Herrmann laufen nicht nur das Verbot und die drastischen Einschränkungen von Flügen, Autos, Hausbau, Chemieindustrie für die Unternehmen auf praktische Enteignungen hinaus. Überhaupt spielen bei ihr die Eigentumsverhältnisse, aber auch Fragen staatlicher Finanzierung ohne wachstumsabhängige Steuereinnahmen keine Rolle.
Ganz einfach: Der Kapitalismus wird untergehen
Auf die bittere Medizin folgen im Buch die Bonbons eines gelingenden Lebens in der Post-Planungskriegswirtschaft – mit Liebe, Freundschaft, Spiel, Sport, auch Smartphones (Sex fehlt) in einer gar nicht unangenehmen Kreislaufwirtschaft, deren Grenzen in anderem Zusammenhang (begrenzte Recyclingmöglichkeiten) im Buch angetippt werden. Fazit: Der Kapitalismus wird untergehen und eine neue Wirtschaftsordnung entstehen. Das wars.
Eine generelle Leerstelle ist das Buch in politökonomischer Hinsicht. Es wird allgemein über den Kapitalismus, das Wachstum oder viele technische Details geschrieben, aber Ross und Reiter, Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Finanzierungsfragen, vorliegende konkrete Wirtschaftsstrukturen, die teils unzulänglichen und doch gigantischen Pläne etwa der EU nur in oberflächlichen Fußnoten gestreift sowie mögliche Bataillone für den Wandel nirgendwo benannt. Völlig offen bleibt auch, auf welcher Ebene – national, europäisch oder international – die kommende Kriegswirtschaft umgesetzt werden müsste, um nicht ihrerseits alsbald kläglich zu scheitern.
Man kann Herrmanns Vorschlag der Kriegsplanwirtschaft, die auch der Rezensent leider für unabdingbar hält, für einen auf Breitenwirkung angelegten Clou halten. Angesichts der im Buch nicht ausgeführten Skizzierung könnte dieser aber auch zum – und sei es unbewussten – Gefühl verleiten: dann besser nicht.
Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. 352 Seiten, 24 €.
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