Klimawandel

Resignation vermeiden, aber den Tatsachen ins Auge sehen

| 26. September 2023
IMAGO / Chris Emil Janßen

Konzepte und denkbare Maßnahmen gegen den Klimawandel fehlen nicht. Technisch und ökonomisch ließe sich zumindest die Eskalation von Krisen abwenden. Allein: Es ist politisch nicht möglich.

Das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens kann nicht eingehalten werden – nicht global, nicht in Deutschland, in Europa oder den USA. Aber auch bei zwei Grad wird die Erwärmung wohl nicht gestoppt werden können. Bestimmte Kippelemente könnten aktiviert werden, beispielsweise das Abschmelzen des Grönlandeises oder die Veränderung des Golfstromes und anderer Meeresströmungen. Die Literatur ist umfassend und leicht zugänglich; Gegendarstellungen wurden von Fachwissenschaftlern aus meiner Sicht überzeugend widerlegt.

Der beginnende und sich in den nächsten Jahrzehnten verstärkende Klimawandel steht in Wechselwirkung mit anderen Krisen wie dem dramatischen Verlust von Biodiversität, Verschmutzung der Meere und des Bodens mit Plastik und anderen Schadstoffen und den sozialen Folgewirkungen: Armut, Hunger, stark wachsenden Flüchtlingsströmen, Klimakriegen[1], Bürgerkrieg – um nur einige zu nennen. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Krisen verstärken sich gegenseitig und werden die Lebensbedingungen der menschlichen Zivilisation bis an existenzielle Grenzen belasten.

Die Generationen der heute über 60-Jährigen wird nur die ersten, zum Teil noch ertragbaren, Wirkungen spüren. Die Generation der heute 35- bis 60-Jährigen wird viel schwerere Folgen ertragen müssen und die noch Jüngeren und die noch nicht Geborenen werden in einer Welt aufwachsen, die mit der heutigen Wohlstandsökonomie kaum noch vergleichbar sein dürfte. Dies alles ist vielfach nachlesbar und soll hier nicht ausbuchstabiert werden. Mir geht es darum, wie man heute unter den gegebenen Bedingungen handeln sollte.

Konzepte und denkbare Maßnahmen fehlen nicht. Es spricht vieles dafür, dass es technisch und auch ökonomisch noch möglich wäre, diese Krisen zwar nicht gänzlich abzuwenden, aber doch ihre Eskalation. Aber die Tatsachen der letzten Jahre, eigentlich der letzten drei Jahrzehnte, zeigen: Es ist politisch nicht möglich. Nicht, weil die Politiker allesamt zu dumm oder zu egoistisch wären. Sondern weil die Funktionsweise des politischen Systems dazu zwingt, Mehrheiten gegeneinander zu sammeln, um Wahlen zu gewinnen oder wenigstens nicht zu verlieren. Weil man sonst aus dem politischen Wettbewerbssystem herausfällt oder einflusslos bleibt. Der Verlust von Stimmen wegen schlechter Nachrichten ist für Politiker und die politische Klasse gefährlicher als die Inkaufnahme von Wirkungen, die erst eintreten, wenn man schon lange nicht mehr im Amt ist.

Verlust des Grundkonsens

Damit soll keiner Öko-Diktatur das Wort geredet werden. Es geht vielmehr um den Verlust des Grundkonsens. Politischer Wettbewerb ohne Grundkonsens – bei den Regeln und auch inhaltlich – führt zur Polarisierung.

Der Grundkonsens der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus bestand nicht nur hinsichtlich der Spielregeln des politischen Systems, sondern auch in den zentralen Inhalten der wirtschaftlichen und sozialökonomischen Entwicklung: Wohlstand für alle durch Kopplung von Produktivität, Löhnen und Massenkonsum, ergänzt durch den Sozialstaat und Umverteilung. Bessere Wohnungen, Mobilität, Infrastruktur. Es war ein inhaltlich begründeter Klassenkompromiss und auch, aber nicht nur, ein Regelkonsens.

Dieser Grundkonsens ist zuerst in den USA entstanden, und zwar durch die Kombination von New Deal und dem Kriegseintritt der USA.[2] Das eigentliche Wunder bestand darin, dass mit dem Kriegseintritt die Löhne und der Massenkonsum stiegen. Nicht ein „Gürtel enger schnallen“ im Krieg war angesagt, vielmehr konnte die seit der Weltwirtschaftskrise 1929 anhaltende lange Depression überwunden werden durch die kreditfinanzierte Kriegswirtschaft und das beginnende fordistische Regime wirtschaftlicher Entwicklung[3] mit Massenproduktion und Massenkonsum. Der in der Depression 1929 bis 1936 entstandene Lohnrückstand wurde schnell aufgeholt.

Die Erhaltung dieser Rückkopplung von Löhnen und Massenkonsum auch nach Kriegsende und die Übertragung des Modells auf Westeuropa, Japan und später mit Abstrichen auch auf andere asiatische Länder verhinderte eine erneute Rezession, induzierte vielmehr ein „Wirtschaftswunder“ in den USA, in Italien, Deutschland oder in Japan. Ich nenne dieses Modell „Teilhabekapitalismus“, weil es die Verteilung der Produktivitätsgewinne zwischen Lohnarbeitern und Bevölkerungsmehrheit einerseits und den Unternehmen andererseits zu weitgehend gleichen Anteilen bedeutete und auf dem gemeinsamen Interesse aller Klassen an steigenden Löhnen, steigenden Sozial- und Staatsausgaben und steigenden Profiten (nicht steigender Profitrate) beruhte – auf der Grundlage steigender Produktivität und innovationsbasierter wirtschaftlicher Entwicklung.

Diese Erfolgsgeschichte war die Grundlage des politischen und kulturellen Konsens der modernen Nachkriegsgesellschaften. Nur relativ kleine Gruppen waren ausgeschlossen oder schlossen sich selbst aus.

Der institutionalisierte Grundkonsens, seine Funktionsweise und seine Umsetzung, setzte eine in gewisser Weise bonapartistisch abgehobene Staatsklasse (politische Klasse plus Bürokratie) voraus, die von dem bornierten Interesse der Kapitalfraktionen und der einzelnen Kapitalisten unabhängig war und so das allgemeine Kapitalinteresse identisch setzte mit dem Allgemeinen Interesse. Nicht zufällig erscheint aus heutiger Sicht gerade Roosevelt zuweilen als mehr oder weniger autoritär: Er war nicht der Vertreter bornierter Gruppeninteressen, nicht der Kopf einer besonderen sozialen Klasse oder Schicht und auch nicht Inkarnation bloß ausgleichender Kompromisse zwischen den Kapitalfraktionen. Er erschien als Symbol des Allgemeinen Interesses über den Gruppeninteressen.

Dieses Regime wirtschaftlicher Entwicklung und der darauf aufbauende politische Grundkonsens zerbrachen in den 1970er Jahren, weil die Funktionsbedingungen des Teilhabekapitalismus schwanden und dann nach und nach auch die tragenden Institutionen zerbrachen: Bretton Woods, die produktivitätsorientierte Lohnpolitik, der Aufstieg der unteren Einkommensklassen. Auch der noch erfolgreiche Sozialstaat geriet unter Druck und wurde fragmentiert.

Ein neues, wieder funktionsfähiges Regime wirtschaftlicher Entwicklung, Ökokapitalismus vielleicht als Erhaltung und Erweiterung des Teilhabekapitalismus um eine ökologische Komponente, kam nicht zustande. Es hätte die Ausweitung der Gemeingüterproduktion um die Reproduktion und Entwicklung der Naturressourcen global einschließen müssen und auf dieser Grundlage die Entwicklung des Teilhabekapitalismus auf höherer Stufe fortsetzen können.

Stattdessen zerbrach der Klassenkompromiss und es entstand über mehrere Schritte der Finanzmarktkapitalismus, der auf der Dominanz nicht des Kapitals, sondern einer Kapitalfraktion, der Kapitalanleger beruht. Sie sind nicht die Inkarnation des allgemeinen Interesses, sondern eine bornierte Gruppe mit Sonderinteressen, zudem in der Regel kurzsichtig und uneinsichtig.[4] Die politische Klasse und die Staatsbürokratie, die im Teilhabekapitalismus den Klassenkompromiss mittels Interessenausgleich moderiert und gesichert hatten, wurde zum Vasallen der Kapitalmärkte. Der Grundkonsens verschwand, das Allgemeininteresse hatte keinen Träger mehr und fand systematisch keinen kohärenten Ausdruck; es musste simuliert werden, vor allem mit den Feindbildern des kalten Kriegs und den Märchen über zu hohe Löhne, zu hohe Sozialausgaben und die Inflationsgefahr.

Der Verlust des Grundkonsens und die Unmöglichkeit, auf der Basis des Finanzmarktkapitalismus einen neuen Klassenkompromiss zu bilden – das sind die Ursachen dafür, dass ökologische Umbauprogramme politisch nicht funktionieren: Es gibt immer mindestens eine (oft mehrere) hinreichend starke soziale und politisch organisierte Klasse, Schicht oder Gruppe, die genügend Macht hat, derartige Strategien und Maßnahmen zu blockieren und egoistische Sonderinteressen verbrämt als Allgemeininteresse durchzusetzen.

Eine unabhängige politische Staatsklasse müsste sich davon befreien, wie seinerzeit im New Deal. Auch damals stand es auf der Kippe.

„Ist die Menschheit noch zu retten?“

In einer sozioökonomischen und ökologischen Depressionslage muss man nicht auch psychisch depressiv werden. Dazu wären weitere Einflüsse nötig: Veranlagung und Hormone, persönliche Niederlagen, mangelnde Hilfe. In Bewegung bleiben ist nicht immer (aber oft) ein geeignetes Mittel gegen psychische Depressionen oder ein möglicher Weg aus der Depression.

Sehen wir uns denkbare Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit der sozioökonomisch-ökologischen Krise an. Dabei vermeiden wir unrealistischen Zweckoptimismus. Wir wollen uns nicht länger in die Tasche lügen.

In einem Vortrag auf einem Treffen der Letzten Generation rekapituliert der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber zunächst den aktuellen Stand des Klimawandels. Er stellt fest, dass die derzeitige Erwärmung bei 1,2 Grad liegt und die 1,5 Grad bald überschritten werden. Die offene Frage ist, ob Kippelemente ausgelöst werden. Denn dann würde sich Erwärmung beschleunigen, was wiederum die Auslösung weiterer Kippelemente wahrscheinlicher machte. Aktuell, so Schellnhuber, sei das Verhindern von großräumigen disruptiven Ereignissen wichtig.  

Wann würde die Erde unbewohnbar im physiologischen Sinne? Wenn die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit so hoch sind, dass man sich im Freien nicht mehr aufhalten kann. Das wird in einigen Regionen bald eintreten. Wir erwarten 2,7 Grad Erwärmung im Jahr 2100. Das müssen wir erwarten, wenn alle Maßnahmen, die jetzt schon beschlossen sind, umgesetzt würden. (Man muss aber damit rechnen, dass weniger umgesetzt werden, zum Beispiel wegen des Ukraine-Kriegs, und die Erwärmung eher noch höher sein könnte.) Etwa ein Drittel der Menschen würde dann aus ihrer Lebensnische herausgeschlagen werden. 2,5 Milliarden Menschen müssten migrieren, nicht auf einmal, aber nach und nach.

1,5 Grad werden wir nicht erreichen, 2 Grad erwarten wir in etwa 30 Jahren. Für das Jahr 2100 ist mit 2,7 bis 3 Grad zu rechnen, 2200 mit 4 Grad, wenn die derzeitigen Maßnahmen umgesetzt werden und nichts weiter hinzukommt, es aber auch keine Abstriche gibt.

Schellnhuber unterbreitet einen Vorschlag, wie wir die Welt tatsächlich noch retten könnten.

Die aktuell entscheidende Frage in der klimawissenschaftlichen Diskussion: „Können wir uns, nachdem 2050 die 2 Grad überschritten sind, wieder zurückarbeiten auf 1 Grad, was wir für ein relativ sicheres Niveau halten würden.“ Das würde erfordern, dass die Exkursion über die 2 Grad so flach und so kurz wie möglich gehalten würde.

Das ist nur über negative Emissionen möglich. Geoengineering hält Schellnhuber wegen der damit verbundenen Risiken nicht für geeignet. Ein möglicher Weg wäre Aufforstung und Nutzung von Holz im Bauwesen. Rohstoffe aus geernteter Biomasse wären ein umfangreicher Kohlenstoffspeicher. Das Holz und somit der darin gebundene Kohlenstoff könnten durch mehrfache Nutzung der Bauelemente beispielsweise 500 Jahre im System bleiben. Durch diesen Kohlenstoffspeicher könnte man die Atmosphäre auf natürliche Weise heilen.  

Schellnhuber hält eine solche Bauwende für die einzig gangbare Lösung, die mineralisch gebaute technische Umwelt in eine organisch gebaute Umwelt umzuwandeln. Der für das Klima gefährlichste Baustoff ist Beton.

Der Vorschlag, den Schellnhuber unterbreitet, ist aus seiner naturwissenschaftlich-technischen Sicht machbar und scheint zumindest auf den ersten Blick auch wirtschaftlich realisierbar. Man kann den Ersatz bestehender Bauten und den Neubau schrittweise auf Holz umstellen, und zwar in dem Maße, indem aus den wachsenden Fortbeständen entsprechender Rohstoff geerntet werden kann. Das ist sinnvoll, wenn man zugleich die Verbrennung von Holz einschränkt: Der Kohlenstoff soll in hohen Anteilen gebunden bleiben.

Zusätzliche Investitionen sind vor allem für die Aufforstung und die Baustoffindustrie erforderlich sowie für die Forschung und Entwicklung im Bauwesen. Vorlauf dazu gibt es bereits.

Ist eine solche transformative Bauwende politisch möglich? Dazu gehörte neben der Aufforstung bestehender und für die Landwirtschaft ungeeigneter Flächen die „schöpferische Zerstörung“ der auf Beton und anderen mit CO2-Emissionen verbundenen Baustoffen basierten Bauwirtschaft, der Auf- und Ausbau einer neuen Bauwirtschaft sowie die ökologische Sanierung vieler Bestandsgebäude.

Eine solche Bauwende würde viele Interessengruppen tangieren: die Land- und Forstwirte, die Bauwirtschaft, die Rohstoffindustrie, die Hausbesitzer und -verwalter, die Wohnungsunternehmen und auch viele Mieter. In allen diesen Gruppen wird es Innovatoren geben, die eine solche Transformation unterstützen – auch, weil sie sich dadurch neue Geschäftsfelder erhoffen. Aber es wird auch viele geben, die sich dagegenstellen, weil sie befürchten, dass bisherige Kapitalanlagen entwertet werden oder zusätzliche Kosten auf sie zukommen.

Die mehrheitliche Zustimmung zu einer derartigen Transformation – als Grundlage für eine politische Umsetzung – erscheint aus heutiger Sicht kaum denkbar. Das zeigt nicht zuletzt die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz 2024 von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Wir leben in einer gesellschaftlichen und politischen Konstellation, in der es in Umfragen zwar eine Mehrheit für Klimamaßnahmen und Ökologie gibt; diese schwindet aber, wenn bestehende Interessen und vermeintliche Besitzstände tangiert sind.

Ohne einen gesellschaftlichen Grundkonsens für eine sozialökonomische und ökologische Transformation wird das kaum möglich sein. Und es müsste die Einsicht gelten, die der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze äußerte:

„Wir dürfen nicht zimperlich sein. Ich bin kein Revolutionär, aber ich bin für eine sehr aggressive Politik der Mehrheitsbildung im Interesse des Wandels. Die These, dass wir alle mitnehmen müssen, ist absurd und undemokratisch."

Der Druck durch Flüchtlingsströme, wachsende Klimaprobleme, Versorgungsengpässe und womöglich stagnierende oder sinkende Einkommen, wachsende Ungleichheit und die zunehmende Aggressivität im gesellschaftlich-politischen Klima werden es umso schwieriger machen, Mehrheiten für so weitreichende Veränderungen zu gewinnen.

Den zweite Teil des Artikels können Sie hier lesen:

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[1] Vgl.: Welzer, Harald (2010). Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Fischer E-Books.
[2] Michael Brie macht darauf aufmerksam, wie voraussetzungsvoll das Gelingen des New Deal war: „Erst der Übergang zur Kriegswirtschaft in den USA vollzog den Durchbruch zu einem neuen Akkumulationsregime und einer neuen Regulationsweise. Offen ist, ob und wie er sich sonst vollzogen hätte und in welcher Weise. Wer vom New Deal in den USA redet, darf die Erfahrungen der Kriegswirtschaft nicht ausklammern, die die vorher formulierten Ansätze erst verallgemeinert haben. Zugleich, und dies markiert die Grenzen des New Deal, setzten sich im Krieg genau jene Kräfte durch, die Franklin Roosevelt und die New Dealer so hart bekämpft hatten. Im Krieg wurden den konservativen, ja reaktionären Kräften umfassende Zugeständnisse gemacht, nicht zuletzt im Verhältnis zu den schwarzen Bürgerinnen und Bürgern der USA.“ Brie, Michael (2021): Transformation heißt, das Ganze wagen: ökonomische Mobilisierung im Kampf gegen den Faschismus. USA 1940-1945: eine Flugschrift. Hamburg: VSA-Verlag, S. 10.
[3] Vgl. Busch, Ulrich; Land, Rainer (2013): Teilhabekapitalismus: Aufstieg und Niedergang eines Regimes wirtschaftlicher Entwicklung am Fall Deutschland 1950 bis 2010. Ein Arbeitsbuch. Norderstedt: Books on Demand. Und: Land, Rainer (2017): Kapitalismus reloaded. Regime wirtschaftlicher Entwicklung im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert.
[4] Vgl. Schulmeister, Stephan (2018): Der Weg zur Prosperität. 2. Auflage. Salzburg: Ecowin. Er zeigt, dass die aus den Finanzmärkten stammenden Preissignale kurz- und mittelfristig keine sinnvollen Reproduktions- und Entwicklungsstrategien ermöglichen, sondern praktisch zu permanenten Fehlallokationen führen.