Schattenbanken – ein systemisches Risiko für globale Finanzmärkte
Der Schattenbankensektor wächst rasant – und damit die Verschuldung. Warum das ein kritisches Risiko für das Finanzsystem ist.
Ein Gedankenexperiment: Auf deutschen Autobahnen gelten ganz unterschiedliche Tempolimits, je nach Bauart der PKW. SUV-Fahrer sind so schnell unterwegs, wie sie wollen. Das Limit liegt theoretisch bei 220 km/h, aber ihre Geschwindigkeit wird selten kontrolliert. Wer aber in einem Kleinwagen sitzt, muss sich genau an ein Tempolimit halten – 80 km/h. Flächendeckend wird geblitzt, ein Teil der engeren Regulierung von Kleinwagen, die auch einmal im Halbjahr zum TÜV müssen.
Eine Geschichte aus Absurdistan? Oder eine Geschichte, die bildhaft reale Verhältnisse an den globalen Finanzmärkten spiegelt? Es geht um den Schattensektor im Bankwesen, der wächst und wächst – trotz aller Krisen und Katastrophen.
Die Akteure des Schattensektors werden als „Schattenbanken“ bezeichnet. Dazu gehören grundsätzlich Investment- und Geldmarktfonds, Hedge- und Private-Equity-Fonds sowie weitere Finanzunternehmen, die zwar bankenähnliche Dienstleistungen ausführen, jedoch keine Geldschöpfungslizenz besitzen und damit nicht unter das Bankenaufsichtsrecht fallen.
Der Sektor wächst
Auf diese Weise kommt es trotz der weltweiten Finanzkrise 2008/9 zu einer großen Verschiebung der Marktanteile, bei den Schattenbanken von 18,3 Prozent (2002) auf 32,1 Prozent (2023). Die regulierte Bankenwelt büßt immer mehr an Dominanz ein (Tab. 1). Offensichtlich ist das Angebot von Schattenbanken attraktiv, was durch einen Vergleich der Rahmenbedingungen deutlich wird. Dabei tritt auch der besondere Charakter von Schattenbanken ans Tageslicht (Tab. 2).
Hedgefonds gehören zum Schattensektor, klassische Investmentfonds zum konventionellen Bankensektor. Diese zwei Fondstypen charakterisieren wesentliche Eigenschaften der beiden Sektoren. Die Raisin Gruppe, ein Spezialist für Geldanlagen, beschreibt zunächst eine Gemeinsamkeit: In beiden Fonds ist ein Fondmanager aktiv tätig, verantwortlich für Kauf- und Verkauf der Wertpapiere, um hohe Renditen zu erreichen. Dabei hat der Hedgefonds-Manager größere Freiheiten, weil er auch gegen den Markt spekulieren kann.
Nun zu den gravierenden Unterschieden, die besonders die gesetzliche Kontrolle betreffen.
Interessant bei dieser Gegenüberstellung ist die Frage: Wer sind die SUV-Fahrer? Schnell wird deutlich, dass sie im Schattensektor Gas geben – weitgehend befreit von staatlicher Kontrolle. Natürlich hinken solche Vergleiche, sie zeigen aber, wie unterschiedlich die Jagd nach Rendite stattfindet. Hier die Hedgefonds auf der Überholspur, dort die klassischen Investmentfonds in ihren Kleinwagen – ohne Turbo.
Es geht um Billionenwerte
„Schattenbanken haben keinen guten Leumund. Und doch sind sie unter Bankern und Finanzmanagern beliebt“, schreibt Hermannus Pfeifer in der Frankfurter Rundschau. Sie würden „weitgehend unbehelligt durch amtliche Regeln“ in risikoreiche Finanzprodukte investieren. Zu diesem Finanzsystem im Schatten zählt Pfeifer: „Schwankungsanfällige Kryptowährungen und technikaffine Fin-Techs, aggressive ‚Heuschrecken‘-Hedgefonds, gewöhnliche Geldmarktfonds und vielerlei andere Arten von Nicht-Banken.“ Und immer geht es um Billionenwerte in Franken, Euro oder Dollar.
Finanzprodukte mit hohem Risiko versprechen hohe Renditen. Dabei ist ein Erfolg stark davon abhängig, wie sich die strategische Kompetenz des Fondsmanagers gestaltet. Zumal es ihm erlaubt ist, riskante Spekulationen am Finanzmarkt zu tätigen – mit dem Risiko eines Totalverlustes für die Anleger. Im Mittelpunkt solcher Aktivitäten steht bei Hedgefonds das „Hebeln“ (Leverage), was bedeutet: Im Gegensatz zu Banken dürfen Hedgefonds Kredite aufnehmen, um die Rendite enorm zu steigern. Solche Kredite wirken wie ein „Hebel“, daher der Namen für diese Geschäfte.
Zwei Beispiele demonstrieren eindrucksvoll, wie ein „Hebel“ bei Finanzprodukten funktioniert:
Im ersten Fall: Eine Anlage soll eine Rendite von zehn Prozent abwerfen. Das eingesetzte Kapital umfasst 1.000 Euro, wobei 50 Prozent als Eigenkapital und 50 Prozent als Fremdkapital aufgebracht werden. Dann beträgt der Gewinn 100 Euro. Der Zinssatz für die Kreditgeber beträgt zwei Prozent, was einer Zinseinnahme von zehn Euro entspricht. Also bleibt dem Eigenkapitalgeber ein Zinsgewinn von 90 Euro, was eine Eigenkapitalrendite von 18 Prozent bedeutet. Das wäre bereits sehr viel Geld, aber ein höherer Einsatz könnte den Gewinn erheblich steigern.
Im zweiten Fall: Bei derselben Geldanlage wird der Anteil des Fremdkapitals auf 800 Euro erhöht. Die Rendite ist wieder zehn Prozent, der Gewinn liegt erneut bei 100 Euro. Der Unterschied ist aber gewaltig: Zwar sind jetzt 16 Euro als Zinsen an den Kreditgeber zu zahlen, wodurch ein geringerer Gewinn von 84 Euro übrigbleibt. Aber: Die Eigenkapitelrendite erreicht eine astronomische Höhe, sie steigt auf 42 Prozent, weil ihre mathematische Basis das viel kleinere Eigenkapital von 200 Euro bildet.
Die ganze Operation kann nur Erfolg versprechen, wenn die Rendite höher als die Fremdkapitalkosten ausfällt. Die Gefahr dabei ist aber der große Anreiz, den Grad der Verschuldung nach oben zu treiben. Damit wächst das Risiko erheblich, besonders wenn mit dem Kreditgeber vereinbart wurde, das Fremdkapital vor dem Ende des Investments zurückzuzahlen. Außerdem können die Zinsen geringfügig variieren, die mit steigendem Verschuldungsgrad die Rentabilität des Eigenkapitals immer stärker negativ beeinflusst. Geht die Spekulation nicht auf, sind die Folgen verheerend, wie die Raisin Gruppe erklärt: „Kommt es zum negativen Hebeleffekt, muss die Kreditsumme plus Zinsen zurückgezahlt werden, was den Fonds mitsamt seinen Investoren in die Pleite führen kann.“
Hälfte des weltweiten Finanzvermögens
Die Risiken wiegen angesichts der Zahlen der Europäische Zentralbank zur Finanzwirtschaft in der Eurozone umso schwerer: Die Vermögenswerte der Schattenbanken sind von 2008 bis 2023 enorm gewachsen – um 135 Prozent auf 54 Billionen Euro. Das sind bereits 60 Prozent der gesamten Vermögenswerte, oder anders ausgedrückt: Es handelt sich um den dreifachen Betrag der jährlichen Wirtschaftsleistung in der Eurozone. Global betrachtet stehen die Schattenbanken für die Hälfte des weltweiten Finanzvermögens, etwa 218 Billionen Dollar.
Diese gewaltigen Zahlen dokumentieren das systemische Risiko, das vom Schattensektor ausgeht. Die nächste Finanzkrise könnte eine Kettenreaktion sein. Ein milliardenschwerer Hedgefonds verspekuliert sich – und büßt seine Liquidität ein. Die Hebel-Kredite hatte der Fonds aus dem konventionellen Bankensektor erhalten; bei seinen Gläubigern stehen jetzt faule Kredite in der Bilanz. Bald gehen erste Banken Bankrott, weil ihr Eigenkapital aufgezehrt wird. Daran leidet auch die Kreditvergabe an die Realwirtschaft – die große Krise ist da. Genau das befürchtet der Internationale Finanzstabilitätsrat (FSB), ein globaler Zusammenschluss aus Vertretern von Regierungen und Notenbanken. Er sieht zwei Gefahren für den Finanzmarkt:
- „Risiken könnten in Finanzmärkten auftreten und kritisch für die Funktionsweise des Finanzsystems und die reale Ökonomie sein.“
- „Es könnte auch Risiken geben durch geschäftliche Verbindungen, die zwischen Schattenbanken mit ihren Hebelgeschäften und systemrelevanten Finanzinstitutionen bestehen, die dem Schattensektor Kredite für das ‚Hebeln‘ zur Verfügung stellen.“
Daher schlägt im Sommer 2025 Andrew Bailey Alarm. Laut Handelsblatt sagt der Chef der britischen Zentralbank: „Die Zunahme von fremdfinanzierten Anlagestrategien, die Konsolidierung der Branche und die Konzentration auf einzelne Finanzmärkte sind besorgniserregend.“ Dieser Trend könne Kursschocks verstärken – und Staaten könnten gezwungen werden, „zum Schutz der Märkte und der Realwirtschaft“ zu intervenieren.
Bailey steht auch an der Spitze des FSB, der sich für eine strengere Regulierung des Schattensektors einsetzt. Die Größe von Hedgefonds, Versicherern und weiteren Schattenbanken sollte begrenzbar sein, und zwar durch die Aufsichtsbehörden der einzelnen Staaten. Der FSB fordert dasselbe, doch es sind nur Empfehlungen.
Noch existiert dieser Finanzsektor im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten, wenig ausgeleuchtet von der Finanzaufsicht. Und seine Dimensionen sind kaum bekannt.