2025 – das Schicksalsjahr des Exportismus?
Exportweltmeister ohne Zukunft? Deutschlands ökonomische Erfolgsformel verliert an Schlagkraft. Warum die vertraute Strategie ins Leere läuft – und was sich jetzt grundlegend ändern muss.
Keynesianisch inspirierte Beobachter der deutschen Ökonomie hadern seit Jahrzehnten mit der einseitigen Exportabhängigkeit. Trotzdem hat das bisher außerhalb keynesianischer Kreise wenig Eindruck gemacht. 2025 könnte nun aber das Jahr sein, wo sich daran etwas geändert hat. Zuletzt hat selbst EZB-Präsidentin Christine Lagarde festgestellt, dass das hiesige Wachstumsmodell nicht mehr taugt.
Für große Teile der deutschen Wirtschaft hat die Strategie des Exportismus über viele Jahrzehnte funktioniert. Insbesondere Eigenheiten des deutschen Lohnaushandlungssystems (mit seiner Fähigkeit zu koordinierter Zurückhaltung zur Kostendämpfung in Krisenzeiten), der Wegfall kompetitiver Währungsabwertungen nach der Einführung des Euros und die starke Nachfrage aus Exportmärkten wie China und den USA haben zu hohen Exportüberschüssen sowie relativ geringer Arbeitslosigkeit geführt.
Wettbewerbsfähigkeit steht in der deutschen Wirtschaftsdiskussion in der Regel für Kostenwettbewerbsfähigkeit. Seit mehreren Jahrzehnten dominiert dieses Paradigma die öffentliche Diskussion, besonders prominent in den Agenda-2010-Reformen kurz nach dem Millennium. Im Vordergrund steht traditionell die Beschränkung des Anstiegs von Lohn- und Lohnnebenkosten sowie der öffentlichen Ausgaben, insbesondere seit dem russischen Ukraine-Krieg auch jenes der Energiekosten, wie etwa beim jüngsten Rundumschlag des Verbands der Chemischen Industrie.
Die Nachteile der Fokussierung auf Kostenwettbewerbsfähigkeit sind allerdings ebenfalls hinreichend bekannt. Im Vordergrund steht insbesondere deren dämpfende Wirkung auf die Binnennachfrage. Hinzu kommen Spannungen mit den Regierungen jener Ökonomien, die diese Exportüberschüsse absorbieren müssen – die bis zur Wahl von US-Präsident Donald Trump allerdings weitgehend ignoriert wurden.
Trotz dieser Nachteile gab es kaum über lange Zeit keine nennenswerte Opposition gegen diese Strategie. Sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Gewerkschaftsseite dominierten die Exportsektoren über jene wie den Bausektor, der von einer Belebung der Binnennachfrage profitiert hätten. Die kulturell hegemoniale Ideologie der Wettbewerbsfähigkeit diente als gemeinsamer Nenner für eine Vielzahl von Sektoren, zumal ja auch in Binnensektoren – in kurzsichtiger einzelwirtschaftlicher Perspektive – niedrige Kosten ihre Vorzüge haben.
Ganz unabhängig von den aktuellen geoökonomischen Turbulenzen zeichnet sich allerdings ab, dass diese Strategie nun an ihr Ende kommt. Der Grund ist relativ einfach: China produziert qualitativ ähnliche Güter, zu Preisen, die auch mit den stärksten Maßnahmen zur Kostendämpfung nicht zu erreichen sind.
China stellt das deutsche Modell nachhaltig in Frage
Für die zukünftige Entwicklung des deutschen Exportmodells ist es von entscheidender Bedeutung, die zunehmende Präsenz chinesischer Produzenten in den deutschen Kernindustrien zu beobachten. Obwohl sich diese Entwicklung noch in einer frühen Phase befindet, ist es möglich, ihre möglichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu antizipieren.
In einer früheren wirtschaftlichen Entwicklungsphase war China insbesondere als Absatzmarkt für deutsche Exporte von Relevanz. Zu diesen zählten Maschinen für den Aufbau der Wirtschaft sowie Luxusautos für die Führungskräfte. Inzwischen haben sich die chinesischen Exporte von Sektoren wie Elektronik, Kleidung und Möbel, die für Deutschland nur eine geringe Bedeutung haben, in die Vorzeigesektoren der deutschen Industrie verschoben.
Diese Tendenz lässt sich nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch anhand der jeweiligen Anteile an Exporten in andere EU-Mitgliedsländer ablesen, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Jahre 2012 bis 2024 erhoben hat.
So ist der Anteil der deutschen Industrie bei den Kraftfahrzeugexporten in den letzten Jahren von 33 auf 29 Prozent gesunken, während der Anteil Chinas von 1 auf 4 Prozent gestiegen ist. Im Maschinenbau ist der deutsche Anteil von 30 auf 26 Prozent zurückgegangen, während der chinesische Anteil von 7 auf 10 Prozent gestiegen ist. Im Bereich der Chemie hat sich der deutsche Anteil von 22 auf 18 Prozent verringert, während der chinesische Anteil von 2 auf 6 Prozent erhöht wurde.
Der Marktanteil deutscher Unternehmen im Bereich der Autozulieferung ist zudem laut einer Erhebung von PwC signifikant gesunken und liegt nun global bei 23 Prozent – dem Niveau von 2005. Im Gegensatz dazu ist der Marktanteil chinesischer Hersteller deutlich gestiegen und liegt inzwischen bei 12 Prozent.
Diese Entwicklungen stehen noch am Anfang. Es ist aber davon auszugehen, dass China seine Marktanteile in den traditionellen Sektoren der deutschen Exportwirtschaft sukzessive weiter erhöht. Natürlich könnte sich die Europäische Union konsequent gegen chinesische Importe abschirmen, aber das ist nicht nur politisch unrealistisch – angesichts des Widerstandes der Exportsektoren, die mit chinesischen Gegenmaßnahmen rechnen müssten – sondern würde auch auf Drittmärkten nicht helfen, ganz abgesehen von den langfristig negativen Auswirkungen einer solchen defensiven Abschottungsstrategie.
Das schwedische Modell als Alternative
Das konventionelle deutsche Wirtschaftsmodell hat also nicht nur die bereits länger bekannten Nachteile im Bereich der Binnennachfrage, sondern wird in absehbarer Zeit auch durch den Aufstieg Chinas in den klassischen Exportsektoren grundlegend erschüttert. Die Lösung für diese Misere liegt in einer besseren Balance zwischen Binnen- und Exportnachfrage. Eine solche Ausbalancierung zugunsten einer Kombination von Binnennachfrage und Exporten ist insbesondere dann realisierbar, wenn der Exportsektor stärker auf einen Qualitätswettbewerb ausgerichtet wird, also weniger auf die Kostenwettbewerbsfähigkeit.
Eine solche Spezialisierung ist erst möglich, wenn die Volkswirtschaft sich auf besonders innovative Dienstleistungen und Güter fokussiert. Ein Beispiel hierfür ist Schweden, das in den letzten Jahrzehnten eine Reduktion des Gewichts der traditionellen Exportproduktionswirtschaft im Automobilbereich (zum Beispiel Saab, Volvo) und eine Expansion im Bereich IT (zum Beispiel Ericsson, Klarna, Spotify) verzeichnen konnte.
Exporte, die insbesondere durch hohe Qualität von Waren und Dienstleistungen überzeugen, können mit vergleichsweise hohen Löhnen und Staatsausgaben einhergehen. Eine Kompression der Binnennachfrage ist dann nicht erforderlich, sodass diese als zusätzlicher Antrieb für die Wirtschaft genutzt werden kann und sollte.
Selbstverständlich sind bei einer entsprechenden Balancierung der deutschen Wirtschaft auch Verlierer zu erwarten. Ein höheres Lohnniveau hätte einen deutlichen Rückgang der Profitabilität bei Exporten einfacher Güter ohne besondere Technologievorteile wie beispielsweise Fleisch und Wurst zur Folge. Dies hätte negative Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen, muss aber in Kauf genommen werden.
Dringender Handlungsbedarf bei Innovationen
Während die Maßnahmen zur Stimulierung der Binnennachfrage – höhere Löhne und staatliche Ausgaben – gut bekannt und vergleichsweise leicht umzusetzen sind, sieht das in Bezug auf die Reorientierung der Exportwirtschaft bei der Produktivität und dem Qualitätswettbewerb weniger positiv aus. Auch wenn einzelne Unternehmen und Sektoren hier gute Fortschritte machen, fallen viele andere zurück.
Diese Diagnose ergibt sich aus der Entwicklung sektorübergreifender Indikatoren. Die Arbeitsproduktivität in Deutschland hat sich zwischen 1990 und 2008 zwar positiv entwickelt, unter anderem aufgrund der Wiedervereinigung. Seit der globalen Finanzkrise stagniert sie jedoch weitgehend und erhöht damit den Anreiz, bei der Kostenwettbewerbsfähigkeit auf eine moderate Lohnentwicklung zu setzen. Diese Entwicklung ist nicht zufällig entstanden. Besonders auffällig sind die seit Jahren geringen Investitionen Deutschlands in Forschung und Innovation. Während diese in Deutschland stagnieren, verzeichnen China, Südkorea und die USA eine starke Steigerung. Der Anteil mittelständischer Unternehmen mit Innovationsaktivitäten ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.
Der Staat verfügt aber über verschiedene wirtschaftspolitische Optionen, um den Exportsektor auf höherwertige Dienstleistungen und Güter zu fokussieren sowie die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Insbesondere in der Industriepolitik bestehen Möglichkeiten, dies zu erreichen. So kann er beispielsweise die Anreize der Industrie für Investitionen in Forschung und Entwicklung über die aktuellen steuerlichen Maßnahmen hinaus noch deutlich weiter intensivieren. Ein stärkeres Engagement der öffentlichen Hand im Bereich der Risikokapitalfinanzierung ist ebenfalls notwendig, da ein entsprechender Sektor – auch nach längeren Bemühungen – bisher in Deutschland nicht entstanden ist, in Unterschied zu Ländern wie den USA, Großbritannien und Schweden.
Protektionismus als Lösung?
Wäre eine Abschottung der europäischen Ökonomie gegen die Konkurrenz aus Ostasien oder den USA eine Lösung? Auf Dauer nicht – das würde nur die Bequemlichkeit von deutschen Leitsektoren wie der Autoindustrie fördern, die schon in der Vergangenheit eher auf kurzfristige Profite (und Ausschüttungen an die Aktionäre) gesetzt hat, anstatt auf Investitionen in neue Technologien. Abgeschottet vom internationalen Wettbewerb hinter Zollmauern wären letztere noch weniger notwendig.
Trotzdem spricht nichts gegen einen temporären Schutz einzelner Industrien, insbesondere wenn es um die Etablierung neuer Technologien („infant industries“) oder um strategisch unabdingbare Vorprodukte geht. Wichtig ist allerdings, dass es hier nicht um einen allgemeinen Protektionismus geht, und dass die politischen Entscheidungen für den Schutz einzelner Industrien auf Basis breiten gesellschaftlichen Debatte gefällt werden. Historische Erfahrungen zeigen, dass die Fokussierung auf die Abschöpfung entsprechender Renten durch einzelne Unternehmen und Verbände eine wirtschaftliche Dynamik oftmals verringert haben. Unternehmen konzentrieren sich dann eher auf Lobbying, um ihre Märkte abzuschotten, als neue Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln.
In der Umstellungsphase wird es zudem vereinzelt nötig sein, auch die Transformation der Industrie in künftig nicht mehr wettbewerbsfähigen Sektoren zu unterstützen, insbesondere, wenn diese regional konzentriert sind. Vermieden werden sollte unbedingt auch eine weitere ökonomische Polarisierung in der EU, bei der die Wachstumsmodelle andere Mitgliedsstaaten mangels fiskalischer Mittel noch weiter abgehängt werden. Immerhin gehört der europäische Binnenmarkt zu den wenigen Stabilisatoren in dieser volatilen Situation.
Andere Schwerpunkte in der Wirtschaftspolitik
Langfristig wäre es zudem von entscheidender Bedeutung, die Ausgaben für die frühkindliche Bildung deutlich zu erhöhen. Nur so kann verhindert werden, dass weiterhin große Teile der Jugend den Bildungssektor ohne qualifizierten Abschluss verlassen und damit dauerhaft auf eine Tätigkeit im Niedriglohnsektor zusteuern. Zudem würde eine verlässliche Ausstattung mit Betreuungsplätzen vielen Menschen mit Sorgepflichten eine umfangreichere Berufstätigkeit ermöglichen.
Die aktuelle Bundesregierung hat bereits vereinzelt Maßnahmen in der hier skizzierten Richtung unternommen. Insgesamt ergibt sich jedoch die Notwendigkeit einer grundlegend anders ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Eine solche Politik sollte weder auf allgemeine Subventionen quer durch alle Branchen setzen – beispielsweise durch Steuerermäßigungen für Unternehmenserben oder Entlastungen beim Strompreis (den aktuellen Top-Subventionen) –, noch eine neue Debatte unter dem Stichwort der (Kosten-) Wettbewerbsfähigkeit befördern.
Menschen, die wegen einer solchen Debatte zunehmend Angst vor stagnierenden Reallöhnen, Arbeitslosigkeit oder Sozialkürzungen haben, halten ihr Geld zusammen und tätigen keine Einkäufe. Das hemmt nicht nur die Binnennachfrage, sondern führt auch zu einer weiteren Eskalation der gesellschaftlichen Spannungen zugunsten der Rechtspopulisten.