Makroskop
Debatte zur Wehrpflicht

„Es würde reichen, wenn es für jeden jungen Menschen im Land einen Dienst gäbe“

| 17. Dezember 2025
Ben, Lasse und Alex (v.l.n.r.)

Was denken junge Männer über die Wiedereinführung der Wehrpflicht? Mit drei von ihnen haben wir gesprochen.

Am 5. Dezember 2025 hat der Deutsche Bundestag ein neues Wehrdienst-Modernisierungsgesetz beschlossen, das den Wehrdienst in Deutschland grundlegend reformiert. Kernpunkt ist ein System, das offiziell auf Freiwilligkeit setzt, gleichzeitig aber verpflichtende Elemente aufnimmt: Alle 18-jährigen Männer müssen künftig einen Fragebogen zur Eignung und Bereitschaft für den Dienst bei der Bundeswehr ausfüllen und werden wieder gemustert – Frauen können freiwillig mitmachen.

Der Wehrdienst selbst bleibt vorerst freiwillig, doch sieht das Gesetz vor, dass bei anhaltender Rekrutierungsnot oder einer verschärften Sicherheitslage der Bundestag eine teilweise Wehrpflicht (Bedarfswehrpflicht) per zusätzlichem Gesetz aktivieren kann. Mit Blick auf Personalmangel in der Bundeswehr und neue sicherheitspolitische Herausforderungen will die Bundesregierung so die Streitkräfte personell stärken, was zu breiten gesellschaftlichen Debatten und Protesten junger Menschen geführt hat. Wir haben mit drei von Ihnen gesprochen.

 

Das neue Wehrdienstgesetz, dass die Musterung aller jungen Männer und zunächst weiterhin einen freiwilligen Wehrdienst vorsieht, wurde jetzt vom Bundestag beschlossen. Alex, Ben, Lasse, was haltet Ihr von der Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Ben: Momentan ist es ja nicht wirklich die Wiedereinführung, sondern nur die Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft Deutschlands. Und der Dienst an der Waffe ist ja auch nicht unbedingt Pflicht.

Alex: Wie sie das Ganze durchdrücken, ist irgendwie unehrlich: Wir sagen erst einmal, wir schicken euch diese Briefe raus, das ist eigentlich nur Einführung, also diese Briefe und die Musterung, dann das Ziel hochstecken, was eh nicht erreicht wird, was die auch selber wissen, nur um dann eine Rechtfertigung zu haben, danach zu sagen, okay, es hat ja nicht geklappt auf Freiwilligenbasis, jetzt müsst ihr eben gezwungen werden, dafür können wir ja nichts.

Also eine Salami-Taktik?

Alex: Ja, genau.

Lasse: Von Schwarz-Rot war gar nicht gewollt, dass wir darüber diskutieren. Stattdessen hat man unsere Stimmen gar nicht hören wollen und ins Gesetz reingeschrieben, dass, wenn wir nicht wollen, gezwungen werden! Die Regierung hat kommuniziert "Uns ist es scheißegal ob die jungen Leute wollen”. Die Wehrpflicht wird nicht von dem Wollen der jungen Männer abhängig gemacht, wenn wir nicht wollen, werden wir mit der Gewalt des Staates gezwungen. Dagegen gilt es sich zu organisieren und sich über die Gewalt des Staates aufzuklären und sich ihr zu widersetzen.

Was haltet Ihr denn nun von der Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Ben: Grundsätzlich halte ich schon etwas davon. Aber man kann die Frage nicht so pauschal beantworten. Man muss differenzieren.

Alex: Also zum jetzigen Zeitpunkt würde ich sagen, bin ich auf jeden Fall dagegen. Wehrdienst heißt, im Zweifelsfall geht es um Krieg und gegen Krieg ist ja eigentlich jeder.

Lasse: Ich setze mich seit 9 Jahren für Kinder und Jugendrechte ein, eines der wichtigsten ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wer uns gegen unseren Willen in Schützengräben zwingt, tritt dieses Recht mit Füßen.

Was spricht denn Deiner Meinung nach für das jetzige Gesetz, Ben?

Ben: Gerade in der jüngeren Generation fehlt es an Disziplin und an dem Gefühl, dass man einer Gemeinschaft angehört. Ich zum Beispiel engagiere mich hier am Ort für die Feuerwehr und helfe, wo ich kann, auch bei Festen. Und ich habe das gute Gefühl, Teil einer Gemeinschaft sein, die mich so hinnimmt, wie ich bin, und bestärkt, für die ich mich aber auch anstrengen muss. Und so eine Gemeinschaft ist ein wichtiger Teil des Werdens eines Menschen. Deswegen finde ich es ganz gut, wenn Leute dazu gezwungen bzw. stark motiviert werden, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten.

Ben Thomas ist 20 und studiert im Dualen Studium Maschinenbau. In seiner Freizeit macht er im Rahmen der Freiwilligen Feuerwehr eine Ausbildung zum Wehrführer.

Du empfindest die Ablehnung eines solchen Dienstes also als egoistisch?

Ben: Ja, das finde ich schon. Weil es in unserem Land viele Dinge gibt, die es wert sind zu verteidigen. Auch mit der Waffe. Man sollte sich vielleicht nicht darauf zurückziehen zu sagen „Ich bezahle meine Steuern, ich bin raus aus dem Schneider.“ Jeder weiß, dass das keine Gemeinschaft schafft.

Alex: Allgemein habe ich nicht unbedingt was dagegen, sich dem Staat zu verpflichten. Es ist ja wichtig, man ist ja Teil dieses Staates, Teil dieser Gesellschaft, man muss sich auch einbringen, das muss funktionieren. Und es ist auf jeden Fall wichtig, auch und gerade für junge Leute, so ein bisschen die Identität mit dem Staat zu haben. Aber zum jetzigen Zeitpunkt haben wir als Jugendliche nicht das Gefühl, dass uns die Politik in irgendeiner Form repräsentiert oder sich um uns schert. Also ich meine, 100 Milliarden jetzt zum Beispiel fürs Militär ausgeben, aber für die Bildung kommt nichts, wir sehen eine instabile Rente und alles wird immer nur schlimmer für die jungen Leute, die dann bezahlen müssen für die heutigen Leistungsträger, all solche Sachen. Und dann noch eine Wehrpflicht reindrücken! Es ist nicht so, als würde sich um uns irgendwie geschert, sondern Hauptsache ihr seid jetzt halt Kanonenfutter für uns, mal pessimistisch gesagt.

Lasse: Das man nach der langen Schule immer noch nicht das machen kann, was man will, ist blöd. Aber viel Wichtiger: Ich sehe täglich marode Schulen, steigende Preise und unsichere Perspektiven. Während der Corona Pandemie hat sich die Jugend im höchsten Maße solidarisch gezeigt. Mit den Folgen dieser Pandemie werden wir alleine gelassen. Später sollen wir euch pflegen, eure Rente zahlen und eure Schulden abstottern? Und jetzt sollen wir auch noch für euch sterben, wenn ihr danach verlangt? Verantwortung übernehmen ist keine Einbahnstraße.

Ben: Ja, das Allgemeinbild ist schon, dass die Staatskassen leer sind, nicht nur die Rentenkasse. Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden. Und das Rentengesetz ist da schon ein schlechtes Signal. Um ihre Macht zu erhalten, hat die CDU einem Gesetz zugestimmt, das der Jugend eher schadet. Den Leuten, die sie überhaupt noch wählen, haben sie ein paar gute Jahre versprochen. Und dann wird die Wehrpflicht eingeführt für die Jugend, die später praktisch nicht mehr mit einer guten Rente rechnen kann!

Es gibt also ein Missverhältnis gibt zwischen dem, was die Jugend von der Gemeinschaft – vom Staat – bekommt, und dem, was sie mit einem Wehrdienst geben würde?

Lasse: Wir Jugendlichen sind ein Teil dieser Gemeinschaft, der sich viel engagiert und beispielsweise beim THW mithilft. Wenn diese Gemeinschaft von einem „Wir“, das sich verteidigen muss, redet, kann ich nur müde lächeln. Schließlich bin ich kein Teil von dem „Wir“, das verteidigt wird. Die Jugend sitzt dann im Schützengraben und nicht gemütlich Zuhause oder im Parlament, wenn Krieg ausbricht.

Du hast ein Praktikum bei der Bundeswehr absolviert, Alex.

Alex: Ohne Militär geht es nicht. Und für eine Wehrpflicht spricht, dass dann jeder seinen Teil macht, und nicht nur einige wenige, und dann ist das System auf jeden Fall solidarisch. Gut, das gilt jetzt für Männer natürlich in diesem Fall nur, das ist auch so eine Sache. Aber kann man ja auch, statt zur Bundeswehr zu gehen, was Soziales machen. Nur wenn es halt so wie jetzt ist, wenn Milliarden Euro in Kriegsvorbereitung, in Aufrüstung gesteckt werden und dann die Wehrpflicht eingeführt wird, hat das auch ganz klar politische Auswirkungen. Am Ende davon steht ja eigentlich Krieg, es sollte nicht passieren, wäre gut, wenn es nicht passiert, aber am Ende dieser Sache steht im Endeffekt potenziell Krieg.

Alexander Thomas ist 17 und besucht die elfte Klasse eines Gymnasiums. Er jobbt in einem Getränkehandel. In seiner Freizeit trainiert er in einer Basketball-Jugendmannschaft.

Ben: Zur Gemeinschaftsbildung muss man natürlich nicht unbedingt das Militärische aufbauen. Es würde ja reichen, wenn es für jeden jungen Menschen im Land einen Dienst gäbe, den man machen müsste. Militär ist jedoch nun mal was ganz anderes.

Alex: Genau! Ich bin dafür, dass man mal was freiwillig macht, man lernt da auch Unmengen und es ist bestimmt für einen selbst auch eine Bereicherung. Ich würde es ausweiten auf alle Geschlechter, da würde ich auch diesen Fokus weglegen von Armee, sondern einfach auf das Soziale, für den Staat, für die Gesellschaft, dass man einfach mal ein Jahr seines Lebens für die Gesellschaft brennt.

Viele ehemalige Kriegsdienstverweigerer sagen, dass sie sich richtig zum Umdenken zwingen müssen, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Sie seien immer gegen Krieg gewesen, aber jetzt könnte ein russischer Überfall auch auf uns bevorstehen, und sie distanzieren sich von ihrer ehemals pazifistischen Haltung.

Lasse: Ich würde mir eine Verteidigungsstrategie wünschen, die uns beschützt. Wer aber in Schützengräben gezwungen wird, wird nicht verteidigt, sondern geopfert. Es braucht eine Verteidigung, diese muss aber das Recht auf körperliche Unversehrtheit an oberste Stelle stellen. Das sehe ich aktuell nicht. Die Globalisierung muss auch die andere Seite der Medaille konsequent durchsetzen. Wer versucht, die Souveränität anderer Völker anzugreifen, muss konsequent von dem Welthandel ausgeschlossen werden. Konkret muss man härtere Sanktionen gegen Oligarchen verhängen und die Schattenflotte aufhalten. Aktuell sehe ich aber, wie aufgerechnet wird, was günstiger ist: die Wirtschaft oder Jugendliche in den Krieg zu schicken. Auch zu wenig diskutiert wird, die russische Opposition, die sich für ein demokratisches und freiheitliches Russland einsetzt, zu unterstützen.

Lasse Wenzel ist 18 Jahre alt, in der 12. Klasse eines Gymnasiums und dort auch in der Schülervertretung im Schulsprecher Team aktiv. Bis vor kurzem war er Vorsitzender des Kinder- und Jugendparlaments des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Um für die Linke fürs Stadtparlament anzutreten, ist er nun von dem Posten zurückgetreten. Er ist Mitglied der Linksjugend, im Bündnis Jugend gegen Krieg sowie Teil des Bündnisses Marburger Schüler gegen Wehrpflicht. Im Interview vertritt er seine persönliche Meinung und keine offiziellen Positionen der Schülervertretung.

Ben: Es klingt schon blöd, mit Waffen für Frieden zu kämpfen. Aber man muss den Menschen einen Hammer über den Kopf halten oder mit tatsächlichen schweren Konsequenzen drohen, um den bösen Charakterzug, der in uns allen steckt, zu unterdrücken. Das können aber auch wirtschaftliche Mittel sein. Nur, in Bezug auf Russland wurden ja Wirtschaftssanktionen probiert. Und geholfen hat es nichts. Also haben wir gegen Russland theoretisch nichts als Waffen, weil das Land es einfach gut geschafft hat, in meinen Augen zumindest, unabhängig zu werden von der Europäischen Union.

Alex: Also ich glaube eher, dass wenn man jetzt aufrüstet, es doch eher eine Provokation gegenüber Russland ist. Jetzt ist doch am wenigsten die Zeit, um eine Wehrpflicht einzuführen, jetzt ist Zeit für Verhandlungen und dafür zu sorgen, dass dieser Ukraine-Konflikt eine Lösung findet. Nicht die Zeit dafür zu sagen, okay, wir bereiten uns jetzt darauf vor, dass ihr uns angreifen würdet. Wenn man jemandem sagt, wir bereiten uns darauf vor, dass du uns angreifst, dann manifestiert man ja quasi den Kriegszustand.

Ben: Dass ein russischer Überfall bevorsteht, bezweifele ich. Ganz einfach, weil so ein Weltkrieg ein viel zu hohes Risiko ist. Was wir bis jetzt gelernt haben, ist, dass jeder Krieg der Wirtschaft und der Entwicklung des eigenen Landes schadet. Ich glaube nicht, dass der hochintelligente, erfahrene Putin solche Ziele verfolgt. Jedenfalls nicht ohne Provokation.

Viele Stimmen in der EU argumentieren hingegen, man könne mit Putin nicht verhandeln und dürfe es auch nicht, weil er sonst für seinen Angriffskrieg belohnt werde.

Alex: Das ist zu kurz gedacht, und ich glaube, man kann mit jedem verhandeln, wenn das den Krieg verändern kann. Das fühlt sich so an, als hätte man jegliche Hoffnung aufgegeben und wäre jetzt dabei, einfach zu sagen, Verhandlungen lassen wir sein und stattdessen setzen wir auf Abschreckung.

Seht Ihr die Chance auf eine Welt der guten Nachbarschaft, in der weniger in Bedrohungsszenarien gedacht wird? Die meisten Stimmen aus der EU und den Mitgliedsländern lassen den Eindruck entstehen, dass eine Rückkehr zu einem normalen Verhältnis mit Russland kaum mehr möglich sei. Mit „normal“ meine ich, dass die unterschiedlichen Sichtweisen beider Seiten berücksichtigt werden und man sich um einen Interessensausgleich bemüht.

Ben: Ja, das ist halt die Haltung der EU und auch von Deutschland. Ich weiß nicht, warum so oft versucht wird, den Russen oder Putin Rationalität abzusprechen. Wenn ich höre, was er sagt, und wie er redet, und welche Aktionen er durchführt, und welche Reaktionen auf Aktionen von der EU folgen, dann finde ich den am rationalsten von allen. Ich bin kein Putin-Fan, auch er tut Dinge, die einfach moralisch falsch sind, aber der ist seines Kopfes mächtig. Und es macht einfach keinen Sinn, die ganze Zeit hektisch, wie ein kleiner beißender Hund, irgendwas versuchen zu kappen und zu ändern und zu drohen, während man einfach mit viel weniger Energie mehr erzielen könnte, indem man rational verhandelt. Es ist auch klar, dass keine Seite verlieren will, das ist ja normal. Aber dass die Seite mit den schlechteren Karten – das ist jetzt die Europäische – weniger biegsam ist, als die mit den guten Karten, das ist für mich so surreal.

Nicht wenige Politiker und Intellektuelle, zum Beispiel der Politologe Claus Leggewie, argumentieren, Russland nachzugeben, sei eine Appeasement-Politik wie am Vorabend des Zweiten Weltkrieges gegenüber Hitler. Es gibt Warnungen, das Russland nach einem Erfolg in der Ukraine weitere Länder angreifen würde. Wie steht Ihr zu diesem Einwand?

Seit bald vier Jahren kämpfen wir mit allen Mitteln, die ganze EU plus Amerika, gegen Putin an. Also die halbe Welt hat sich quasi zusammengeschlossen. Wir machen ganz und gar keine Appeasement-Politik. Den Vergleich mit Hitler kann man so nicht ziehen. Es wird so gemacht, weil es Publicity bringt und Meinungen spaltet und Fronten bildet. Das ist so ein schwarz-weiß Ding, entweder wir machen Appeasement oder wir gehen hart dagegen an. Aber ich glaube, der rationale Politiker, der rationale Verhandler wird versuchen in den Graubereich zu treffen. Das ist vielleicht nicht das, was die meisten Wähler schafft, aber das ist das, was den besten Ausgang schafft.

Hast Du insgesamt den Eindruck, dass bei uns Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht?

Ben: Ich bin natürlich auch noch nicht alt genug darüber zu urteilen, wie sich das in den Zeiten geändert hat, aber ich habe schon das Gefühl, dass die Polarisierung in links und rechts und pro und contra ohne die Erlaubnis für einen Graubereich völlig normalisiert ist. Und das gefällt mir gar nicht. Wenn du links bist, dann musst du auch LGBTQ mögen, und wenn du rechts bist, dann musst du Ausländer hassen. Du verlierst, ich gewinne. Das gefällt mir nicht. Also dieses Schubladendenken.

Kann man heutzutage offen über all diese Themen sprechen, in der Schule oder privat? Oder habt Ihr das Gefühl, man sollte lieber den Mund halten?

Alex: Ich konnte auf jeden Fall darüber reden, offen. Größtenteils jedenfalls. Es gibt viele Leute, die auch bereit sind, sich auszutauschen. Man muss selber einfach mal sagen, dann lasst uns doch austauschen, als einfach nur sagen, du willst mir meine Meinung verbieten.

Lasse: Leider hört man zu wenig laute, kämpferische sowie kräftige Stimmen.

Redet ihr überhaupt mit Freunden und Bekannten über diese Fragen?

Ben: Eigentlich versuche ich, mich aus der Politik herauszuhalten, weil mir das alles nur noch Kopfschmerzen bereitet, die ich mir über meinen Tag nicht leisten will. Unter Freunden diskutieren wir weniger über Politik. Wir wissen die politische Grundeinstellung von den anderen, aber wir diskutieren nicht über Politik. Wir sind uns sehr oft sehr einig, dass das Rentensystem, so wie es gerade besteht, sch... ist und dass unser Staat in vielen Sachen Fehler macht. Nur zum Machterhalt. Aber wir reden nicht über grundsätzliche Sachen. Und wir debattieren darüber auch nicht. Aber in der Grundeinstellung sind wir uns einig, der Akzeptanz des Graubereichs. Und die wird immer größer, umso höher meine Bildung ist und umso älter ich werde.

Lasse: Die Debatte, ob es einen Pflichtdienst geben sollte, wurde unter uns Schülern gar nicht geführt.  Als Grund dafür sehe ich ein fehlendes attraktives Politikangebot und das Desinteresse der

Politiker uns zu beteiligen. Sehr enttäuscht war ich von der fehlenden Positionierung meiner und anderer SVen zu dem Zwangsdienst. Diese nicht geführte Debatte in unserer Altersgruppe muss dringend nachgeholt werden. Wir möchten an Schulen Räume für Diskussionen und Bildungsangebote schaffen. Hierfür wollen wir auch Kooperationen mit der Jugendförderung und anderen Einrichtungen eingehen, um beispielsweise Ole Nymoen als bekannten Wehrdienst Gegner einzuladen und andere Veranstaltungen durchzuführen. Bis jetzt haben wir als Bündnis schon ein Schüler-Lesetreffen durchgeführt, zum Thema Wie weit gehst du für unsere Demokratie?

Alex: Es gibt eine weitverbreitete Ablehnung der Wehrpflicht. Also ich denke, gerade unter den jungen Leuten, was ich gesagt habe. Weil wir uns nicht so fühlen, als würde die Politik viel für uns machen, ist das die große, weite Meinung in der Jugend. Es lastet halt viel auf uns.

Aber ihr habt bei den Aktionen nicht mitgemacht jetzt, bei dem Schulstreik?

Alex: Nein, meine Mitschüler und ich haben da nicht mitgemacht, aber die Ablehnung der Wehrpflicht herrscht vor.

Und warum habt ihr dann nicht gestreikt?

Alex: Ich habe mich nicht beteiligt, weil ich, wie schon gesagt, theoretisch nichts gegen die Wehrpflicht habe. Nur in dieser politisierten Situation, ausgelegt auf Aufrüstung, fühle ich mich nicht gut damit, dass ich Teil von einer Aufrüstungspolitik bin, die Krieg machen will.

Lasse: Als Gegner der Wehrpflicht erfahre ich viel Zustimmung von Gleichaltrigen. Vor allem aus den betroffenen Jahrgängen unter mir höre ich von vielen Ängsten, von Angst getötet zu werden und die Familie nicht wiederzusehen, Angst selber zu morden oder traumatisiert zu sein. Gleichzeitig denken viele zu Recht bei der Bundeswehr zuerst an die Meldungen über rechte Netzwerke, Sexismus, Rassismus und Mobbing. 

Ben: In meinem Bekanntenkreis gibt es dazu recht unterschiedliche Meinungen: Manche haben vor dem Wehrdienst großen Respekt, sie fürchten sich davor, was da auf sie zukommt. Viele möchten sich nicht damit abfinden, dass sie dann erst einmal von der Verwirklichung ihrer eigenen Lebenspläne abgehalten werden. Einige nehmen es aber auch so hin, und akzeptieren die Situation, auch weil sie einsehen, dass sie dabei was lernen können. Etliche sagen auch, sie hätten richtig Lust auf Wehrdienst. Viele lehnen allerdings den Dienst an der Waffe ab und möchten lieber anderswo eingesetzt werden, im sozialen Bereich, im Katastrophenschutz oder bei der Feuerwehr.

Ein Freiburger Schüler muss wegen Beleidigung vor Gericht, weil er sich kritisch zu einer Bundeswehr-Informationsveranstaltung an seiner Schule äußerte und den zuständigen Jugendoffizier mit einem bekannten Neonazi verglichen haben soll …

Alex: Ich weiß nicht, wie genau der das verfasst hat, natürlich sollte man da jetzt nichts sehr Beleidigendes sagen, aber im Endeffekt ist es ein Twitter-Post und man muss damit leben können, dass Leute auf Twitter ihre Meinung sagen und dass Leute auch beleidigt werden. Also man sollte da drüberstehen. Gerade ein Offizier, jemand, der mächtiger ist als der Schüler. Das ist ja, als wenn da jemand sagt, ich muss diesen Schüler anzeigen, weil ich Angst davor habe, dass diese Meinung sich verbreiten könnte, davon halte ich gar nichts. Ja, ich meine man hätte ja mit dem auch sprechen können. Es gibt ja viel weniger radikale Wege, das zu klären.

Lasse: Viele aus unserem Bündnis haben Angst vor Repressionen. Ich habe mich im Vorhinein auch rechtlich beraten lassen. Schulische Konsequenzen gegen einzelne von uns wegen dem Verteilen von Flugblättern stehen im Raum. Die Schulleitungen geben sich aktuell bedeckt und weisen auf die Fehlzeiten hin. Ich habe Angst davor das ich zur Zielscheibe werde, habe aber trotzdem nicht vor, mich einschüchtern zu lassen. Konkret zu Verfahren gegen Schüler finde ich die Rolle des Geheimdienstes MAD beängstigend und einschüchternd.

Sollte die Bundeswehr an Schulen Werbung machen dürfen?

Alex: Soldat ist kein ganz normaler Beruf wie jeder andere. Der Wehrdienst ist nicht dafür da, dass du was Praktisches lernst, sondern du lernst halt Soldat zu sein, das ist nur für diesen einen Anwendungsfall, du lernst dann Krieg, das ist ja das, was du da tust, du lernst, mit Waffen umzugehen. Und wenn dann dafür mit viel Geld und Vergünstigungen geworben wird, ist das nicht O.K. Ich finde, die Entscheidung an die Waffe zu gehen, sollte keine Frage der Vergütung sein, oder ob ich jetzt gerade Geld brauche, um meinen Führerschein zu finanzieren, sondern eher eine der Überzeugung. Und unter anderen Voraussetzungen könnten das auch alle aus Überzeugung machen.

Am 19. Dezember folgt die Abstimmung über das neue Gesetz im Bundesrat. Habt Ihr weitere Aktionen gegen die Wehrpflicht geplant, Lasse?

Lasse: Am 5. Dezember ist es uns gelungen, mit 55.000 Jugendlichen in über 100 Städten gegen die Wehrpflicht zu streiken, in Marburg waren wir mit 200 Leuten auf der Straße. Für uns als Bündnis ist klar, dass wir weitermachen wollen! Am 5. März nächsten Jahres wollen wir erneut streiken und uns bis dahin weiterhin für eine selbstbestimmte Zukunft stark machen!