Internationale Vergleiche zeigen ungenutzte Spielräume für höhere Renten
Was wäre, wenn sich die Rente leichter finanzieren ließe, als wir glauben? Ein datenbasierter Blick über die Landesgrenzen hinweg offenbart ungenutzte Möglichkeiten.
Monat für Monat stellen rund 60.000 Kolleginnen und Kollegen der deutschen Rentenversicherung sicher, dass 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner ihre Leistungen ausbezahlt bekommen und ihre Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung eingezahlt werden. Die Zahlungen erfolgen aus den Beitragseinnahmen des laufenden Monats sowie einem Zuschuss aus der Bundeskasse. Innerhalb eines Jahres wird so knapp ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausgezahlt.
Und dies seit 50 Jahren. Im Jahr 2024 war es eine Summe von 388 Milliarden Euro, zerlegt in mehr als 250 Millionen Auszahlungen. Wer mehr wissen will, wird zum Beispiel im Rentenatlas 2025 der Deutschen Rentenversicherung fündig.
Seit mehr als 40 Jahren erklären namhafte Journalisten, dieses System sei bankrott. So schrieb der Spiegel im Jahre 1985 "Alles abwiegelnde Gerede von den sicheren Renten kann nicht vernebeln, daß die Altensicherung in den Bankrott steuert." Der Journalist Gordon Repinski bezeichnete es vor wenigen Tagen in seiner Podcast-Folge Die teuren Versprechen der Rentenpolitik als "Wahnsinn", das Rentensystem stabilisieren zu wollen.
Verfolgt man Podcasts, Talkshows, Interviews oder Nachrichtensendungen zu diesem Thema, so begegnen einem in dichter Reihenfolge Journalisten, die mit Häme über das Rentenversicherungssystem sprechen. Sie lachen, wenn jemand erklärt, dass es sicher sei.
Politikerinnen und Politiker werden danach gemessen, ob sie endlich zu "mutigen Reformen“ bereit seien. Dabei steht "mutige Reform“ für Kürzungen. Denn für sie ist es eine ausgemachte Sache, dass die künftigen Renten niedriger ausfallen müssen, als es nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen der Fall wäre.
Immer wieder spulen sie einen ähnlichen Fragenkatalog ab: Sind sie auch für eine Erhöhung der Regelaltersgrenze? Sollte die Rentenanpassung nicht besser der Inflation als den Löhnen folgen? Sollten nicht die Abschläge bei frühzeitigem Eintritt in die Rente erhöht werden? Ist es nicht an der Zeit, zumindest die höheren Renten zu kürzen? So spekulieren sie über die Erfüllung von Rechtsansprüchen, für die normal sozialversicherungspflichtige Beschäftigte Jahrzehnte Beiträge gezahlt haben.
Laut einer Umfrage der Arbeitnehmerkammern Bremen und Saarland sowie des DGB widersprechen die Bürgerinnen und Bürger im Lande mehrheitlich diesen Positionen. Sie sprechen sich dafür aus, lieber höhere Beiträge zu zahlen, als länger arbeiten zu müssen. Zudem ermittelt der ARD-Deutschlandtrend, dass sie das Vorhaben des Gesetzgebers befürworten, das Rentenniveau auf 48 Prozent zu stabilisieren – übrigens auch die Mehrheit der Jüngeren unter den Befragten.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung weiß sehr genau, wie niedrig die Rentenzahlungen sind. Ein Viertel der Deutschen bekommt selbst eine Rente, und noch viel mehr erleben über ihre Eltern oder Großeltern mit, wie es finanziell im Ruhestand aussieht. Doch gleichzeitig verweisen Journalistinnen und Journalisten in der Regel auf die Mittel, die der Bund der Rentenversicherung zur Verfügung stellt. Diese liegen mittlerweile bei weit über 100 Milliarden Euro. Das sei einfach unerträglich hoch.
Das falsche Defizit und die Nominalitis
Das Statistik-Portal Statista veröffentlichte während der heißen Phase der parlamentarischen Debatte zum Rentenpaket 2025 in seinem Newsletter einen Text mit der Überschrift "So groß ist die Finanzierungslücke bei der Rente". Als Rentenlücke wird hier der gesetzlich vorgesehene Bundeszuschuss bezeichnet. Die der Überschrift beigefügte Grafik zeigte, dass er seit 2000 bis heute bei rund 25 Prozent der Gesamtausgaben der Rentenversicherung liegt.
Nominal ist der Betrag in dieser Zeit natürlich enorm angestiegen. Denn er folgt entsprechend gesetzlicher Regelungen im Wesentlichen der allgemeinen Lohnentwicklung. Somit deckt der Bundeszuschuss nicht ein Defizit ab, sondern ist seit 1889 ein fester Bestandteil der Umlagefinanzierung, die sich eben nicht allein auf Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern stützt.
Für Bismarck war der Steuerzuschuss ein konstitutiver Teil der Sozialversicherung. Er konnte durchsetzen, dass der Zuschuss 1889 bei 33 Prozent der Gesamteinnahmen lag. Bei der Umstellung des deutschen Rentensystems auf das Umlageverfahren der sogenannten dynamischen Rente im Jahr 1957 sprach sich der Gesetzgeber für einen Bundeszuschuss in Höhe von 30 Prozent der Gesamtkosten aus.
Zurzeit liegt das Gesamtaufkommen der Bundesmittel bei knapp 30 Prozent. Davon entfallen 25 Prozent auf Bundeszuschüsse, hinzu kommen knapp 5 Prozent für Beiträge zu Kindererziehungszeiten und für Beschäftigte in Werkstätten.
Jedes Jahr im Herbst prüft die Bundesregierung, ob für das kommende Jahr eine Unterdeckung der Rentenausgaben zu erwarten ist, also die liquiden Mittel – die sogenannte Nachhaltigkeitsreserve der Rentenversicherung – voraussichtlich 20 Prozent einer Monatsausgabe unterschreiten könnten. In diesem Fall ist die Bundesregierung gesetzlich dazu verpflichtet, die Beiträge zu erhöhen. Diese Regelung ist Fachleuten bekannt und leicht auffindbar.
Es kann nur dem allgemeinen Zeitgeist geschuldet sein, dass Fachleute den Bundeszuschuss fälschlicherweise als Defizit bezeichnen, wachsende Nominalgrößen als Indikator verwenden und es übersehen, dass in ihren eigenen Graphiken die Bundeszuschüsse seit 25 Jahren stabil bei 25 Prozent der Ausgaben liegen.
Deutschland trägt die rote Laterne
Die Bürgerinnen und Bürger, die den Eindruck haben, die Renten in Deutschland seien nicht sonderlich hoch, können sich dagegen auf internationale Daten stützen. Regelmäßig veröffentlicht die OECD einen internationalen Vergleich der staatlichen Rentensysteme. Pensions at a glance heißt der Bericht, der jetzt wieder Ende November erschienen ist.
Anhand der sogenannten Nettoersatzquote – das heißt, der individuelle Nettorentenanspruch geteilt durch das Nettoeinkommen vor Eintritt in den Ruhestand unter Berücksichtigung der von Arbeitnehmern und Rentnern gezahlten Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge – strukturieren die OECD die Effektivität des Rentensystems: Wie viel Prozent vom Vorruhestandseinkommen macht die Rentenhöhe in den verschiedenen OECD-Ländern aus? Deutschland weist im Vergleich zu den anderen OECD-Staaten eine unterdurchschnittliche Leistungshöhe auf, dies zeigt Abbildung 1:
Diese zentrale Aussage des OECD-Berichts wird regelmäßig in der deutschen Presse wiedergegeben, löst aber in der Regel keine Kommentare und keine Schlussfolgerungen aus. Sie bleibt als Nachricht unbeachtet. Dies erinnert an den von Kommunikationswissenschaftlern häufig beschriebenen Sachverhalt, dass Informationen, die nicht in das eigene Weltbild passen, häufig wenig oder gar nicht beachtet werden.
Allerdings lässt sich gegen den OECD-Vergleich einwenden, dass er nicht berücksichtigt, welchen Anteil ein Staat an der Wirtschaftskraft seines Landes für Rentenausgaben aufwendet. Möchte man dies mit einbeziehen und Länder international vergleichen können, muss die Summe aller für die Altersvorsorge eingesetzten Mittel gebildet und diese in Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt betrachtet werden. Das umfasst auch Mittel, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherung zugeordnet sind: In Deutschland beispielsweise sind Selbständige und Beamte nicht Teil des gesetzlichen Rentensystems, sondern erhalten aus Versorgungswerken oder unmittelbar aus öffentlichen Mitteln ihre Altersversorgung.
Würde man einen Vergleich allein auf die gesetzlichen Rentenversicherungssysteme beschränken, würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, da sich die Länder sehr darin unterscheiden, welche Erwerbstätigen einbezogen sind oder welchen Anteil die betriebliche Altersvorsorge zu schultern hat.
Doch auch unter Einbeziehung der Beamtenpensionen, die fast zwei Prozent des BIP ausmachen, liegen die Ausgaben Deutschlands für die Altersvorsorge mit 11,5 Prozent des BIP unter dem Durchschnittswert der Europäischen Union von 12,3 Prozent, siehe Abbildung 2:
Doch auch dieser Vergleich hinkt. Er berücksichtigt nicht, dass sich der Anteil der Menschen im Rentenalter von Land zu Land sehr unterscheiden kann, wie die folgende Graphik zeigt:
Um die Leistungsfähigkeit der nationalen Alterssicherungssysteme miteinander vergleichen zu können, ist es hilfreich einen Index zu bilden, bei dem die eingesetzten Mittel (in Prozent des BIP) in ein Verhältnis zum Anteil der älteren Bevölkerung (in Prozent der Gesamtbevölkerung) gesetzt wird. Für die EU, ihre Mitgliedsstaaten und die Schweiz stellt sich dieser sogenannte Alterssicherungs-Leitindex wie folgt dar:
Vergleicht man Abbildung 2 und 3, zeigt sich, dass Luxemburg ein sehr großzügiges Alterssicherungssystem hat, obwohl es nur 8,8 Prozent seines BIP für die Altersvorsorge einsetzt
Der Befund der OECD wird bestätigt. Das finanzielle Volumen, das Deutschland für Renten einsetzt, ist unterdurchschnittlich. Mit der Ausnahme von Irland sind alle Mitgliedstaaten mit einem niedrigeren Indexwert als Deutschland erst seit 2004 der EU beigetreten, Unter den sechs Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft (Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg) trägt Deutschland die rote Laterne.
Offenbar sind all diese Volkswirtschaften und auch Spanien, das zuletzt mit hohen Wachstumsraten auffiel, in der Lage, Alterssicherungssysteme mit höheren Leistungen zu finanzieren. Es besteht offenkundig in Deutschlands Volkswirtschaft Raum für Leistungsverbesserungen, wie sie sich die Bevölkerung wünscht.
Eine dauerhafte, über 2031 hinausgehende Stabilisierung des Rentenniveaus wäre in dem aufgezeigten Rahmen möglich. Mit ihr wären die Ausgaben für das deutsche Alterssicherungssystem immer noch unterdurchschnittlich. Abbildung 5 zeigt die Auswirkung auf das Ranking, würden sich die deutschen Ausgaben dementsprechend um einen halben BIP-Prozentpunkt erhöhen. Aufgrund dieser Haltelinie verbessert sich Deutschlands Positionierung im Ranking um drei Plätze:
Ist der Maßstab der Mittelwert der EU, so bliebe noch Platz, um gezielt die Grundrente auszubauen; etwa durch höhere Zuschläge und den Verzicht, Partnereinkommen heranzuziehen. Damit könnte das deutsche Rentensystem für langjährige Beitragszahler mit niedrigen Einkommen gezielt verbessert werden. Und auch dann würde sich Deutschland nur ein Rentensystem leisten, das sich auf einem mittleren Niveau in der EU bewegt – und dies, obwohl in den Vergleich die relativ hohen Leistungen für die Beamten mit einfließen.
Es würde mich sehr freuen, bald einmal einen Journalisten zu hören oder zu sehen, der Politikern die Frage stellt, auf welche Weise man die finanziellen Spielräume der Volkswirtschaft am besten nutzen könnte, um das deutsche Rentensystem zu verbessern.