Reformgesetz zur Altersvorsorge: Nun spekuliert mal schön
Die Riester-Rente ist tot? Ach was! Das „Altersvorsorgereformgesetz“ verpasst dem Ganzen einen anderen Namen, macht mehr riskante Versprechen und startet neu durch. Verschwiegen werden die schädlichen Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Es ist ein Appell an das Zockerherz der abhängig Beschäftigten. Aber auch für Menschen ohne Zockerneigung macht der Entwurf zum sogenannten „Altersvorsorgereformgesetz“, den das Bundeskabinett am 17. Dezember beschlossen hat, Angebote, das Spekulieren von Profis durchführen zu lassen.
Ob das Gesetz kommt und wenn es kommt, wie lange es Bestand hat, hängt wohl von den „Vorschlägen“ der von der Bundesregierung neu eingesetzten Rentenkommission ab. Denn der vorliegende Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Mangel: Er basiert auf Freiwilligkeit. Und die Freiwilligkeit des Riester-Sparens war ein zentraler Fehler, so die Einschätzung der Versicherungskonzerne, Walter Riester und der immer präsenten „Experten“, wie Bert Rürup, Martin Werding und so weiter.
Was ist anders gegenüber „Riester“?
Erstens, es ist noch unsozialer als „Riester“: Zunächst sollen die Regeln zur staatlichen Förderung geändert werden. Erstaunlich ist, dass die Bundesregierung hier zunächst keine Mehrausgaben erwartet. Die Fördergelder werden also nur anders verteilt.
Aktuell gibt es fürs Riester-Sparen pro Jahr eine Grundzulage von 175 Euro plus einer Kinderzulage von 300 Euro pro Kind. Der Sparbetrag ist minimale 60 Euro und maximal 2.100 Euro. Die Bedingung dabei ist, dass der Betrag zusammen mit der Förderung 4 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens betragen muss. Ist er geringer, werden die Zulagen entsprechend gekürzt.
Geplant ist jetzt, dass die Sparbeiträge bis 1.200 Euro eine staatliche Zulage von 30 Prozent (max. 360 Euro) erhalten und für Beiträge von 1.201 bis 1.800 Euro eine Zulage von 20 Prozent (max. 120 Euro). Der maximale Förderbetrag wächst also von 175 Euro auf 480 Euro an.
Bei der Kinderzulage soll ähnliches gelten. Sparbeiträge bis 1.200 Euro erhalten eine Zulage von 25 Prozent pro Kind. Das wären maximal 300 Euro gegenüber dem unabhängig von der Beitragshöhe pauschalierten Betrag von 300 Euro.
Der Verschiebebahnhof der Förderung wird damit sehr deutlich. Geringverdiener, geringfügig Beschäftigte und Teilzeitkräfte werden sehr viel weniger Zulagen erhalten.
Hinzu kommt, dass die Versicherer keine Verträge mehr mit Erwerbsminderungsabsicherung, Hinterbliebenenversorgung und Eigenheiminvestitionen anbieten müssen.
Als große Errungenschaft wird gepriesen, dass es neben der Variante der lebenslangen Rentenzahlung auch die Option gibt, das Fondsvermögen bis zum 85. Lebensjahr monatlich höher auszuzahlen. Pech hat, wer dann länger lebt und unter Umständen gezwungen wird, im Pflegeheim vom Einzelzimmer in ein Zweibettzimmer umziehen zu müssen.
Zweitens, es ist noch sehr viel riskanter als „Riester“: Risikoanlagen gab es schon mit Riesterverträgen. Fondssparpläne ermöglichten Finanzanlagen in Risikokapital. Wenn Anlagespekulationen platzten, wurden Rentenwerte drastisch gekürzt und damit die Auszahlungszeiträume deutlich verlängert. Letztes Beispiel dafür die ALLIANZ, die letztes Jahr kurzerhand den Rentenwert für Fonds-Verträge von rund 39 auf 31 Euro, also um gut 20 Prozent kürzte[1].
Mit dem Altersvorsorgereformgesetz soll die Spekulation zum Normalfall werden. Dazu werden drei Varianten geschaffen. Zum einen das Altersvorsorgedepot. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
„Ein Hauptanliegen der Reform ist es, die Renditemöglichkeiten des Kapitalmarktes künftig stärker zu nutzen. Die Ermöglichung der realwertorientierten Anlagestrategien mit höheren Renditen ist deshalb ein zentrales Element der Reform.“
Mit „realwertorientierter Anlagestrategie“ ist gemeint, dass unterbewertete Aktien gekauft werden in der Erwartung, die wahren, realen Werte würden sich schon irgendwie am Markt einstellen. Dem Normalbürger bleibt da nur die Spekulation mit Zuhilfenahme der Glaskugel. Irrt die Glaskugel, schrumpft das Depot, oder es ist ganz futsch. Irgendwelche Garantien oder Haltelinien sind nicht vorgesehen. Da nicht zu erwarten ist, dass in Deutschland aus den ja vielfach beklagten „Aktien-Muffeln“ millionenfache Börsen-Junkies werden, hat der Gesetzgeber mit dem Standardprodukt ein zweites Vorsorgeprodukt in petto. Dazu die Gesetzesbegründung:
„Dabei handelt es sich um ein besonders einfaches Altersvorsorgedepot, das einen einfachen Sparplan mit reduzierten Wahlmöglichkeiten […] darstellt“.
Die Entscheidung, mit welchen Papieren das Depot gefüllt wird, wird Finanzkonzernen überlassen. Garantien gibt es auch hier keine. Die einzige Restriktion für die Fondsverwalter ist die Begrenzung der von ihnen geltend gemachten Kosten auf 1,5 Prozent. Das klingt nach wenig, ist aber tatsächlich happig. Unterstellt man eine durchschnittliche Inflation von 2 Prozent (wie von der EZB angestrebt), müsste die Nominalverzinsung höher als 3,5 Prozent sein, um einen realen Zuwachs des Depots zu erreichen.
Für diejenigen, denen das Vertrauen in die Finanzmärkte fehlt und sich zieren, ihren mühsam erarbeiteten Lohn verzocken zu lassen, soll es Verlässlicheres geben – das Garantieprodukt, und zwar in zwei Varianten: Die erste mit der Garantie, dass zu Beginn der Auszahlungsphase 100 Prozent der angesparten Beträge zur Verfügung stehen – also unter Berücksichtigung der Entwertungen durch die Inflation mit enormen Verlusten. Die zweite Variante beinhaltet dagegen eine „Kapitalgarantie“ von lediglich 80 Prozent – verspricht dafür aber die windigen „Renditevorteile aus realwertorientierten Kapitalanlagen“.
Reichhaltige negative Spekulationserfahrungen
Um zu illustrieren, wie verantwortungslos es ist, die Altersversorgung den Risiken der Finanzmärkte auszusetzen, hier einige Meldungen der letzten Monate:
- Das Versorgungswerk der Berliner Zahnärztekammer (VZB) verlor bis zu 1,4 Milliarden Euro, etwa die Hälfte ihres gesamten Anlagekapitals, durch Spekulationen vor allem mit Immobilienprojekten, berichtet das Fachmagazin für institutionelle Investoren.
- Die Bayrische Versorgungskammer (BVK – 3 Millionen Versicherte) verzockte auf dem US-Immobilienmarkt 700 Millionen Euro.
- Das Versorgungswerk der Ärztekammer Schleswig-Holsteins (VAESH) verlor von 2022 bis 2024 satte 64 Millionen Euro.
- Das Versorgungswerk der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holsteins (KVSH) muss 2025 36 Millionen Euro abschreiben.
- Bereits im März vermeldete die Regionalpresse Verluste bei den Versorgungswerken der Apotheker und der Zahnärzte von jeweils über 50 Millionen Euro.
- Der bereits in Sachen Riester-Fondsverträgen aufgefallene und vom BGH zurückgepfiffene ALLIANZ Konzern, musste 2023 kräftige Strafgelder für Spekulationsverluste zahlen. Die ALLIANZ Global Investors hatte sich in den USA mit Pensionsfondsgeldern unter anderem der Lehrer in Arkansas und der Transportarbeiter New Yorks verzockt. Die Klage der Gewerkschaften endete mit einem Vergleich: Die ALLIANZ muss 5 Milliarden Dollar als Schadensersatz zahlen plus 860 Millionen Dollar an die US-Staatskasse.
- Der schwedische Pensionsfonds Alecta verwaltet große Anteile der hierzulande als vorbildlich gepriesenen gesetzlichen Prämienrente. Die Alecta hatte in die Pleite gegangene Silicon Valley Bank und in zwei weitere kriselnde Banken investiert. Wertverlust für den Pensionsfonds: 1,7 Milliarden Euro.
Diese Liste ließe sich beliebig erweitern und würde mit den Erfahrungen der Dotcom-Blase (2000) und der Immobilienblase (2008) zu einem dicken Buch anwachsen.
Wenn alle sparen, wer übernimmt dann die Schuldner-Rolle?
Die Fondsverwalter, also Versicherungen und sogenannte Vermögensverwalter, würden zu Schuldnern der ganz besonderen Art werden. Sie bekommen mit den Altersvorsorgedepots im wahrsten Sinne des Wortes ein bombensicheres Geschäftsmodell geschenkt. Das ihnen anvertraute Geld bringt ihnen jährlich steigende Profite. Verspekulieren sie sich, oder kollabieren die Aktien- beziehungsweise Finanzmärkte, werden sie schadlos bleiben. Sie müssen keinerlei Garantien auf Rückzahlungen abgeben. Das alles, wird behauptet, ist im Sinne und zum Wohle der „Jungen“ – also Bestandteil einer überfälligen Rentenreform, die „Generationengerechtigkeit“ herstellt.
Mit dem „Altersvorsorgereformgesetz“ soll das zur absurden Realität werden. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass es möglich wäre, von einer Bank einen Kredit zu erhalten, mit der vagen Zusage, die Schuld in vielen Jahren mehr oder weniger hoch – je nach Kassenlage – zu tilgen? Es sind vor allem die Leitmedien, die hier alles andere als seriös informieren. Umfragen zeigen jedoch deutlich (siehe hier und hier), dass große Mehrheiten sich davon nicht kirre machen lassen.
Diejenigen, die das umlagefinanzierte System schwächen und dafür die kapitalmarktabhängige Rente ausbauen wollen, streben im ersten Schritt eine Abgabe von vier Prozent der Bruttoeinkommen zwecks Kapitalanlage an. Das ergäbe dann pro Jahr ein Sparvolumen von etwa 70 Milliarden Euro – Geld, dass dem Konsum fehlen und der ohnehin schon seit sechs Jahren stagnierenden Wirtschaft dauerhaft Nachfrage entziehen würde.
Doch das stört die Sachverständigen der Bundesregierung (Achim Truger mal ausgenommen) nicht weiter, obgleich die Schlagzeilen im Handelsblatt vom 12. November als eiskalte Dusche für die Altersvorsorgefonds hätten wirken müssen: „Sparer bremsen Wachstum“.
Angesichts der vom Statistikamt Eurostat berechneten Rekord-Sparquote von gut 15 Prozent im Euro-Raum (Deutschland nimmt mit über 19 Prozent die Spitzenposition ein) stellt das Handelsblatt fest: „Europäische Haushalte sparen zu viel und konsumieren zu wenig, trotz wieder gestiegener Reallöhne und sinkenden Zinsen – ein Umstand, der Experten und Ökonomen umtreibt.“
Wirklich? In Deutschland treibt da nichts und niemanden um – jedenfalls nicht in der Presse, öffentlichen Talk Shows oder im Parlament.
Noch am gleichen Tag schreibt der Chefreporter für Geldanlage und Märkte Markus Hinterberger im Handelsblatt:
„Beginnt nun jede oder jeder Einzelne in diesem Land, nur einen Teil seines Geldes am Aktienmarkt zu investieren, hat dies zunächst zwei positive Effekte: Der Wert unserer Ersparnisse bleibt erhalten, und wir schaffen es, uns die Rente anzusparen, die uns der Staat nicht mehr bieten kann. Aber nicht nur deswegen ist es an der Zeit, von Sparern zu Anlegern zu werden. Aktionäre stellen Unternehmen das notwendige Kapital zur Verfügung, um ihrerseits zu investieren.“
Das im gleichen Atemzug neben der Meldung zur eklatanten Konsumschwäche zu kommentieren, ist bemerkenswert. „Sparen“ und „Anlegen“ führen gleichermaßen zum Nachfrageausfall. Aktionäre stellen Unternehmen nur einmal Kapital zur Verfügung, nämlich beim ersten Börsengang. Die wundersamen Kursrallys bringen den Unternehmen im weiteren Verlauf kein neues Kapital. Wäre das so, hätten zum Beispiel die Kurssteigerungen der DAX-Aktien von 80 Prozent in den letzten sechs Jahren zu enormer Investitionstätigkeit geführt. Aber nach OECD-Daten ist die Investitionsquote in gleichem Zeitraum um fast 10 Prozent gesunken.
Die richtige Lehre aus der beklagten Konjunkturblockade ist hinsichtlich der Altersversorgung: Statt den Wirtschaftskreislauf durch Kapitaldeckung zu bremsen, sollte das Umlageverfahren gestärkt werden. Das erhöht die Nachfrage, belebt die Konjunktur, fördert Investitionen, schafft Arbeit und steigert die Einkommen. Am Ende steht wirtschaftliche Prosperität und wachsender Wohlstand.
Die weitere Lehre: Kapitalfonds für eine weit in der Zukunft liegende private Altersversorgung dürfen nicht aus Steuergeldern gefördert werden. Das wäre eine unmittelbare Subvention für die Finanzkonzerne mit ungewissem Ausgang für die Sparer. Mit einem Sozialstaat hätte das nichts mehr zu tun.
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