Wettbewerb und Wechselkurse
Wie gestaltet man fairen Handel zwischen Ländern – und warum scheitern sowohl fixe als auch flexible Wechselkurse daran so oft? Und sind Exportüberschüsse wirklich ein Zeichen von Stärke?
Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept: Ein Akteur kann nur gewinnen, wenn ein anderer verliert. Senkt ein einzelnes Unternehmen seine Löhne und damit seine Preise, kann es seinen Konkurrenten Marktanteile abnehmen. Tun jedoch alle Unternehmen dasselbe, sinken zwar die Preise insgesamt – doch die Marktanteile bleiben unverändert. Das gilt selbst dann, wenn Qualitätsunterschiede berücksichtigt werden: Auch Qualitätsgewinne führen nur dann zu höheren Anteilen, wenn andere entsprechend verlieren – denn die Summe aller Marktanteile addiert sich nun einmal zu Eins.
Wettbewerb ja – Wirtschaftskrieg nein
Ein funktionierender Wettbewerb zwischen Unternehmen kann positive Effekte haben. Er setzt Anreize, effizienter zu werden, zu investieren und produktiver zu arbeiten – etwa durch neue Technologien, die mit demselben Arbeitseinsatz mehr Output ermöglichen. Dass weniger wettbewerbsfähige Unternehmen vom Markt verschwinden, ist Teil einer dynamischen Wirtschaft.
Zwischen Ländern funktioniert diese Logik jedoch nicht. Eine „Verdrängung“ Frankreichs oder Italiens durch Deutschland wäre ökonomisch absurd – wenn die Handelspartner geschwächt werden, schrumpft auch die Nachfrage nach deutschen Gütern. Internationaler Handel kann langfristig nur bestehen, wenn alle Seiten profitieren. Innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften wird es also ebenso wie beim internationalen Wettbewerb also immer Gewinner und Verlierer geben.
Wechselkurse als Korrektiv gegen unfaire Standortpolitik
Trotzdem wird das Narrativ gepflegt, Deutschland stehe „im Wettbewerb mit China“ – obwohl sich der Wettbewerb real zwischen Unternehmen abspielt, nicht zwischen Staaten. Politiker greifen dennoch zu Arbeitsmarktreformen, um Löhne und Preise zu drücken und über relativ billigere Produkte höhere Exporte zu erzielen. Exportüberschüsse gelten nach wie vor als Beleg wirtschaftlicher Stärke. Die gängige Berichterstattung über den Außenhandel verstärkt diesen Eindruck bei Wählern wie Mandatsträgern unablässig.
Der vermeintliche Vorteil, mehr zu produzieren als man selbst verbraucht und den Überschuss ins Ausland zu verkaufen, besteht in der geringeren Arbeitslosigkeit, die durch die zusätzliche Auslandsnachfrage entsteht. Doch dieser Vorteil hat zwangsläufig eine Kehrseite: Die Handelspartner sehen sich mit einer geringeren Nachfrage nach ihren eigenen Gütern konfrontiert. Damit der Handel zwischen Unternehmen verschiedener Länder funktioniert und kein Land dauerhaft Vorteile auf Kosten seiner Partner erzielt, braucht es einen Mechanismus, der solche Ungleichgewichte korrigiert. Eine zentrale Möglichkeit dafür ist die Anpassung der Wechselkurse.
Der Wechselkurs bestimmt, in welchem Verhältnis zwei Währungen getauscht werden können. Jede Bewegung des Kurses verändert somit die Preise heimischer Güter im Ausland und umgekehrt. Steigen etwa die Löhne im Euroraum langsamer als in den USA, werden europäische Produkte relativ günstiger. Käufer in beiden Ländern würden weniger US-Güter und mehr Euro-Güter nachfragen. In der Folge dürfte der Dollar abwerten und der Euro aufwerten. Für einen Euro wären dann mehr Dollar zu zahlen. Damit verteuern sich Güter aus dem Euroraum für US-Kunden, während amerikanische Produkte für Käufer im Euroraum billiger werden. Die Nachfrage würde sich tendenziell zurückverlagern, sodass der ursprüngliche Nachfrageverlust der USA gegenüber dem Euroraum wieder schrumpft.
Interne vs. Externe Abwertung
Von einer externen Abwertung spricht man, wenn die Wettbewerbsfähigkeit über eine Senkung des Wechselkurses wiederhergestellt wird: Der Außenwert der Währung sinkt, US-Produkte werden für das Ausland günstiger, ohne dass im Inland Löhne gesenkt oder andere politische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Maßgeblich für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist dabei der reale Wechselkurs, also der Außenwert der Währung bereinigt um Preisentwicklungen. Theoretisch könnten die USA ihre Wettbewerbsfähigkeit auch über Lohnsenkungen sichern – eine sogenannte interne Abwertung.
Das Problem: Interne Abwertungen sind fast immer schmerzhafter als eine Anpassung des Wechselkurses. Milton Friedman verglich die externe Abwertung einmal mit einer „monetären Zeitumstellung“. Natürlich könnte man sich einfach darauf einigen, ab einem bestimmten Stichtag eine Stunde früher aufzustehen oder früher Mittagspause zu machen – aber die Koordination wäre so kompliziert, dass wir stattdessen einfach die Uhr vorstellen.
Genauso verhält es sich bei einer Überbewertung des realen Wechselkurses: Würden alle Löhne, Preise, Gebühren und Steuern gleichzeitig um etwa 10 Prozent sinken, wären die Auswirkungen im Inland gering. In der Realität aber sinken zuerst die Löhne, während die Preise erst später nachgeben. In dieser Übergangsphase können Arbeitnehmer sich vieles schlicht nicht mehr leisten – die Last der Anpassung tragen also zuerst die Beschäftigten. Das Handelsdefizit schrumpft anfangs nur deshalb, weil die Menschen sich mit niedrigeren Löhnen weniger Importe leisten können.
Eine wirkliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit tritt erst ein, wenn auch die Preise fallen − also mit zeitlicher Verzögerung. Die Anpassung des Außenwerts der Währung ist deshalb der deutlich einfachere Weg, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen: Das Verhältnis von Löhnen zu Preisen bleibt im Inland unverändert, und die sogenannten Substitutionseffekte zwischen in- und ausländischen Gütern setzen sofort ein. Durch die Wechselkursabwertung werden sowohl US-Amerikaner als auch Bewohner des Euroraums relativ mehr US-Produkte nachfragen (siehe hierzu auch diesen Artikel).
Exportüberschüsse – Fluch oder Segen
Ob ein Exportüberschuss positiv oder negativ zu bewerten ist, wurde auf MAKROSKOP bereits mehrfach und kontrovers diskutiert. Zunächst zeugt ein Überschuss nicht automatisch von hoher Wettbewerbsfähigkeit: Er kann ebenso das Zeichen einer schwachen inländischen Wirtschaft sein. Wenn Haushalte und Unternehmen wenig Einkommen haben, sinkt ihre Importnachfrage. Ein Überschuss entsteht dann nicht, weil die Exporte boomen, sondern weil die Importe einbrechen. Griechenland nach der Finanzkrise liefert dafür ein tragisches, aber lehrreiches Beispiel.
Viele meiner MMT-affinen Kollegen sehen Handelsdefizite als Vorteil: Ein Land erhalte mehr Güter aus dem Ausland, als es selbst liefern müsse, könne also mehr verbrauchen, als es produziert. Und Arbeitslosigkeit ließe sich – so das Argument – jederzeit durch höhere Staatsausgaben beseitigen. Aus dieser Perspektive gelten die Bürger von Überschussländern als Benachteiligte, weil ihre Regierungen zulassen, dass sie „für das Ausland arbeiten“.
So sehr ich dieser Sichtweise in Teilen sympathisch gegenüberstehe – und so wenig sinnvoll ich es finde, Exportüberschüsse durch Lohnzurückhaltung und Sparpolitik zu erzwingen – erscheint mir diese Schlussfolgerung zu kurz gegriffen. Dauerhafte Exportüberschüsse werden zwar oft durch hohe Ungleichheit und politisch gewollte staatliche Ausgabendisziplin erkauft, um Preise niedrig und Auslandsnachfrage hochzuhalten. Genau deshalb sind sie kein wirtschaftspolitisches Ideal, sondern häufig ein Symptom verzerrter Prioritäten.
Wer jedoch behauptet, die Überschussländer seien die eigentlichen Benachteiligten, müsste konsequenterweise auch die Defizitländer kritisieren – denn auch sie profitieren davon, dass anderswo die Löhne gedrückt werden. Überspitzt gesagt: Den eigenen Wohlstand darauf zu gründen, dass „die Deutschen“ für einen arbeiten, ist kaum weniger fragwürdig als eine Politik zu unterstützen, die per Dumpinglöhnen Nachfrage aus dem Ausland abzieht. Wie auch immer man Außenhandelsüberschüsse bewertet – beide Seiten tragen Verantwortung für das Ergebnis.
Wieso eine ausgeglichene Handelsbilanz sinnvoll ist
Zudem haben Außenhandelsungleichgewichte langfristige strukturelle Folgen. Exporte bestehen häufig aus Industriegütern – und gerade in der Industrie entstehen die größten Produktivitätsfortschritte. Länder, die dauerhaft weniger exportieren als importieren, laufen damit Gefahr, schrittweise industrielle Kapazitäten zu verlieren – und damit das Potenzial, zukünftig mit gleichem Arbeitseinsatz mehr zu produzieren.
Aber auch anhaltende Überschüsse sind kein Selbstläufer für Wohlstand. Wenn Unternehmen eines Landes dauerhaft über niedrige Löhne oder einen schwachen Wechselkurs konkurrenzfähig gehalten werden, fehlt ihnen der Druck, innovativer zu werden. Güter lassen sich dann auch ohne produktivitätssteigernde Investitionen absetzen. Statt technischen Fortschritt zu fördern, kann ein falsch organisierter internationaler Handel Innovation behindern.
Am Ende leidet die Weltwirtschaft unter beiden Extremen: Defizitländer verlieren industrielle Substanz, Überschussländer büßen Innovationskraft ein. All dies spricht für weitgehend ausgeglichene Handelsbilanzen, um die Vorteile des internationalen Handels zu sichern – und seine Schattenseiten zu begrenzen.
Flexible oder feste Wechselkurse?
Auch darüber, ob flexible oder feste Wechselkurse besser geeignet sind, einen fairen und für alle Seiten vorteilhaften Handel zu gewährleisten, wurde auf MAKROSKOP bereits häufig gestritten. Befürworter flexibler Wechselkurse setzen darauf, dass der Devisenmarkt Fehlbewertungen zumindest mit der Zeit korrigiert. Eine hohe Exportnachfrage führt etwa zu einer steigenden Nachfrage nach der inländischen Währung und damit zu einer Aufwertung. Diese verteuert inländische Güter für das Ausland und dämpft den Exportüberschuss. In diesem Gedankenmodell entstehen Außenhandelsungleichgewichte zwar regelmäßig – werden aber langfristig durch entsprechende Wechselkursbewegungen automatisch korrigiert.
Wie so oft erweist sich der Markt auch hier als wenig verlässlich, das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Länder mit dauerhaft positiven Handelsbilanzen. Entscheidend für Wechselkursbewegungen sind in erster Linie Finanzströme, nicht Güterströme. Erwartete Renditen, Kapitalzuflüsse und spekulative Wetten können den realen Wechselkurs über lange Zeit von dem Wert entfernen, der zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz passt – solange die Akteure am Devisenmarkt diese Entwicklung für plausibel halten. Aus dieser Perspektive spricht vieles dafür, Wechselkurse zu stabilisieren oder festzulegen, statt sie den Launen globaler Finanzmärkte zu überlassen.
Jedoch gehen auch feste nominale Wechselkurse zwischen zwei oder mehreren Ländern weiterhin mit Schwankungen der realen Wechselkurse einher, wenn sich die Preise der beteiligten Nationen unterschiedlich entwickeln. Steigen bei fixem Wechselkurssystem die Preise in einem Land schneller als bei den anderen Teilnehmern des Währungssystems, wertet der reale Wechselkurs dieses Landes auf. Diese Entwicklung kann dann nicht mehr durch eine Abwertung des nominalen Wechselkurses korrigiert werden, sondern nur durch Lohn- und Preisanpassungen.
Der Verlust der Eigenständigkeit
Bindet ein Land seinen Wechselkurs an eine ausländische Währung, verliert es zudem weitgehend die Möglichkeit einer eigenständigen Geldpolitik. Unterscheiden sich die Zinsen vom Niveau des Ankerlandes, reagieren Anleger mit Umschichtungen: Liegt der inländische Zins niedriger, wird vermehrt in der anderen Währung angelegt, wodurch die eigene Währung unter Abwertungsdruck gerät. Die Zentralbank muss dann eingreifen und Devisen verkaufen, um den festen Kurs zu halten – doch ihre Reserven sind begrenzt. Sind sie erschöpft, kann der Fixkurs nicht länger geldpolitisch verteidigt werden.
Eine drohende Aufwertung kann hingegen dauerhaft verhindert werden: Dafür kauft die Zentralbank einfach mehr ausländische Währung und gibt neu geschaffenes eigenes Geld aus. Da sie ihre eigene Währung jederzeit in beliebiger Menge erzeugen kann, gibt es hier keine Grenze.
In gewisser Weise ist auch die Fiskalpolitik unter festen Wechselkursen eingeschränkt. Wenn höhere Staatsausgaben die Wirtschaft ankurbeln, steigen auch die Einkommen – und damit oft die Nachfrage nach Importen. Dadurch erhöht sich die Nachfrage nach ausländischer Währung, was zu einer Aufwertung dieser Währung und damit zu einem Abwertungsdruck auf die eigene führt. Um den festen Wechselkurs zu verteidigen, müsste die Zentralbank mit Zinserhöhungen gegensteuern, um so ausländische Anleger anzulocken und die Nachfrage nach inländischer Währung zu erhöhen. Genau diese Zinserhöhung würde jedoch den konjunkturellen Impuls der Staatsausgaben wieder ausbremsen.
Bretton-Woods: Die perfekte Mischung?
All diese theoretischen Handlungsoptionen sind mit Vorsicht zu betrachten – die wirtschaftliche Realität ist deutlich komplexer. Dennoch zeigen die historischen Erfahrungen: Weder feste noch flexible Wechselkurse liefern verlässlich gute Ergebnisse. Die Goldbindung etwa war eine besonders rigide Form eines festen Wechselkurses und erwies sich wiederholt als Belastung, weil sie es Ländern unmöglich machte, Wirtschaftskrisen durch geldpolitische Impulse abzufedern.
Auch die Phase flexibler Wechselkurse nach der globalen Finanzkrise verlief alles andere als optimal. Wie hier beschrieben, setzte ein regelrechter Abwertungswettlauf ein: Viele Industrienationen versuchten, durch eine Schwächung ihrer Währungen die eigenen Probleme in Form steigender Exporte ins Ausland zu verlagern. Erfolgreich war das nicht – schlicht, weil nicht alle Länder gleichzeitig abwerten können. Statt die Krise durch gezielte binnenwirtschaftliche Maßnahmen wie höhere Staatsausgaben zu bekämpfen, trug der kollektive Versuch der Abwertung eher dazu bei, die wirtschaftliche Schwächephase zu verlängern.
Im Bretton-Woods-System versuchte man in gewisser Weise, die Vorteile beider Wechselkursregime zu verbinden und deren Nachteile zu begrenzen. Die feste Bindung der europäischen Währungen an den US-Dollar verhinderte, dass Länder durch gezielte Interventionen am Devisenmarkt ihre Währungen zulasten ihrer Handelspartner abwerteten. Gleichzeitig waren Anpassungen nicht ausgeschlossen: Wechselkurse wurden regelmäßig neu festgesetzt. Wurde ein Land – etwa Italien – durch höhere Lohnzuwächse als seine Handelspartner preislich zu teuer, konnte seine Währung gezielt abgewertet werden.
Auch im Europäischen Währungssystem, dem Vorläufer des Euro, wurden Wechselkurse noch neu bewertet. Seit Einführung der gemeinsamen Währung ist eine solche Anpassung aber nicht mehr möglich – ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit kann also nur noch über eine interne Abwertung, also über eine relative Lohnsenkung, ausgeglichen werden.
Eigentlich erfordert ein solches System eine enge Abstimmung der Lohn- und Preisentwicklung zwischen den Mitgliedstaaten, um den wegfallenden Korrekturmechanismus über den Wechselkurs zu ersetzen. Leider sind sämtliche Versuche, eine solche Koordination zu etablieren, bislang gescheitert.