Wie moderat ist Zohran Mamdani?
Zohran Mamdani gilt als junge Hoffnung der Demokratischen Partei: Nicht mehr der woke Kulturkämpfer, sondern moderat, optimistisch und arbeitnehmerfreundlich. Doch das ist nur Optik.
Am 1. Januar tritt Zohran Mamdani das Amt des Oberbürgermeisters von New York an. Als der 34-Jährige das letzte Mal den kurzlebigen und von hysterischen Überreaktionen geplagte Nachrichtenzyklus dominierte, schoben viele rechte Kommentatoren in den USA Panik, weil mit Mamdani ein in Uganda geborener, muslimisch-stämmiger demokratischer Sozialist die Bürgermeisterwahl in New York gewonnen hatte. Besonders für ältere Wähler, die noch mit der ihnen eingetrichterten Angst vor dem Gespenst des Sowjetkommunismus aufwuchsen, hieß das, New York verwandle sich bald in einen gigantischen Gulag.
Für die von Schulden und düsteren Jobperspektiven geplagte jüngere Wählerschaft der Stadt verhieß Mamdani eine rosige Zukunft; allen voran würde er den notorisch unerschwinglichen Wohnungsmarkt der Stadt bezahlbarer machen, war man sich sicher. Mamdani half dabei sein positives, charismatisches Auftreten. Er trug stets ein breites, einladendes Lächeln im Gesicht, wo auch immer er sich ablichten ließ. Das wirkte rein symbolisch wie eine Abkehr von der düsteren Message, mit der der amerikanische Links-Progressivismus in den letzten zehn Jahren die Wähler einzuschüchtern suchte: „Wählt uns, sonst kommt der Faschismus und die Klimakatastrophe”.
Und als er sich schließlich sogar nach seinem Wahlsieg mit Donald Trump im Oval Office zum freundlichen Gespräch traf und auch damit den schrillen Anti-Trumpismus der Demokraten zu bändigen schien, war für viele Beobachter klar: “Zohran Mamdani vertritt die Zukunft der Demokratischen Partei”. Nicht mehr woker Kulturkämpfer, aber auch nicht von Wall Street-Interessen vereinnahmt, sondern jung, moderat, optimistisch, und arbeitnehmerfreundlich.
Das ist gewiefte Optik, aber eben auch nicht mehr als das. Mehr Schein als Sein.
Während des Wahlkampfes setzte Mamdani alles daran, sein Image zu moderieren. Und das hatte er bitter nötig, denn seine alte Social Media-Präsenz zeichnete ihn eben doch als militanten linken Kulturkämpfer aus. 2020, zur Hochphase der Black Lives Matter-Proteste, schrieb er noch auf Twitter:
Wir brauchen keine Untersuchung, um zu wissen, dass das NYPD [New York Police Department] rassistisch, queerfeindlich und eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist.
Was wir brauchen, ist #DefundTheNYPD.
Als ihm solche Tweets um die Ohren flogen, erklärte er, „ich trete nicht mit dem Ziel an, der Polizei die Mittel zu streichen”. Vielmehr, so Mamdani, sei er heute „ein Kandidat, der nicht festgelegt oder erstarrt ist, sondern lernt und führt – und zu diesem Prozess gehört auch, anzuerkennen, wie ich mich weiterentwickelt habe”.
Ein erstes Zeichen in diese Richtung setzte Mamdani, als er versprach, er würde Jessica Tisch, die Präsidentin des NYPD, im Amt behalten. Tisch genießt unter Polizeibeamten und Law-and-Order-Befürwortern viel Respekt. Doch gleichzeitig hat Mamdani vor, eine Kommission für “gemeinschaftliche Sicherheit” ins Amt berufen, die ihn in Fragen der öffentlichen Sicherheit beraten soll. Und in dieser werden von Mamdani erkorene Aktivisten dienen wie der Soziologie-Professor am Brooklyn College, Alex Vitale, der die Abschaffung der Polizei zum Ziel hat, oder Kassandra Frederique, die zur Entkriminalisierung des Drogenkonsums aufruft.
Hier ist nicht der Ort, um über die Weisheit bzw. Unweisheit derartiger Ansichten zu referieren. Stattdessen ist Mamdanis Personalpolitik einfach ein bedeutendes Indiz, wie weit es mit seiner persönlichen Weiterentwicklung wirklich gegangen ist.
Aber ist dieses Thema denn wahrlich so essenziell? Schließlich gehört New York zu einer der sichersten Großstädte der USA, mit einer vergleichsweise sehr niedrigen Mordrate. Noch in den 1970er und 80er Jahren war das krasse Gegenteil der Fall und die Stadt litt während der Crack-Cocaine-Epidemie unter einer massiven Mordwelle, die erst durch eine verschärfte Polizeipräsenz unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Die 70er waren ein Wendepunkt in der Geschichte New Yorks. Hunderttausende Bewohner zogen in die sichereren Suburbs um, was das Ausbleiben erheblicher Steuermittel zur Konsequenz hatte. Auf der Soll-Seite jedoch hatte die Stadt einen aufgeblähten öffentlichen Sektor, der aufgrund mafiöser Strukturen außerordentlich viel Macht besaß und Kürzungen nicht hinnehmen wollte. Die Stadt stand vor dem Bankrott.
Die Lösung war, die Stadt in einen Spielplatz der Banken und Multimilliardäre zu machen. Die Bedeutung der Finanzindustrie nahm in der Ära des Reaganismus erheblich zu und aufstrebende Bauunternehmer wie der junge Donald Trump verwandelten New York in ein Spiegelkabinett postmoderner Glasfassaden auf aus den Löchern sprießenden Luxuswolkenkratzern. Und die Banker wollten sich eben sicher fühlen und nicht, wie es zu der Zeit noch üblich war, beim Spaziergang im heruntergekommenen Central Park ausgeraubt werden.
Dass sich Anwohner aus der Arbeiterklasse und Mittelschicht daraufhin überhaupt noch einen Wohnsitz in der Stadt leisten konnten, war allen voran das Resultat der sehr strengen Mietpreisbremse, die in New York sogar vererbbar ist (und auch gerne von Wohlhabenden in Anspruch genommen wird). Und Mamdani will den Mietdeckel sowohl ausweiten als auch durch den „Bau dauerhaft bezahlbarer Wohnungen, errichtet von Gewerkschaftsbetrieben und mit Mietpreisbindung” 200.000 neue Wohnhäuser in den nächsten zehn Jahren errichten lassen.
Damit will er Marktimpulse umgehen und einen anderen Weg einschlagen als viele sogenannte „New Urbanists”, die Deregulierung und eine Liberalisierung der Stadtbauverordnung bevorzugen. Doch wie es in New York für gewöhnlich mit Mamdanis Methoden verläuft, hat die New York Times 2017 in einem ausführlichen Exposé aufgezeigt: Für den schleppend verlaufenden Bau der Second Avenue U-Bahnlinie musste die Stadt ca. 2,5 Milliarden Dollar pro gebauter Meile bezahlen, fünfmal so viel wie ein vergleichbares Projekt in Paris gekostet hat. Das hat auch damit zu tun, so der Times-Bericht, dass sich die mächtigen (und mafiösen) Baugewerkschaften New Yorks großzügige Verträge ausschreiben ließen, die oft doppelt so viel Personal verpflichteten als in Paris und anderen modernen Großstädten.
Wenn also New Yorker künftig auf „von Gewerkschaftsbetrieben” errichteten Wohnraum warten möchten – strengen modernen, bürokratischen Vorschriften folgend selbstverständlich – warten sie in zehn Jahren wahrscheinlich immer noch.
Finanzieren möchte sich Mamdani seine Pläne durch eine Erhöhung der Körperschaftssteuer und eine zweiprozentige Flat Tax auf Bewohner mit einem jährlichen Einkommen von mehr als einer Million Dollar. Das ist keine radikale Abkehr der Finanzialisierung New Yorks als vielmehr eine Kapitulation davor, denn Mamdani hofft, sich von den Banken und Reichen Almosen abzuschöpfen. Doch wenn diese ihr Geld einfach anderswohin tragen?
Eine Kapitalflucht aus der Heimat der Wall Street ist gewiss schwer vorstellbar, aber JP Morgan Chase CEO Jamie Dimon gab sich kürzlich im CNN-Interview verhalten zur Zukunft der eigenen Belegschaft in New York. Der Hedge Fond Citadel floh mitsamt des Großteils der Angestellten aus Chicago, dessen Bürgermeister Brandon Johnson ideologisch ähnlich ausgerichtet ist wie Mamdani. Und Chicago steht vor massiven finanziellen Engpässen und kann sich einen derartigen Verlust überhaupt nicht leisten.
Also vor dem Finanzsektor kapitulieren und einfach den unbezahlbaren Status Quo beibehalten? Das ist die Tragik des eigenen Erfolgs New Yorks. Für ambitionierte junge Menschen, die es in den Medien, der Kunst, dem NGO-Sektor oder anderen post-industriellen Berufszweigen zu etwas bringen wollen, sind die einigen wenigen Küstenmetropolen der USA unumgängliches Ziel. Und diese Berufssektoren sind oft symbiotisch mit der Milliardärsklasse verbunden, denn Medienunternehmen, Kunstinstitute und definitiv die NGOs sind oft Prestigeprojekte eben dieser Klasse.
Der amerikanische Ökonom Oren Cass hat neulich den Teufelskreis der Agglomeration von Wirtschafts- und Berufszweigen in einigen wenigen Mega-Metropolen überzeugend geschildert. Für Cass ist die Lösung nicht automatisch, das Leben in diesen Ballungsräumen durch Angebotszufuhr von Wohnraum bezahlbarer zu machen, sondern die nationale Wirtschaft geografisch mehr zu diversifizieren und so also die Nachfrage nach Wohnraum in New York zu entlasten.
Aber möchte denn Mamdanis junge, akademisch gebildete, kosmopolitisch ausgerichtete Wählerschaft denn irgendwo anders leben als im „Big Apple”, den Mamdani auch zu einem offiziellen „Schutzraum” (sanctuary city) für „LGBTQIA+ New Yorker” designieren will und für illegale Einwanderer, die von Donald Trumps Deportationen bedroht sind, sowieso?
Kurz gefasst: Moderates Image hin oder her, Mamdani vertritt weiterhin das Programm derjenigen Klasse, die noch vor wenigen Jahren als aggressive Kulturkrieger auftraten und die heute eigentlich noch so weiter machen wollen wie bisher – von Finanzeliten gefördert, und der trügerischen Gewissheit hingegeben, dass so etwas wie die Kriminalitätswelle und haushaltspolitische Abwärtsspirale der 70er Jahre nie wieder kommen wird.