Spotlight

Im Dunkel des Geldsystems

| 09. Oktober 2020
istock.com/francescoch

Liebe Leserinnen und Leser,

unser Geldsystem liegt für die allermeisten Menschen in einem abstrakten, undurchdringbaren Nebel. Die Ursachen und Folgen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 scheinen genauso komplex und intransparent wie das Handeln der Regierungen und Zentralbanken während und nach dem Crash.

Bis heute sind die damals im großen Stil durchgeführten Bankenrettungen umstritten. Waren sie (moralisch) gerechtfertigt bzw. überhaupt notwendig? Mussten – wie überall zu hören war – die Steuerzahler für die Rettungsgelder aufkommen? Wurden Gewinne privatisiert und Schulden sozialisiert? Sind die durch die Bankenrettung exorbitant gestiegenen Staatsschulden noch tragbar? Und was kann man tun, um eine zukünftige Finanzkrise und ein »too big to fail« zu verhindern?

Festzuhalten bleibt, bis heute hat sich Europa nicht von den schwerwiegenden Folgen dieser Krise erholt. Die südlichen Mitgliedsstaaten der EU leiden unter hoher (Jugend)Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und dem Diktat einer von Brüssel und Frankfurt oktroyierten Sparpolitik. Und wäre das noch nicht genug, erfasste mit der Corona-Pandemie eine zweite, noch heftigere Krise die globale Wirtschaft. Diese doppelte Schockwelle, ein ökonomisches Krakatau, zwingt Zentralbanken und Staaten zu unorthodoxen und zuvor nicht für möglich gehaltenen geld- und fiskalpolitischen Interventionen, die viele Fragen nach der Funktionsweise moderner Geldsysteme aufwerfen.

Das etablierte, neoklassische Lehrgebäude der Wirtschaftswissenschaften, das der Idee von der Wirtschaft im Gleichgewicht und der Neutralität des Geldes anhängt, steht diesen Fragen ratlos gegenüber und ist daher selbst in eine Legitimitätskrise geraten. Zwei relativ junge Theorien über unser Geldsystem haben dagegen während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise an Popularität gewonnen: Die Modern Monetary Theory (MMT) und die Vollgeldtheorie. Erstere reklamiert für sich, Licht ins Dunkel des Geldsystems zu bringen. Zweitere kritisiert vor allem dessen funktionale Ausgestaltung und bietet einen auf den ersten Blick radikal anmutenden Reformvorschlag. Doch wenngleich die Kritik am Status Quo Vollgeldreformer und MMT-Vertreter eint, so sehr herrscht Dissens in der Frage, wie die »Finanzalchemie« zu unterbinden sei, die uns die vielen Krisen eingebrockt hat.

Unser erstes Spotlight stellt die beiden revolutionär klingenden Theorien vor und einander gegenüber. Wir lassen mit Joseph Huber einen exponierten Vertreter der Vollgeldidee zu Wort kommen. Huber übt nicht nur fundamentale Kritik am herrschendem Geldsystem, sondern auch an der MMT: Zwar kündige diese eine umfassende Geldtheorie an, stelle sich tatsächlich aber eher als ein Baukasten diverser Hypothesen dar. Entgegen ihrem Anspruch würde sie die Probleme des bestehenden Giralgeldregimes der Banken, der Geldpolitik und des Finanzsystems stark unterbelichtet lassen, so sein Verdikt.

Doch auch die Vollgeldidee muss sich der Kritik stellen: Stephan Schulmeister meint, die Reformvorschläge der Vollgeldreformer zur Eindämmung der Finanzspekulation liefen in die Irre. Die geforderte Abschaffung des Kreditgeldes sei keine hinreichende Bedingung für eine Eindämmung der Spekulation.

Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker bezichtigen der Vollgeldidee, einem »Supermonetarismus« das Wort zu reden und damit die Frage der Geldschöpfung mit einer Theorie von gestern zu beantworten.

Maurice Höfgen mag die recht detaillierten Vorschläge der Vollgeldidee zur Reform des Geldwesens nicht mittragen, weil sie vor allem auf den Abbau von Staatsschulden zielten und so dem Verständnis der MMT zur Rolle staatlicher Schulden in modernen Geldwirtschaften diametral widersprächen.

Der Titel »Wie Hund und Katz« ist also Programm. Trotzdem versucht Paul Steinhardt, Brücken über die Gräben zu bauen: »Warum sollten MMT-Ökonomen und Vollgeldreformer nicht gemeinsam für eine Abschaffung des Geldschöpfungsprivilegs von Banken streiten?« Schließlich, so Steinhardt sei dieses System inhärent instabil und erfordere zu seiner Stabilisierung eine ethisch nicht rechtfertigbare Privilegierung von Geschäftsbanken.