Spotlight

Ökonomen und das Schwarze Loch

| 23. Juli 2021
Getty Images/iStockphoto

Liebe +Leserinnen und +Leser,

reine Dunkelheit, kein Licht, keine Strahlung, keine Information. Jenseits des Ereignishorizonts geht alles verloren. Die Raumzeit ist gekrümmt. Willkommen im Schwarzen Loch der neoklassischen Ökonomik, eine Wissenschaft, die ihren Brennstoff verbraucht hat, kollabiert ist und dennoch eine gewaltige Anziehungskraft ausübt. Was dort vor sich geht, werden Menschen außerhalb dieses extremen Gravitationszentrums nie begreifen.

Die Welt im Licht, jene die sich dreht und verändert, liegt außerhalb des Ereignishorizonts der Neoklassiker. Ist unsere Zeitrechnung bereits im 21. Jahrhundert angelangt, bleiben die neoklassischen Ökonomen in einer Zeitschleife des frühen 20. Jahrhunderts gefangen. Die Relativitätstheorie macht es möglich. Brauchbare Informationen sind von diesen Ökonomen im Dunkeln nicht zu erwarten, im Gegenteil: jede neue, von außen kommende, Theorie, die zu nah an ihr Zentrum geriet, wurde okkupiert, verschlungen und ward nie wieder sichtbar. Das hat mitunter obskure Phänomene zur Folge. So etwa, wenn Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble staatliche Haushaltsdisziplin in Europa mit John Maynard Keynes begründet.

Egal was auch geschieht, welche Katastrophen die Menschheit erlebt, welche Entdeckungen sie macht oder welche neuen Herausforderungen sich ihr stellen – immer kennt die Neoklassik nur eine Antwort: Mehr Markt. Es ist ein in der Zeit stehengebliebener, in sich gekehrter Autismus, der den Urknall des Marktversagens nicht zu deuten in der Lage ist. Dessen immer wieder kehrendes Rauschen – Weltwirtschaftskrisen, Finanzkrisen, die Klima- oder Corona-Krise – wird zur Botschaft der „Stärkung marktwirtschaftlicher Mechanismen“ umcodiert.

So ein Gastbeitrag in der FAZ vom 11. Juli, in dem die exponiertesten Apologeten der dunklen Ökonomik, Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt, Monika Grimm, Volker Wieland, Gabriel Felbermayr und Clemens Fuest trotz „gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und geopolitischer Umbrüche“ bloß „kein ‚neues ökonomisches Denken‘“ wollen. Dafür folgt eine Aneinanderreihung sämtlicher Versatzstücke aus dem alten Denken.

So entgeht ihnen nicht, dass der Ruf nach dem „starken Staat“ durch die Pandemie „noch lauter“ geworden sei. „Bei näherer Betrachtung“ frage „man sich allerdings, warum.“ Der Staat könne zwar Schulden „auf Basis künftiger Steuereinnahmen finanzieren“. Aber falle das Wirtschaftswachstum schwächer aus, „sinkt die Schuldentragfähigkeit“. Angesichts des demographischen Wandels sei es nicht leicht, entsprechendes Wachstum zu erreichen. Während der Krise habe sich die Privatwirtschaft als flexibel und anpassungsfähig, der Staat als schwerfällig und überfordert erwiesen. Klimaschutz ginge durch „Digitalisierung“ und „private Investitionen“, während der Staat aus seiner Verschuldung herauswachsen müsse.

Es gelte demnach, „zeitnah aus den Hilfsprogrammen auszusteigen und staatliche Beteiligungen zurückzuführen sowie rasch zur regelgebundenen Finanzpolitik zurückzukehren.“ Einer „Aufweichung oder gar Abschaffung der Schuldenbremse und der EU-Fiskalregeln“, einer „offenen Monetarisierung öffentlicher Verschuldung“ oder einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank wird eine Absage erteilt.

Das ist eine unglaubliche Abwendung von einer Realität, in der das Finanz- und Wirtschaftssystem ohne die Intervention und Notbeatmung der Notenbanken in sich zusammenstürzen würde. Eine Realität, in der die Staaten schon lange die Rolle der Schuldner von den Unternehmen übernehmen mussten, von denen sich Feld, Fuest und Co. ihre privaten Investitionen erträumen.

Die Rückkehr zur „regelgebundenen Finanzpolitik“ und zu einer „marktwirtschaftlich geprägten Normalität“ ist ein Weg in die Leere des Raumes, da sich diese Normalität mit ihren Regeln längst aufgelöst hat. Allein die Neoklassiker haben das noch nicht mitbekommen. Ihr System mit seinen Institutionen, den Universitäten und Instituten, das die alte Materie ausstößt, ist selbst aus der Zeit gestoßen und aus sich heraus reformunfähig. Doch woran liegt das?

In diesem Spotlight wagen wir das Unerhörte: Wir probieren in das Schwarze Loch der Ökonomen vorzudringen und die Gründe zu erfassen, die das Phänomen der Zeitschleife erklären können. Wir beleuchten die Irrtümer der neoklassischen Lehre und die fatalen Folgen, die sie für die Zukunft unserer Gesellschaften mit sich bringt.