Tanz ums Geld
Liebe Leserinnen und Leser,
Die Corona-Krise ist nach der Großen Rezession 2007/08 und der ihr folgenden »Staatsschuldenkrise« ab 2010 eine dritte Krise der Währungsunion, die einmal mehr ein Window of Opportunity zu öffnen scheint. Nicht nur sind die EU und ihre Mitgliedstaaten zu völlig neuartigen geld- und wirtschaftspolitischen Interventionen gezwungen (siehe unser letztes Spotlight), auch das Spektrum der öffentlichen Debatte über das Geld und seine funktionale Bedeutung (in der Eurozone) hat sich erweitert. Das monetaristische Dogma bröckelt und es steht nicht zuletzt die Frage im Raum, ob wir Zeugen einer Revolution des Zentralbankwesens werden.
Einen großen Anteil an dieser Stoßlüftung der Diskursräume hat nicht zuletzt die Modern Monetary Theory. Während die dritte Krise ihrer Beschreibung unseres modernen Geldsystems Rückenwind verleiht, bläst der herrschenden Neoklassik, welche auf die sich überschlagenden Ereignisse in der Wirtschaftswelt keine befriedigende Antwort mehr findet, der Wind ins Gesicht: Überall steigen die staatlichen Budgetdefizite, aber die Zinssätze und Anleiherenditen bleiben niedrig. Die Zentralbanken kaufen riesige Mengen an Staatsanleihen, finanzieren damit faktisch die Haushaltsdefizite der jeweiligen Länder, aber die Inflationsraten verharren auf niedrigem Niveau.
Doch was heißt das konkret? Verändert die Covid-Krise und der wirtschaftspolitische Wetterwechsel nachhaltig unsere Art, über Geld und Wirtschaft zu denken?
Die Neoklassik hat ihre eigenen Strategien, mit der Krise, die zugleich ihre eigene ist, umzugehen. Eine davon folgt dem Motto »Augen zu und durch« – Einwände ignorieren, die Realität leugnen und alles weiter wie gehabt. Eine andere besteht darin, einzelne Teile der Modern Monetary Theory herauszugreifen und in das herkömmliche ökonomische Gedankengebäude zu integrieren versuchen.
Vorsicht sei da geboten, mahnt Günther Grunert. Jedem Versuch, Teile der MMT in das orthodoxe (neoklassische) Modell einzubauen, müsse entgegentreten werden. Letztlich handele es sich bei solchen Vereinnahmungsversuchen um ein typisches Verhalten der Vertreter eines überholten Paradigmas.
Aber auch die MMT selbst ist längst nicht über jeden Zweifel erhaben. Zwar sei ihre politische Botschaft angesichts solcher Probleme wie Finanzkrisen, dysfunktionaler Währungsunionen oder Pandemien einfach und vordergründig plausibel, schreiben Aloys Prinz und Hanno Beck. So löse sie scheinbar alle Probleme, an denen sich Makroökonomen und Politiker über 100 Jahre die Zähne ausgebissen haben – aber eben nur scheinbar. Makroökonomische Forschung, Empirie und die Anreize, denen Politiker ausgesetzt sind, stützten etwa die Idee einer unabhängigen Notenbank. Die Zahl der Beispiele, in denen Politiker mittels Notenpresse Wahlgeschenke verteilt, und auf diesem Weg die heimische Wirtschaft ruiniert haben, sei zu groß, um sie als Sonderfälle und Ausnahmen anzusehen, so Prinz und Beck weiter.
Es ist eine Argumentation, die die dominierende Lehre der letzten 40 Jahre stützt, dass nämlich geldpolitische und der fiskalische Arm des Staates getrennt voneinander agieren sollten, um »fiskalische Dominanz« zu vermeiden – ein keynesianisches Leiden, wie man glaubt, das die Zentralbanken populistischen Politikern unterordnet und sie daran hindert, die Inflation zu kontrollieren.
Allerdings erkennen mittlerweile selbst die Zentralbanken an, dass die Geldpolitik tiefe Wirtschaftskrisen ohne Unterstützung durch die Fiskalpolitik nicht im Alleingang bewältigen kann, wie Daniela Gabor weiß. Doch der aktuelle Kurswechsel der Zentralbanken sei eine Revolution ohne Revolutionäre – die großen Ankäufe von Staatsanleihen dürften nicht als Rückkehr zu keynesianisch agierenden mächtigen Finanzministerien und entmachteten Zentralbanken interpretiert werden.
Im Gegenteil, die Zentralbanken hätten seit der globalen Finanzkrise in aller Stille ein Regime der monetären Schattenfinanzierung errichtet, so Gabor weiter. Das sei Minsky ohne Keynes: Die Zentralbanken haben ihren politischen Rahmen an ein sich entwickelndes Finanzsystem angepasst, ohne dass die Finanzministerien ihre keynesianische Dominanz zurückgewonnen hätten. Dabei sei die Notwendigkeit, den institutionellen Rahmen für die Koordination von Geld- und Fiskalpolitik zu überdenken, noch nie so dringend gewesen wie jetzt.