Übergewinnsteuer? Ja, bitte!
Schon ist von einer „pathologischen Inflation der Profite“ die Rede. Makroökonomisch spricht viel dafür, bei der Inflationsbekämpfung auch bei den Gewinnen der Unternehmen anzusetzen.
Krisen erzeugen Verlierer und Krisen erzeugen Gewinner. Da liegt es nahe, die einen beim Vorliegen eines solchen Falles mehr zu besteuern, um die anderen wenigstens relativ finanziell zu entlasten.
Ganz konkret wird im Moment in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern über eine Übergewinnsteuer für Unternehmen diskutiert. In einigen Staaten wurde sie 2022 schon eingeführt oder angekündigt. So hat das Vereinigte Königreich für Energieproduzenten im Mai eine solche „Windfall Tax“ auf den Weg gebracht, die 5 Milliarden Pfund erbringen und als Gegenfinanzierung für die Zuschüsse an private Haushalte aufgrund gestiegener Heizkosten dienen soll. Schon im März hatte Italien seine Steuer vorgestellt. Sie soll auch Energiekostenzuschüsse an die Bevölkerung und Unternehmen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro zu guten Teilen refinanzieren.
Gefördert wurde dies Vorgehen dadurch, dass die EU-Kommission in ihrer ebenfalls vom März stammenden Leitlinie REPowerEU: gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie das Abschöpfen übermäßiger Gewinne für durchaus legitim erachtete. Allerdings folgt das italienische Beispiel dem dort beschriebenen, relativ engen Korsett möglicher Vorschriften nur bedingt.[1]
In Deutschland hat eine Übergewinnsteuer politische und wissenschaftliche Fürsprecher wie Gegner. Einer dieser Kritiker, Stefan Bach vom DIW, ist keiner der vielfach aufzufindenden Ökonomen, die Steuern immer nur irgendwie zu hoch finden. Stefan Bach argumentiert in seinem kurzen Beitrag im Kern auf drei Ebenen:
- Juristisch: eine Übergewinnsteuer für Energieproduzenten sei rechtlich schwierig, da im Grundgesetz das Steuersystem relativ detailliert festgeschrieben sei und die Prinzipien von allgemein und gleichmäßig dadurch verletzt werden würden.
- Qualitativ: auch solle man Übergewinne nicht unbedingt abschöpfen wollen, da dadurch Knappheit signalisiert werde und so Anreize für ein höheres Angebot gesetzt werden würden.
- Quantitativ: da Deutschland kein großes Förder- sondern vor allem Verbraucherland von Energie ist, wäre das Aufkommen hier sehr beschränkt, fallen die großen Gewinne aktuell doch eher in den Produzentenländern an.
Ich will diese drei Punkte aufgreifen und in der Antwort darauf fünf Prinzipien für eine machbare und angemessene Regelung ausarbeiten.
Übergewinnsteuer: Juristisch wie gestaltbar?
Generell legt das Grundgesetz mit Ausnahme weniger Allgemeinvorschriften der Gestaltung des Steuersystems wenig Fesseln an. Zu den Ausnahmen gehört sicher an vorderster Stelle das Gleichbehandlungsprinzip. In der Diskussion um Steuergerechtigkeit wird das doppelt gefasst. So gilt einmal, dass bei gleichem Einkommen die Steuerbelastung gleich sein sollte, das wird als „horizontale Steuergerechtigkeit“ bezeichnet. Daraus folgt auch für die Konstruktion einer Übergewinnsteuer als ein sinnvollerweise umzusetzendes erstes Prinzip:
- Übergewinne sollten branchenunabhängig besteuert werden.
Es interessiert also mindestens zunächst noch nicht, ob hier überdurchschnittliche Einnahmen als Folgen des Ukrainekrieges (Energie), aufgrund von Patenten (Coronaimpfstoffe), durch Oligopolbildung (Automobile) oder durch zeitweise Lieferkettenunterbrechungen (Container) zustande gekommen sind.
Die andere Dimension ist die „vertikale Steuergerechtigkeit“. Sie besagt, dass unterschiedliche Einkommen auch unterschiedlich besteuert werden sollten. Darauf bezieht sich dann etwa die Begründung der progressiven Einkommensteuer. Allerdings wird eine solche nicht auf die Gewinne von Kapitalgesellschaften erhoben, hier gilt der Einheitstarif der Körperschaftssteuer. Das muss aber nicht so sein. So kennt die USA etwa erst seit der die Wohlhabenden begünstigenden Steuerreform unter Präsident Trump einen einheitlichen Erhebungssatz. Vorher wurden Gewinne je nach Größe des Unternehmens mit 15 bis 35 Prozent besteuert. Dazu kommen noch Gewinnsteuern auf Staatsebene, die teilweise nach wie vor progressiv gestaltet sind.
Es gibt nämlich gute Argumente dafür, dass nicht nur bei Personen, sondern auch bei Unternehmen nach der Einkommenshöhe besteuert werden sollte. Größere Firmen realisieren Skaleneffekte, können also kostengünstiger produzieren. Das nützt scheinbar den Kunden, führt aber schnell zur Vermachtung von Märkten mit entsprechend überhöhten Preisen. Sie haben einen besseren Zugang zur Finanzierung und nicht zuletzt auch zu politischen Entscheidungsträgern.
Größere Unternehmen sind weiter international aufgestellt und können durch eine dadurch ermöglichte kreative Steuergestaltung ihre Steuerbelastung reduzieren. In den Mitgliedsstaaten der EU zahlen multinationale Firmen definitiv weniger als der jeweilige nominale Steuersatz beträgt. Dazu kommt, dass in der aktuellen Situation selbst bei den Schwergewichten die Preisanhebungsfähigkeit sehr ungleich verteilt zu sein scheint. Eine Untersuchung dazu im Vereinigten Königreich ergab, dass bei den Großfirmen gerade einmal 25 für 90 Prozent der Gewinnexplosion insgesamt verantwortlich waren.
Daraus ergibt sich als zweites Prinzip:
- Der Steuersatz auf Übergewinne sollte progressiv ausgestattet sein, wobei für verdienstschwache Unternehmen auch Freigrenzen gelten sollten.
Alles Knappheit?
Das ist natürlich eine schöne Lehrbuchanwendung: hohe Preise signalisieren Angebotsknappheit und die Kapazitäten werden flugs ausgebaut, bis sich der Markt wieder im Gleichgewicht befindet.
Aber aus vielen Gründen weicht das reale Bild häufig von dieser stilisierten Lehrbuchweisheit ab. In oligopolistischen Märkten etwa bleibt Knappheit oft erhalten. Aber auch in anderen Fällen, wie gerade die aktuelle Energiekrise anschaulich zeigt.
Paul Krugman hat gefragt, warum eigentlich trotz der weltweit hochschießenden Preise für Öl und Gas als Folge des Ukrainekriegs die Förderung in den USA gar nicht angemessen zunehmen will. Seine Erklärung: die dortige Frackingindustrie hat in den knapp zwei Dekaden nach der Jahrtausendwende eine Boom-und-Bust-Periode hinter sich, mit riesigen Verlusten und Hunderten an Pleiten am Ende. Investoren und Banken sind jetzt übervorsichtig, sich wieder mit großen Summen und dann erneut langfristig bei recht unsicheren Perspektiven zu binden. Also kommt es zur Unterinvestition.
Dem kann man sicher durch staatliche Intervention wie etwa Subventionen begegnen (wobei dies natürlich Ressourcen kostet), aber eben auch durch geschickte Ausformung einer Übergewinnsteuer. Deshalb sollte als drittes Prinzip gelten:
- Von der Bemessungsgrundlage für eine Übergewinnsteuer sollten Investitionen in Sachkapital sowie im Vergleich zum Vorjahr zusätzliche Arbeitsstellen, multipliziert mit dem Durchschnittslohn des Unternehmens, abgezogen werden können.
Unternehmen würden so belohnt, wenn sie Kapazitäten erweiterten. Und es ist nur angemessen, hier nicht nur auf Anlagen zu schauen, sondern auch das Humankapital gleichberechtigt einzubeziehen. Gerade für technologisch avancierte Firmen wie etwa Biontech ist es die Zunahme des qualifizierten Personals, das zu erweitertem Angebot in der Zukunft führen kann. Und um reine Lohnerhöhungseffekte auszuschließen, wird direkt auf die Zahl der Arbeitsplätze rekurriert.
Biontech dient auch als gutes Beispiel, um die Auswirkungen einer Übergewinnsteuer auf patentgestützte Produktion anzusprechen. Patente sind gewollte Monopole auf Zeit. Gewollt, weil so Investitionen in Neuerungen belohnt werden. Aber es gibt keinen sozial breit akzeptierten Mechanismus, die Angemessenheit eines durch Patente gestützten Preises zu ermitteln. Gerade in Fragen auf Leben und Tod, wie bei Impfstoffen und Medikamenten in einer Pandemie, kann es dadurch zu Höchstgewinnen kommen. Es spricht nichts dagegen, einen Teil davon steuerlich abzuschöpfen.
Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?
Das sicher vorherrschende Merkmal der aktuellen Wirtschaftsentwicklung in der westlichen avancierten Welt ist die Inflation. Und es besteht große Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale (oder Preis-Lohn-Spirale), wie sie aus den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt ist. Aber ein Vergleich der beiden Perioden zeigt einen großen Unterschied, auf den Adam Tooze in der New York Times aufmerksam macht. Für die USA zitiert er einen Vergleich der Zeit von 1979 - 2019 mit der gegenwärtigen Phase 2020 Q2 – 2021 Q4.
In der ersten, langen Zeitphase bestimmte sich die Preisentwicklung zu 61,8 Prozent nach den Lohnkosten, zu 26,8 Prozent nach anderen Vorproduktspreisen und zu 11,4 Prozent nach Gewinnen. Eine starke Parallelität von Lohnsteigerung und Preisen war also gegeben, gefolgt von der Kostenentwicklung bei den importierten Rohstoffen.
Ganz anders jetzt. Löhne sind nun nur zu 7,9 Prozent beteiligt, importierte Rohstoffe schon mehr, zu 38,3 Prozent. Aber der große Preistreiber sind die Corporate Profits mit 53,9 Prozent.
Offensichtlich schafften es die Unternehmen, die aufgrund Corona verschobenen Ausgaben privater Haushalte und Unterbrechungen der Lieferketten auf dem Weltmarkt für massive Preissteigerungen zugunsten ihrer Gewinne zu nutzen. In den USA hat dies schon zu einem neuen Kampfbegriff geführt, zu „Greedflation“.
Für Europa stimmt ebenfalls das Bild sprudelnder Gewinne, wie die vielen Meldungen in der Wirtschaftspresse zeigen, und auch hier ist man sprachlich kreativ. In einem deutschen Leitmedium war von der „pathologischen Inflation der Profite“ zu lesen.
Makroökonomisch spricht also viel dafür, bei der momentan anstehenden Inflationsbekämpfung auch bei den Gewinnen anzusetzen. Als viertes Prinzip wird deshalb formuliert:
- Die Übergewinnsteuer sollte rasch eingeführt, und ihr Ertrag sollte an die privaten Haushalte (zum Beispiel als Energiegeld oder Ähnliches) zur wenigstens teilweisen Inflationskompensation ausgezahlt werden, so dass der Verzicht auf zu reaktive Lohnforderungen kompensiert wird.
Lohnt sich das überhaupt?
Natürlich wird – wie immer in dieser Debatte – angeführt werden, dies schade Deutschland im Steuerwettbewerb. Man sei doch schon Hochsteuerland. Das ist aber falsch. Die OECD errechnet international vergleichbare Daten für die Steuereinahmen. Bei der Kennziffer 1200, Corporate betrug der Anteil der Steuern auf Gewinne (Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer etc.) im letztvorliegenden Jahr 2019 in Deutschland 2 Prozent des BIP oder 69,4 Milliarden Euro. Der OECD-Durchschnitt lag aber bei 3 Prozent. Würde man mit den Einnahmen einer Übergewinnsteuer also nur auf den Durchschnitt der westlichen avancierten Welt kommen wollen, wären alleine bei den Kapitalgesellschaften etwa 35 Milliarden Euro zusätzlich zu holen.
Gegen den OECD-Vergleich wird gerne eingewandt, dieser sei nicht fair, da Deutschland relativ weniger Kapitalgesellschaften und dafür mehr große Personengesellschaften habe. Aber auch das ist falsch: Es gibt zwar weniger Kapital- als Personengesellschaften, aber deren durchschnittlicher Umsatz ist jeweils und auch in der Summe höher. Und selbst wenn man den Anteil der Kapitalgesellschaften am Umsatz rechnerisch berücksichtigt, bleibt Deutschland bei der Gewinnbesteuerung solcher Gesellschaften unter den OECD-Mitgliedsstaaten ein relatives Niedrigsteuerland.
Dies kommt vor allem dadurch mitzustande, dass hier besonders gute Möglichkeit der Steuerverminderung durch Abschreibungen, Rückstellungen und diverse Möglichkeiten der Gewinnverlagerung ins Ausland an Tochterunternehmen möglich sind. Eine robuste Bemessungsgrundlage für eine Übergewinnsteuer würde dem Rechnung tragen. Als fünftes Prinzip wird deshalb formuliert:
- Die Bemessungsgrundlage einer Übergewinnsteuer sollte aus dem Gewinn vor Steuern bestehen, plus den Abschreibungen, plus den Rückstellungen, plus den Zahlungen für Zinsen, Lizenzen etc. an Tochterfirmen ins Ausland. Davon abzuziehen wären die neuen Sachanlagen und der Zuwachs an neuen Stellen, dieser mit dem Durchschnittslohn multipliziert.
Wenn man – sehr überschlägig – einen Versuch wagen möchte, dies quantitativ aufzuschlüsseln, kann man auf die Bundesbank-Zahlen zu der Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unternehmen zurückgreifen. Keine Angaben liegen dabei auf der Zurechnungsseite für Gewinne und Lizenzen ins Ausland vor, und auf der Abzugsseite für zusätzliche Lohnzahlungen. 279,6 Milliarden Euro sind als Jahresergebnis vor Gewinnsteuern für 2019 angegeben. Dazu kämen Abschreibungen und Rückstellungen. Näherungsweise kann die Kategorie Cashflow (Eigenerwirtschaftete Mittel), die vor allem diese Größen zusätzlich enthält, für die Summe benutzt werden. Der Cashflow betrug 455 Milliarden Euro. Davon wieder abzuziehen wären noch der Bruttosachanlagenzugang von 228,8 Milliarden Euro. Die Bemessungsgrundlage läge somit bei 226,2 Milliarden Euro.
Da scheint – selbst in diesem hier zur Basis genommenen Vor-Coronajahr – noch viel Luft für zusätzliche Steuereinnahmen zu sein. Vor allem, wenn man hohe Freibeträge für finanziell schlechter aufgestellte Firmen und dafür einen stärkeren Progressionsgrad bei den besonders gut Verdienenden unterstellt. Und Unternehmen hätten es natürlich durchaus mit in der Hand, die neue Steuerbelastung zu mindern, einmal durch weniger starke Preisanhebungen bei ihren Produkten, zum anderen durch mehr Investitionen und Einstellungen. Beides wäre sozial erwünschtes Verhalten.
------------------------------------