Deutsche Krankenhäuser

„Krisenmodus“

| 14. Januar 2024

Seit 2020 wurden in Deutschland mindestens 66 Krankenhäuser geschlossen. Und die öffentliche Hand ist längst nicht mehr der maßgebliche Akteur der Krankenhauslandschaft.

Am 8. Dezember 2023 gab die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das von ihr ausgewählte Wort des Jahres 2023 bekannt: Krisenmodus. Krisen habe es schon immer gegeben, so die Presseerklärung: „Aber in diesem Jahr scheinen die Krisen und ihre Bewältigung zu kulminieren. Um einen Satz des Vizekanzlers zu modifizieren: Wir sind umzingelt von Krisen. (…) Der Ausnahmezustand ist längst zum Dauerzustand geworden.“

Wenn es sich aber um eine Dauerkrise handele, erhalte freilich das Wort eine neue, der ursprünglichen widersprechende Bedeutung: der Krisenmodus tendiere dann zur Akzeptanz, zum Sicheinrichten in der Krise, merkt Jochen A. Bär vom Hauptvorstand der Gesellschaft an.

Diese Gefahr steht längst im Raum. Und für die Politik ist sie die beste aller denkbaren Ausreden, wenn wieder etwas schiefgeht. Deshalb sollte es allererste Aufgabe sein, der weit verbreiteten Meinung entgegenzutreten, dass es sich bei Krisen um etwas von außen Kommendes handele und nicht um von der Politik selbst verursachte Krisenzustände.

Tatsächlich gibt es genügend Beispiele, wie gewählte Politikerinnen und Politiker durch ihre Politik Probleme schaffen und verstärken. Ein Beispiel ist die Praxis der Krankenhauspolitik.

Krankenhäuser in den Krisenmodus gesteuert

Seit 2020 wurden in Deutschland mindestens 66 Krankenhäuser geschlossen, 21 davon allein im Jahr 2023 – ein deutlicher Anstieg zu den Vorjahren. Knapp 5.400 Beschäftigte sind von den

Schließungen betroffen und müssen sich entweder neue Arbeitsplätze suchen oder scheiden ganz aus dem Beruf aus. Die Krankenhausgesellschaft beziffert die von Insolvenzen betroffenen Beschäftigten seit Beginn 2022 auf mehr als 16.500. 2024 werden laut dem Bündnis Klinikrettung fast 100 Krankenhäuser von der Schließung bedroht sein.  

In Frankfurt am Main musste jüngst sogar ein „Maximalversorger“, das Klinikum Frankfurt-Höchst – und damit auch der Klinikverbund Frankfurt-Main-Taunus, der sich seit 2021 Varisano nennt – durch eilige Finanzspritzen der Stadt vor der Insolvenz gerettet werden: 47 Millionen Euro im September 2023; weitere 90 Millionen Euro sind für 2024 anvisiert.

Ein großer Aufreger war es aber trotzdem nicht. Auch als bekannt wurde, dass die beiden anderen Krankenhäuser im Klinikverbund im benachbarten Main-Taunus-Kreis noch mehr bedroht sind und sich ein Bündnis aus Zivilgesellschaft, Parteien und Gewerkschaft bildete, passierte in Frankfurt nichts.

Im Hintergrund aber wurden die Weichen gestellt: Eins von drei Krankenhäusern soll in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) umgewandelt, die Notfallversorgung und Stroke Unit beendet werden; sie war ohnehin schon in 90 Prozent der Fälle abgemeldet; das restliche Krankenhaus sollte abgespeckt und die Lasten nach Frankfurt verschoben werden.

Die Geschäftsführer und der Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikverbunds kommen aus dem privaten Kliniksektor bzw. aus dem großen Beraterkonzern PricewaterhouseCoopers. Dort haben sie gelernt, Ökonomie, Rendite und Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund zu stellen – die angeblich mit dem Patientenwohl nicht kollidieren sollen.

Vom Beraterkonzern KPMG (Jahresumsatz 34 Milliarden Dollar) wird jetzt ein „Restrukturierungskonzept“ erwartet, von den Geschäftsführern haben in sieben Jahren sieben gewechselt. Der neue Geschäftsführer in Frankfurt ist ein „Teilzeitgeschäftsführer“, der noch weitere Gesellschaften als Geschäftsführer betreut und bereits eine Klinik ‚erfolgreich‘ geschlossen und in ein MVZ umgewandelt hat.

Von diesen Machern kommen die Strukturvorschläge, die durch die jeweiligen Koalitionen in den Kommunen in der Regel nur noch ‚abgesegnet‘ werden. Enthüllend – und auf naive Art sogar ehrlich – sind die Reaktionen von verantwortlichen Politikern der ersten Reihe, wie sie aus der Kreistagssitzung der betroffenen Kliniken berichtet werden. Die Kreiskoalition aus CDU, Grünen und FDP stimmte geschlossen für eine Finanzierungsvereinbarung, welche die Schließung der Notaufnahme und Pneumologie zur Folge hat.

Der Hinweis der Opposition, dass fast alle Abstimmenden keinen Zugang zu den zugrundeliegenden Daten und Gutachten hätten und gar nicht wüssten, worüber sie abstimmen, wurde mit einem Schulterzucken quittiert. Ein Bürgermeister kommentierte nur, er habe sich die KPMG-Unterlagen noch nicht anschauen können, aber er brauche das auch nicht. Man sollte Vertrauen in Geschäftsführung und Kreisausschuss haben. Ähnliche Statements kamen von grünen Kreistags-Mitgliedern nach der Sitzung.

Deutlicher kann man es nicht formulieren. Die gewählten sowie Antwort und Rechenschaft schuldigen Politiker leugnen nicht einmal ihre Unkenntnis und begeben sich vollständig in die Hände von Geschäftsführern und Beratern.

Kritische Öffentlichkeit zählt nicht

Solche Konzepte öffentlich zu kommunizieren, ist dabei nur hinderlich. Dabei böte die öffentliche Kritik gerade den Vorteil, den Sachverstand aller in den Gesundheitsprozess Involvierten zu nutzen und Fehlentscheidungen zu vermeiden. Ein Paradebeispiel für Ignoranz lieferte die inzwischen aus dem Klinikum Frankfurt-Höchst an eine private Großapotheke outgesourcte Klinikapotheke – und das, obwohl Klinikapotheken nicht nur zur finanziellen Entlastung der Kliniken beitragen, sondern die Kooperation vor Ort in der Klinik auch einen hohen medizinischen Stellenwert hat.

„Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie und ihrer Institutionen ist auf einer abschüssigen Bahn“, kommentierte Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung, die Ergebnisse einer Umfrage. 71 Prozent der Befragten seien der Meinung, dass führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben, aus der sie auf den Rest der Bevölkerung herabschauen.

Dass kritische Öffentlichkeit wenig zählt, wird auch daran deutlich, dass in dem dargestellten Fall der von der Schließung bedrohten Klinik eine Protestaktion durchgeführt und fast 3.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt wurden.

Das von Gemeingut in BürgerInnenhand ins Leben gerufene Bündnis Klinikrettung verweist darauf, dass bundesweit rund 1,3 Millionen Menschen seit 2017 gegen den Krankenhauskahlschlag unterschrieben haben, fast 700.000 davon in den letzten zwei Jahren. Proteste werden meist beschwichtigt oder abgeschmettert. Beratergutachten, die Krankenhausschließungen als einzige Lösung für die finanzielle Misere beschreiben, dienen den verantwortlichen Politikern dabei als Rechtfertigung.

Schließungen und Privatisierung – von der Politik unterstützt

Aus Sicht der privaten Gesundheitsinvestoren kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. Denn Krankenhausschließungen sind Teil eines Privatisierungsgeschehens, das nicht naturwüchsig, sondern von der Politik unterstützt ist. Während es heute rund 500 Krankenhäuser weniger gibt als noch vor 30 Jahren, ist die Anzahl der privaten Krankenhäuser stetig gestiegen.

Die öffentliche Hand ist nicht mehr der maßgebliche Akteur der Krankenhauslandschaft. 39 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland gehören mittlerweile privaten Trägern und 32 Prozent gemeinnützigen Trägern. Die öffentliche Hand bildet mit bloß 29 Prozent oder unter einem Drittel der Allgemeinkrankenhäuser das Schlusslicht.

1991 sah die Verteilung noch anders aus: Damals befanden sich nur 15 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser in privater Trägerschaft, 39 Prozent in freigemeinnütziger und 46 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser waren öffentlich. Die Schließungen der letzten 30 Jahre gingen also auf Kosten der öffentlichen und freigemeinnützigen Träger.

Auch diese Entwicklung ist nicht naturwüchsig und keine von außen hereingebrochene Krise. Ermöglicht wurde sie 1985 durch ein Gesetz, das den gewinnorientierten Betrieb von Krankenhäusern erlaubte. Mit der Einführung des Fallpauscheln/DRG-Systems im Jahr 2004 beschleunigte sich diese Entwicklung.