Editorial

Macht und Machtlosigkeit

| 03. Februar 2021
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Liebe Leserinnen und Leser,

ein buntes Portfolio an Themen erwartet Sie in dieser Ausgabe. Mit dabei: Wie die EU-Kommission den europäischen Aufbaufonds instrumentalisiert, das Leiden der Mini-Jobber in der Corona-Krise, was uns Gamestop über die Finanzmärkte lehrt und – was das alles mit »der Macht« zu tun hat.

Die unheilige Macht der Kommission

Die Europäische Kommission ist bekannt dafür, ihren Einfluss und ihre Macht gegenüber den Mitgliedsstaaten stets ausweiten zu wollen. Das bekam jüngst auch Deutschland zu spüren. Gegenüber dem Kanzleramt und den Finanz- und Wirtschaftsministerien hat die Kommission verdeutlicht, dass Deutschland sein Reformprogramm nachbessern müsse, um die ihm aus dem Aufbaufonds zustehenden Mittel von ungefähr 24 Milliarden Euro erhalten zu können. Im Einzelnen solle Deutschland Reformen an seinem zu progressiven Steuersystem vornehmen, die finanzielle Tragfähigkeit seines Rentensystems stärken, reglementierte Berufe öffnen und das Ehegattensplitting abschaffen.

Das ist eigentümlich, findet auch Martin Höpner. Konditionalitäten, um die Gelder aus dem Aufbaufonds zu kriegen: War es da nicht um die konkrete Mittelverwendung gegangen, um Digitalisierung, Klimaschutz und um den Rechtsstaatsmechanismus? Fällt das deutsche Ehegattensplitting neuerdings in EU-Zuständigkeit?

Die Drohung gegen Deutschland, Mittel aus dem Aufbaufonds einzubehalten, ist ein symbolischer Akt des technokratischen, autoritären Europas und der Brüsseler Hybris, besser als die Bürger vor Ort zu wissen, was in der mitgliedstaatlichen Politik als Nächstes geschehen sollte. Die Bilanz dieser Hybris ist verheerend.

Krieg gegen die Macht der Hedgefonds

Die Firma Gamestop hat in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht. Ihre Aktie ist zum Gegenstand eines »Finanzkrieges« geworden, bei dem, so die Lesart vieler Beobachter, endlich einmal viele Kleinanleger einigen bösen Leerverkäufern in diversen Hedgefonds die Hölle heiß gemacht haben. Nun sitzen allerdings die Kleinanleger auf irreal bewerteten Aktien und werden ihrerseits viele Milliarden verlieren. Was lernen wir daraus?

Wetten sind keine produktive Tätigkeit und gehören folglich auch nicht systematisch entlohnt, schließt Heiner Flassbeck. Die Tatsache, dass viele reiche Menschen und Kapitalsammelstellen (einschließlich vieler Rentenfonds) ihr Geld den Wettern zur Verfügung stellen, um systematisch und über viele Jahre Erträge zu erzielen, zeige in großer Klarheit, dass wir das System, in dem wir leben, nicht im Ansatz verstanden haben.

Die Politik hätte das längst begreifen können, aber ihr fehlt auch in den USA der Mut, sich systematisch mit dem Versagen der Finanzmärkte, mit der Wall Street, zu beschäftigen. Die USA haben aber nach der Finanzkrise von 2008/2009 immerhin einige Verfahren wegen Marktmanipulation in Gang gesetzt und hohe Strafen erzwungen. In Europa gibt es fast nichts dergleichen, von Deutschland vollkommen zu schweigen.

Die Machtlosigkeit der Mini-Jobber

Dass es den deutschen Arbeitsmarkt in der Corona-Krise nicht mit voller Wucht getroffen hat, ist wohl vor allem der Kurzarbeitergeldregelung zu verdanken. Doch stehen alle unter diesem Schutzschirm?

Schön wäre es. Gerade die Soloselbständigen ließ man lange Zeit im Regen stehen. Schwer getroffen hat es aber auch die geringfügig Beschäftigten. Sie sind die »Verliererinnen der coronabedingten Rezession«, so der Befund einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). 45 Prozent der im Jahr 2019 ausschließlich geringfügig Beschäftigten hatten im Frühjahr 2020 keinen Job mehr.

Und dies sind nur die Folgen des ersten Lockdowns ab März/April 2020. Noch ist wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen der Winter-Lockdown haben wird. Man darf aber davon ausgehen, dass sich die Lage der Minijobber, die sich bis zum Herbst ein wenig erholt hatte, erneut zuspitzen wird. Minijobs entpuppen sich als Beschäftigungsfalle. Vor diesem Hintergrund, schreibt Markus Krüsemann, muten die Aussagen, der Arbeitsmarkt in der Krise sei robust und krisenfest, seltsam an.

Epilog: Die dunkle Seite der Macht

Ist von »der Macht« die Rede, dann denkt man womöglich nicht unmittelbar an die EU-Kommission oder die Finanzmärkte, sondern als erstes an ein Weltraumepos. »Möge die Macht mit Dir sein!« Selbst popkulturaverse Zeitgenossen dürften dieses berühmte Filmzitat problemlos einordnen können. Ohne »Macht« keine Jedi-Ritter. Und ohne »dunkle Seite« keine kultigen Schurken vom Schlage Darth Vaders.

Das Motiv taugt aber nicht nur für Erzählungen intergalaktischen Ausmaßes. Auch die postmoderne Schule führt es gern im Munde. Denn der dramaturgische Effekt zeigt Wirkung. Wo abstrakt von »der Macht« geraunt wird, da erscheint das Dasein plötzlich in einem anderen, irgendwie geheimnisvollen und obskuren Licht. Glauben Sie nicht? Hören Sie genau hin: »weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt – erzeugt. Nicht, weil sie alles umfasst, sondern weil sie von überall kommt, ist Macht überall.«

Quizfrage – wer hat das gesagt: Obi-Wan Kenobi oder Michel Foucault?