Petition von Schwarzer und Wagenknecht

Der männliche Hass auf weibliche Friedensbemühungen

| 19. Februar 2023

Die Sprachbilder männlicher Kommentatoren zur Initiative von Schwarzer und Wagenknecht lassen vermuten, dass hier noch etwas anderes mitschwingt als eine Kritik an einer konträren politischen Position.

Die von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht initiierte Petition ‚Manifest für Frieden‘ hat etliche Zustimmung in der Öffentlichkeit erfahren. Schon mehr als 560.000 haben sich dem angeschlossen. In den Medien dagegen sieht die Sache ganz anders aus. Jürgen Habermas, der sich in der Süddeutschen Zeitung ebenfalls für Friedensbemühungen einsetzt und Deutschland als eine der größten Waffen- und Geld-Unterstützer der Ukraine durchaus in der Pflicht sieht, schreibt dazu:

„So scheint der Prozess der Aufrüstung eine eigene Dynamik anzunehmen, zwar angestoßen durch das nur zu verständliche Drängen der ukrainischen Regierung, aber bei uns angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht zu Worte kommen“.

Das wird wie in einem Brennglas deutlich an der Reaktion auf die Petition von Schwarzer und Wagenknecht. Ich habe mir von Google News die Reaktionen bekannter Medien anzeigen lassen. Florian Harms schreibt in t-online über „Profilneurose“, „Wolkenkuckucksheim“, „wohlfeiler Populismus“ und findet, das sei „kaum noch zu ertragen“. Henryk M. Broder nennt in der Welt den Anstoß „Zynismus“. Malte Lehming entrüstet sich im Tagesspiegel über „moralische Verkommenheit.“ In ähnlicher Weise sieht Carsten Fiedler im Kölner Stadtanzeiger das „Ende von Recht und Moral“. Martin Knobbe diagnostiziert im SpiegelÜberheblichkeit“ und Roland Nebbes findet ebenfalls im Spiegel, das Manifest lese sich „als wäre es vom Pressesprecher des Kremls persönlich verfasst worden“. Gabor Steingart wittert im Focus in schönster Analogie zum Weltkrieg I den „Dolchstoß“ und das auch noch „vom deutschen Sofa“ aus. Reinhard Feser sieht in der FAZ nur eine „Propaganda-Hilfe für Putin“. Bei Maischberger nennt ein Carlo Masala den Aufruf zu Friedensverhandlungen „Ausdruck eines übelsten Nationalpazifismus“. Jan Feddersen bezeichnet in der taz die Initiatorinnen ebenfalls als „amoralisch“ und findet, prominente Unterstützer wie die Theologin Margot Käßmann oder der Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge „hatten in puncto ‚noch ganz bei Trost‘ schon zuvor nicht mehr alles beisammen“. Der Politologe Herfried Münkler nutzt im Kölner Stadtanzeiger die ganze Klaviatur der Diffamierung: „gewissenlos“, „verlogen“, „Komplizenschaft mit dem Aggressor“. „kenntnisloses Dahergerede“.

Fällt da etwas auf? Alles Männer. Nicht, dass es nicht auch Bellizistinnen gäbe. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Annalena Baerbock sind bekannte Beispiele. Aber die Sprachbilder der männlichen Kommentatoren zu der Initiative von Schwarzer und Wagenknecht lassen vermuten, dass hier doch noch etwas anderes mitschwingt als eine (immer mögliche) Kritik an einer anderen politischen Position.

Wie zum Beweis für einen unterliegenden Gender-Aspekt aufschlussreich ist die Diskussion in der taz. Diese hat einen hohen Anteil an weiblichen Redakteuren und eine davon bekam die Chance zu einem etwas anderen Kommentar. Ante Lang-Lengdorff verwunderte sich in der taz:

„Woher kommt der Drang, Menschen mit anderen Meinungen nicht nur zu kritisieren, sondern sie moralisch abzuwerten? Lasst uns den Meinungskorridor nicht so eng machen, das schadet nicht nur der Debatte, sondern am Ende auch den Medien selbst.“

Der Drang, Menschen mit Friedensbemühungen zu desavouieren, lässt sich historisch häufig nachweisen. Besonders aufschlussreich ist die Situation im Ersten Weltkrieg. Denn auch da waren Frauen führend. Das gilt vor allem für die Situation während des Krieges. So fand schon im April 1915 der Internationale Frauenfriedenskongress in Den Haag (Niederlande) mit 1136 Teilnehmerinnen aus zwölf Nationen statt, vor allem angeregt von deutschen Frauenrechtlerinnen. Darin riefen sie unter anderem dazu auf, dass neutrale Staaten sich zusammentun sollten, um als Vermittler tätig zu werden. Die in Deutschland (vor-)schnell abgetane Bereitschaft des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, im Ukraine-Krieg vermittelnd tätig zu werden, hat also würdige historische Vorbilder. Und natürlich wurden die Teilnehmerinnen von 1915 in ihren kriegsführenden Heimatländern angefeindet und drangsaliert. In Deutschland etwa war schon das Verbreiten der Forderungen des Haager Kongresses untersagt.

Ähnliches musste Clara Zetkin erfahren. Während sich die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag für Kriegskredite und Burgfrieden aussprachen, arbeitete dieses Parteivorstandsmitglied für den Frieden. Unter anderem organisierte sie im März 1915 in Bern mit Führungskräften eine kleine Internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg. Nicht ohne Folgen: Sie wurde verhaftet, als sie anschließend in Deutschland die Verteilung von Flugblättern mit den Forderungen der Frauenkonferenz zur Beendigung des Krieges organisierte. Anderen erging es ähnlich. So den führenden Angehörigen des pazifistischen ‚Bundes Deutsches Vaterland‘. Im März 1916 musste Lilli Jannasch, die Geschäftsführerin ins Gefängnis und etwas später ebenso Elsbeth Bruck, ihre Nachfolgerin.

Der Erste Weltkrieg gibt vielleicht noch einen Hinweis, warum mediale Männer so hysterisch auf friedensfordernde Frauen reagieren. Der Kulturforscher Klaus Theweleit hatte 1977/78 mit ‚Männerphantasien‘ ein zweibändiges Werk vorgelegt, dass sich mit Äußerungen von Angehörigen von Freikorps beschäftigte und damals viel Furore machte. 2019 ist eine Neuausgabe herausgekommen, samt eines Nachworts bezüglich eventueller Aktualität. Trotz aller Veränderungen in Erziehungsstilen über die Zeit, Theweleit bejaht diese. Aus einem Interview zur Neuauflage:

„Dieser Körper, den ich Fragmentkörper nenne, hält zum Beispiel Gleichheit nicht aus - ob das Gleichheit mit Frauen ist, Gleichheit mit Kindern… Dieser Typ will die Gesellschaft hierarchisch organisiert haben, mit klar oben und klar unten und der eigenen Position da drin. Und oben in diesem Konstrukt sind für diesen Typ Männer, ist eine bestimmte Männlichkeit.“

Und wem der Rekurs auf die vom Autor hier herangezogene Psychoanalyse zu weit hergeholt erscheint, der oder die kann sich stattdessen bei der Sozialpsychologie mit ähnlichem Ergebnis bezüglich eines Gender-Unterschiedes informieren. In einem Überblicksband dazu heißt es etwa zum Bereich der Konflikt- und Friedenspsychologie:

„Ein weiteres Feld bildet die feministische Kritik und Erweiterung praktischer Methoden der Konfliktbearbeitung. Diese sollen dazu beitragen, die in vielen Studien nachgewiesene Marginalisierung von Frauen bei Friedensverhandlungen, der militärischen Friedenssicherung und dem Friedensaufbau zu überwinden und einen inklusiven Frieden fördern“ (S. 102).

Immer noch ist es weitgehend so, dass das ‚Soldatische‘ als Männlichkeit pur gilt. Und die Ukraine ist das perfekte Projektionsbild. Obwohl es dort auch weibliche Soldaten gibt, ist die Wehrpflicht nur auf Männer beschränkt. Und die Bilder der vielen Reportagen zeigen fast immer bärtige Männer voller Kampfesmut, echte Kerle also. Offensichtlich eine große Wohltat für viele Kommentatoren, die sich hierzulande mit immer besser ausgebildeten Frauen mit Ansprüchen, mit Gendersternchen, Me-Too-Debatten und ähnlichem ‚Gedöns‘ auseinandersetzen müssen. Da nutzt man doch wohl gerne die Gelegenheit, gegen Schwarzer und Wagenknecht einmal so richtig auszuteilen, fühlt man sich damit doch im Takt mit der Bevölkerung.

Aber Habermas hat Recht mit seiner Beobachtung. In den Medien kommt „das Zögern und die Reflexion der Hälfte der deutschen Bevölkerung“ kaum vor. Der letzte Deutschland-Trend der ARD vom 2. Februar ergab zwar eine kleine Mehrheit für Waffenlieferungen. Aber sie war auf West-Deutschland beschränkt. Im Osten fanden 55%, sie gingen zu weit (ähnliche Umfragen immer mit ähnlichen Ergebnissen bei der Ost-West-Differenz). Sahra Wagenknecht als Ostdeutsche vertritt da also durchaus eine große Anzahl von Bewohnern.

Das gleiche gilt für die Gender-Dimension. Erstaunlicherweise wird die sonst übliche Aufteilung nach Geschlecht – zum Beispiel in Wahlen – bei Umfragen zum Ukraine-Krieg nicht mitgeteilt. Eine einzige Erhebung dazu habe ich gefunden. Im November 2022 wurde in Baden-Württemberg wieder einmal nach Waffenlieferungen gefragt. 54% der Männer befürworteten diese, aber nur 31% der Frauen. Also hat auch die frauenbewegte Alice Schwarzer hier einen Punkt.

Und in einer Beziehung dürften die Initiatorinnen sogar für eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung sprechen. Der oben zitierte Deutschland-Trend findet:

„Der Anteil derer, denen die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges nicht weit genug gehen, ist leicht gestiegen: 58 Prozent (+6 im Vergleich zu Januar) geben dies an.“