Demokratie und Kapital

Global Player im Demokratie-Diskurs

| 14. Februar 2023
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Wer eine „sozial-ökologische Transformation“ will, kommt nicht umhin, die Global Player ins Blickfeld zu nehmen. Denn die spielen als Summe ihrer Teile eine treibende Rolle.

MAKROSKOP hat am 4. Februar 2023 in seinem jährlichen Kongress mehrere Spannungsfelder ausgelotet, die sich zwischen „Globalisierung“, „Nationalstaat“ und „Demokratie“ auftun. Und weil auch der Zustand der EU und der Ukraine-Konflikt sich aus dieser Thematik nicht heraushalten ließen, konnten allein aus didaktischen und Zeit-Gründen nicht alle relevanten Aspekte angesprochen werden, die ihrerseits die Spannungen weiter steigern.

Insgesamt wurde dem Staat oder vielleicht besser: der Staatsfunktion eine positive Rolle zugesprochen und dies aus mehreren Gründen, die hier nur angedeutet werden sollen: Allein aus demokratietechnischen Gesichtspunkten könne die EU wegen ihrer Größe, widersprüchlichen Interessen- und  Machtstruktur, ihrer Ausrichtung auf eine neoliberale Wettbewerbsideologie (Lissabon-Verträge, Maastricht) und der damit verbundenen Konsequenzen für Sozial- und Verteilungspolitik den Nationalstaat nicht ersetzen. Auf Letzteres hat insbesondere Andreas Nölke hingewiesen.

Im Zuge des Ukraine-Konflikts gerate die EU außerdem zunehmend zu einer Abteilung der NATO. Michael von der Schulenburg führte aus, dass – wenn die ‚westliche‘ Engführung des Blickwinkels verlassen wird – weltweit die Kriege innerhalb von Staaten bedeutender seien als die zwischen den Staaten. Und dass in diesem Zusammenhang von der jeweiligen Bevölkerung vom (National)Staat eine Schutzwirkung sowohl gegen negative Globalisierungsfolgen als auch gegen Anarchie und Rechtlosigkeit erwartet oder erhofft würde. Ob zu Recht, ist dann immer noch die Frage.

Denn, wie von Peter Wahl angesprochen, kommt sowohl in Bezug auf die ‚Globalisierung‘ als auch den Staat noch mindestens ein weiterer Akteur ins Spiel: die multinationalen Konzerne; seien es die „BIG FIVE“ (Alphabet, vormals Google, Amazon, Apple, Meta Platform, vormals Facebook und Microsoft). Oder seien es die „BIG Four“ der Beratungskonzerne, um nur zwei Branchen herauszugreifen.

Die Privatisierung des Rechts

Allein schon die Schaffung einer eigenen Gerichtsbarkeit in Form der privaten internationalen Schiedsgerichte auf Grundlage diverser Handelsabkommen hat ihre Macht demonstriert. Dazu kommt, dass Rechtsnormen selbst zur Ware geworden sind, wie Katharina Pistor oder Johanna Stark aufgezeigt haben.[1] Wenn „globale Kapitalisten sich Rechtsordnungen aussuchen können, die für sie am günstigsten sind, ohne viel in die Politik investieren zu müssen, um das Recht in ihrem Sinne zu beeinflussen,“, dann nimmt das eben auch den Staaten die Fähigkeit, „die politischen Präferenzen ihrer eigenen Bürger zu verwirklichen.“[2]

Während es also großen Multis bereits gelingt, in die Sphäre der dritten Gewalt einzudringen, ist es noch viel einfacher, in die erste und zweite einzudringen. Dass Unternehmen Gesetzen der Legislative (mit)schreiben, die sie selbst betreffen, dürfte inzwischen bekannt sein. Nicht zuletzt die Cum-Ex-Machenschaften haben davon profitiert.

Und Einfluss auf die Exekutive zu nehmen, ist sozusagen das tägliche Brot der Unternehmenspolitik. Die kritische Öffentlichkeit prangert in der Regel den Lobbyismus an – nicht zu Unrecht, aber nicht ausreichend. Denn das gemeinsame ideologische Grundverständnis von staatlichen Repräsentanten und Unternehmen, wonach nur „starke Unternehmen“ die nationale Wettbewerbsfähigkeit garantieren können, bildet das einigende Band, den „Schulterschluss“ zwischen ihnen.

Die Standort-Politik

Im „Ampel-Vertrag“ der Bundesregierung von 2021 kommen Begriffe wie „Wettbewerb“, „führend“ und „Spitze“ zweiundzwanzigmal vor. In einem MAKROSKOP-Beitrag habe ich geschrieben:

Diese Strategie des „Germany First“, der prioritären Ausrichtung aller relevanten Politikbereiche auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und den außergewöhnlichen Exportstatus wird mit der neuen Ampelregierung wieder aufgenommen. Der Ampelvertrag ist voll von entsprechenden Vorhaben. Stellvertretend sei hier zitiert: „Unseren Wohlstand in der Globalisierung zu sichern ist nur möglich, wenn wir wirtschaftlich und technologisch weiter in der Spitzenliga spielen.“

Von dieser Warte aus ist aber das, was demokratisch zu entscheiden ist, massiv eingegrenzt. „Uns eint“, schreiben die Koalitionäre, … „das Bewusstsein, dass dieser Fortschritt auch mit einem Sicherheitsversprechen einhergehen muss…“  Und dieses „Sicherheitsversprechen“ ist, dass Deutschland seine Wettbewerbsposition hält.

Damit sind mehrere Werte-Paradigmen von vornherein als systemrelevant festgezurrt: Entgegen allen ökologischen Erfordernissen regiert weiterhin das Paradigma: Konkurrenz statt Kooperation. Und es gilt weiterhin: Privat vor Staat. Ungezählte Male wird im Koalitionsvertrag der „Wirtschaftsstandort“ beschworen. Und selbst bundeseigene und für eine ökologische Wende zentrale Unternehmen wie die Deutsche Bahn bleiben davon nicht verschont: „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt“, heißt es dort.

Der Bevölkerung bleiben bei der demokratischen Einflussnahme nur noch drei Möglichkeiten: Sie kann dem entweder entschieden entgegentreten oder es als „alternativlos“ akzeptieren. Oder sie kann es achselzuckend über sich ergehen lassen, weil sie zwar mit dieser politischen Festlegung nicht einverstanden ist, sich aber auch nicht in der Lage sieht, daran etwas zu ändern.

Das hat etwas zu tun mit der „Systemrelevanz“ der Unternehmen und ihrem tatsächlichen Einfluss jenseits der formalen Demokratiemodelle mit ihrer „Gewaltenteilung“.

Quelle: Herbert Storn: Business Crime - Skandale mit System, Marburg 2021.

Leider wird in Demokratie-Diskursen dieser Einfluss sehr wenig beleuchtet. Dabei zeigt ein Vergleich der Einkünfte von Unternehmen mit denen von Staaten: 71 der ersten 100 Plätze werden von Konzernen besetzt. Mit anderen Worten: Die führenden multinationalen Konzerne sind politische Akteure und nicht bloß Zaungäste in globalen Angelegenheiten. Global Justice Now (2018 mit Zahlen zu 2017) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: 69 der reichsten Einheiten des Planeten seien Unternehmen und nicht Regierungen.

Wer immer sich über die „sozial-ökologische Transformation“ auslässt, kommt nicht umhin, diese Global Player ins Blickfeld zu nehmen. Das, was Kapitalismus genannt wird, ist zwar eine politisch-ökonomische Struktur und mehr als die Summe ihrer Teile. Aber diese Teile spielen darin ihre treibende Rolle.

Bis zur ersten rot-grünen Bundesregierung gab es dafür hilfsweise den Arbeitsbegriff „Deutschland-AG“. Gerhard Schröder, Joschka Fischer und insbesondere Hans Eichel als Bundesfinanzminister taten alles, um sie aufzulösen. Das wichtigste Instrument war dabei die Steuerbefreiung der Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften.

An die Stelle der deutschen Großbanken traten die neuen Finanzinstitute mit BlackRock an der Spitze und damit ein Führungswechsel von Deutschland in die USA. Heute ist BlackRock an allen DAX-Unternehmen beteiligt und übt trotz eines klein erscheinenden Anteils von unter zehn Prozent durchaus seinen Einfluss aus. Dass auch Medienunternehmen Teil des verwertungsgetriebenen Kapitals sind, verstärkt den Einfluss nochmals.

Klassenkrieg auf hessisch

Umso verwunderlicher ist es, dass bei den durchaus nicht wenigen Veröffentlichungen, die den Markt zügeln und das Gemeinwohl stärken wollen, diese Machtstrukturen nicht selten ausgeblendet werden.[3]

Ein aktuelles Beispiel ist die durch die Lande ziehende Professorin und Innovationsberaterin Mariana Mazzucato mit ihrem neuen Buch „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“. Von Spiegel bis FAZ positiv konnotiert, beklagt sie darin mit Blick auf England und die USA eine „vierzigjährige Aushöhlung staatlicher Regierungs- und Verwaltungsfähigkeit“ und die dahinterstehende Ideologie vom Staat als bloßem Reparaturbetrieb für die Schäden des Kapitalismus. Alle wesentlichen Probleme dieser Welt erforderten dagegen nicht nur staatliche Eingriffe, sondern auch „eine entsprechende Handlungsfähigkeit“.

Darin ist ihr durchaus zuzustimmen. Nur widmet sie den Auseinandersetzungen, die diese „Aushöhlung“ insbesondere der sozialen staatlichen Infrastruktur begleitet haben, keine Buchseite. Somit bleiben alle Faktoren ausgeblendet, die eine Wende zugunsten eines dem Gemeinwohl verpflichteten aktiven Staates behindern. Und der „Weg zu einer neuen Wirtschaft“ (so der Untertitel des Buchs) bleibt voluntaristisch – eben ein Wunsch.

Es ist nämlich nicht so, dass staatliche Vertreter „zaghaft“ und „risikoscheu“ seien und dem „Druck nachgeben, wirtschaftsfreundlich zu sein“, wie Mariana Mazzucato schreibt.[4] Ich selbst habe diese Auseinandersetzungen aktiv miterlebt, als in Hessen unter Roland Koch das Mantra “Privat vor Staat“ als Regierungsprogramm durchgesetzt wurde und Wiesbaden 2003 seine bis dahin und seitdem größte Demonstration von über 50.000 Menschen erlebte.[5]

Unter den Folgen der Public-Private-Partnerships und der Privatisierung einer Uniklinik (Gießen-Marburg) leidet das Land noch heute. Mit dem volkswirtschaftlich ebenso falschen wie populär eingängigen Narrativ von der schwäbischen Hausfrau, die nicht mehr ausgeben kann als sie in der Hauskasse hat, wurde 2011 in Hessen sogar eine Volksabstimmung mit 70 Prozent der Stimmen gewonnen, und das staatliche Kreditaufnahmeverbot („Schuldenbremse“) kam in die Verfassung.

Auf allen staatlichen Ebenen, von den Kommunen über die Länder bis zum Bund haben die Schattenhaushalte Einzug gehalten, während gleichzeitig die Kommunen und Länder die in ihren regulären Haushalten bewilligten Mittel nicht ausschöpfen können, weil das eigene Personal und die eigene Kompetenz für Planung und Controlling fehlt. Deshalb wird die „Schuldenbremse“ auch als „Rutschbahn in die Privatisierung“ bezeichnet.[6]

Der Hinweis von Warren Buffet mag vielleicht abgedroschen klingen, behält aber seine Gültigkeit: „There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.“ (in einem Interview in der New York Times vom 26.11.2006).

In Frankreich werden gerade heftige Auseinandersetzungen bis hin zum Generalstreik geführt. Und zum wiederholten Mal geht es nicht nur um die Renten und Sozialausgaben. Sondern auch, worauf jüngst der Gewerkschaftsökonom und Präsident der linken Denkfabrik Fondation Copernic, Pierre Khalfa hingewiesen hat. Er zitiert den ehemaligen Vizepräsidenten des französischen Unternehmerverbandes Medef, Denis Kessler mit einem Satz aus dem Jahr 2007:

„Es geht darum, die zwischen 1944 und 1952 formulierten ‚Reformen‘ zu verlassen und mit Methode das gesamte Programm des Conseil nationale de la Résistance auseinanderzunehmen (…); ohne Ausnahme.“

Die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und des zweiten Weltkriegs unter großen Mühen erreichten sozialen Zugeständnisse in Form des ‚Sozialstaats‘ werden von der Kapitalseite immer wieder aufs Neue zur Disposition gestellt. Auch das gehört zum Demokratie-Diskurs.

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[1] Katharina Pistor, Der Code des Kapitals und: Johanna Stark, Law for Sale
[2] Pistor, a.a.O. S. 26
[3] Eine Entschuldigung wäre das Problem der didaktischen Reduzierung, die sich bei knappen Zeitbudgets immer wieder stellt.
[4] Mazzucato S. 87
[5] Mit dem beschönigend als „Operation Sichere Zukunft“ bezeichneten Sparpaket holt die hessische Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) 2003 zum Kahlschlag in der sozialen Arbeit aus. Der Paritätische und viele andere Organisationen reagieren mit Demonstrationen, Unterschriftenaktionen und Protesten.
[6] Zum Beispiel Kai Eicker-Wolf/Patrick Schreiner, Mit Tempo i in die Privatisierung, 2017