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LNG-Gas
Erdgasversorgung im Umbruch – von Russland zu den USA
Von Detlef Bimboes
| 14. Februar 2023istock.com/Dimasu
Klimaschädlich, sozial ungerecht und teurer Inflationstreiber – Deutschland zahlt für den Wechsel auf LNG-Gas einen hohen Preis. Dabei ist die Abhängigkeit in der Energieversorgung nur gegen eine andere getauscht worden.
Nach dem Untergang der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts setzten bahnbrechende geopolitische Machtverschiebungen ein. Teil der immer härter werdenden Konflikte zwischen den USA, der EU und Russland auf dem eurasischen Kontinent wurden Transitpipelines und russische Gaslieferungen, die für West- und Osteuropa bestimmt waren. Darauf soll nachstehend ein Blick samt Folgen geworfen werden.
Wechselseitige Abhängigkeiten werden zu einseitigen erklärt
Was sich ab den siebziger Jahren in der Phase der Ost- und Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr als vorteilhaft und auf viele Jahre zum gegenseitigen Vorteil entwickelte, wird bereits seit langem und jetzt auf Schritt und Tritt von Politik und Massenmedien uminterpretiert in einseitige Abhängigkeiten des Westens von Russland bzw. der Sowjetunion.
Tatsächlich aber waren es wechselseitige Abhängigkeiten, die stets bestanden. Und Russland wird weiter von internationalen Märkten, Kapital und Technologien abhängig bleiben. Das legte der Wirtschaftshistoriker Jeronim Perović ausführlich dar in seiner im letzten Jahr erschienenen Veröffentlichung „Rohstoffmacht Russland“.[1] Dafür konnte er umfangreiches sowjetisches Archivmaterial auswerten. In welche Abhängigkeit die Sowjetunion selbst von Öl und Gas geraten war, das zeigte sich spätestens Mitte der 1980er Jahre, als der internationale Erdölpreis einbrach, die weitreichenden Wirtschaftsprogramme unter Gorbatschow nicht verwirklicht werden konnten und den Niedergang der Wirtschaft beschleunigten.
Die eigentliche und folgenschwere Abhängigkeit hierzulande und in der EU wie auch anderswo bestand aber darin, dass man sich trotz allen berechtigten Warnungen vor drohenden Umweltkrisen und Klimagefahren nicht mit der fossilen Energiewirtschaft und jenen Wirtschaftszweigen anlegen wollte, deren Interessen sich profitgetrieben ungebrochen auf den Einsatz von Kohle, Öl und Gas richteten. Deshalb wurde in den letzten dreißig Jahren politisch und wirtschaftlich bewusst der systematische und flächendeckende Ausbau erneuerbarer Energien verschleppt. Solch ein konsequent betriebener Umbau hätte uns bis heute große Mengen an fossilen Energieträgern und große Schäden für Umwelt und Klima erspart.
Anfang und Ende russischer Erdgasversorgung
Ein wichtiger Ausgangspunkt für Verschlechterungen war im Rückblick die Absicht des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Prodi zusammen mit dem französischen Präsidenten Chirac und Bundeskanzler Schröder, die Zusammenarbeit mit Russland nach dem Machtantritt Putins im Jahre 1999 durch eine Energie- und Technologiepartnerschaft zu vertiefen. Als Scharnier russisch-europäischer Kooperation sollte die Energiepartnerschaft gleichsam eine Vorstufe zum angestrebten Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum bilden, aus dem zwar dann durch vielerlei politische Widerstände nichts wurde.
Aber allein das ließ die Alarmglocken in den USA schrillen. Diese Zusammenarbeit durfte nicht gelingen. Die transatlantischen Kräfte beiderseits des Atlantiks sammelten und formierten sich nach und nach über die Jahre zum Gegenstoß, um diese Entwicklung zurückzudrängen. Daher stieß bereits die Entscheidung von SPD-Kanzler Schröder im Jahre 2006 zum Bau der ersten Ostseepipeline (Nord Stream 1) jenseits des Atlantiks wie auch hier auf breiten Widerstand.
Anfangs war sie noch Teil von Planungen der EU-Kommission zur Versorgung von Nordwesteuropa wegen schwindender Gasvorräte. Doch davon wurde sukzessive abgerückt im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen mit den Baltischen Staaten und Polen. Ebenso erging es Bau und Betrieb von Nord Stream 2. Beide Pipelines sind letztlich das Ergebnis einer weithin nicht gewollten gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitspolitik.
Das Gastransitsystem der Ukraine hätte völlig ausgereicht für die Versorgung der EU. Es war aber seit langem nicht mehr politisch sicher und störungsfrei. Deswegen hat Russland seine Gasrouten diversifiziert, wie es im weltweiten Big Business des Geschäfts mit Rohstoffen üblich ist. Mit allen Pipelines wurde die Exportkapazität Russlands nicht vergrößert, sondern nur die Ukraine umgangen.
Die Abwärtsspirale nimmt ihren Lauf, Flüssiggas betritt die Bühne
Es folgten viele Stationen auf dem Wege, der Versorgung mit russischem Erdgas ein Ende zu bereiten. So wurden die Gaskonflikte zwischen der Ukraine und Russland mit ihren Höhepunkten in den Jahren 2005/2006, 2007/2008 und 2008/2009 bis hin zu zeitweiligen Lieferstopps nach Europa von den USA genau beobachtet und ausgewertet. Das insbesondere auch mit Blick darauf, inwieweit dadurch die von ihr seit Jahrzehnten verfolgte Strategie nationaler Sicherheitsinteressen tangiert wurde.
Im Zusammenhang mit der von der EU betriebenen Gasmarktliberalisierung im Jahre 2009, die bereits den Aufbau von Flüssigenergiemärkten und dafür notwendigen Infrastrukturen ins Auge fasste, wurde noch im gleichen Jahr ein von der EU-Kommission und der US-Regierung getragener und hochrangig besetzter EU-US-Energierat („EU-US Energy Council“) eingerichtet. Das wohlklingende Ziel richtete sich auf transparente, offene und sichere globale Energiemärkte. Es konnte aber nicht verbergen, dass sich der Schwerpunkt darauf richtete, die russische Versorgung Westeuropas mit fossilen Energieträgern, insbesondere Erdgas, zurückzudrängen.
Damit kam auch das Thema Flüssiggas auf den Tisch. Der Bau von LNG-Terminals wurde durch die EU üppig gefördert. Terminals entstanden insbesondere entlang der iberischen Halbinsel und im Mittelmeerraum, aber auch in Polen und dem Baltikum. Seitens der US-Regierung unter Obama wurde bereits ab 2014 damit begonnen, Lizenzen zum Export von Flüssiggas aus den riesigen Schiefergasvorkommen zu erteilen. Sie dienten auch als Signal für die transatlantische Energiesicherheit unter dem Eindruck des von den USA mitorganisierten Umsturzes in der Ukraine. Die Lizenzen unterfielen Ausnahmeregelungen. Sie wurden bis dahin nur dann erteilt, soweit die Importländer mit den USA Freihandelsabkommen abgeschlossen hatten.[2] Das war damals und bis heute für die EU nicht der Fall.
Versorgerwechsel zu horrenden Kosten
Den Schlusspunkt unter die russische Erdgasversorgung setzte das am 26. September 2022 verübte Attentat auf die beiden Nord Stream Pipelines, die diese bis auf einen Röhrenstrang zerstörten, mit dem jährlich immer noch rund 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas geliefert werden könnten.
Damit ist das Ziel der USA in greifbare Nähe gerückt. Zum einen die Öffnung des europäischen Marktes für teures und besonders klimaschädliches US-Fracking-Gas in Form von Flüssiggas (LNG). Zum anderen die Ablösung Russlands als bisher wichtigstem Energielieferanten für West- und Osteuropa.
Im EU-Gasmarkt mit einem Importvolumen von vierzig Prozent werden die USA nun dieselbe dominante Rolle einnehmen wie Russland vor dem Ukraine-Krieg. Die Abhängigkeit in der Energieversorgung ist nur gegen eine andere getauscht worden. Lediglich Türschild und Preisschild haben gewechselt. Größter Lieferant der EU für LNG war allein bis Juni 2022 die USA mit rund 39 Milliarden Kubikmetern. Zweitgrößter Lieferant für LNG war – was gern verschwiegen wird – Russland mit einer Menge von rund fünfzehn Milliarden Kubikmetern. Der russische Privatkonzern Novatek kooperiert hier mit dem französischen Energiekonzern Total Energies.
Mit Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 kam sukzessive die Lieferung großer Mengen an russischem Erdgas nach West-/ Ost- und Südeuropa aus verschiedenen Gründen zum Erliegen bzw. wurde durch andere Quellen ersetzt. Polen sorgte beispielsweise für das Ende des Betriebs der Yamal-Pipeline, ohne in Deutschland groß um Einverständnis nachzusuchen. Dem beugte man sich widerspruchslos, obwohl die Pipeline nicht nur für die eigene Erdgasversorgung wichtig war.
Da Deutschland es ablehnte, weiter auf russisches Gas zu setzen, wurde mit Einkäufen aus anderen Ländern begonnen – so vermehrt aus Norwegen per Pipeline und vor allen Dingen auf dem Spot-Markt für Flüssiggas zu horrenden Kosten. Allein im Auftrag der Bundesregierung wurden dafür bislang – soweit bekannt – fast zehn Milliarden Euro ausgegeben. Das trieb die Gaspreise an den Gasbörsen nach oben, sorgte für Riesenprofite der Gashändler und zudem im Stil einer neokolonialen Einkaufstour für Gasmangellagen in Ländern des globalen Südens und Südasiens.
Dagegen konnte hierzulande eine Gasmangellage abgewendet werden. Dass es im nächsten Winter zu Versorgungsengpässen kommt, ist bislang eher nicht wahrscheinlich, aber gewisse Risiken bleiben. So beispielsweise, wenn russisches Pipeline-Erdgas ausfällt, das bisher noch in einem jährlichen Umfang von ungefähr dreißig Milliarden Kubikmetern an einen Teil östlich und süd-östlich gelegener Mitgliedstaaten der EU geliefert wird.
Zugleich hat Deutschland praktisch unter Preisgabe von Umweltverträglichkeitsprüfungen mit dem Aufbau großer Importstrukturen für Flüssiggas begonnen. Die LNG-Terminals bewegen sich in einer Größenordnung von fast siebzig Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Sie sollen nicht nur zur eigenen Versorgung dienen, sondern auch dafür, dass Deutschland weiter Drehscheibe im europäischen Gashandel und Transit bleiben kann.
Zu den Kosten und Folgen des Wirtschaftskrieges, zu Profiteuren und Verlierern ist bereits viel und differenziert veröffentlicht worden.[3] Deshalb soll an dieser Stelle nur bemerkt werden, dass hauptsächlich extrem teuer eingekauftes Flüssig-Erdgas die Inflationswelle angetrieben hat. Ein Blick auf die Preisentwicklungen im Erdgas-Großhandel der letzten beiden Jahre gibt einen Eindruck davon.
Und ein kurzer Blick auf das Schaubild zeigt, wie sozial ungerecht die geltenden Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme sind.
Durch LNG bleibt das Klima auf der Strecke
Trotz deutlich sinkendem Energieverbrauch stagnierte im letzten Jahr der Gesamtausstoß an Treibhausgasen. Das ist das Ergebnis von zusätzlich mindestens 35 Millionen Tonnen CO2, die durch die Verfeuerung von mehr Kohle, Öl und importiertem Flüssiggas aus den USA entstanden sind.[4] Zudem sorgte die Zerstörung der Nord Stream Pipelines im Ostseeraum durch das Entweichen von Methan umgerechnet für ungefähr 7,3 Millionen Tonnen CO2. Und die jährlich von US-Präsident Biden gegenüber der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zugesagte Lieferung von fünfzig Milliarden Kubikmeter Flüssiggas aus den USA für die EU beschert jedes Jahr ein Mehr von dreißig Millionen Tonnen CO2 gegenüber russischem Gas – hätte man es noch befördern können mit der Pipeline Nord Stream 2.
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