MAKROSKOP-Kongress 2023  

Globalismus, Demokratie – und dazwischen bleibt der Staat

| 14. Februar 2023

Für einen Abgesang ist es zu früh – der Nationalstaat bietet auch in Zukunft die besten Voraussetzungen für Frieden, Rechtstaatlichkeit und Demokratie, so der Tenor auf dem MAKROSKOP-Kongress 2023 im Kloster Andechs.

Ist der Nationalstaat in Zeiten der Globalisierung überholt, ein Relikt der Staatenbildung des 19. Jahrhunderts, oder ist das möglicherweise eine falsche Sicht der Dinge? Diese Frage stand im Mittelpunkt des diesjährigen MAKROSKOP-Kongresses im Benediktinerkloster Andechs am vergangenen Samstag.

Inputs dazu gab es unter anderem von Andreas Nölke, Mitherausgeber von Makroskop, Politikwissenschaftler in Frankfurt, dem ehemaligen Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck und dem früheren Spitzendiplomaten Michael von der Schulenburg. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ulrike Simon und der Soziologin Cornelia Koppetsch von der TU Darmstadt.

Im Prinzip waren sich die drei Referenten einig, dass es für einen Abgesang auf den Nationalstaat zu früh sei und der Nationalstaat vielleicht auch in Zukunft im Vergleich mit den realistischen Alternativen die besten Voraussetzungen für Frieden, Rechtstaatlichkeit und Demokratie bietet. Supranationale Organisationen wie die UN oder die EU seien bisher zum Beispiel nicht in der Lage, die verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme, von den Unternehmen über die Sozialversicherung oder die Schulen bis zur Polizei, in einer verbindlichen, wechselseitig aufeinander bezogenen Ordnung zu halten.

Der Blick auf die weltweite Situation zeige, dass nichtfunktionierende Staaten in vielen Regionen das zentrale Problem für ein friedliches Miteinander der Menschen sind, etwa dort, wo Drogenbanden, Milizen oder Bürgerkriegsfraktionen den Alltag bestimmen. Notwendig für einen Staat sei, dass die Staatsbürger sich als Gemeinschaft wahrnehmen und annehmen müssen, als Staatsvolk, oder eben „Nation“. Wobei das, was eine „Nation“ ausmacht, nicht konkret bestimmt wurde, jedenfalls nicht positiv: Alle drei haben sich gegenüber ethnischer, religiöser oder kultureller Homogenität als normativer Grundlage der „Nation“ abgegrenzt, also dem konservativen Verständnis von „Nation“, und insbesondere gegenüber den nationalistischen Anrufungen der „Nation“ im rechten politischen Spektrum.

Die konzeptionelle Leerstelle „Nation“ ist ein heikler Punkt, weil alles, was vergemeinschaftend wirkt, auch unterdrückend und ausgrenzend wirken kann. Das gilt für verbale Hypostasierungen eines Gemeinsamen wie „Nation“ oder „Volk“ in besonderem Maße.

Als Fallbeispiel für den Versuch einer Imputation staatlicher Strukturen ohne „Nation“ sprach von der Schulenburg Afghanistan an: Schätzungsweise 4 Billionen Dollar seien dort im Laufe der westlichen Intervention eingesetzt worden, letztlich ohne Erfolg. Es sei nicht gelungen, in Afghanistan staatliche Strukturen aufzubauen und aufrechtzuerhalten ohne den tragfähigen Unterbau eines gemeinsamen nationalen Selbstverständnisses.

Die Summe ist in der Tat atemberaubend. Damit hätte man nachhaltig den Hunger in der Welt beseitigen können – wenn man dabei auf funktionierende staatliche Strukturen setzen könnte, und vor allem: wenn man es tun wollte. Für Kriege lässt sich leichter Geld mobilisieren als für Brot.

Daneben gab es eine ganze Reihe weiterer Diskussionspunkte, zum Beispiel die ambivalente Rolle der USA als „continental unifier“ in Europa nach einer Phase des „konstruktiven Verfalls“ hierarchischer Ordnungsvorstellungen in der EU, die neuen geopolitischen Entwicklungen, falschen Konformismus oder – darauf ging der Ökonom Hartmut Reiners ein – die wirtschaftliche Vernunft sozialstaatlicher Regelungen und das Problem, dass kapitalgedeckte Versicherungen durch die Abhängigkeiten von den weltweiten Finanzmärkten politisch nicht mehr steuerbar seien. Auch dafür gibt es übrigens ein instruktives Fallbeispiel: die Finanzkrise 2007 und das Einspringen des Nationalstaats zur Absicherung der Anlagen privater Versicherungen.

Spannende – und spannungsreiche – Themen. Etwas mehr Diskussionszeit wäre gut gewesen, um die komplexen Inputs kritisch zu befragen. Nachdenken fällt im Gespräch leichter als beim bloßen Zuhören, und Nachdenkliches wird natürlich auch in Nachrichten an die Redaktion gerne gesehen.