Werttheorie

Wie hält es die MMT mit den „Werten“?

| 15. Februar 2023

Was ist, was erzeugt einen Wert? Für die klassische Ökonomik ist es die Arbeit, für die neoklassische der Nutzen. Und für die Modern Monetary Theory? Antworten finden sich beim MMT-Vordenker Randall Wray.

Der französische Politologe und Chronist Clément Victorovic sagte vor wenigen Tagen im französischen Radiosender France Info, dass es bei der Frage um „wertvolle Arbeit“ um „questions fondamentales“ (fundamentale Fragen) über die Gestaltung unserer zukünftigen Gesellschaft geht. Er bezog sich auf die Arbeiten des französischen Arbeitssoziologen und Ökonomen Bernard Friot. Friot ist Mitglied der kommunistischen Partei. In der aktuellen äußerst harten Auseinandersetzung über die Neuorganisation des französischen Rentensystems engagiert er sich stark für die NUPES (Nouvelle union populaire, écologique et sociale), einen Zusammenschluss aller linken Parteien Frankreichs unter Führung des Vorsitzenden von La France Insoumise (LFI) Jean-Luc Mélenchon. Friot versucht seine Erkenntnisse über den „Wert der Arbeit“ in diese Auseinandersetzung hineinzutragen.

Friot sagt nicht weniger als Folgendes. Wenn Marktgläubige – auch solche, die es gar nicht sein wollen – behaupten, dass Arbeit einen Wert habe, dann behaupten sie das innerhalb der Denklogik kapitalistischer Arbeitsbeziehungen. Wären sie in der Lage, aus dieser Logik herauszutreten, dann müssten ihnen klar sein, dass unbezahlte Mütter und „Sorgearbeiter“ auch wertvolle Arbeit und Wertschöpfung leisteten.

Seine Forderung setzt voraus, dass wir in der Lage sind, uns völlig von jeder Wertgläubigkeit zu befreien. Er warnt vor dem Wettlauf der Wertproduktion, die uns geradewegs gegen die Wand fahren lässt. Er verlangt also nichts Geringeres, als dass wir begreifen, dass „Dinge“ nicht Werte haben, sondern wir es sind, die souverän Werte zuteilen können.[1]

Das ist nicht so einfach zu verstehen und vielleicht noch schwieriger zu akzeptieren. Die metallistische Geldvergangenheit hinterlässt Spuren, die materielle oder materialisierte Wertvorstellung scheint evident zu sein. Es kann doch nicht sein, dass ein Stück Brot keinen „Wert“ haben soll?

Weniger evident wird die Behauptung des intrinsischen Wertes, wenn man sich in abstraktere Wertbereiche hineinbegibt. Welche Begründung können dessen Verteidiger­ zum Beispiel für die 195 Millionen Dollar liefern, die das Warhol-Bild von Marilyn Monroe wert sein soll?

Vermeidung, Umgehung, Verkennung der Wertproblematik

Man kann sich aus dieser Frage herausstehlen. So wie Professor Francis Amasa Walker, ein General, Statistiker und Nationalökonom des 19. Jahrhunderts, mit seinem unheilvollen Ausspruch „Money is what money does“. Viele werden ihm auch heute noch zustimmen. Es klingt pragmatisch, ist auf jeden Fall taktisch geschickt und gar nicht so interesselos, denn die Geldschöpfer – immerhin die wichtigsten Akteure im Geldgeschehen – bleiben außen vor. Es klingt so, als würde Walker von einem Stück Eisen sprechen, das rostet. Aber sogar das Eisen rostet nicht „aus sich heraus“, sondern durch Faktoren, die von außen auf das Metall einwirken. Warum sagte er nicht „money ist what money makes“?

Diese Behauptung wäre vielleicht zu plump gewesen, denn sogar „einfache Geister“ könnten auf die Idee kommen zu fragen, „Wieso kann Geld etwas „machen“, nur Menschen können doch etwas damit „machen?“

Walker hätte also sagen müssen, „money ist what people doe with it“. Und wenn er noch ehrlicher hätte sein wollen, hätte er formulieren müssen „money is what a few people does with it“. So wie wir es beispielsweise jetzt mit der Digitalisierung des Geldes erleben. Aber dafür hätte man ihn vermutlich aufgehängt. Ja, es geht eben um „Fundamentales“, wie Clément Victorovic behauptet.

„Was aber ist, was erzeugt einen Wert? Für die klassische Ökonomik ist es die Arbeit, für die neoklassische der Nutzen“, hält der Soziologe Axel T. Paul fest.[2] Karl Marx, der Arbeitswerttheoretiker, glaubte ihn in der menschlichen Arbeit zu finden. In einer historischen Epoche, die ganz überwiegend von kraftzehrender manueller Arbeit geprägt war, drängte sich dieser Eindruck geradezu auf.

Und doch engt die historische Epoche den Blick ein. Nehmen wir die heutige Situation. Jedem leuchtet ein, dass ein Dachdecker einen Wert schafft, der durch den Einsatz seiner physischen Arbeitskraft zustande kommt. Im gleichen Moment verdient ein Trader, der den ganzen Tag vor seinem Bildschirm sitzt, das Tausendfache und mehr. Lässt sich diese Spanne in einem „objektiven“ und „akzeptablen“ Leistungsbegriff einfangen? Worin besteht die Leistung des Traders? Welchen Wert schafft er?

Natürlich bleibt Marx nicht bei der physischen Arbeit stehen. Er abstrahiert den Arbeitsbegriff dermaßen in Begriffen wie „abstrakt menschliche Arbeit“, „wertbildende Substanz“ in einem „gesellschaftlich durchschnittlichen“ Umfang, dass da am Ende auch bei Marx von Geld nur ein „neoklassischer“ Schleier übrigbleibt, wie Paul konstatiert.

Was machen die Wertverteidiger der Neoklassik wie Léon Walras? Sie verfallen ins andere Extrem und wollen den „objektiven“ Wert in einer individuellen Grenznutzenschätzung finden. Um es etwas drastisch aber anschaulich ins Bild zu setzen: Der Säufer an der Theke bekommt nach dem zwanzigsten Bier das Gefühl, dass das einundzwanzigste Bier ihm keine Wertzufuhr mehr bringe. Das heißt, „Wertschöpfung“ beendet. Die Subjekte, von denen hier die Rede ist, werden derart über einen Kamm geschert, dass da nur noch ein „subjektloses“ Subjekt übrigbeleibt.

Wertfrage nach MMT-Art: Währungssouveränität, Steuern als Antriebsmotor der Geldzirkulation und Gutschein

Die zwei wohl wichtigsten Elemente der Modern Monetary Theory sind folgende:

Erstens: Ein währungssouveräner Staat kann das Geld, das er benötigt, aufgrund seines Geldschöpfungsmonopols selbst erzeugen. Er ist nicht auf fremdes Geld angewiesen. Allerdings hat er Einschränkungen zu berücksichtigen: Die Auslastungsgrenze der Kapazitäten, nicht mehr erfüllbare Abhängigkeiten (weder von fremden Devisen noch von nicht mehr einlösbaren Konvertierungsversprechen etwa in Gold) und schließlich die Berücksichtigung von Ressourcenknappheiten.

Zweitens: Steuern fungieren als Antriebsmotor der Geldzirkulation in dem Geldkreislauf zwischen Geschäftsbanken und Nicht-Banken gemäß dem Prinzip „taxes drive money“. Dieses Geld kann grundsätzlich nur als „Schuldschein“ ausgegeben werden, wie das Paul Steinhardt auch im Hinblick auf den staatlichen Geldschöpfer zum Ausdruck bringt:

„Aus der Tatsache, dass Geld nicht generell auf „Kredit beruht“, folgt selbstverständlich nicht, dass es Geld auch ohne Schulden geben kann. Geld gibt es tatsächlich nur, wo es Schulden gibt, die in Geld denominiert sind. Kein Geld also ohne Geldschulden.“

Die entscheidende Frage ist nun, wie der staatliche Geldschöpfer mit der „Schuld“ umgeht, wie er sie definiert. Hieraus ergibt sich ein Zugang zum Wertbegriff der MMT. Der staatliche Geldschöpfer deklariert die emittierte Geldmenge – das, was er „ausgibt“ – zu einer Steuer-Gutschrift. Der Hamburger Ökonom Michael Paetz[3] präzisiert dies wie folgt:

„Um Ausgaben zu tätigen, teilt die Regierung also ihre eigenen Gutscheine aus, die sie zur Tilgung von Steuerschulden (und Gebühren) akzeptiert. Aus Sicht des Privatsektors (…) handelt es sich um Steuergutschriften, die als Zahlungsmittel verwendet werden und Teil des privaten Geldvermögens sind“.

In Texten vor dem Erscheinen der Originalausgabe des Buches von Randall Wray „Modern Money Theory“[4] fehlten offenbar Präzisierungen zum Steuerbegriff. Der Akzent lag eher auf der Erklärung der Antriebsfunktion der Steuern. Die Idee, dass in der Geldzirkulation ein Antriebsmotor vorhanden sein muss, ist übrigens so neu nicht. Bereits Silvio Gesell hatte sich mit seinem „Schwundgeld“ darüber reichlich Gedanken gemacht. Neu im MMT-Konzept ist allerdings, dass die Steuern diese Funktion übernehmen sollten.

Wray holt sein Erklärungsdefizit nach, indem er zunächst präzisiert, dass Steuern nicht nach der „Robin-Hood-Auffassung“ gehandhabt werden. Also nicht nach dem Prinzip „Nehmt von den Reichen und gebt den Armen“, wie er mit einem Seitenhieb auf Thomas Piketty[5] andeutet. Steuern für die Reichen könnten zwar helfen, die Ungleichheit zu verringern, doch sei „es effektiver, zu versuchen, die Ungleichheit an der Quelle zu verringern: die Einkommen an der Spitze zu reduzieren und sie an der Basis zu erhöhen.“

Ein weiterer Vorschlag Wrays besteht darin, Staatsanleihen und die damit verbundenen Zinserträge abzuschaffen.

Pragmatisierung und Monetarisierung des Wertes durch die MMT

Die Wert-Problematik scheint in der MMT nicht explizit thematisiert zu werden. Mein Eindruck ist, dass pragmatisches Vokabular bevorzugt wird: „produktive Beschäftigung und Wohlstand“, „der öffentliche Zweck“, „Vollbeschäftigung“, öffentliches Interesse. Um den öffentlichen Zweck verfolgen zu können, ist es wichtig, dass die Regierung Ressourcen in den öffentlichen Sektor verlagert und dadurch die Kontrolle über die Verwendung dieser Ressourcen bekommt. Hiermit spricht sie deren wichtige Rolle als Arbeitgeber an. Man kann festhalten: Produktivität, also Wertschöpfung, spielen – trotz geringer Explizierung – eine zentrale Rolle in der MMT.

Je tiefer man in Wrays Buch in das wichtige Kapitel 5 in „Steuerpolitik für souveräne Staaten“ eintaucht, umso mehr wird deutlich, dass sich auch die MMT moralischen und ethischen Fragen – also Wertfragen – stellt. Da ist die Rede von einer „unfreiwilligen Verpflichtung“, von „Subventionierung oder Bestrafung“, von „schlechtem Verhalten“, von „Verschwendung von realen Ressourcen“.

Die Schlussfolgerung, die sich aufdrängt, ist die, dass die MMT Steuern als ein Instrument zur Verhaltenssteuerung betätigt. Steuern sind für die MMT ein Sanktionierungs-Instrument, das sowohl positive als auch negative Sanktionierungen ermöglicht. Es findet also Belohnung und Bestrafung statt. Dabei muss „positive Sanktionierung“ mit „niedriger Besteuerung“ und „negative Sanktionierung“ mit „hoher Besteuerung“ übersetzt werden.

Auch hier kommt wieder eine pragmatische, auf Effektivität angelegte Vorgehensweise zur Anwendung. Sie hat auch durchaus ihre Vorteile. Sie geht – nicht unbedingt zielführend –, aber entspannter mit der Wert-Problematik um. Wray bzw. die MMT „monetarisiert“ Verhaltenspflichten zu „Verbindlichkeiten“. In ferner Vergangenheit geschah dies etwa durch Zehnte und Tribute, heute durch Steuern und Gebühren. Wray präzisiert des Weiteren scharfsinnig, dass die staatliche Monetarisierung nur funktioniert, „sobald die Wirtschaft monetarisiert ist“.

Zur Wirksamkeit der Monetarisierung ist es wichtig, darauf zu achten, dass eine Steuer nur schwer umgangen werden kann. So viele Menschen wie möglich müssen davon betroffen sein. Eine der Steuern, die das am besten leistet, wäre eine Wohnsteuer, so Wray weiter. Schnell wird deutlich, dass bei jeder Steuerart (Lohn-, Umsatz-, Gewinn-, Einkommen-, Vermögensteuer etc.) eine Reihe von abwägenden Überlegungen angestellt werden müssten, um ihren Beitrag zur Erfüllung des öffentlichen Zwecks möglichst genau einzuschätzen.

Die „Sündensteuer“

Steuern bestrafen im Sinne der MMT in letzter Konsequenz „Sünden“. Wray stellt die Frage, ob Steuern sündig oder sündhaft (sinful[6]) sind. Tatsache ist allerdings, „dass der Zweck der Besteuerung von Sünden nicht darin besteht, ‚die Einnahmen zu erhöhen‘, sondern ‚die Sünde zu verringern‘“. Das führt zu der „paradoxen“ Situation, dass die Sündensteuer sich bei erfolgreich abgeschlossener Mission überflüssig macht. Allerdings müssten dann alle Raucher zu Nichtrauchern, alle Alkoholiker zu Anti-Alkoholikern, alle Hochfrequenzhändler zu artigen Börsenhändlern und alle Umweltsünder zu Mitgliedern der „Letzten Generation“ werden. Das wird wohl noch eine Weile dauern.

Unter Berufung auf den New Yorker Dealer Beardsley Ruml, in den 1940er-Jahren Vorsitzender der New Yorker Federal Reserve[7], macht Wray als schlechteste und sündigste Steuer die Körperschaftsteuer aus. Sie erlaubt dem Unternehmen, praktisch alle „Kosten“ (Löhne, Materialkosten, Zinsen, Werbung, Abschreibungen) an die Arbeitnehmer (niedrige Löhne) und Verbraucher (Preise) durchzureichen. Deshalb fordert Wray, diese Steuer schlicht und einfach abzuschaffen.

Steuergutschriften der MMT und Bernard Friots „valeur du travail“

Die MMT will die Steuern nicht abschaffen, obwohl sie klar herausarbeitet, dass der Staat sie nicht als Einnahmequelle benötigt. Sie braucht sie als Kontrollinstrument. Die beschönigende Ausdrucksweise der MMT, dass die Steuern die „Akzeptanz“ der staatlichen Währung gewährleisten, ändert nichts an ihrem koerzitiven Charakter (Zwangscharakter). Die MMT hält an der chartalistischen Prämisse (Voraussetzung) fest, dass es eines staatlichen Kontrolleurs bedarf. Er übt sein Geldschöpfungsmonopol aus und möchte die Zügel über die Verwendung „seines“ Geldes in der Hand behalten.

Bernard Friot und sein Mitstreiter Frédéric Lordon[8] hingegen machen ernst. In ihrem System sind die wertschöpfenden Arbeiter die Souveräne. Für Friot und Lordon erzeugt die Geldschöpfung (la creation monétaire) keine Verschuldung, Geld ist kein Schuldschein, sondern dient zur Bezahlung der Löhne der tatsächlichen Wertschöpfer.

Hieraus ergeben sich emanzipatorische Perspektiven für die Arbeiterschaft, die weit über die MMT hinausweisen. Rudimentäre Ansätze finden sich bei letzterer immerhin in den Programmen der Jobgarantie (Employer of Last Resort). Das ist jedoch meilenweit von dem entfernt, was Friot und Lordon unter einer souveränen Arbeiterschaft verstehen. In der MMT stellen sie eine „Reservearmee‘ von Erwerbstätigen“ (Wray) dar, makroökonomische Stabilisatoren, ein „Pufferlagerprogramm“, „ähnlich wie das australische Wollpreisstabilisierungsprogramm“. Wenn sie „bereit und willens“ sind zu arbeiten, werden sie billig vom Staat gekauft. Und wenn die Privatwirtschaft sie wieder braucht, dann freut sich der am Gemeinwohl orientierte Staat, dass die Stabilisatoren sich teurer verkaufen können.

Eine intensive Beschäftigung mit den detailliert ausgearbeiteten Vorstellungen Bernard Friots und Frédéric Lordons ist angeraten. Sie zeigen Perspektiven auf, wie eine selbstbewusste Arbeiterschaft zu dem souveränen Verfügungsberechtigten über die Verwendung der „valeur du travail“ (Wert der Arbeit) und die „création de la monnaie“ (Geldschöpfung) werden könnte. Das kann konfliktreich werden – und das kommunistische Paradies versprechen sie auch nicht.

----------------------------

[1] Vgl: Friot, Bernard (2014): Emanciper le travail: Entretiens avec Patrick Zech; Friot, Bernard (2019): Le travail, enjeu des retraites; Friot, Bernard: La course à la production de valeur nous mène dans le mur, Élucid, 02/05/2022.
[2] Paul, Axel T. (2017): Theorie des Geldes zur Einführung.
[3] Paetz, Michael: Modern Monetary Theory. Rückkehr des gesamtwirtschaftlichen Denkens, ApuZ Aus Politik und Zeitgeschichte, 29.04.2022.
[4] Wray, L. Randall (orig. 2012/2014, dt. 2022): Modern Money Theory. Ökonomische Revolution oder Geldflutung? Eine Einführung. (Originaltitel: Modern Money Theory: A Primer on Macreconomics for Sovereign Monetary Systems.
[5] Piketty, Thomas (orig. 2013, dt. 2014): Das Kapital im 21. Jahrhundert (Le Capital au XXIe siècle).
[6] In der deutschen Übersetzung heißt es „welche Steuern sinnvoll“ (252) sind. Damit ist genau das Gegenteil von dem ausgedrückt, was Wray meint (sündig, sündhaft). Ein Blick ins Original lohnt sich bisweilen („sinnvoll“ = useful, sensible).
[7] Beardsley Ruml erkannte, dass ein souveräner Staat zur Erzielung von Einnahmen keine Steuern benötigt.
[8] Lordon, Frédéric (geb. 1962) ist ein heterodoxer französischer Ökonom und Philosoph. Forschungsleiter am CNRS (Sciences philosophiques et philologiques, sciences de l'art) und Mitglied der „économistes atterrés“, die einen großen Teil der französischen Linken unterstützen.