Sanktionen gegen Russland

Glaube nicht dem SWIFT-Hype

| 28. Februar 2022
istock.com/EvgeniyShkolenko

Die in den Medien gängige Gleichsetzung einer Trennung Russlands vom SWIFT-System als „nukleare Option“ ist übertrieben. Sie zeigt ein begrenztes Verständnis für die Funktionsweise des internationalen Zahlungsverkehrs und von Sanktionsregimen.

Im Kontext der Ukrainekrise diskutieren westliche Medien und Politiker seit einigen Wochen über mögliche Sanktionen gegenüber Russland. In diesem Kontext wird regelmäßig argumentiert, dass die schwerwiegendste der geplanten Sanktionen eine Abkopplung des russischen Finanzsystems von SWIFT ist. Diese Abkopplung wird auch gerne als „Nuklearoption“ oder auch als „Atombombe“ bezeichnet, letzteres beispielsweise von Oppositionsführer Merz.

Das Thema SWIFT kehrt seit Jahren regelmäßig in Diskussionen zu Russland wieder. Bereits im Kontext der Krimkrise 2014 wurde diese Drohung artikuliert. Das Europäische Parlament hat zuletzt im September 2021 die Europäische Union dazu aufgerufen, einen Ausschluss Russlands von SWIFT vorzubereiten. Es spricht in seiner Resolution vom „SWIFT-Payment-System“ genauso wie die meisten unserer Medien, die SWIFT als Zahlungssystem beschreiben. Diese Darstellung ist falsch, genauso wie die Konsequenzen eines Ausschlusses von SWIFT für Russland deutlich übertrieben werden, wie ich in einem gerade veröffentlichten Papier zeige.

Verwiesen wird in öffentlichen Diskussionen regelmäßig auf das Beispiel Irans, dessen Ausschluss von SWIFT vor einigen Jahren das Land ökonomisch in die Knie gezwungen habe. Auch diese Darstellung ist nicht richtig. In der Tat hatten die westlichen Sanktionen gegenüber dem Iran 2012 sehr schwerwiegende Folgen für die iranische Wirtschaft. Der Iran hat aufgrund der westlichen Sanktionen über die Hälfte seines Ölhandels und insgesamt ein Drittel seiner Exporte eingebüßt.

Verantwortlich für diese Einbußen war aber nicht der Ausschluss von SWIFT. Dieser Ausschluss war nur die „Glasur auf dem Kuchen“, um ein gängiges englisches Sprichwort zu paraphrasieren. Entscheidend für die gravierenden Auswirkungen der Iran-Sanktionen war das generelle Verbot der amerikanischen Regierung, Transaktionen mit dem Iran durchzuführen. Diese Sanktionen waren so formuliert, dass sie sich nicht nur an amerikanische Unternehmen richten, sondern auch an alle Unternehmen, die Transaktionen mit amerikanischen Unternehmen durchführen (sogenannte Sekundärsanktionen).

Banken, die sich an solche Verbote nicht halten, droht der Verlust der US-Banklizenz. Die französische Bank BNP Paribas zahlte 2014 die Rekordstrafe von 8,9 Milliarden Dollar, um den Lizenzverlust zu vermeiden. Sie hatte versucht, amerikanische Sekundärsanktionen zu umgehen, insbesondere durch Abwicklung von Zahlungen mit dem Sudan.

Das Risiko ist den Banken zu groß. Angesichts der zentralen Rolle des amerikanischen Bankensystems für die Weltwirtschaft führen solche Sekundärsanktionen daher für das betroffene Land zu einem völligen Ausschluss von grenzüberschreitenden Transaktionen. Der darüber hinaus erfolgte Ausschluss der iranischen Banken von SWIFT war nur eine geringfügige Perfektionierung („from 92 to 97% on the pain meter“), entscheidend waren die ursprünglichen Sanktionen der amerikanischen Regierung.

Wie funktioniert SWIFT?

Um zu verstehen, warum SWIFT trotzdem eine solche Aufmerksamkeit genießt, müssen wir zunächst den Zahlungsprozess verstehen. Ein Zahlungsprozess besteht aus einer Reihe von elektronischen Botschaften zwischen Finanzinstitutionen, die zwischen dem Sender und dem Empfänger der Finanztransaktion vermitteln. Am einfachsten ist es, wenn Sender und Empfänger ein Konto bei derselben Bank haben, dann kann die Überweisung einfach durch einen Eintrag in der Buchhaltung dieser Bank erledigt werden. Sobald zwei verschiedene Finanzinstitutionen involviert sind, wird eine Art von Infrastruktur notwendig, in vielen Fällen einschließlich eines separaten Systems zum Austausch von finanziellen Mitteilungen (wie zum Beispiel SWIFT).

Entscheidend ist für unsere Betrachtung allerdings, dass SWIFT kein Zahlungssystem ist: Es ist ein bloßes Informationssystem. Um diesen Unterschied zu verstehen, ist es notwendig, noch etwas tiefer in den Zahlungsprozess einzutauchen. Eine wichtige Unterscheidung liegt hier zwischen „Clearing“ und „Settlement“. Das Letztere bezeichnet den tatsächlichen Transfer von Finanzmitteln.

Angesichts der extrem hohen Anzahl individueller Transaktionen werden Letztere jedoch im Regelfall zwischen den beteiligten Finanzinstitutionen verrechnet, bevor ein de facto Transfer ansteht. Dieser Prozess wird als Clearing bezeichnet. Er kann im Prinzip bilateral zwischen zwei Banken stattfinden, findet aber im Regelfall in großen automatisierten Clearing Houses statt. Es gibt zwar durchaus Systeme, bei den jede einzelne Zahlung individuell umgesetzt wird, aber gerade bei einer Vielzahl von kleineren Transaktionen werden diese zwischen den beteiligten Banken verrechnet und dann nur der verbleibende Nettobetrag transferiert (Settlement).

Diese Zusammenhänge gelten allgemein für den Zahlungsprozess. Grenzüberschreitende Transfers sind jedoch komplizierter als jene innerhalb eines Zahlungsraums. Diese Zahlungen erfolgen traditionell über das System der „Korrespondenzbanken“. Korrespondenzbanken unterhalten untereinander Geschäftsbeziehungen. Bei weitem nicht alle Banken sind international über eine solche Korrespondenzbeziehung verbunden. Häufig erfolgen grenzüberschreitende Zahlungen daher über ein Kettensystem, bei dem andere Banken dazwischengeschaltet werden müssen, um die Transaktionen vom ursprünglichen Sender bis zum Empfänger durchzuführen.

Jede Transaktion erfordert einen Informationsaustausch zwischen den beteiligten Akteuren. Bei grenzüberschreitenden Transaktionen über Korrespondenzbanken erfolgt dieser Informationsaustausch im Regelfall über SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication). SWIFT ist also weder im Clearing, noch im Settlement tätig, es ist kein Zahlungssystem, nur ein Zahlungsinformationssystem.

Die Vorgänger von SWIFT in der grenzüberschreitenden Übermittlung von Zahlungsinformationen waren zunächst Telegramme und ab den 1930er Jahren das Telex-System. Da sich das Telex-System im Kontext der grenzüberschreitenden Expansion der Finanzmärkte zunehmend als vergleichsweise mühselig erwies, haben die Banken in den 1960er Jahren damit begonnen, ein besseres Informationssystem aufzubauen.

Europäische Banken waren beim Ausbau grenzüberschreitender Zahlungsinformationssysteme führend, da innerhalb Europas grenzüberschreitende Zahlungen besonders wichtig sind. SWIFT wurde daher zunächst in Europa aufgebaut, als eine Genossenschaft nach belgischem Gesetz mit dem Hauptquartier in der Nähe von Brüssel. Auch heute dominieren europäische Banken im Rahmen der Eigentumsstrukturen von SWIFT.

Warum wurde SWIFT politisiert?

Wie ist SWIFT nun in die politische Arena geraten? Nun, aus einer politischen Perspektive sind häufig die Informationen über die Zahlungsvorgänge relevanter als die eigentlichen Zahlungsvorgänge. SWIFT ist daher relativ bald in das Visier der US-Regierung geraten, insbesondere nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Während die USA schon in den 1990er Jahren vergeblich versucht hatte, Zugang zu SWIFT-Daten zu erhalten, übten sie nun erheblichen Druck aus.

Der rechtliche Ansatzpunkt, um SWIFT zur Kooperation mit den „Terrorist Finance Tracking Program (TFTP)“ zu zwingen, war die Existenz eines SWIFT-Datenzentrums in den USA. Die Kooperation zwischen SWIFT und der amerikanischen Regierung führte allerdings zu massiven Verstößen gegen belgische und europäische Datenschutzgesetze, was 2006 bekannt wurde und zu erheblichen Spannungen zwischen den USA und der Europäischen Union führte.

Die aktuelle Aufmerksamkeit für SWIFT entstammt aber nicht dieser ersten SWIFT-Affäre, die 2011 weitgehend beigelegt wurde, sondern einer zweiten Affäre, die 2012 begann. Der Kontext war das Nuklearprogramm der iranischen Regierung. Um die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran noch wasserdichter zu machen, haben die USA – in diesem Fall gemeinsam mit der Europäischen Union – 2012 SWIFT ohne größeren Widerstand des belgischen Unternehmens dazu gebracht, die iranischen Banken aus dem SWIFT-System auszuschließen. Aus diesem Kontext stammt die Bezeichnung des SWIFT-Ausschlusses als der „nuklearen Option“. Diese Bezeichnung übertreibt die Bedeutung dieser Maßnahme bei weitem, da die meisten iranischen Banken schon vorher kaum noch Transaktionen tätigen konnten.

2016 wurden die Sanktionen im Rahmen des „Irandeals“ aufgehoben, um dann von Präsident Trump 2018 wieder in Kraft gesetzt zu werden. Da sich bei der zweiten Runde der Sanktionen gegen den Iran die Wege der Amerikaner und Europäer teilten, haben einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das sogenannte INSTEX-System aufgebaut, das in der Öffentlichkeit fälschlicherweise als Alternative zu SWIFT dargestellt wird.

INSTEX (Instrument in Support of Trade Exchanges) ist kein Zahlungsinformationssystem und auch kein komplettes Zahlungssystem, sondern eine Plattform für den Tauschhandel zwischen dem Iran und europäischen Unternehmen. Die Notwendigkeit der Errichtung von INSTEX – eine bisher weitestgehend gescheiterte Initiative – beruht nicht auf dem Ausschluss des Irans aus SWIFT, sondern auf dem amerikanischen Sanktionsregime, das nicht nur amerikanischen Banken den Handel mit dem Iran verbietet, sondern über ihre Sekundärsanktionen auch Banken anderer Länder.

Was droht Russland?

Kommen wir zurück zu den potentiellen Sanktionen gegenüber Russland. Was würde passieren, wenn Russland aus SWIFT ausgeschlossen würde? Transaktionen zwischen russischen und ausländischen Banken, beispielsweise zur Finanzierung von Importen nach Russland sowie zum Empfang von russischen Exporterlösen, würden deutlich komplizierter werden, da sie nicht mehr auf das SWIFT-Informationssystem zurückgreifen könnten.

Russische Banken müssten andere Informationssysteme nutzen, beispielsweise das alte Telex-System. Das würde Transaktionen mühseliger und teurer machen, sie aber nicht unterbinden, wie im Falle des Irans. Der Ausschluss aus dem SWIFT-System ist daher die weichere und nicht die härtere Sanktion, verglichen mit direkten Maßnahmen gegen russische Banken oder Unternehmen. Zweifelsohne würden der Ausschluss von SWIFT das russische Finanzsystem behindern und vorübergehend auch zu spekulativen Finanzausflüssen und damit einer Schwächung des Rubel-Wechselkurses führen.

Russland hat sich allerdings seit der Krim-Krise 2014 und den in diesem Kontext bereits angedrohten Sanktionen auf eine solche Konstellation vorbereitet. Es hat seine ausländischen Währungsreserven aufgestockt, um den Rubelkurs im Falle von Währungsturbulenzen stützen zu können. Auch gegen den Ausschluss aus dem internationalen Kreditkartensystem – mit direkten Auswirkungen auf den Alltag großer Teile der russischen Bevölkerung – hat sich Russland mittlerweile abgesichert, indem es in den letzten Jahren eine eigene Kreditkarte („Mir“) etabliert hat.

Außerdem hat Russland inzwischen ein eigenes System für grenzüberschreitende Finanzinformationen aufgebaut (SPFS). SPFS („System for Transfer of Financial Messages“) operiert bereits seit einigen Jahren, wenn auch nur mit einem Bruchteil der Kapazität von SWIFT. Russland hat schließlich auch Vereinbarungen mit China getroffen, um das ebenfalls in den letzten Jahren aufgebaute, aber inzwischen wesentlich größere chinesische System CIPS („Cross Border Interbank System“) nutzen zu können. Letzteres enthält nicht nur ein Finanzinformationssystem, sondern ein komplettes Zahlungssystem, einschließlich von Clearing und Settlement.

Was droht dem amerikanischen Finanzsystem?

Der von vielen westlichen Politikern und dem Europäischen Parlament angedrohte Ausschluss Russlands aus SWIFT ist also in erster Linie Theaterdonner. Viele Wortführer sind mit der genauen Funktionsweise des globalen Zahlungssystems nicht vertraut. Ein SWIFT-Ausschluss käme erst am Ende einer längeren Kette von Sanktionen, die sich zunächst wohl gegen einzelne russische Banken richten würden.

Die wiederholten Drohungen mit dem SWIFT-Ausschuss führen allerdings dazu, dass Länder, die potentiell damit rechnen müssen, ins Visier der USA oder der Europäischen Union genommen zu werden, ihre eigenen grenzüberschreitenden Zahlungs-, bzw. Zahlungsinformationssysteme aufbauen. Noch vielversprechender ist in dieser Hinsicht allerdings die zunehmende Nutzung von digitalen Zentralbankwährungen, die das existierende grenzüberschreitende Zahlungssystem komplett umgehen und damit US-Sanktionen wirksam unterlaufen können. In langfristiger Perspektive dürften diese Entwicklungen dazu führen, dass die zentrale Rolle des amerikanischen Finanzsystems und mit ihr des Dollars als Weltwährung zunehmend erodiert wird.

Die aktuelle Aufregung über mögliche SWIFT-Sanktionen in Deutschland hat jedoch andere Gründe. Es geht weder um die Zukunft der US-Hegemonie, noch um die Suche nach wirksamen Sanktionen gegen Russland. Der Oppositionsführer hat die eigentlichen Gründe bemerkenswert offen benannt:

„Merz mahnte deshalb zur Vorsicht, weil ‚Deutschland eine starke Exportnation‘ sei. Er befürchte große Rückwirkungen nicht nur auf den europäisch-russischen Dienstleistungs- und Warenhandel, sondern auch auf den weltweiten Handel.”

Der eigentliche Hintergrund des aktuellen SWIFT-Hypes ist die ausgeprägte Verwundbarkeit des extremen deutschen Exportmodells.

Dieser Beitrag erschien auf MAKROSKOP ursprünglich am 4. Februar 2022.