Brief aus Brüssel

Kann Friedrich Merz die EU retten?

| 26. Februar 2025

Viele EU-Politiker und Experten setzen große Hoffnungen in den künftigen Kanzler. Er soll den Weg für ein „wahrhaft unabhängiges Europa“ ebnen - dabei versagt er schon bei der ersten kleinen Bewährungsprobe.

Wer in diesen Tagen die europäische Presse liest, könnte glauben, in Deutschland sei ein neuer Messias erschienen. Friedrich Merz wird wahlweise als Führer („Leader“), Retter oder letzte Hoffnung für Europa beschrieben.

Deutschland müsse endlich wieder die „Führung“ in der EU übernehmen, heißt es in Brüssel. Das viel gelesene Springer-Portal „Politico Europe“ präsentiert einen ganzen Katalog von Problemen, die Merz abräumen soll.

Mark Leonard, der britische Chef des „European Council on Foreign Relations“ in Berlin, beschreibt seinen Wahlsieg als „Europe’s independence day“. Der CDU-Chef könne den Weg für ein „wahrhaft unabhängiges Europa“ ebnen.

Man reibt sich die Augen und wundert sich: Was ist nur in die EU und ihre Experten gefahren, dass sie ihre größte Hoffnung in diesen Provinzpolitiker aus dem Sauerland setzen, der bisher noch nicht einmal Minister war?

Offenbar ist die Lage so ernst, dass sogar ein Merz als Hoffnungsträger erscheint. Tatsächlich steckt die EU in einer tiefen Sinnkrise. Seit der Machtübernahme von US-Präsident Donald Trump weiß sie nicht mehr ein noch aus.

In der Nato, in der Ukraine, in der Russland-Politik und beim Handel - täglich tun sich neue Gräben auf. Die transatlantische Zusammenarbeit, auf die EU-Kommissions-chefin Ursula von der Leyen setzt, ist zusammengebrochen.

Merz, so die fast schon verzweifelte Hoffnung, könnte der richtige Mann zur richtigen Zeit sein. Er ist ein alter Transatlantiker - hat aber schon am Wahlabend erklärt, er wolle Europa unabhängig von den USA machen.

Als traditioneller Christdemokrat und ehemaliger Europaabgeordneter will er den deutsch-französischen „Motor“ wiederbeleben - seine erste Reise nach der Wahl führte denn auch zu Präsident Emmanuel Macron nach Paris.

Als erklärter Gegner von Altkanzlerin Angela Merkel hat er eine radikale Wende in der Asyl- und Migrationspolitik angekündigt. Das passt zwar nicht zum EU-Recht, scheint seine neuen Fans aber nicht im Geringsten zu stören.

Für Leonard & Co. gilt Merkel nämlich als Mutter aller Übel in Europa. Nachdem sie jahrelang vergöttert worden war, soll Merkel nun nicht nur für die Migrationskrise, sondern auch für den Ukrainekrieg mitverantwortlich sein.

Auch in der Ukraine werde Merz die überfällige Wende herbeiführen, hoffen viele EU-Politiker und Experten. Statt zu zögern wie Noch-Kanzler Olaf Scholz, werde er die Ukraine mutig bewaffnen und Europa schnell aufrüsten.

Doch schon die erste Entscheidung des Kanzlers in spe hat diese Erwartung enttäuscht. Statt die deutsche Schuldenbremse auszusetzen, um Waffenlieferungen an die Ukraine zu finanzieren, will er ein neues Sondervermögen auflegen.

Das braucht Zeit. Und die will sich Merz auch nehmen, wie er klargestellt hat. Dabei wird es ohne eine Reform nicht gehen, warnt Verteidigungsminister Boris Pistorius. Für eine auskömmliche Ausstattung der Bundeswehr sei "eine Ausnahme von der Schuldenbremse praktisch unumgänglich.“

Merz versagt offenbar schon bei der ersten, kleinen Bewährungsprobe daheim in Berlin. Dabei kommen in Brüssel noch ganz andere Kaliber auf ihn zu. Von der Leyen fordert 500 Milliarden Euro, um Europa aufzurüsten. Ohne neue EU-Schulden dürfte das nicht gehen.

Doch auch hier steht Merz auf der Bremse. Die CDU ist dagegen, die SPD war es bisher - unter Kanzler Scholz - auch. Verteidigung sei eine nationale Aufgabe, so Scholz. Es spricht wenig dafür, dass Merz das anders sieht.

Wenn er Nein zu einem schuldenfinanzierten „Verteidigungsfonds“ sagt, dürfte der künftige Kanzler nicht nur seiner Parteifreundin in der EU-Kommission Sorgen bereiten. Er wird auch Macron enttäuschen, der neue Schulden fordert.

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Erwartungen überzogen sind. Merz wird die EU nicht retten, jedenfalls nicht kurzfristig. Auch auf lange Sicht sieht es schlecht aus. Dafür gibt es zwei fundamentale Gründe.

Der erste Grund ist die wirtschaftliche Lage. Deutschland steckt in der Rezession fest, 2025 droht wieder ein verlorenes Jahr. Deshalb kann das größte EU-Land kein „Motor“ sein, im Gegenteil: Es zieht Europa herunter.

Erst wenn die EU den verlorenen Wirtschaftskrieg gegen Russland aufgibt und die unsinnige Praxis beendet, Gas und Öl auf Umwegen zu überhöhten Preisen einzukaufen, ist Besserung in Sicht. Doch davon will von der Leyen nichts wissen - sie hat gerade neue Sanktionen verkündet.  

Der zweite Grund heißt Trump. Der US-Präsident treibt seinen Ukraine-Deal mit Russland im Eiltempo voran. Wenn er so weiter macht, könnte es schon zu Ostern eine Lösung geben, die die EU in jeder Hinsicht alt aussehen lässt.

Trump will nicht nur den Krieg in der Ukraine beenden, sondern auch eine neue Wirtschaftspartnerschaft mit Russland begründen. Die Europäer sollen die Zeche zahlen - finanziell, aber auch politisch. Sie stehen im Abseits.

Und Merz? Der hofft, bis Ostern eine Regierung zu bilden.  Die neue „kleine Koalition“ mit der SPD könnte ihre Arbeit just in dem Moment aufnehmen, da Trump in der Ukraine und Russland neue Fakten geschaffen hat. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - sorry, Herr Merz!