Editorial

Go big!

| 23. März 2021
Die USA drehen wieder am großen Rad - istock.com/demerzel21

Liebe Leserinnen und Leser,

2021 sollte das große Jahr des Aufschwungs werden, ein Jahr mit hohen Wachstumsraten, das die Corona-Scharte endgültig wettmacht. Die meisten Prognosen der Forschungsinstitute gingen von einem Wachstum um die drei Prozent im zweiten Quartal aus.

Davon kann keine Rede mehr sein. Der Corona-Tunnel wird länger und länger. Die dritte Welle der Pandemie klopft an die Tür des neuen Jahres. Und anders als in Chile kommt in Deutschland die Impfung kaum voran, der Lockdown wird bis zum 18. April verlängert. Der Leiter der Konjunkturabteilung des Münchner ifo Instituts Timo Wollmershäuser gesteht denn auch ein: »Das Leitmotiv für Konjunkturforscher ist derzeit die Unsicherheit. Wir stochern prognostisch im Nebel, weil der weitere Verlauf der Pandemie kaum zu kalkulieren ist«. Heißt, der Aufschwung muss warten.

Die Verlängerung des Lockdowns ist vor allem für die Betriebe des Einzelhandels eine Katastrophe, insbesondere für viele kleine Unternehmen. Je länger der Lockdown dauert, desto größer wird die Gefahr einer Pleitewelle, sobald die Politik die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Betriebe wieder in Kraft setzt. Schon im Januar sind die Einzelhandelsumsätze eingebrochen.

Ungeachtet dieser Tragödien aber klopft man sich vielleicht im deutschen Kanzleramt irgendwann im Laufe des Jahres 2022 dann doch wieder auf die Schulter. Deutschland habe sich dank seiner wettbewerbsfähigen Wirtschaft wieder einmal am eigenen Schopf aus der Krise gezogen, mag es dann heißen.

Wenn es so kommt, dann hat die Geschichte allerdings einen Haken. Denn der Erfolg der deutschen Wirtschaft, genauer seiner Exportindustrie, ist auf Gedeih und Verderb von der Weltkonjunktur abhängig. Und so wird sich der Exportweltmeister dann vor allem bei den USA bedanken dürfen, die gerade alles dafür tun, um die heimische Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.

Während in Deutschland schon wieder über die Schuldenbremse debattiert wird, heißt es in den Staaten »Go big«. Rund 5 Billionen Dollar hat die US-Regierung insgesamt schon zur Krisenbekämpfung locker gemacht. Die Notenbank Fed erwartet für 2021 ein Wachstum von 6,5 Prozent. Ein Wachstum, das womöglich auch Deutschland und Europa einen Wirtschaftsaufschwung beschert.

Man kann sich natürlich auch fragen, warum bisher noch kaum jemand auf die Idee gekommen ist, dass diese extreme Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Konjunkturlokomotiven in einem direkten Zusammenhang mit der Obsession der Schwarzen Null steht. Das verengte Schielen auf einen ausgeglichenen Haushalt lässt die Bundesregierung sogar jetzt, inmitten der Corona-Krise, kleinere Brötchen backen, als nötig wären. Von wegen Bazooka!

Diese deutsche Strategie der inneren Abwertung, das unter seinen Verhältnissen leben, mit zu niedrigen Löhnen und Preisen, ohne dass diese von einer Aufwertung der Währung neutralisiert werden, verbessert zwar die Chancen der heimischen Exporteure, weil sie die Waren im Ausland nun günstiger anbieten können. Zugleich verschlechtert sie aber volkswirtschaftlich den Ertrag der Exporte und führt zu einer binnenwirtschaftlichen Handlungsunfähigkeit.

Mit anderen Worten, der vermeintliche Musterschüler, der so gerne vom Standortwettbewerb spricht und Hausaufgaben verteilt, verlässt sich in Wahrheit darauf, von anderen gerettet zu werden. War die »soziale Marktwirtschaft« also von Anfang an ein Etikettenschwindel, der spätestens mit der rotgrünen Agenda 2010 manifest wurde? So jedenfalls das Urteil unseres neuen Kolumnisten Heinz-J. Bontrup. Auch der 1967 ins Stabilitäts- und Wachstumsgesetz festgeschriebene »Hydraulik-Keynesianismus« mit seinem antizyklischen deficit-spending habe daran grundsätzlich nichts geändert.

Den Geist der schwäbischen Hausfrau, den sparenden Staat, könne daher auch die Corona-Krise nicht vertreiben, glaubt Bontrup. Die von vielen erhoffte Wiedergeburt des keynesianischen Denkens, auf das die veranlassten staatlichen Konjunktur- und Stützungsprogramme schließen lassen, sei wie schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Intermezzo. Allein die blanke politische Not, die Gefahr eines »Systemgaus«, ließe den Machtinhabern keine andere Option, als die »Rückkehr des Meisters« (Robert Skidelsky) widerwillig zu akzeptieren.