Klima in Deutschland

Baerbock in der UN: Falsches Signal in unsicheren Zeiten

| 21. Mai 2025
IMAGO / ZUMA Press Wire

Was Baerbocks neuer Posten als Präsidentin der UN-Generalversammlung mit gesellschaftlicher Unzufriedenheit zu tun hat.

Anscheinend ist die Wahl der Ex-Außenministerin Baerbock am 2. Juni 2025 zur Präsidentin der UN-Generalversammlung nur noch eine Formalie. In New York redet praktisch niemand darüber, wie Baerbock sich auf Kosten einer erfahrenen Diplomatin den Weg zur Präsidentschaft gebahnt hat. Mit der von ihr vielbeschworenen Solidarität unter Frauen – man denke nur an das Schlagwort „feministische Außenpolitik“ – hatte das jedenfalls wenig zu tun.

Zudem ist ihr neues Amt zwar prestigeträchtig und gut dotiert, aber weit entfernt von den politischen Entscheidungsbefugnissen des UN-Generalsekretärs. Dennoch werfen die Umstände, unter denen Baerbock das Amt für sich in Anspruch nahm – flankiert von diplomatischen Fehlgriffen wie ihrer Aussage, Deutschland befinde sich „im Krieg mit Russland“ – die Frage auf, ob ausgerechnet sie das geeignete Aushängeschild für die Generalversammlung der Vereinten Nationen ist.

Man könnte achselzuckend sagen: So ist eben Politik. Warum sich darüber aufregen? Dennoch lohnt es sich, diese Personalie genauer zu betrachten: Viele Menschen in unserem Land fragen sich, warum so viele ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger so negativ, frustriert und pessimistisch durch den Alltag gehen. Und das obwohl wir objektiv gesehen immer noch zu den privilegiertesten Gesellschaften der Welt gehören. Warum also dieses kollektive Stimmungstief?

Der Fall Baerbock bietet hier einen möglichen Erklärungsansatz. Er steht exemplarisch für ein gesellschaftliches Klima, das von einem tiefsitzenden Gefühl der Unsicherheit geprägt ist. Ursprünglich war die hochgeschätzte Diplomatin Helga Schmid für die Position der UN-Präsidentin vorgesehen. Schmid hat jahrzehntelange internationale Erfahrung und war bereits offiziell für das Amt nominiert. Doch dann wurde sie über Nacht von einer knallharten Konkurrentin verdrängt.

Wie schnell sich das Blatt wenden kann, ist längst nicht nur eine Erfahrung der hohen Politik. Unsicherheit ist für die meisten Menschen in unserem Land zum Grundgefühl geworden, im Beruf, bei der Altersvorsorge, auf dem Wohnungsmarkt oder im Gesundheitssystem. Viele empfinden, dass kaum noch etwas verlässlich ist. Wer heute noch auf festem Boden steht, weiß nicht, wie lange das so bleibt. Und wer einmal ins Straucheln gerät, merkt schnell, wie tief und schnell man fallen kann.

Hierzulande fragen sich viele: Was muss sich ändern, damit die Menschen wieder zufriedener leben und optimistischer in die Zukunft blicken? Eine mögliche Antwort lautet dann: Wir müssen den Menschen wieder mehr Sicherheit bieten. Unsicherheit ist Gift für das soziale Klima in einem Land. Sie macht misstrauisch, ängstlich, reizbar. Und verhindert, was Gemeinschaft überhaupt erst möglich macht: Vertrauen.

Einige sagen, unser Bildungssystem müsse junge Menschen besser auf die Unsicherheiten des Lebens vorbereiten. Das ist sicher richtig, greift aber zu kurz. Noch besser wäre, wenn es objektiv weniger Unsicherheit gäbe. Denn so wichtig Resilienz und psychologische Anpassungsfähigkeit auch sind: Sie ersetzen keine sozialen und politischen Rahmenbedingungen, die Verlässlichkeit und Stabilität schaffen. Menschen brauchen nicht nur mentale Bewältigungsstrategien, sondern auch reale Sicherheiten: ein bezahlbares Zuhause, eine auskömmliche Rente, ein funktionierendes Gesundheitssystem und eine Arbeitswelt, die nicht von einem Tag auf den anderen die ganze Existenz infrage stellt.

Mit mehr Sicherheitsgefühl wären viele auch souveräner im Umgang mit sozialen Herausforderungen. Sie hätten weniger Angst, dass ihnen Migranten den Arbeitsplatz oder die Wohnung streitig machen. Sie müssten nicht befürchten, im Krankheitsfall allein gelassen zu werden oder im Alter zu verarmen. Sie könnten Veränderungen gelassener begegnen, weil sie wüssten: Der Boden unter meinen Füßen trägt. Wer sich sicher fühlt, muss nicht nach unten treten und kann nach oben selbstbewusst seine Interessen vertreten. Sicherheit bietet Raum für das, was eine demokratische Gesellschaft dringend braucht: Vertrauen in andere und in sich selbst.

Doch die Politik scheint oft das Gegenteil zu tun. Sie produziert ständig neue Unsicherheiten und fördert ein Klima, in dem Konkurrenz und Egoismus zur Grundhaltung geworden ist. Jeder gegen jeden, das ist die Logik, nach der unsere Gesellschaft zunehmend funktioniert. Am Arbeitsplatz konkurrieren Kolleginnen und Kollegen nicht nur um Beförderungen, sondern oft schon um den bloßen Verbleib im Betrieb. In der Schule wird bereits um Noten und Studienplätze konkurriert. Studierende konkurrieren um Stipendien, Seminarplätze und spätere Berufschancen. Professorinnen und Professoren konkurrieren um Drittmittel, oft auf Kosten ihrer Forschungsfreiheit. Universitäten konkurrieren im Rahmen der sogenannten Exzellenzstrategie um den Titel „Exzellenzuniversität“. Konkurrenz statt Bildungsgerechtigkeit. Für alles gibt es inzwischen Rankings, Leistungskennzahlen, Zielvereinbarungen, permanente Evaluationen. Von den unzähligen Bewertungsportalen im Internet erst gar nicht zu reden. Wer nicht liefert, bleibt zurück. Kooperation wird zur Zweckgemeinschaft, Vertrauen und Sicherheit zur Rarität.

Natürlich: Die Angst vor Kriegen in Europa, vor Pandemien, wirtschaftlichen Risiken und anderen globalen Krisen lässt sich nicht einfach wegreden. Die Welt ist objektiv unsicherer geworden. Aber gerade in solch schwierigen Zeiten sollte die Politik den Bürgerinnen und Bürgern zumindest im Inneren Halt, Verlässlichkeit und Orientierung geben, anstatt weiterhin auf Konkurrenz, Misstrauen und ein Gesellschaftsmodell zu setzen, in dem sich nur die mit den stärksten Ellenbogen durchsetzen, während die anderen auf der Strecke bleiben. Das wäre eine echte Alternative für Deutschland.

Ob die neue Regierung diesen Weg einschlägt, ist allerdings mehr als fraglich. Die Zeichen stehen in eine andere Richtung, nicht nur durch die Lobbyisten in der Regierung des neuen Bundeskanzlers. Die brachiale Art und Weise, wie eine andere Frau aus dem Weg geräumt wurde, um Baerbock auf ihre UN-Position zu hieven, wird jedenfalls vielen im Gedächtnis bleiben. Nur ein Detail, aber sinnbildlich für die Atmosphäre in diesem Land. Leider.