Brief aus Brüssel

Hauptsache, Macron bleibt an der Macht

| 17. September 2025

Die Politik des französischen Staatschefs ist aus deutscher und europäischer Sicht alternativlos. Dass er keine Mehrheit mehr hat und schon wieder den Premierminister auswechseln muss, löst zwar große Sorgen aus, bewirkt aber kein Umdenken.

Sie hatten sich gerade so schön aufeinander eingespielt. Wie ein altes, unzertrennliches Paar präsentierten sich Staatspräsident Emmanuel Macron und Kanzler Friedrich Merz beim 25. deutsch-französischen Ministerrat in Toulon. Einen ganzen Strauß von Vorschlägen und Initiativen hatten sie vorbereitet, um die Wirtschaft zu beleben und der Europäischen Union neuen Schwung zu geben.

„Der deutsch-französische Motor läuft wieder rund, und er ist stärker denn je“, lautete die frohe Botschaft. Sogar das alte, zur Zeit von Altkanzlerin Angela Merkel gewohnte Akronym MERCRON wurde wieder aus der Mottenkiste geholt. Es passt ja auch ganz gut zu Merz. Genau wie einst Merkel will auch er die EU führen, anders als seine Amtsvorgängerin (und Rivalin) geht er aktiv auf Macron zu.

Doch dann kamen schlechte Nachrichten vom deutsch-französischen Powerduo. Nicht nur der neue Kanzler hat innenpolitische Probleme. Auch der altgediente Staatschef durchläuft eine akute Schwächephase. Wenige Tage nach dem deutsch-französischen Treffen reichte Premierminister Francois Bayrou seinen Rücktritt ein. Rien ne va plus, nichts geht mehr, hieß es in Paris – und in Berlin.

Aus der deutschen Hauptstadt kamen die heftigsten Reaktionen. Die politische Instabilität in Frankreich könne zu einer Lähmung in Europa, vielleicht gar zu einer neuen Finanzkrise führen. Was in Paris geschieht, sei eine Warnung an die Bundesregierung, die Finanzen nicht schleifen zu lassen und die politischen Ränder im Zaum zu halten. Auch Merz müsse sich Sorgen machen, so die Mahner.

In Paris sieht man die Sache gelassener. Schließlich hat Macron schon eine gewisse Routine im Auswechseln seines Premiers. Binnen 24 Stunden zauberte er den Nachfolger aus dem Hut: Verteidigungsminister Sébastien Lecornu – ein Vertrauter Macrons – soll Bayrous Posten übernehmen. Die Regierungskrise war damit, zumindest offiziell, beendet. Die Probleme sind allerdings nicht verschwunden.

Dies hat sich nur einen Tag nach Lecornus Amtsantritt gezeigt. Unter dem Motto „on bloque tout“ – wir legen alles lahm – gingen rund 200.000 Franzosen gegen die Sparpolitik auf die Straße. Dies könnte den Start einer neuen Protest-Bewegung nach dem Vorbild der „Gelbwesten“ markieren. Da sie nichts mit den Gewerkschaften zu tun haben, gelten sie als besonders schwer zu kontrollieren.

Beunruhigend sind auch die Meldungen von den Finanzmärkten. Kurz nach dem Regierungswechsel stufte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit des Landes von AA- auf A+ herunter. Begründet wurde diese Entscheidung mit einem anhaltenden Budgetdefizit, der Staatsverschuldung von 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie chronischer politischer Instabilität.

Damit rutscht Frankreich vom stabilen Kern näher an die Peripherie der Eurozone. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen liegen zeitweise höher als in Italien. Erschwerend kommt hinzu, dass der Anteil ausländischer Gläubiger in Paris deutlich höher liegt als in Rom.  Allerdings ist die Nachfrage nach französischen Anleihen weiterhin groß. Von einer Flucht der Anleger kann (noch) keine Rede sein.

Auch die politische Instabilität ist nicht so gravierend, wie es auf den ersten Blick scheint. Macron bleibt, wenn nicht noch etwas Revolutionäres geschieht, bis zum Frühjahr 2027 im Amt. Er hat zwar keine Mehrheit in der Nationalversammlung mehr. Auch in den Meinungsumfragen ist er ständig abgefallen – auf das traurige Niveau seines Amtsvorgängers Francois Hollande, der wegen seiner Unbeliebtheit gehen musste.

Doch die wichtigsten Entscheidungen fällt in Frankreich immer noch der Präsident – solange er an der Macht ist. Seine Gesetze kann er zur Not mit dem Verfassungsartikel 49.3, genannt "dicke Bertha", in Kraft setzen. Auch bei den für die EU wichtigen Themen Verteidigung, Krieg und Frieden gibt Macron den Ton an. Damit bleibe Paris handlungsfähig, meint die Frankreich-Expertin Claire Demesmay.

Bei der EU in Brüssel macht man sich denn auch weniger Sorgen als in Berlin. Die Regierungskrise in Paris war der EU-Kommission kaum eine Erwähnung wert; auch im Ministerrat herrscht Business as usual. Dabei sollte man sich zumindest im Ecofin – dem Rat für Wirtschaft und Finanzen – einige Fragen stellen. Schließlich zeigt die Krise, dass die EU-Schuldenregeln nicht funktionieren.

In der Theorie sollen sie sicherstellen, dass das Budgetdefizit nicht über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigt und die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent bleibt. Frankreich liegt – wie viele Euroländer – weit darüber. Die Ursache ist jedoch nicht allein in steigenden und angeblich überbordenden Sozialausgaben zu suchen, wie es in Berlin oft heißt.

Die französischen Schulden sind vielmehr in der Coronakrise und der nachfolgenden Energiekrise explodiert – weil Macron energisch mit Finanzspritzen gegengesteuert hat. Neuerdings steigen sie auch wegen der Aufrüstung, die die EU selbst propagiert. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sogar eigens für die Verteidigung eine Ausnahme von den strikten Schuldenregeln eingeführt.

Dazu wurde sie nicht nur von Macron, sondern auch von Merz aufgefordert. Hier schließt sich der Kreis: Macrons Politik ist aus deutscher und europäischer Sicht alternativlos. Dass die Franzosen rebellieren und das Parlament nicht mitspielt, ist vor diesem Hintergrund zwar ärgerlich, doch letztlich folgenlos. Erst wenn Macron wankt, wird es aus EU-Sicht wirklich ernst.