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WEITERE AUSGABEN
Subventionen
Sind die hohen Strompreise ein Wirtschaftskiller?
Von Franz Garnreiter
| 26. Oktober 2023IMAGO / photothek
Um eine Abwanderung von Industrien zu verhindern, machen sich einige Politiker dafür stark, die Stromkosten für Konzerne zu senken. Eine derartige Subvention gab es noch nie. Sechs Fragen zu ihrem Sinn oder Unsinn.
Teile der Regierung wollen unbedingt die Stromkosten, die die Konzernwirtschaft bezahlt, subventionieren. Motiv dafür ist die Sorge, dass energieintensive Unternehmen sonst in die Strom-Billigländer USA und China abwandern. Maximal 6 Cent pro Kilowattstunde soll der Strom kosten, aber – immerhin, das muss man anerkennen – nur für 80 Prozent des Verbrauchs. 20 Prozent des Verbrauchs darf teurer sein ‒ ein Anreiz zum Stromsparen soll schließlich bestehen bleiben.
Der Verband der Chemischen Industrie VCI nutzt diese Bereitschaft und verlangt als Maximum 4 Cent pro Kilowattstunde. Das ist ein Bruchteil der Preise, die die Privathaushalte bezahlen: Schon vor den Preissteigerungen ab Ende 2021 lagen die Preise für Privatverbraucher bei rund 25 Cent pro Kilowattstunde ohne Mehrwertsteuer. Heute liegen sie deutlich höher.
Nach Regierungsangaben soll diese Subvention bis 2030 laufen und Kosten von 25 bis 30 Milliarden Euro verursachen. Das ist eine Menge Geld, verglichen damit, dass man bei Sozialausgaben mühsam um einzelne Millionen streiten muss. Noch dazu: Eine derartige Subvention gab es noch nie, sie ist von der Regierung ganz neu erfunden worden. Derzeit geht es nur um die Diskussion des Vorhabens, umgesetzt ist noch nichts.
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Staatliche Eingriffe verschlechtern das Marktergebnis? Oder etwa doch nicht?
Die Theorie der Marktwirtschaft besagt, dass eine freie Marktwirtschaft, die von keinen außermarktlichen, insbesondere staatlichen Eingriffen bedrängt wird, zu einem stabilen, gerechten, optimalen wirtschaftlichen Ergebnis führt. Aber warum will eine marktgläubige Regierung dann so massiv in den Marktprozess eingreifen? Die Gelder für die Subventions-Umverteilung muss sie doch von woanders her aufbringen, also an anderer Stelle den Marktprozess stören! Da wird es nichts mehr mit dem optimalen Ergebnis eines freien Marktes.
Oder könnte es vielleicht sein, dass die Theorie der Marktwirtschaft gar nicht richtig ist? Anmerkung: Eigentlich sollten wir doch froh sein, wenn die chinesische Regierung immer so brutal in ihre Märkte eingreift, vorschreibt und subventioniert: Diese chinesischen Staatseingriffe sind doch Gift für den Markt, zerstören sie doch die Marktoptimalität und damit alle Wohlstandsaussichten ‒ und lassen unsere Markwirtschaft umso glänzender dastehen. Smiley.
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Geheime Strompreise für Großverbraucher: Sollte man sie zur Berechnung der Subvention nicht öffentlich machen?
Großverbraucher wie BASF Ludwigshafen oder Wacker Burghausen verbrauchen um die 1 Prozent der gesamten deutschen Stromerzeugung oder sogar noch mehr. Also so viel wie eine Millionenstadt samt Behörden und aller Industrie (ohne eventuelle Großverbraucher). Ihre Preise werden streng vertraulich gehalten, Preisstatistiken hören weit unterhalb solcher Verbräuche auf. Sie sind von der Stromsteuer und von allen Umlagen wie EEG- oder KWK-Aufschlag weitestgehend befreit und bezahlen auch für die Netzkosten so gut wie nichts. Ihre Preise liegen daher ohnehin schon bei wenigen Cent pro Kilowattstunde.
Es wäre interessant, wenn die Regierung die veranschlagten 25 bis 30 Milliarden Euro einmal aufschlüsseln würde: Wie viel entfällt auf Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als einer Terawattstunde, wie viel auf Verbräuche zwischen 100 Gigawattstunde und einer Terawattstunde usw.? Wenn man die Subventionen berechnen muss, könnte man auch Strompreis-Statistiken veröffentlichen, fortgeschrieben bis zum aufzufindenden Höchstverbrauch.
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Wieviel vom Strompreisanstieg geht auf den Mehrprofit der Stromkonzerne zurück?
Und warum diese Mehrprofite nicht einziehen, Stichwort Übergewinnsteuer, um – wenn‘s schon sein soll – die Stromsubvention zu bezahlen?
Die PR-Abteilungen der Stromkonzerne laufen auf Hochtouren, um klarzumachen, dass die Preiserhöhungen allein Putins Schuld seien, jedenfalls überhaupt nichts mit Mehrprofiten zu tun hätten. Die von den Medien laufend wiederholte Erzählung der Konzerne besagt: Die Gaspreiserhöhungen hätten sich 1:1 in Strompreiserhöhungen umgewandelt, weil zur Bedarfsdeckung jederzeit teurer Gasstrom nötig sei, und dessen Kosten dann den Strompreis generell bestimmten (Merit-Order-Prinzip, Grenzkostenprinzip).
Doch diese Erzählung ist in vielerlei Hinsicht irreführend. Insbesondere sind die Kapazitäten zur Stromerzeugung so hoch, dass Gasstrom nur an wenigen Tagen wirklich nötig ist. Der Gaspreis kann daher gerade nach Merit-Order nicht annähernd den Strompreis zentral erklären. Diese Konzern-PR ist eine einfache und eingängige Erzählung, um von der Profitgier der Stromkonzerne abzulenken.
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Stürzen hohe Strompreise die deutsche Wirtschaft ins Verderben?
So jedenfalls hört es sich zumindest unterschwellig an, wenn die Protagonisten der Subvention ihr Vorhaben begründen. Ein Blick auf die Wirklichkeit hilft: In der Grafik sind für alle 72 Branchen der deutschen Volkswirtschaft (Gliederung der offiziellen Statistik) die jeweiligen Anteile für die Stromkosten und auch für die Energiekosten insgesamt (Strom, Gas, Öl, Kohle) am Produktionswert aufgezeichnet. Der Produktionswert ist der Umsatz bzw. wird bei nichtverkauften Erzeugnissen analog berechnet. Die Größe der einzelnen Branchen (Länge auf der waagrechten Achse) bemisst sich nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer. Es sind hier die Daten für das Jahr 2020 dargestellt, also Vor-Pandemie- und Vor-Ukraine-Daten. 2020 ist das aktuell neueste Jahr für die Input-Output-Statistik.
In nur wenigen Branchen mit zusammen 0,8 Prozent aller Arbeitnehmer betrug 2020 der Stromkostenanteil am Produktionswert mehr als 5 Prozent. In Betrieben mit 18 Prozent aller Arbeitnehmer lag der Stromkostenanteil höher als 2 Prozent. In Betrieben mit etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmer betrugen die Stromkosten nur 1 Prozent oder noch weniger der Gesamterzeugungskosten.
Die Erzeugerpreise, also die Abgabepreise von industriellen Erzeugnissen am Fabriktor, sind in den zwei Jahren 2020 bis 2022 um 21 Prozent gestiegen (Industrieerzeugnisse ohne Energie), die der meist energieintensiveren Grundstoffproduzenten um 34 Prozent. Für Dienstleistungen stiegen sie schwerpunktmäßig um 8 Prozent. Die Erzeugerpreise für Strom zur Abgabe an Sondervertragskunden (Großkunden) stiegen in den beiden Jahren um 150 Prozent, die an (klein-)gewerbliche Abnehmer um 18 Prozent.
Hier muss man ein bisschen rechnen, um zu verstehen, was das bedeutet: Wenn die Strompreise bei einem Großverbraucher mit 6 Prozent Stromkostenanteil um 150 Prozent steigen, dann erhöhen sich seine Gesamtkosten dadurch um 9 Prozent ‒ also weit weniger als die tatsächliche Preiserhöhung um 34 Prozent bei Grundstoffproduzenten. Bei einem industriellen Normalverbraucher schlägt ein angenommener Strompreisanstieg von 20 Prozent mit weniger als einem halben Prozent Erhöhung auf die Gesamtkosten durch, also völlig marginal im Vergleich zur Erzeugerpreisinflation von 14 oder auch 8 Prozent bei Dienstleistern.
Es ist also nicht annähernd plausibel, dass die Strompreisanstiege von 2020 bis 2022 auf breiter Front nicht mehr durch die Abgabepreis-Inflation aufgefangen werden konnten, dass sie eine so schwere Todesstoß-Gefahr für die deutsche Industrie darstellen sollen, auf dass der Staat unbedingt 30 Milliarden Euro zur Subventionierung locker machen muss.
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Drohen ohne Strompreis-Subvention Abwanderung und Arbeitslosigkeit?
Auch das steht nicht zu erwarten. Wie dargelegt, sind die Stromkosten für die allermeisten Betriebe (mit mehr als 95 Prozent aller Beschäftigten) von völlig untergeordneter Bedeutung. Für die wenigen stromkostenintensiven Betriebe gilt: Zum einen sind es die Branchen der Energiewirtschaft selbst, also Stromerzeugung, Stromverteilung, Gasverteilung, Ölraffinerien, auch die Wasserversorgung. Diese sind teils rein national organisiert (die Verteilung) oder sie haben (Stromerzeugung) schon aus Vorsorgegründen eine sehr geringe Außenhandelsquote.
Ein anderer, weit wichtigerer Punkt ist: Es gibt zwar Teilbereiche, vor allem in der Chemischen Industrie, die extrem stromintensiv sind, wie zum Beispiel die Chlorherstellung. Chlor als Stoff ist aber so unhandlich und gefährlich, dass es mit einer Export- und Importquote je etwa 1 Prozent des deutschen Bedarfs kaum gehandelt wird, sondern unmittelbar in vielstufigen Wertschöpfungsketten weiter verarbeitet wird, etwa zu PVC- und FCKW-Produkten. Erst diese Zwischen- und Endprodukte werden gehandelt. Chlor wird immer dort hergestellt, wo es weiterverarbeitet wird. Die Chlorherstellung ist also der abhängige Teilbereich, während die nicht sonderlich stromintensive Weiterverarbeitung den Gesamtprozess dominiert. Wegen gestiegener Stromkosten bei der Chlorherstellung wird die PVC-Industrie nicht abwandern. Ein ähnliches Bild stellt sich auch bei anderen sehr stromintensiven Vorprodukten dar.
Generell gilt, dass die internationale Konkurrenzfähigkeit eines Hochindustrielandes wie Deutschland zentral von erfolgreicher Forschungstätigkeit, von der hohen Qualifikation der Beschäftigten, von der perfekten Steuerung des volkswirtschaftlichen Prozesses abhängt – weitaus mehr als von niedrigen Rohstoff- und Energiepreisen. Eine reine Preiskonkurrenz gab es vielleicht in den 1960er Jahren in Zeiten der Ruhr- und Saarkohle. Heute steht die deutsche Wirtschaft in der Qualitätskonkurrenz – und dominiert sie. Mehr Geld für Bildung statt für Billigstrom, das wäre wegweisend und sollte doch eigentlich für das Wirtschaftsministerium einleuchtend sein.
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Sollten wir wollen, dass die energieintensiven Industrien sich alle in Deutschland ansiedeln?
Hinsichtlich der internationalen Solidarität (die allerdings aus marktwirtschaftlicher Sicht einen Wert von Null hat): Wenn unterentwickelte Länder eine Chance haben sollen auf wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand, dann wäre es naheliegend, dass sie, statt ihre Rohstoffe von internationalen Konzernen ausbeuten zu lassen, in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Rohstoffe im Land weiter zu verarbeiten zu höherwertigen Zwischen- und Endprodukten. Also gerade das Gegenteil der heutigen Zustände, wo die reichen Länder üblicherweise per Handelsverträge durchsetzen, Rohstoffe zu Billigstpreisen zu beschaffen und den Rohstoffländern eine eigene Weiterverarbeitung erschweren.
Eine vernünftig gestaltete Weltwirtschaft, also so etwas wie ein Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, müsste versuchen, die industriellen Produktionen tendenziell dort anzulagern, wo zum einen wirtschaftlicher Entwicklungsbedarf vorhanden ist, und wo zum anderen überflüssig ausufernder Transport bei einem See-Schifffahrtsumfang von mehr als 100.000 Milliarden Tonnenkilometer pro Jahr minimiert werden kann. Deutschland wäre dann nicht mehr immer die erste Adresse für industrielle Produktion.