Debatte

Der Klimakonsens ist der falsche

| 08. November 2023
IMAGO / Chris Emil Janßen

Der Konsens zur Klimakrise geht so: Die Pariser Klimaziele seien allein durch öko-technologische Modernisierungen zu erreichen, ohne den Gesamtbedarf an Energie und Ressourcen zu verringern. Dieser Konsens ist Teil des Problems.                        

Wie sollte man heute „unter den gegebenen Bedingungen“ und angesichts „einer Welt, die sich selbst zerstört“, handeln? Diese Frage bewegt in zwei Beiträgen auf MAKROSKOP Rainer Land: Technisch und ökonomisch, sagt er, gäbe es zwar Möglichkeiten für ökologische Umbauprogramme. Aber politisch scheitern sie am Verlust eines Grundkonsenses, wie er als „Klassenkompromiss“ für die Hochzeiten des Fordismus bzw. „Teilhabekapitalismus“ charakteristisch war – etwa in Gestalt einer engen Kopplung von Produktivitätssteigerung und Lohnentwicklung.

Meine These dazu: Es gibt durchaus einen weitreichenden partei- und klassenübergreifenden Grundkonsens darüber, wie mit Klimakrise umzugehen sei. Aber er ist nicht Bedingung, sondern eher Hemmnis für eine nachhaltige Bearbeitung dieser und anderer Öko-Krisen. 

Stark vereinfacht lautet dieser Konsens hinsichtlich der Klimakrise: Die Pariser Klimaziele sind durch öko-technologische Modernisierungen zu erreichen, ohne den Gesamtbedarf an Energie und materiellen Ressourcen gezielt ‒ über die üblichen systemischen Effizienzgewinne hinaus ‒ zu verringern. Klimaneutralität kann erreicht werden durch eine wachstumsbasierte industriepolitisch unterstützte Dekarbonisierung der Wirtschaft per Übergang zu Erneuerbaren Energieträgern (EE) ‒ und zwar auf Basis des jetzigen und tendenziell wachsenden Energiebedarfs der Wirtschaft. 

Für das Verfehlen des 1,5- bzw. 2-Grad-Ziels sind ökologisch und ökonomisch umstrittene, bislang unausgereifte technologische Lösungen vorgesehen (inklusive Geoengineering). Geraten diese mit den ökologisch-planetaren Grenzen in Konflikt, bleiben typischerweise ökonomische Parameter prioritär. Insbesondere der Energiebedarf gilt als sakrosankt, zumindest nicht politisch nach unten korrigierbar.

Gesellschaftliche Wege zur Klimaneutralität durch einen verringerten Bedarf an Energie und Naturverbrauch sind weitgehend tabuisiert, sofern damit auch der BIP-relevante Umfang der Wirtschaft in Frage gestellt sein könnte. Dissens, divergierende und gegensätzliche Interessen innerhalb dieses Rahmens „ökologischer Modernisierung“ beziehen sich hauptsächlich darauf, wie solche Politiken und Transformationen sozial auszugestalten sind, wer die Vor- und Nachteile trägt.      

Ein Konsens, der Teil des Problems ist        

Aber dieser Konsens – so mein zweiter Einwand – ist eher Teil des Problems, nicht der Lösung. 

Es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln, dass es primär oder gar allein durch öko-technologische Modernisierung gelingt, die Klimaziele bis 2030 bzw. 2045 zu erreichen. Denn: Erneuerbare Energien wie Sonne und Wind gelten zwar landläufig als unerschöpflich und billig. Aber sie kontinuierlich für diverse industrielle Nutzungen verfügbar zu machen, ist weder ökonomisch noch ökologisch zum Nulltarif möglich.

So muss die sehr zerstreute Sonnenenergie eingesammelt und konzentriert, in einen enorm gewachsenen Bedarf an Grünen Strom zum Teil anschließend in grünen Wasserstoff verwandelt und mehrfach transport- und speicherfähig transformiert werden. Das verringert ihren Wirkungsgrad, erfordert Investitionen in aufwändige materielle Infrastrukturen, die selbst einen beachtlichen ökologischen Fußabdruck haben, verstärkt Flächennutzungskonkurrenzen und macht sie letztlich teuer.

Die für die Dekarbonisierung erforderlichen Rohstoffe werden im Zuge wachsenden Bedarfs durch eine  weltweite Energiewende knapper und teurer, der Zugang zu ihnen auf Grund verschärfter geopolitischer Rivalitäten unsicherer. Die ökologische Hauptlast der Rohstoffgewinnung, des nunmehr postfossilen, „grünen Extraktivismus“, trägt nach wie vor der globale Süden.

Aber auch hierzulande werden Konflikte um den verstärkten Ausbau von EE-Kapazitäten und  der Widerstand gegen die Zerstörung von Natur und Landschaft  (mit beträchtlichem rechtspopulistischen Potential) zunehmen und Projekte verzögern oder verhindern.

Die Transformation der energetischen Basis ist „nur“ Teil einer übergreifenden Konstellation, die Missverhältnisse zwischen verfügbaren ökonomischen – materiellen, personellen, finanziellen – Ressourcen und akut zu bewältigenden Aufgaben verschärft. Benötigt werden umfangreiche Investitionen in Klimaschutz und Klimafolgenanpassung, in Katastrophenprävention und -reparatur. Dabei geht es unter anderem um

  • energetische Gebäudesanierung und den Umbau der Städte von autogerechten zu klimagerechten Orten („Schwammstadt“, Begrünung, Durchlüftung etc.),
  • den Waldumbau mit hitze- und dürreresistenteren Baumsorten und die Wiedervernässung von Mooren oder
  • den Ausbau neuer Elemente der Infrastruktur (Pipelines für die Wasserversorgung in Dürreregionen oder für Wasserstoff, Terminals für Flüssiggasimporte, neue Stromtrassen, Digitalisierung) sowie um
  • steigende Kosten für den Hochwasserschutz und den Ausgleich von Dürreschäden in der Landwirtschaft oder Waldbrände.

Hinzu kommen der Abbau des Investitionsstaus in der vernachlässigten allgemeinen Infrastruktur (Schulen, marode Brücken, DB-Schienennetz) und die „Zeitenwende“ in der Rüstungspolitik.

Aus dieser Situation werden sehr unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Ulrike Herrmann und andere folgern: Die sicher verfügbare Erneuerbare Energie wird nicht ausreichen, um Fossile im gegenwärtigen Umfang des Energiebedarfs der Wirtschaft zu ersetzen und die Klimaziele für 2030 und 2045 zu erreichen – oder gar als energetische Basis für eine permanent wachsende Wirtschaft zu dienen.

Für den Mainstream hingegen ist der Energiebedarf prioritär und der klimapolitische Ausweg wird in riskanten Technologien gesehen. Das gilt auch für die Klimawissenschaften und ihre Szenarien. So konzedieren unter anderem Ottmar Edenhofer, Direktor sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, zwar eine beträchtliche Lücke an verfügbarer EE (insbesondere grünem H2) in Relation zum industriellen Bedarf und sehen Gefahren für das Erreichen der Reduktionsziele. Sie bleiben aber optimistisch. Ihre Strategie: Neben verstärkten Importen von grünem H2 seien bislang unausgereifte und ökologisch umstrittene Technologien voranzutreiben und früher als geplant industriell einzusetzen. Sie sollen CO2 aus der Atmosphäre entziehen und unterirdisch verpressen oder verarbeiten. Nur so wäre das Ziel „Netto-Nullemissionen bis 2050“ erreichbar und der wirtschaftliche Bedarf an „nachhaltig hergestellten“ E-Fuels und Chemikalien zu befriedigen. 

Auch hier schlägt der oben genannte problematische Grundkonsens voll durch:  Ökonomische Bedarfe sind per se dem Klimaschutz und anderen ökologischen Belangen übergeordnet, nur öko-technische Lösungen gegen die näher rückende Klimakatastrophe  sind legitim, gesellschaftliche Wege zu Klimaneutralität durch einen verringerten Bedarf an Energie und Natur hingegen tabuisiert, sofern sie das BIP-Wachstum gefährden könnten.

Sozialökologische Reduktion

Diese Denkweise ist (nicht nur) klimapolitisch riskant. Sie widerspricht dem Vorsorgeprinzip und wird in kritischen Forschungen, Diskursen und sozialen Bewegungen problematisiert.

Hier setzt mein Alternativ-Vorschlag für eine sozialökologische Reduktion (söR) an. Er zielt – ergänzend zur öko-technologischen Dekarbonisierung des industriellen Stoffwechsels – auf eine möglichst direkte und rasche Reduktion des Energiebedarfs und Naturverbrauchs durch Strategien eines ökologisch gezielten, demokratisch legitimierten und sozial gerecht verringerten Umfangs von ökonomischen Aktivitäten, vorrangig in solchen Bereichen, die Lebensqualität und Gemeinwohl nicht beeinträchtigen, eher verbessern.

Nötig sind dafür Umverteilungen, Innovationen und Rückbauten, die ohne umfangreiche finanzielle und materielle Investitionen mit ihren je eigenen ökologischen Fußabdrücken und Rebound-Effekten auskommen, damit auch ohne neue Wachstumsabhängigkeiten. Orientierend für sozialökologische Reduktionen ist neben dem Vorsorgeprinzip (zum Beispiel: Vorrang von Klimaschutz versus Abhängigkeit von riskanten Technologien; Vorkehrungen für sozioökonomische Stabilität im Falle eines sinkenden BIP) das Verursacherprinzip. Es reguliert die  Verteilung von Reduktionskosten: Gruppen mit dem größten ökologischen Fußabdruck tragen auch den höchsten Anteil möglicher Lasten der Transformation. Anders gesagt: Es geht um ein Weniger an Naturverbrauch, das in Bezug auf wichtige Lebensbereiche so gestaltet wird, dass es mit einer besseren Lebensqualität für Mehrheiten einhergeht.

Kandidaten für söR-Politiken wären etwa Praktiken oder Produkte, die beim erreichten Maß von Naturbelastung ökologisch skandalös sind, etwa weil sie luxuriöse Statussymbole repräsentieren oder die allein schon durch ihre Symbolik klimaschädlich sind: Privatflugzeuge, Inlandsflüge oder SUV. Dazu kommen Produkte, die ohne Verluste an Gemeinwohl oder Lebensqualität sozial verträglich eingeschränkt werden können, zum Beispiel Sektoren von Werbung oder Finanzdienstleistungen sowie Verpackungen. Dafür stehen bewährte politische Instrumente zur Verfügung, wie etwa

  • kontinuierlich sinkende Obergrenzen für ökologisch problematische Naturverbräuche, (etwa Flächenversiegelung und Rohstoffentnahmen) oder Tempolimits,
  • Moratorien für Investitionen, die ökologisch besonders schädliche Pfadabhängigkeiten zementieren (zum Beispiel neue Flugplätze oder Autobahnen),
  • Wegfall ökologisch schädlicher Subventionen sowie
  • geschlechter- und bedarfsgerecht verringerte Erwerbsarbeitszeiten.

Solche Reduktionen helfen, ökologische Ziele zu realisieren, die allein oder primär auf technischen Wegen nicht erreichbar sind. Sie können Einstiege in eine wachstumsunabhängige Wirtschafts- und Lebensweise sein, somit wesentlicher Teil eines auch durch die Klimakrise dringlichen Paradigmen- und Perspektivenwechsels.

Drittens. Schellnhubers Initiative für eine Holz-Bauwende hält Land für einen denkbaren Umgang mit der ökologischen Krise, für einen „Vorschlag, wie wir die Welt tatsächlich noch retten könnten“. Allerdings zweifelt er, ob sie zu verwirklichen sei.

Auch hier neige ich eher zur gegenteiligen Auffassung. Realisierbar wäre sie meines Erachtens durchaus, eingedenk der Konflikte, mit denen ein solcher Strukturwandel – hier die Substitution der klimapolitisch problematischen Baustoffe Zement, Beton, Stahl etc. durch Holz bzw. andere Biomasse – üblicherweise verbunden ist. Dafür wird keine „mehrheitliche Zustimmung“ benötigt, wie Land befürchtet. Vor allem geht sein Konzept konform mit der oben problematisierten hegemonialen Denkweise ökologischer Modernisierung: Material bzw. Technologien werden durch ökologisch günstigere ersetzt, alles andere kann im Wesentlichen bleiben wie es ist. 

Damit werden kritische Debatten nach den Grenzen des Bauens, des wachsenden Naturverbrauchs einer zunehmend bebauten Welt, des verfügbaren Holzes ausgeblendet. Deshalb wäre diese Holzbau-Initiative, wenn sie umgesetzt würde, für sich genommen, ohne auch solche Grenzen zu reflektieren, nicht der Königsweg, als der er suggeriert wird. Allein schon der bloße Umfang des benötigten Holzes setzt Grenzen.

Jedoch eingebettet in Debatten und übergreifende Strategien – wie vorhandene Bausubstanz, Wohnflächen rationeller und sozial gerechter genutzt werden, Wohnqualität bei verringertem Flächenverbrauch gesteigert werden kann etc. – ist Schellnhubers Konzept ein wichtiges Element für sozialökologisch nachhaltiges Bauen, Wohnen, Zusammenleben.

Aber diese Verbindung habe ich bei ihm vermisst. Auch fehlt der Brückenschlag zu kurzfristig wirksamen Reduktionen von Beton, um den Overshoot mit seinen irreversiblen Folgen zu limitieren.      

Viertens. Manche Begriffe und Einschätzungen scheinen recht unspezifisch und blenden kritische Analysen, Debatten, Initiativen weitgehend aus. Von Moderne, Zivilisation, Menschheit, Fortschritt ist häufig die Rede – aber welche Widersprüche, Ambivalenzen, Dynamiken sind es jeweils, die die Klimakrise hervorbringen? Welche Perspektivwechsel, Richtungsänderungen wären dementsprechend im Sinne der geforderten „Redlichkeit“ vonnöten? Ist der Abschied von ökologisch nicht mehr haltbaren Fortschrittserwartungen, einem „Besser“, identisch mit „Niedergang“? Oder ist er auch Chance für ein anderes „Besser“, oft diskutiert unter „Gutes Leben für alle“?

Neue Leitbilder

Einige resignativ anmutende Sentenzen könnten mit einem Verständnis  des Politischen zusammenzuhängen, das stark auf politische Klasse, Parlament, Parteien, Mehrheiten fokussiert ist. Erwartet man primär hiervon dringliche Richtungsänderungen, etwa im Sinne der oben angedeuteten sozialökologischen Reduktion, so kann man in der Tat pessimistisch werden. Sie können zunächst nur als kultureller Wandel in sozialökologisch orientierten Teilen der Zivilgesellschaft – insbesondere in sozialen Bewegungen, kritischer Wissenschaft und Öffentlichkeit, in minoritären Strömungen politischer Organisationen etc. – beginnen. Indem sie Denkweisen und Praktiken von Minderheiten verändern, bereiten sie den Boden für neue hegemoniale politische Konstellationen, letztlich für veränderte parlamentarische Mehrheitsverhältnisse. 

In diesen Zusammenhängen existieren bereits die von Metzinger vermissten neuen Leitbilder –  jenseits von Expansion, Naturbeherrschung, Wachstum, technische Lösungen oder ungleich verteilten wachsenden materiellen Konsum. Ob der erstrebte Wandel rechtzeitig gelingt, bleibt ungewiss. Sicher ist aber, dass das vor uns liegende Jahrzehnt von sehr irdischen Krisen, Konflikten, Katastrophen geprägt sein wird, aus denen äußerst gefährliche Weichenstellungen erwachsen können.