Markt und Gerechtigkeit

Wirtschaftsethik diesseits von Wonderland

| 11. Februar 2022

Eingriffe in Märkte sind unvermeidbar, um eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen zu gewährleisten. Reformvorschläge auf Basis der Mainstream-Ökonomik werden ethischen Problemen der realen Wirtschaft jedoch nicht gerecht.

Der Markt ist nach Meinung einer Vielzahl von Ökonomen „effizient“. Damit ist gemeint, dass die Güterverteilung über Märkte sicherstellt, dass es keine dazu alternative Verteilung gibt, die den subjektiven Nutzen mindestens eines Subjekts erhöht, ohne den Nutzen eines anderen Subjekts zu reduzieren.

Die Mehrheit aller Ökonomen scheint der Meinung zu sein, dass daher mit dem Markt auch der Sache der Gerechtigkeit Genüge getan ist. Die Gleichsetzung von „Effizienz“ und „Gerechtigkeit“ scheitert aber schon daran, dass es eine Vielzahl solcher sogenannter pareto-optimaler Gleichgewichte gibt. Zwischen ihnen zu wählen, erfordert oftmals eine Antwort auf die Frage, welche dieser "optimalen" Marktresultate als mehr oder weniger gerecht zu gelten haben.

Der von vielen Ethikern zugrunde gelegte Marktbegriff basiert auf der entscheidungstheoretisch orientierten Mainstream-Ökonomik. Damit stimmen sie – zumindest implizit - der Effizienzthese zu. Da auf Basis einer solchen Ökonomik eine Umverteilung des gesamtwirtschaftlichen Kuchens keine Auswirkungen auf die Größe dieses Kuchens hat, sprechen sich Wirtschaftsethiker, wie prominent John Rawls und seine Nachfolger, dafür aus, wie der Hamburger Philosoph Marco Meyer richtig schreibt, dass das Steuersystem der „Ort der Verteilungsgerechtigkeit“ sein sollte, staatliche Eingriffe in den Markt aber tunlichst zu unterlassen seien.

Steuergerechtigkeit ade

Meyer widerspricht dieser weit verbreiteten Vorstellung der Möglichkeit einer Kombination von Markt und Steuersystem, die gleichzeitig Effizienz und Gerechtigkeit zu gewährleisten vermag, wie folgt: 

„Theoretisch könnte eine gerechte Verteilung allein durch das Steuer- und Transfersystem herbeigeführt werden, wenn die Fähigkeit von Staaten, Steuern zu erheben, unbegrenzt wäre. Aber Steuergesetze werden in Demokratien von der Mehrheit gemacht. In der Praxis erweist es sich als schwierig, politische Mehrheiten für Steuerreformen zu organisieren, die Korrekturen an bestehenden Ungerechtigkeiten ermöglichen würden.“

Mit Meyer bin ich einer Meinung, dass es einer Regulierung von Märkten bedarf. Allerdings nicht primär, weil eine Umverteilung an der „Durchsetzbarkeit beliebig hoher Steuern“ scheitern müsste. Sondern vielmehr, weil "der Markt" ohne Regulierung eine Einkommens- und Vermögensverteilung bewirkt, die elementare Gerechtigkeitsprinzipien verletzt. Anders gesagt, wir brauchen keine Korrektur von Marktresultaten, sondern Modi der Produktion und Verteilung von Gütern, die solche ungerechten Resultate verhindern.

Freilich stellt sich schon an dieser Stelle die Frage, ob der Begriff der „Effizienz“ von moralischer Relevanz ist. Praktisch irrelevant wäre er jedenfalls, wenn es so etwas wie effiziente Märkte gar nicht gäbe. Meyer verweist in diesem Zusammenhang auf „Kreditmärkte“, deren „Besonderheiten“ sich in dem Modell der Mainstream-Ökonomik nicht „abbilden“ liesen. Denn in diesem Modell gäbe es, anders als in der realen Welt, zum Beispiel keine Kreditbeschränkungen für potenzielle Kreditnehmer.

Das kann nicht überraschen, weil in den Modellen der Mainstream-Ökonomik „Geld“ überhaupt nicht vorkommt. Diesen Einwand aber will Meyer nicht gelten lassen: Das Modell könne „leicht erweitert werden, um rudimentäre Kapitalmärkte abzubilden“. Die Anwendbarkeit des Modells in der Realität scheitere vielmehr an der Tatsache von „Informationsasymmetrien“.

Schutzschild - Informationsasymmetrien

Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Trivialität: Menschen wissen nicht alles und das Wissen unterschiedlicher Menschen unterscheidet sich voneinander. Ludwig von Mises – ein Marktapologet, der sicherlich seines Gleichen noch immer sucht – hat sich aus diesem Grund explizit gegen die vom Mainstream gepflegte Homo-Oeconomicus-Ökonomik ausgesprochen.

Diese Figur, so Mises, ließe sich auf die klassische Theorie zurückführen, die Wirtschaftssubjekte als „Kaufleute“ erachte, die „jedes einzelne Geschäft“ mit der Absicht durchführten „so billig als möglich einzukaufen und so teuer als möglich zu verkaufen“, um damit den „höchsten erzielbaren Geldgewinn“ zu erzielen. Es sei aber selbst den klassischen Ökonomen nicht entgangen, „daß der Wirtschafter als Erwerber dem kaufmännischen Grundsatz nicht stets treu bleibt und bleiben kann, daß er nicht allwissend ist, daß er irren kann und daß er auch bewußt unter Umständen seine Bequemlichkeit einem gewinnbringenden Geschäft vorzieht“.

Eine empirisch adäquate Ökonomik würde daher den Term „rational“ nicht verwenden. Denn sie mache keine Aussagen über das „Verhalten eines Idealtypus, des vielberufenen homo oeconomicus“, weil auf dieser Basis der Gegenstand der Ökonomik von vorneherein verfehlt werde. Ganz in Übereinstimmung mit den Ausführungen seines akademischen Lehrers wendet sich Friedrich August von Hayek wie folgt gegen die basalen Annahmen einer Homo-Oeconomicus-Ökonomik:

„Wenn wir alle relevanten Informationen besitzen, wenn wir von einem gegebenen Präferenzsystem aus beginnen, und wenn wir vollständige Kenntnis der verfügbaren Mittel besitzen, so ist das verbleibende Problem lediglich eines der Logik. Das heißt, die Antwort auf die Frage, wie die zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich anzuwenden sind, wohnt unseren Annahmen bereits inne. [...] Das bedeutet, dass die Grenzrenditen des Austausches zwischen jeglichen Waren oder Faktoren hinsichtlich all ihrer unterschiedlichen Nutzungen gleich sein müssen. Das jedoch ist sicher nicht das wirtschaftliche Problem, vor das die Gesellschaft gestellt ist.“

Mit dem Begriff der „Informationsasymmetrie“ wird nun keineswegs an Hayeks Kritik angeschlossen. Ganz im Gegenteil versucht man mit ihm, den harten Kern der Homo-Oeconomicus-Ökonomik gegen widersprechende empirische Evidenzen abzuschirmen: Der Konzeptualisierung des Kapitalismus als einer Tauschwirtschaft, in der rationale Subjekte im Sinne der Entscheidungstheorie so lange Wirtschaftsgüter untereinander tauschen, bis ein pareto-optimaler Gleichgewichtszustand gefunden ist.

Mit dem Begriff der „Informationsasymmetrien“ wird daher auf eine Variante des Homo-Oeconomicus-Modells, die als „Neue Institutionenökonomik“ bezeichnet wird, verwiesen. Institutionen sind in ihrem Rahmen Regelsysteme und die Verletzung einer Regel ist dabei immer mit Sanktionen verbunden. Es sind diese Sanktionen, die die Pay-offs der Handlungsalternativen so verändern, dass die Wahl der pareto-effizienten Handlungsalternative sichergestellt wird.

Der Begriff der "Informationsasymmetrie" wird also nicht kritisch, sondern explanativ verwendet. Er erklärt, warum es zwischen dem Modell und der Wirklichkeit Abweichungen gibt. Sicher – so werden ihre Vertreter zugestehen – scheint es, dass das Homo-Oeconomicus-Modell im Widerspruch mit der wirtschaftlichen Realität steht. Tatsächlich aber erklärt das Modell sogar, warum es bestimmter Institutionen bedarf, damit Märkte effizient sind.

Kreditmärkte zum Beispiel bedürfen Eigenkapitalvorschriften und Sicherheiten, denn es gibt ganz offensichtlich in der wirklichen Welt Informationsasymmetrien. Es gibt solche Institutionen also, weil sie sicher stellen, dass Märkte effizient sind. Das Homo- Oeconomicus-Modell hilft uns also feststellen zu können, welcher Institutionen es bedarf, damit Märkte effizient sind.

Ganz in diesem Sinne hat der Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps argumentiert, dass der Finanzcrash von 2007/2008 kein Anlass sei, die behauptete Effizienz von Kapitalmärkten in Zweifel zu ziehen. Vielmehr sei der Crash Aufforderung, die Homo-Oeconomicus-Modelle verstärkt für das institutionelle Design von Märkten zur Anwendung zu bringen. Gerade weil wirkliche Wirtschaftssubjekte keine homo oeconomici sind, müssen "Anreize" geschaffen werden, dass sie sich so verhalten, als wenn sie es wären.

Man affirmiert also mit dem Begriff der „Informationsasymmetrie“ offensichtlich das Homo- Oeconomicus-Modell. Es ist daher vielleicht auch kein Zufall, dass Meyer das Konzept der „Effizienz“ nicht verwirft, sondern für ihn die Probleme einer steuerlichen Umverteilung lediglich Anlass für die folgende Frage sind:

„Wie können Effizienz und Gerechtigkeit bei der Regulierung von Märkten zusammengebracht werden?“

Ungerechte Kreditmärkte?

Welches Gerechtigkeitsproblem gilt es im Falle von Kreditmärkten nach Meinung Meyers zu adressieren?

„Höhere Zinssätze für vermeintlich riskantere Projekte führen jedoch zu einer Negativauswahl. Je höher der Zinssatz, desto weniger lukrativ ist es für Kreditnehmerinnen, ihr Vorhaben durch einen Kredit zu finanzieren. Besonnene Antragstellerinnen werden ein Angebot zu höheren Zinsen deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit ablehnen. Die verbleibenden Antragstellerinnen, die einen Kreditvertrag trotz hoher Zinsen abschließen, sind deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit unbesonnen. Das wissen Banken und bieten deshalb solche Konditionen gar nicht erst an. Damit werden aber auch Antragstellerinnen ausgeschlossen, die ihre Kreditverträge sehr wohl bedient hätten.“

Ein moralisches Problem besteht also nach seiner Meinung darin, dass aufgrund der Praxis der Kreditvergabe Projekte nicht verwirklicht werden, die es eigentlich „verdient“ hätten, realisiert zu werden. Die Finanzkrise von 2007/2008 allerdings wirft die Frage auf, ob nicht Vorhaben finanziert wurden, bei denen zu großzügig auf Eigenkapital und Sicherheiten verzichtet und Zinsen bezahlt wurden, die es nicht erlaubten, für die eingegangen Kreditrisiken ausreichend zu kompensieren.

Es ist also nicht ganz einfach zu entscheiden, ob eine gerechte Regulierung von Kreditmärkten nun zum Beispiel höhere oder niedrige Bonitätsstandards und staatliche Bail-outs von Banken verlangt oder aber kategorisch verbietet. Wenn man allerdings meint, dass auf Kreditmärkten die Ware Geld wie jede andere Ware mit Hilfe geeigneter Institutionen effizient gehandelt werden kann und sollte, sprechen die behaupteten „Informationsasymmetrien“ für eine äußerst restriktive Kreditvergabepraxis und alles für eine strikte Anwendung des Haftungsprinzips auch für Banken.

Meyer verweist auf Studien, die belegten, dass eine solche Kreditvergabepraxis dazu führe, „was der Volksmund weiß: Arme Leute leben teuer“. Anders gesagt, sie führt zu Ungerechtigkeiten, wie die Vergabepraxis von Hypothekendarlehen in den USA belege:

„Ein Großteil der US-Amerikanerinnen, die ihre Unterkunft mieten, statt sie zu kaufen, würde es vorziehen, zu kaufen, hat aber zu keinem Zinssatz Zugang zu einem Hypothekendarlehen. Nicht nur ist zu kaufen über die allermeisten längeren Zeiträume betrachtet günstiger als zu mieten. Der Erwerb von Wohneigentum eröffnet oft auch die Möglichkeit, in Wohngegenden zu ziehen, die ihrerseits die Einkommens-, Bildungs-und Kreditchancen erhöhen.“

Wie aber ist vor einem solchen Hintergrund der Kreditmarkt zu regulieren, damit Effizienz und Gerechtigkeit zusammengebracht werden können? Darauf gibt Meyer nicht direkt eine Antwort. Da er aber den Mythos von effizienten Märkten nicht konsequent hinter sich lässt, schrumpft der Gerechtigkeitsdiskurs über „Kreditmärkte“ auf die folgende Frage:

„Wie viel Eigenkapital müssen Kundinnen mitbringen, um eine Hypothek aufnehmen zu können, und sollen die Zinszahlungen bei Hypothekenkrediten steuerlich absetzbar sein?“

Ursachen des Schrumpfdiskurses

Solch eingeschränkte Fragestellungen sind eine direkte Folge davon, dass Meyer eine empirisch fundierte Analyse von Geschäftsbanken unterlässt. Hätte er das getan, dann wäre ihm sofort aufgefallen, dass schon die Rede von „Kreditmärkten“ in die Irre führt.

Die Existenz eines Marktes setzt nämlich im Homo-Oeconomicus-Modell (mit und ohne Institutionen) knappe Güter voraus. "Knapp" heißt dabei, dass der Bedarf die Verfügbarkeit dieses Gutes überschreitet. Geld aber gibt es in wahrlich rauen Mengen, weil eine Geschäftsbank Geld durch einen einfachen Buchungssatz zu „produzieren“ in der Lage ist. Ein Beispiel: „Kredit an Giroguthaben“.

Banken sind daher, so hatte schon Georg-Friedrich Knapp richtig erkannt, mit anderen Unternehmen nicht zu vergleichen. Sie können, was kein anderes Unternehmen kann: selbst Geld produzieren. Ludwig von Mises schließt daraus, dass die Gewinne von Banken zu denken gäben sollten. Vor allem problematisch ist, dass Banken aufgrund ihrer zentralen Stellung im Rahmen einer Geldwirtschaft zwar Gewinne erwirtschaften dürfen, aber Verluste mithilfe von staatlichen Bail-outs weitgehend sozialisieren können.

Sobald man die Geldschöpfungsfähigkeit von Banken in den Blick bekommt, wird man jeden Versuch, „Geld“ als eine Ware zu modellieren, als irregeleitet zurückweisen. Möglicherweise erklärt der Versuch, Banken so zu regulieren, dass sie wie andere Unternehmen (vermeintlich) über den Profit effizient gesteuert werden können, warum das gegenwärtige Finanzsystem nicht nur ungerecht ist, sondern sich schon seit Jahrzehnten als dysfunktional erweist.

Wer auf Basis der Neuen Institutionenökonomik über ethische Probleme der Kreditwirtschaft nachdenkt, wird solche ethisch und funktional relevanten Sachverhalte aber nicht in den Blick bekommen. Denn diese Homo-Oeconomicus-Mutation "abstrahiert" ebenfalls von den für kapitalistisch organisierte monetäre Produktionsökonomien essentziellen Institutionen. Insbesondere von Geld, das in diesen Modellen auch nur ein Schleier ist, und von Unternehmen, die lediglich als Instrumente ihrer nutzenmaximierenden Eigentümer erachtet werden.

Zwar bestreiten Mainstream-Ökonomen nicht die Existenz von Geld. Es ist für sie aber lediglich ein Werterepräsentant. Die Tatsache, dass Unternehmen auf monetäre Profite zielen, ändere nichts daran, dass Wertäquivalente getauscht werden, um den subjektiven Nutzen zu mehren. Und Unternehmen gäbe es schließlich nur, so hat uns Ronald Coase erklärt, weil man mit ihnen Transaktionskosten sparen kann, warum man von deren Existenz ebenfalls großzügig absehen könne.

Die Mainstream-Ökonomik meint daher bei der Analyse des „Koordinationsmechanismus Markt“ von der Existenz von Geld und Unternehmen abstrahieren zu dürfen. Monetäre Phänomene, wie etwa die Rückzahlung eines Kredits, so erklärte schon Knut Wicksell im späten 19. Jahrhundert, müssten auf theoretischer Ebene sogar in realwirtschaftliche Termini übersetzt werden:

„Kredit ‚in natura‘ als Borg, um dann Löhne, Grundrenten u. s. f. gleichfalls in natura zu zahlen und am Ende der Produktion aus seinen fertigen Erzeugnissen direkt oder nach Tausch gegen andere Güter […] die empfangenen Naturdarlehen zurückzuerstatten.“

Die Homo-Oeconomicus-Modelle der Mainstream-Ökonomik orientieren sich ganz offensichtlich nicht an der Realität. Stattdessen erklären sie real existierende Entitäten wie Geld und Unternehmen, die essenzielle Elemente einer Wirtschaftsordnung mit Namen "Kapitalismus" zu sein scheinen, zu Fiktionen. Sobald wir aber die Existenz von Unternehmen ernst nehmen, die anders als die homo oeconomici nicht auf mehr Nutzen, sondern auf mehr Geld zielen, stellt sich die Frage, nach dem Referenten des Begriffs der „Effizienz“.

Sobald aber zu konstatieren ist, dass dieser Begriff kein Gegenstück in der kapitalistischen Wirtschaft hat, wird dem Verbot staatlicher Eingriffe in Märkte der "wirtschaftstheoretische" Boden entzogen. Anders gesagt, es zeigt sich, dass die Funktion der Homo-Oeconomicus-Ökonomik in erster Linie darin besteht, zu verhindern, das Verhalten von gewinnorientierten Unternehmen an ethischen Standards zu bemessen.  

Wirtschaftsethik und der Marktbegriff

Meyers Kritik an Rawls ist fraglos korrekt. Den „Ort der Verteilungsgerechtigkeit“ bestimmt Rawls aber deshalb falsch, weil sich seine Theorie nicht an der Realität, sondern an Homo-Oeconomicus-Modellen "der Wirtschaft" orientiert hat, wie er freimütig wie folgt bekannt hat:

"Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass unser Thema die Theorie der Gerechtigkeit und nicht die der Wirtschaft ist, so elementar sie auch sein mag. [...] Meine Absicht ist es nicht, zu erklären, geschweige denn zu ergänzen, was die Wirtschaftstheorie über das Funktionieren dieser Institutionen sagt."

Wenn aber „die Wirtschaftstheorie“ uns bei Licht betrachtet über ihren Gegenstand nichts sagt, dann läuft eine Gerechtigkeitstheorie auf Basis solcher Modelle zwangsläufig ins Leere. Meyers verständliches Bemühen, für die Mainstream-Ökonomik anschlussfähig zu bleiben, führt ihn auf den Pfad von Rawls. Es fehlt ihm ebenfalls an einem Begriff des „Marktes“, der beanspruchen kann, ein Gegenstück in der realen Welt „der Wirtschaft“ zu haben.

Wie ich in meinem Buch „Was ist eigentlich eine Marktwirtschaft?“ ausgeführt habe, fehlt es generell an einem empirisch adäquaten Marktbegriff, der sich für eine Diskussion der ethisch relevanten Eigenschaften von "Marktwirtschaften" eignet. Andrew Sayers folgende Diagnose zum Stand der Wirtschaftsethik scheint mir daher noch immer den Nagel auf den Kopf zu treffen:

„Die Rechte neigt dazu, idealisierte Modelle von Märkten als Beschreibungen von tatsächlichen Märkten zu behaupten. Die Linke reagiert darauf, indem sie dieses Marktbild in negativerer Form reproduziert, so dass Märkte mit allen Übeln des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden können.“

Dabei ließen sich "Marktbegriffe", wie z.B. der eines "Kreditmarkts", der sich für ethische Fragestellungen eignet, aus den Arbeiten heterodoxer Ökonomen gewinnen. Freilich hat das seinen Preis: Man muss sich mit bestimmten Institutionen im Detail auseinandersetzen, anstatt sich einfach auf die simple Angebots-Nachfrage-Mechanik der Mainstream-Ökonomik mit wissenschaftlich klingenden Begriffen wie der der "Effizienz" und "Informationsasymmetrien" zu beziehen. Die Anschlussfähigkeit an den ökonomischen Mainstream leidet dadurch sicherlich, wird aber mehr als kompensiert: durch den Anschluss an die kapitalistische Wirklichkeit.