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PopulismUS am Ende?

| 20. November 2020
istock.com/Massimo Giachetti

Liebe Abonnentinnen und Abonnenten,

in Italien ist Salvini in der politischen Versenkung verschwunden, in Deutschland verliert die AfD deutlich an Zustimmungswerten, in Frankreich sitzt Macron wieder fest im Sattel und in den USA wurde Trump endlich abgewählt – zieht man jetzt noch einen Zaun vor Osteuropa, dann dürfte die Welt in den westlichen Demokratien wieder in Ordnung sein. Alles nur ein böser Traum, ein Unfall der Geschichte auf ihrem Weg zum herbeiersehnten Ende? So zumindest nicht wenige Stimmen im gebeutelten medialen und politischen Establishment nach dem Wahlsieg Bidens. Die Vernunft der liberalen Demokratie habe letztlich doch über den Populismus triumphiert.

Business as usual also? Der Schein trügt. Die Jubelstürme kommen womöglich verfrüht. Der Boden, aus dem der Populismus sprießt, ist weiter bestellt. Ein selbstzufriedenes Übergehen zur Tagesordnung, eine Rückkehr zum Washington Consensus und zur liberalen Konsolidierung wird nicht mehr ohne weiteres möglich sein, soviel lässt sich auch für die Post-Trump-Ära prognostizieren – da sind sich die Autoren unseres vierten Spotlights einig.

Zum einem hat Donald Trump trotz seiner Niederlage 71 Millionen Stimmen erhalten und damit mehr als der bisherige Rekordhalter Barak Obama, den 2008 nur 69,4 Millionen Amerikaner zu seinem Wahlsieg verhalfen. Schon das zeige, schreibt Sabine Beppler-Spahl, wie wenig die Anti-Trump Seite im großen Kulturkampf gegen den Populismus an Boden gewinnen konnte. Zum anderen, so die These von Dorian Hannig, verlaufe die Sollbruchstelle dieses Kulturkampfes nicht dort, wo sich Demokraten und Antidemokraten, Weltoffene und Aufwiegler, Vernünftige und Wirrköpfe gegenüberstehen, sondern durch den Liberalismus selbst – ein Riss zwischen einem Individualismus, der sich als progressiv und gemeinwohlfördernd ausgibt und einem, der diesen Anspruch gar nicht mehr erfüllen will.

Passend dazu »The Tyranny of Merit«, das neue Buch des Havard-Philosophen Michael Sandel, vom Rezensenten Ulrich Thielemann frei übersetzt in »Tyrannei der Eigenverantwortung«. Für Thielemann ein wichtiges Buch zur Erklärung der rechtspopulistischen Wut, die sich aus der Programmatik einer großen neoliberalen Koalition speise, die seit 40 Jahren regiert. Sie habe einer Ideologie der »Eigenverantwortung« zu ihrem Siegeszug verholfen, die sich durch »Chancengleichheit« und dem Aufstieg durch »eigene Anstrengungen« legitimiere und in der Erfolg und Leistung gleichgesetzt werde.

Eine Ideologie, so Sandel, die den sozialen Zusammenhalt eines demokratischen Gemeinwesens zersetze: »Überheblichkeit auf Seiten der Gewinner und Demütigung auf Seiten der Verlierer«. Jene schreiben sich ihren Erfolg selbst zu. Was man bezahlt bekommt, hat man verdient und man selbst geschaffen. Jeder ist seines Glückes Schmied – oder eben seines Unglücks. Einziger Wehrmutstropen, so Thielemann: es fehle Sandel an einer Kritik der Marktideologie.

Ein mittlerweile älteres, wenngleich heute nicht weniger aktuelles Buch hat Martin Höpner bereits Ende 2018 unter die Lupe genommen: Philip Manows »Politische Ökonomie des Populismus«. Wie der Titel schon nahelegt, kommt hier eine sozioökonomische Analyse der Gründe des Populismus nicht zu kurz.

Den liberalen Eliten wirft Manow vor, »grundlegende Verteilungs- und Knappheitsfragen« nicht zu thematisieren, »etwa Fragen nach den Gewinnern und Verlierern von ›Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit‹, Fragen, die zu stellen eine Mittelschicht nicht länger für schicklich hält, in deren lebensweltlicher Realität Knappheit nicht mehr prominent vorkommt«. Indem sie unangenehme Inhalte aus dem öffentlichen Diskurs verbannen, verhalten sich nicht die Populisten, sondern ihre Kritiker hier antiliberal und antipluralistisch, so Manow weiter.

All das zeigt, längst sind die Lehren aus der ersten großen Krise des Hyperliberalismus Ende der 1920er Jahre vergessen. Die erneute Entbettung des Kapitalismus, die eine bis heute andauernde Allianz aus Progressivismus und Neoliberalismus seit Mitte der 70er Jahren vorangetrieben hat, führe zu einer »Rückkehr der Teilkrisen Arbeit, Sicherheit und Stetigkeit«, schreibt Sebastian Müller.

Daher, so schon Anfang dieses Jahres sein Befund, ließe sich ohne große visionäre Kraft prognostizieren: Das neue Jahrzehnt wird so turbulent weitergehen, wie das alte geendet ist. Konflikte und Spaltungen werden zunehmen und sich potenzieren. Materiell und kulturell. Dem Aufstieg des Populismus wird sein Fortgang folgen.