Brief aus Brüssel

Viel Moral, wenig Macht

| 23. März 2021

Mit neuen Sanktionen will die EU die Menschenrechte in China verteidigen. Doch nun wackelt ein wichtiges Investitionsabkommen, auch die internationale Zusammenarbeit in der UNO ist in Gefahr. Ein Lehrstück über Gesinnungsethik und Großmannssucht.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. An diesen Ausspruch von Bertolt Brecht aus der Dreigroschenoper fühlten sich viele Beobachter in Brüssel erinnert, als die Europäische Union Ende 2020 ein Investitionsabkommen mit der Volksrepublik China abschloss. Die EU und ihre damalige Ratspräsidentin, Kanzlerin Angela Merkel, handelten unmoralisch, hieß es. Die Europäer stellten egoistische wirtschaftliche Interessen vor die universellen Menschenrechte und fielen dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden in den Rücken, so der Vorwurf.

Mit Brecht hatte diese Argumentation allerdings herzlich wenig zu tun. In der Dreigroschenoper ging es ja darum, dass man sich eine Moral erst dann leisten kann, wenn für das Fressen gesorgt ist. Für Deutschland und die EU war der Tisch jedoch schon reichlich bestellt. China ist für das größte EU-Land zum wichtigsten Handelspartner aufgestiegen - noch vor den USA. Zudem enthält das umstrittene Abkommen einige Klauseln, die Arbeits- und Sozialstandards durchsetzen und absichern sollen. Und der Schutz von Investitionen ist auch nicht ganz unwichtig.

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