Finanzkapitalismus

Die Beinahe-Bankenkrise vom März 2023

| 30. März 2023
istock.com/:Gauthier Bouret

Wie konnte es zum Crash der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und der Credit Suisse kommen? Eine Analyse der auslösenden Faktoren und der tieferen systemischen Ursachen.

Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und der Signature Bank in den USA sowie der Run auf die Credit Suisse (CS) in Europa in der zweiten und dritten März­woche 2023 führte an den Finanzmärkten weltweit zu einer Angstattacke vor einer neuen Bankenkrise. Ausgelöst wurden die Ereignisse diesmal durch die starken Zins­an­hebungen der Federal Reserve und anderer Zentralbanken. Wie weit und wie schnell die Zinsanhebungen gerechtfertigt waren, oder ob sie eine Ära der Stag­flation eröffnet haben, wird sich zeigen. An dieser Stelle geht es nur um die Aus­wirk­un­gen auf die Banken und die Beinahe-Bankenkrise vom März 2023.        

Steigende Zinsen bedeuten Wertverluste von Anleihen, darunter der große Anteil an Staatsanleihen. Da Anleihen weder zum Nennwert noch zu ihrem Anschaffungspreis bilanziert werden, sondern zum aktuellen Handelspreis (marked-to-market), und solche Wertpapiere über ein Viertel der US-Bankaktiva ausmachen, und etwa ein Fünftel der europäischen Bank­aktiva, schlugen sich die Wertverluste der Anleihen da und dort in einer bilan­ziel­len Schief­­lage nieder, das heißt: Das Eigenkapital betref­fen­der Finanzfirmen drohte in die roten Zahlen zu rutschen oder tat dies tatsächlich. 

Seit die US Federal Reserve mit ihrer Politik des Quantitative Tighte­ning durch starke Zinsanhebungen anfing und andere Zentralbanken dem folgten, hatten etliche Markt­teilnehmer bereits begonnen, bei Banken, die sie für besonders anfällig hielten, Ein­la­gen abzuziehen oder Schuldenpapiere solcher Banken abzustoßen. Was die kali­for­nische SVP angeht, war vor diesem Hintergrund der entscheidende Faktor das Enga­ge­ment dieser Bank als Risikokapitalgeber, Technologie- und Startup-Finanzier, also für Unternehmen, die das straffere Finanzumfeld mehr als andere zu spüren bekamen.       

Zum Hintergrund der CS-Krise gehörten milliardenschwere Verluste aus Invest­ment­fonds, die gemeinsam mit Greensill Capital betrieben wurden und 2021 Bankrott gingen. In einem anderen Fall wurden dem Manager eines New Yorker Hedgefonds unge­wöhnlich hohe Kredite eingeräumt, die allesamt abgeschrieben werden mussten. In einem anderen Fall wies die CS jede Haftung von sich, als ein Mitarbeiter große Sum­men eines georgischen Milliardärs veruntreute. Es gab noch mehr solche Vorfälle, die dem Ruf der Bank schadeten und Kunden veranlassten, ihr den Rücken zu kehren. Der schleichende Run auf die CS, SVB und weitere Banken blieb öffentlich lange unbe­ach­tet.      

Gebro­chene Versprechen sind wie zerschlagenes Porzellan

Versuche der betreffenden Banken, ihr Eigenkapital zu erweitern, um die Verluste und Abflüsse auszugleichen, scheiterten. Daraufhin wurde aus dem schleichenden Bankrun ein massiv ansteigender. Um eine Panik im Keim zu ersticken, überführte die US Federal Depo­sit Insurance Corporation (FDIC) die Silicon Valley Bank und die Signature Bank umgehend in ihre Treuhänderschaft, bis passende Käufer gefunden werden.

In der Schweiz befand sich die CS von dem Moment an in einer absehbaren Liqui­di­täts­klemme und Solvenzkrise als der Vorsitzende der Saudi National Bank (mit 10% der Aktien die größte Eigentümerin der CS) öffentlich erklärte, man werde der CS unter keinen Umständen neues Kapital zuschießen. Auch hier musste gleichsam im Hand­streich gehandelt werden. Die angeschlagene CS wurde von der UBS (Union Bank of Switzer­land) übernommen, die in der Bankenkrise 2008 selbst gerettet werden musste. Übers Wochenende vom 18./19. März 2023 organisierten und finanzierten die Schwei­ze­rische Nationalbank, die Regierung und weitere Behörden die Übernahme. Mit der Übernahme der CS durch die UBS entsteht ein Bankenriese, der ein Kunden­vermögen von 5.000 Milliarden Dollar managt und eine Bilanzsumme um 1.850 Milliarden Dollar aufweist – mehr als doppelt so viel wie das BIP der Schweiz bei 760 Milliarden Schweizer Franken. Für den Finanzplatz Schweiz könnte das ein nicht unerhebliches Klumpenrisiko darstellen.

Für den schweizer Deal ordnete die Finanzmarktaufsicht (FINMA) an, das gesamte AT-1 Kapital der CS abzuschreiben. AT-1 bedeutet 'Additional Tier-1' Kapital. Es wurde nach der großen Bankenkrise ab 2008 eingeführt, um das Verluste abpuffernde Eigen­kapital der Banken aufzustocken. AT-1 Kapital besteht in relativ gut verzinsten Wandel­­­an­lei­hen. Sie werden von einer Bank herausgegeben und können im Fall der Fälle in Eigen­kapital der Bank zwangsumgewandelt werden. So gesehen sind AT-1-Anleihen ein Instru­­ment des Kunden-Bail-in. Im Klartext heißt das: Kunden haften für die Bank – was sie in diesem Fall denn auch mit Totalverlust tun mussten. Dagegen wurden die Eigen­tümer von CS-Aktien auf nied­ri­gem Niveau ausbezahlt. Das hat großen Ärger hervor­ge­rufen, denn eigentlich muss das Aktienkapital vorrangig haften, das AT-1 Kapital nach­rangig, nicht umgekehrt. Der Schaden ist erheblich, sowohl finanziell wie auch mora­lisch. Gebro­chene Versprechen sind wie zerschlagenes Porzellan.    

Risiken können nicht wegreguliert werden

Wurde damit eine neuerliche Krise des Banken- und Finanzsektors bis auf weiteres verhindert, sodass nun wieder Normalbetrieb einkehrt? Finanz- und Bankenkrisen hat es immer gegeben und wird es weiterhin geben. Die mit Kredit- und Investitions­ge­schäften prinzipiell verbundenen Risiken können nicht wegreguliert oder weg­beauf­sichtigt werden. Übertriebene Versuche dieser Art sind kontraproduktiv.

Allerdings: Es macht einen großen Unterschied, ob man ein Geld- und Bankwesen hat, das auf einer bestandsicheren und stabilen Geldbasis beruht – wie zum Beispiel in einer Vollgeld­ordnung – und in dem Krisen sich in seltenen Ausnahmefällen ereignen mögen; oder ob kleine und große Banken- und Finanzkrisen endemisch sind und faktisch zum Normal­betrieb der Branche gehören.

Eben dem ist so, seit das Geld im allgemeinen Umlauf zu 90 bis 98% aus frei erzeug­tem Bankengeld besteht (Buchgeld, Giralgeld). Das gesamte Geldwesen stellt sich als ein Bankengeldregime dar. Es wird von den Banken und ihrem Buchgeld dominiert, wobei dieses Buchgeld sich gleichsam in Geiselhaft der Bankbilanzen befindet, und die Zentral­banken samt Regierung sich in der Rolle von Auxiliarorganen des Bankensektors wiederfinden, genötigt, den Banken jederzeit zu Hilfe eilen zu müssen, sobald es wieder einmal brenzlig wird.

Die Grundursachen der Instabilität

Die systemische Instabilität des Bankengeldregimes und der darauf fußenden Finanz­wirtschaft hat im wesentlichen drei Grundursachen.

Erstens beruht das Banken­geld­regime auf dem heute üblichen Kredit- und Schuldengeld. Dieses wird im Zusammen­hang mit der Aus­stel­lung von monetärem Kredit in ein Bankkonto frei hinein­ge­schrie­ben, und mit der Tilgung von monetärem Kredit wieder gelöscht. Das bedeutet, es gibt immer nur so viel Geld wie es Schulden bei Banken (monetären Finanzinstituten) gibt. Gerät eine Bank bilanziell in Schieflage, ist damit auch das Buchgeld der Kunden in seinem Bestand bedroht. Die falsche Identität von Geld und Kredit unterwirft die Exis­tenz des Geldes den Risiken der Finanzwirtschaft, anstatt die Finanzwirtschaft auf einer Basis von sicherem und sta­bi­lem Vollgeld zu betreiben. Geld, das von der betreffenden Zen­tralbank geschaffen und sich im Bestand (nicht der Verwendung) unter ihrer Kon­trolle befindet. Das betrifft im Übrigen auch den intermediären Kredit von Nichtbanken bzw. nicht-monetären Finanz­insti­tu­ten. Sie schaffen zwar kein Banken­geld, aber auch ihr Geschäft beruht darauf (und würde in einer Vollgeldordnung auf Vollgeld beruhen).      

Zweitens operiert das Bankengeldregime als sogenanntes fraktionales Reservebanking. Dieses beruht auf einer nur bruchteiligen Basis an Zentral­bank­geld in Form von Bargeld und Zentral­bank-Buchgeld, den sogenannten Reserven. Um 100 Einheiten Bankengeld zu schaffen und in Umlauf zu halten, benötigt der Bankensektor operativ nur etwa 2–6 Einheiten an Reserven und einem geringen Anteil Bargeld. Eine derart niedrige Deckung führt, sobald irgend­welche Unsicherheiten aufkommen, unweigerlich zu kleineren oder größeren Bank­runs. Auf­grund der weitreichenden Interdependenzen im Banken- und Finanzsektor droht dabei immer auch eine Ausweitung auf den gesamten Sektor, mit wiederum bedroh­lichen Folgen für die Realwirtschaft.      

Von daher müssen Zentralbanken und Regierungen, inzwischen sogar die Bankkunden selbst, bereit stehen, die Banken zu retten, um damit das Bankengeld zu retten und die Wirtschaft am laufen zu halten. Die Zentralbanken wurden, inzwischen wie selbst­ver­ständ­lich, zu jederzeitigen 'lenders of last resort' und inzwischen auch 'bond dea­lers of last resort' für die Banken, während die Regierungen als 'Garantiegeber letzter Instanz' für das Bankengeld auftreten und ggf auch als 'Banken-Rekapitalisierer letzter Instanz'. Auf diese Weise haben die eigentlich privaten Banken und ihr eigentlich privates Banken­­geld einen para-staatlichen Status erlangt – ein ordnungspolitisches Unding in Anbetracht der staatlichen Währungs- und Geldhoheit, die nach allgemeinem Rechts­verständnis eigentlich gegeben sein sollte.        

Drittens gibt es 'too much finance'. Genauer gesagt, fließt seit etwa einem halben Jahr­hun­dert immer mehr monetärer und intermediärer Kredit (also Bankengeld, und in der Tat zu viel davon) in Nicht-BIP-Finanzen. Darunter fallen zum Beispiel der Sekundär­handel mit Aktien, Devisen- und Derivatehandel ohne Underlying, oder der Immo­bilien­handel als pure Kapitalanlage ohne reale Nutzwert­stei­ge­rung. Zu viel Nicht-BIP-Finanzen führen zu Vermögenspreisinflation – sehr zur Freude der Vermögens­besitzer, während jedoch solche Nicht-BIP-Finanzgeschäfte nichts zur Finanzierung der Real­wirtschaft bei­tragen. Dennoch erlangen die Bezieher von Finanz­einkommen aus Nicht-BIP-Finanzgeschäften vollen Zugang zum real­wirt­schaft­lichen Output. Die über­schieß­ende Ausdehnung der Nicht-BIP-Finanzen trägt erheblich zur zunehmenden Ungleich­heit der Einkommen und Vermögen bei und wird allgemein als ungerecht empfunden. Um nicht missverstanden zu werden: Im Sinn der Ersparnis- und Eigen­kapitalbildung sind Nicht-BIP-Finanzen im Prinzip etwas Nützliches. Aber allzu viel ist eben Narrenziel.

Monopolstellung des Bankengelds überwinden

Nach Lage der Dinge drängt sich die Folgerung auf: höchste Zeit, dass sich etwas ändert, zuerst und vor allem die Zusammensetzung des Geldangebots. Bestandsicheres Vollgeld der Zentral­banken muss an die Stelle des instabilen und unsicheren Banken­gelds treten – weniger in Form des allmählich schwindenden Bargelds, als vielmehr in Form von unbaren Reserven (als Zentralbank-Buchgeld bisher den Banken reserviert und der Allgemeinheit der Geldbenutzer vorent­halten), oder bald in Form von digitalen Tokens (digitales Zentralbankgeld).

Auch wenn man einen solchen Wechsel gleichsam über Nacht als allzu radikalen Big Bang ablehnt. Die Zentralbanken und Regierungen sind es sich selbst und der staatlichen Währungs- und Geldhoheit doch schuldig, Vollgeld so bald und so umfangreich wie möglich schrittweise in den allgemeinen Geldumlauf einzuspeisen, und damit die geradezu monopolartige Stellung des Bankengelds zu überwinden.