Pro & Contra

Wert und Geld

| 29. März 2023
istock.com/Anton Vierietin

Verschiedene Autoren auf MAKROSKOP wollen die moderne Geldschöpfung und ihre Bedeutung erklären. Doch dabei gibt es erhebliche Begriffsverwirrungen. Eine Kritik.

In „Makroskop“ wird das Thema „Geld“ überwiegend unter dem Aspekt behandelt, wie heutzutage Geldschöpfung funktioniert und welche Bedeutung dieser zukommt. In den letzten Beiträgen von Schneider, Wiederhold und Steinhardt kommt dann aber doch explizit die Frage auf, was es denn mit dem Wert auf sich habe, den Geld irgendwie „hat“.[1]

Dabei kommt dann auch Marx vor, der sich ausgiebig und grundlegend zu diesen Fragen geäußert hat. Die dabei in Makroskop auftretenden Begriffsverwirrungen sind allerdings erheblich, besonders bei Schneider. Ich will im Folgenden versuchen, die Zusammenhänge ausgehend von Marx etwas systematisch darzustellen – so dass es auch ökonomisch Interessierte hoffentlich nachvollziehen können, die mit dieser Theorierichtung nicht so vertraut sind.

Bei den Ausführungen von Paul Steinhardt zum Thema ist das Grundproblem schon, dass er die Frage vom Geld her angeht. Er zitiert zustimmend Georg-Friedrich Knapp, dass der „‚Wert‘ eines Zahlungsmittels darin besteht, Geldschulden zu begleichen“. Das ist allerdings letztlich tautologisch: dass man mit tausend Euro Schulden in Höhe von tausend Euro begleichen kann, sagt schlichtweg gar nichts darüber, was tausend Euro wert sind. Die Leute brauchen Geld nicht ursprünglich und in erster Linie, um Geldschulden zu bezahlen, sondern um damit Waren zu kaufen, die sie für ihr Leben brauchen.

Geld, Preis und Wert

Geld ist dann und nur dann etwas wert, wenn man etwas dafür kaufen kann, und es ist so viel wert wie die Summe der Werte der Waren, die man dafür kaufen kann. Es sind die Waren, die eigenen, „inneren“, „intrinsischen“ Wert haben, nicht das (heutige) Geld. Geldschöpfung ist keine Wertschöpfung. Es muss also geklärt werden, was der Wert der Waren ist, wie er zustande kommt, grundsätzlich und quantitativ. Wenn wir hier über Wert sprechen, ist der ökonomische Wert gemeint, der den Preisen der Waren zugrunde liegt. Und bei Wertschöpfung geht es um die Produktion solchen Werts, dessen Verkaufserlöse die Quelle der Einkommen sind. Um moralische oder ethische „Wertfragen“ geht es hier nicht, und auch nicht um unbezahlte Arbeit, die keine Waren produziert.

Die Quantität der Werte bemisst sich heutzutage in Quantitäten von Geldeinheiten. Aber dieses Maß ist nicht der Grund dafür, dass die Waren diese Werte haben, es drückt sie nur aus. Eine Strecke hat eine Länge, die in Metern (oder auch in Inch oder irgendeiner anderen Längenmaßeinheit) gemessen werden kann, aber sie hat diese Länge nicht, weil sie in diesem Maß gemessen werden kann. Der Inhalt einer Ein-Liter-Flasche voller Wasser hat eine Masse von einem Kilogramm. Die Masse dieser Menge Wasser wird mit „ein Kilogramm“ bezeichnet, weil sie gleich groß ist wie die Masse, die die Menschen so definiert haben. Aber diese Menge Wasser hat ihre Masse und alle damit verbundenen physikalischen Eigenschaften nicht weil und dadurch, dass die Menschen das Kilogramm als Maßeinheit dafür normiert haben. So ist auch das Verhältnis der Werte von Waren zu ihrem Maß in Geldeinheiten. Es sind die relativen Werte der Waren zueinander, die ihre Preisrelationen erklären, nicht umgekehrt.

Der Preis einer Ware drückt ihren Wert in einem Geldbetrag aus. Dabei handelt es sich immer eine bestimmte Art von Geld, also eine Währung. Wobei verschiedene Währungen bekanntlich ineinander umgetauscht und umgerechnet werden können, das muss uns jetzt nicht weiter interessieren. Es muss gegebenenfalls unterschieden werden zwischen dem Preis, den die Anbieter der Ware zunächst fordern, und dem, den sie am Markt in Geld realisieren können.

Der Preis, also der Wertausdruck in Geld, kann aufgrund spezifischer Verhältnisse von Angebot und Nachfrage oder anderer Bedingungen mehr oder weniger abweichen von dem Preis, der dem Wert der jeweiligen Ware entsprechen würde, der das Schwankungszentrum der Preise der Waren dieses Typs darstellt. Und mehr noch, auch dieser „innere“ Wert der Ware selbst ist nicht fix, sondern verändert sich, wenn sich die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen der Ware verändern.[2] Von einer Werttheorie muss erklärt werden, wie dieser Wert der Waren zustande kommt, worauf er und seine Veränderungen beruhen.

Wenn Steinhardt dazu schreibt, dass es bei Geld darum gehe, dass damit Geldschuldverhältnisse aufgelöst werden können, die etwa durch Abschluss eines Kaufvertrages etabliert worden seien, geht er an dieser, der eigentlichen Frage vorbei, stellt sie sich gar nicht. Es ist doch nicht zufällig oder beliebig, welche Geldsummen in einem Kaufvertrag vereinbart werden. Die Frage der Werttheorie ist doch, warum z.B. für ein Auto 30.000 Euro bezahlt werden – und nicht nur 3,50 Euro, und auch nicht zehn Millionen Euro. Um vom Geldausdruck zu abstrahieren: warum dieses Auto so viel kostet wie etwa 30.000 Flaschen Bier, nicht nur so viel wie drei Flaschen Bier, aber auch nicht so viel wie zehn Millionen Flaschen Bier.

Waren und Wert

Es gibt nun wichtige Unterschiede zwischen physischen Eigenschaften von Dingen und dem Wert als Eigenschaft von Waren. Beim Wert handelt es sich um eine gesellschaftliche Eigenschaft, die sich in ihrer Quantität nicht im Mindesten durch die physischen Eigenschaften der Waren erklären lässt. Ebenso wenig lässt sich die Wertgröße bzw. der Preis durch den Nutzen, wie es die Neoklassiker nennen, oder wie Marx sagt, den Gebrauchswert der Waren erklären. Darauf weist auch Steinhardt zurecht zustimmend hin. Es ist allerdings qualitativ notwendig, dass eine Ware irgendeinen Gebrauchswert hat, also das Bedürfnis eines potenziellen Käufers befriedigen kann. Denn andernfalls würde niemand eine solche Ware kaufen, und dann wäre sie auch wertlos und könnte keinen Preis realisieren. Sie würde dann auch im Folgenden nicht mehr produziert werden.

Wenn wir hier über Waren sprechen, meinen wir die große Masse der Waren. Wir meinen „normale“ Waren, die grundsätzlich in der je nachgefragten Menge auch produzierbar sind, die nicht als Einzelstücke gelten, sondern reproduzierbar und ersetzbar sind. Diese Waren sind nützliche Arbeitsprodukte, die für den Austausch, für den Verkauf hergestellt und gehandelt werden. Waren haben Gebrauchswert und Tauschwert, dem ihr Wert zugrunde liegt, das ist „Doppelcharakter“.

Es kann sich dabei um materielle Güter handeln, aber auch um Dienstleistungen. Bei diesen werden die Tätigkeiten als solche bezahlt, etwa bei personen- oder gesellschaftsbezogen Dienstleistungen von Unterricht über Gesundheitsleistungen bis zu Sicherheitsdiensten, oder die Arbeitsgegenstände befinden sich von vornherein im Eigentum der Besteller/Käufer, wie bei Reparaturleistungen, oder es handelt sich wesentlich um Informationsinhalte bzw. urheberrechtliche Werke und Medieninhalte im weiteren Sinne.

Es ist auch wichtig, bei der Analyse präzise zu sein: so kostet zum Beispiel ein Bier, das im Supermarkt nur einen Euro kostet, im Restaurant vielleicht fünf Euro. Die gekaufte Ware ist aber nicht die gleiche, und damit auch nicht ihr Wert, denn es ist nicht nur oder primär das Bier, sondern die Gesamtleistung des Restaurants, mit Räumlichkeiten, Bedienung usw., die über die Preise der Getränke und Speisen bezahlt wird.

Die von Franz Schneider angeführten vermeintlichen Gegenbeispiele gegen die Werttheorie, extrem teure Gemälde oder die exorbitanten Einkommen von Wertpapier-Tradern, sind besondere Fälle, die sich erst auf der Grundlage einer weitergehenden Analyse der kapitalistischen Gesamtverhältnisse erklären lassen. Das gleiche gilt für die Preise von Boden oder Rohstoffquellen, die gar keine Arbeitsprodukte sind, von Immobilien oder von Unternehmen oder von Wertpapieren, von Kunstwerken und von Einzelstücken und besonderen Leistungen aller Art, von intellektuellen Eigentumsrechten und von Waren auf Basis von monopolistischen Positionen aller Art.

Was ist nun aber dieser ominöse „Wert“, wie kommt er zustande und was bestimmt seine Größe? Steinhardt zitiert dazu Marx (wenn auch notorisch in diesem Text ohne genaue Quellenangabe): „Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist. Wie nun die Größe seines Werts messen? Durch das Quantum der in ihm enthaltenen ‚wertbildenden Substanz‘, der Arbeit.“[3]

Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit und Wertschöpfung

Anschließend macht Steinhardt aber deutlich, dass für ihn gilt: „Rätselhaft aber bleibt, was es heißen soll, dass die zur Herstellung eines Hammers aufgewendete Arbeit in diesem Hammer „vergegenständlicht“ oder „materialisiert“ ist.“ Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass er Marx nicht im Zusammenhang gelesen hat oder wo es ansonsten hakt. Selbstverständlich geht es nicht darum, den Wert als die Arbeit zu messen, die in der einzelnen Ware „steckt“. Marx macht im „Kapital“ ganz klar, dass es um die Arbeitszeit geht, die in der jeweiligen Gesellschaft im Normalfall bzw. im Durchschnitt notwendig ist, um eine Ware dieser Art zu produzieren.

„Die einzelne Ware gilt hier überhaupt als Durchschnittsexemplar ihrer Art. Waren, worin gleich große Arbeitsquanta enthalten sind oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Wertgröße. Der Wert einer Ware verhält sich zum Wert jeder andren Ware wie die zur Produktion der einen notwendigen Arbeitszeit zu der für die Produktion der andren notwendigen Arbeitszeit.“[4]

In diese gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die den Wert einer Ware bestimmt, fließt auch die Arbeit ein, die zur Produktion der verwendeten Vorprodukte notwendig war und anteilig auch die zur Produktion der Produktionsinstrumente und Anlagen notwendige. Und es geht dabei um die zur (Re-)Produktion dieser Waren zum jeweiligen Zeitpunkt mit der jeweilig durchschnittlichen Produktivität notwendige Arbeitszeit. Dadurch sinkt der Wert von Waren (nicht unbedingt ihr Preis, siehe unten), wenn die Arbeitsproduktivität bei ihrer Herstellung steigt, oder er kann zunehmen, wenn durch irgendwelche Umstände mehr Arbeitszeit je Ware erforderlich ist als zuvor, etwa wegen wetterbedingt schlechter Ernte. Zudem zählt Arbeit als gesellschaftlich notwendig nur in der Quantität, wie es ein zahlungsfähig geäußertes gesellschaftliches Bedürfnis nach den Produkten gibt.

Unter modernen, kapitalistischen Bedingungen fließt die für die Produktion der Vorleistungen und Anlagen notwendige Arbeit in Form des Werts bzw. Kaufpreises dieser Güter und Dienstleistungen ein. Für sie muss bezahlt werden, die Verkaufserlöse der damit produzierten Waren müssen diese Kosten, bei den Anlagen als Abschreibungen, wieder einbringen, und außerdem eine angemessene Kompensation für den Arbeitseinsatz als Einkommen der beteiligten Personen. Entsprechend werden die Verkaufspreise kalkuliert. Das dürfte für Ökonominnen und Ökonomen alles gar nicht rätselhaft sein, denn all das spiegelt sich in der Kosten- und Leistungsrechnung der Betriebe und Unternehmen wider und auch in der Inlandsproduktrechnung der volkswirtschaftlichen Statistik. Das ist der praktische Weg, wie der Wert der verbrauchten Produktionsmittel auf die Produkte „übertragen“ wird (wie Marx sagt) und wie Wertschöpfung stattfindet.

Heutzutage werden die meisten Waren von kapitalistischen Unternehmen produziert und daraus resultieren weitere systematische Modifikationen. Die produzierten Waren und die Verlaufserlöse daraus gehören nicht denen, die die Arbeit geleistet haben, sondern den Eigentümern der Unternehmen. Die Bezahlung der Lohnarbeitenden, der Lohn, entspricht nur einem Teil der Wertschöpfung ihrer Arbeit. Der andere Teil fließt den Eigentümern der Produktionsmittel oder anderer Kapitalvermögen als Mehrwert, also Profit, Zins oder ökonomische Rente zu.

Das Kapital, das den ökonomischen Prozess beherrscht, kalkuliert und bewegt sich aber so, dass es einen möglichst hohen Überschuss (bei Marx: „Mehrwert“) prozentual auf das gesamte eingesetzte Kapital erzielt. Daraus ergibt sich eine Tendenz zur Angleichung der Profitraten und zur Abweichung der sich so ergebenden kapitalistisch modifizierten Werte (Marx nennt sie „Produktionspreise“) von den „einfachen“ Werten. Gesamtwirtschaftlich gleichen sich die Abweichungen nach oben unten aber aus und die Wertschöpfung ist proportional zum Volumen und der Produktivität der insgesamt geleisteten Erwerbsarbeit. Es kommt nicht darauf an und ist auch praktisch gar nicht möglich, die Preise einzelner Waren aus ihren Arbeitswerten abzuleiten, es geht um den grundsätzlichen Zusammenhang.

Die Einkommensformen, die sich aus dem Mehrwert speisen, aber auch extrem hohe Managementgehälter und andere Einkommen, selbst wenn sie formal Löhne sind, sind nicht auf eigene Arbeitsleistung und Wertschöpfung derjenigen zurückzuführen, die sie empfangen. Sondern sie sind Aneignung eines Teils der Wertschöpfung anderer, beruhen auf kapitalistischer Ausbeutung fremder Arbeit. Für eine gehaltvolle und kritische ökonomische Theorie müssen Wertschöpfung und die bloße Aneignung und Umverteilung von Wert bzw. Einkommen unterschieden werden.

Das Schaubild zeigt vereinfacht den Zusammenhang von Entstehung und Verteilung der Einkommen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, verbunden mit den Marxschen Abkürzungen v für variables Kapital = Lohnkosten, cf für fixes konstantes Kapital, cz für zirkulierendes konstantes Kapital und m für Mehrwert. Wobei im Betriebsüberschuss/Selbstständigeneinkommen auch ein Teil Arbeitseinkommen von Selbstständigen enthalten sind. Wertschöpfung bzw. Einkommensentstehung erfolgt durch Produktion (im weiten Sinne) mit Erwerbsarbeit. Die Nettowertschöpfung je Arbeitsstunde zu laufenden Preisen liegt in Deutschland zur Zeit bei etwa 50 Euro (gerechnet als BIP minus Abschreibungen dividiert durch das Erwerbsarbeitsvolumen).[5]

Wert als gesellschaftliche Eigenschaft und Bedeutung von Waren

Der Wert ist eine gesellschaftliche Eigenschaft der Waren, die sich im gesellschaftlichen Produktions- und Austauschprozess geltend macht und diesen reguliert. Er hängt ab von, wird modifiziert und verändert sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Tatsächlich gilt auch nicht jede Arbeit gleich viel, sondern kompliziertere Arbeit, für die ja auch Qualifizierungsaufwand erforderlich ist, schafft in gleicher Zeit höheren Wert als einfache Arbeit. Auch hier geht es um den gesellschaftlichen Durchschnitt, Abweichungen im Einzelfall gibt es ohnehin ständig.

Ausgangspunkt ist aber, dass die Menschen, die Waren produzieren, kaufen und verkaufen, damit im Grundsatz die verschiedenen Arbeiten miteinander austauschen, und dabei von ihrer Unterschiedlichkeit abstrahieren und sie einander gleichsetzen. Alles Weitere sind Modifikationen des Grundprinzips: eine Stunde Arbeit bzw. ihr Produkt gegen eine Stunde anderer Arbeit. Wer eine bestimmte Zeit für andere arbeitet bzw. Produkte für andere herstellt, tut das in der Regel nur für eine als gleichwertig erachtete Gegenleistung, auf die er/sie damit einen Anspruch erwirbt. Auf diese Weise wird die Arbeit zur letztlich „wertbildenden Substanz“ der Ware – „Substanz“ selbstredend nicht stofflich, sondern metaphorisch gemeint und auch bei Marx mehrfach in Anführungszeichen.

Marx nennt es „das Geheimnis des Wertausdrucks, die Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit überhaupt sind“.[6] Marx spricht von „abstrakter Arbeit“, das Wort „Erwerbsarbeit“ kommt dem Begriff nahe. Es geht darum, mit Arbeit Einkommen zu erzielen, unabhängig davon, was für eine Arbeit es ist. Rechtlich entspricht dem die bürgerliche Freiheit und Gleichheit der Personen, Vertragsfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes. Sklaverei und Leibeigenschaft sind abgeschafft, Raub und Betrug und Zwangsarbeit sind Ausnahme und nicht Regel.

Steinhardt missversteht Marx offenbar bzw. das, was er möglicherweise als die angebliche Marxsche Auffassung rezipiert hat. Er zitiert nur den ersten Satz aus der folgenden längeren Textpassage von Marx und verdreht damit den Sinn. Marx dementiert damit nämlich nicht seine eigene Arbeitswerttheorie, sondern beschreibt, wie sich der Wert als regulierendes Prinzip einer warenproduzierenden Ökonomie durchsetzt:

„Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der Gebrauchsgegenstände als Werte ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache.“[7]

Der Vergleich mit der Sprache ist ein sehr treffender. Es geht nicht um einen „Aushandlungsprozess“, wie Joscha Wullweber es beschreibt, was nach meinem Verständnis bewusstes zielorientiertes Handeln bedeuten würde. Solche Aushandlungsprozesse gibt es auch, insbesondere in der Form von Tarifverhandlungen, sie spielen aber eine nachrangige, nur modifizierende Rolle. Es handelt sich im Kern um einen sozusagen „naturwüchsigen“, ungesteuerten Prozess, so wie die Entwicklung der Sprache. Der Wert als Regulator der Produktion und des Austausches der Waren ist ein emergentes Phänomen des ökonomischen Systems als eines Subsystems der Gesellschaft insgesamt, das sich in der Wechselwirkung und Konkurrenz der Unternehmen, der Arbeitenden und der Konsumenten durchgesetzt.

Gesellschaft beruht auf der Wechselwirkung der Tätigkeiten der Menschen und das menschliche Bewusstsein ist wesentlich darauf gerichtet, sich im gesellschaftlichen Leben sinnvoll zu verhalten, das „menschliche Wesen ist (…) das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“.[8] Die Regulation durch den Wert realisiert sich im ökonomischen Handeln der Personen in warenproduzierenden Gesellschaften in der Art, dass sie den Waren entsprechende Werte zuschreiben, indem sie sie wie oben beschrieben bepreisen und auf dieser Grundlage austauschen.

Marx hat das alles in den ersten Kapiteln des „Kapital“ Band I ausführlich entwickelt, es lohnt sich das im Original zu lesen, es hat auch literarische Qualität (vgl. Fn 1). Insbesondere auch das Unterkapitel zum Fetischcharakter der Ware, der sich nicht nur im Alltagsverstand, sondern auch in der Wissenschaft geltend macht, wie auch an Beiträgen in Makroskop gut nachzuvollziehen ist.

Meines Erachtens kann man im Anschluss an die kulturhistorische und die kritische Psychologie den Wert als besondere Objektbedeutung der Waren begreifen. Es geht dabei nicht um bloß subjektive Bedeutungszuweisungen, sondern um gesellschaftlich hervorgebrachte, kommunizierte und insoweit objektive Bedeutungen, die dann individuell angeeignet werden. Sie beziehen sich wesentlich auf die Funktionen derartiger Objekte für menschliche Tätigkeiten und sind mit Erwartungen an das Handeln anderer verbunden. Auch das für viele verwirrende hegelianische Unterkapitel zur Entwicklung der Wertformen lässt sich meines Erachtens reformulieren.[9]

Geld als Ausdruck von Wert und der Wert des Geldes

Erst jetzt, wenn geklärt ist, was den Wert überhaupt ausmacht, kann geklärt werden, was den Wert von Geld ausmacht und welche Rolle das Geldsystem dabei spielt. Dabei ist zu beachten, dass in den ersten Abschnitten des „Kapital“ noch kein Kreditwesen und modernes Geld vorkommt, sondern nur Geld in Form einer Geldware, die als „allgemeines Äquivalent“ fungiert. Zumeist ist es Gold (oder Silber), das sich aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften dazu besonders gut eignet.

Die Werte aller Waren werden in bestimmten Mengen dieser Geldware ausgedrückt und im Verkauf in dieser realisiert. Die Geldware hat selbst den inneren, „intrinsischen“ Wert, für den sie gegen andere Waren ausgetauscht wird. Wie bei allen Waren ist dieser Wert bestimmt durch den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand für ihre Produktion bzw. Heranschaffung. Bei staatlichen Münzen, die geringeren Metallgehalt hatten, oder damaligem Staatspapiergeld mit Zwangskurs, ging es um „Stellvertreter“ dieser Geldware, was die Möglichkeit von Entwertungen einschloss. In Ausnahmesituationen, wenn das reguläre Geldsystem nicht funktioniert, können für alltägliche Zwecke auch andere Waren Geldfunktionen übernehmen, so etwa unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkriegs Zigaretten.

Der Preis einer Ware ist ihr Wert ausgedrückt in einer Anzahl Geldeinheiten. Wenn der Preis einer Ware sinkt, kann das daran liegen, dass ihr Wert gesunken ist, also weniger Arbeit zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendig ist, oder dass der Wert des Geldes im Sinne der Kaufkraft einer Geldeinheit gestiegen ist. Bei einer Geldware bedeutet das, dass tatsächlich deren Wert gestiegen ist, also der notwendige Arbeitsaufwand zur Produktion dieser Ware, etwa Gold, oder dass ihr Preis aus anderen Gründen, Spekulation, Verknappung durch Krieg, politische Maßnahmen usw. gestiegen ist. Steigerungen und mehr als nur geringe Senkungen oder Schwankungen des Geldwertes stören und schädigen die wirtschaftliche Entwicklung.

In der längerfristigen Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise sinken die Werte der Waren massiv, weil die Produktivität der Arbeit enorm gesteigert wird. Das bedeutet aber für die meisten Waren nicht, dass ihre Preise sinken, sondern setzt sich um in steigende Geldeinkommen. Die Kaufkraft steigt dann selbst bei steigenden Preisen, weil die Einkommen stärker steigen. Der sinkende (Arbeits-)Wert der Waren drückt sich darin aus, dass im Durchschnitt immer weniger Arbeitszeit notwendig ist, um das für den Kauf dieser Waren erforderliche Einkommen zu erzielen.

Heute gibt es keine Geldware oder Bindung des Geldes an eine solche mehr, sondern es geht um Geld und Geldschöpfung im Rahmen eines zweistufigen Bankensystems. Gold spielt aber weiterhin eine – zuletzt mit den Krisen des globalen Finanzsystems noch wichtiger gewordene – Rolle als Währungsreserve, und als Vermögensanlage. Bei den USA und bei der Bundesbank macht Gold etwa zwei Drittel der Währungsreserven aus, im Euroraum insgesamt gut die Hälfte. Die Entwicklung des Goldpreises ist stark durch Spekulation bestimmt, aber da weiterhin ein Großteil der Goldnachfrage durch neu aus der Erde geholtes Metall gedeckt wird, stellt längerfristig der (Arbeits-)Wert auch hier die Grundlage und Untergrenze dar, dargestellt in den Produktionskosten plus Gewinn der Minenunternehmen.[10]

Heutiges Geld als Anspruch oder Schuld

Das heute verwendete Geld ist zum einen Bargeld als staatliches bzw. Zentralbankgeld und zum anderen und überwiegend ist es Buchgeld, das die Banken durch Kreditgewährung schaffen. Die Struktur und Regulierung des zweistufigen Bankensystems gewährleistet, dass dieses Buchgeld im Normalfall als sicher gilt. Die Entwicklung der Geldmengen hängt dann wesentlich von der Kreditnachfrage ab und zugleich ist die Entwicklung des Geldwerts, der Kaufkraft des Geldes, erheblich von der Entwicklung der Geldmengen entkoppelt. Dieses Geldsystem ermöglicht eine höhere Anpassungsfähigkeit an wachsende Geldbedarfe.

Die Geldpolitik der Zentralbanken verfolgt das Ziel, das allgemeine Preisniveau, das sich historisch für die jeweilige Währung entwickelt hat, stabil zu halten bzw. eine geringe jährliche Inflationsrate zu erreichen. Stabilität des Preisniveaus bedeutet Stabilität des Geldausdrucks der Werte und damit der Kaufkraft des Geldes bezogen auf eine konstant gehaltene Warenmenge, gemessen mit einem Warenkorb, dessen Zusammensetzung der Entwicklung der Konsumstrukturen folgt. Das bedeutet bei steigender Produktivität, dass sich der durchschnittlich in einer Arbeitsstunde geschaffene Wert in einem stetig zunehmenden Geldbetrag ausdrückt.

Um das Ziel der Geldwertstabilität, aber ggf. auch andere Ziele wie wirtschaftliche Entwicklung oder Förderung ökologisch nachhaltiger Investitionen zu verfolgen, haben die Zentralbanken eine Reihe von Instrumenten. Diese wirken aber alle nur indirekt, weil die Preissetzung und die Investitions- und anderen Geldausgabeentscheidungen autonom durch die jeweiligen Warenanbieter und Geldbesitzer auf der Grundlage der ökonomischen Bedingungen, insbesondere der Kostenentwicklungen, der Nachfragebedingungen und der Gewinnerwartungen, erfolgen. Auch die Geschäftsbanken agieren im Rahmen der mehr oder weniger strengen Regulierungen autonom.

Das heutige Geld hat keinen eigenen, inneren Wert bzw. dieser ist irrelevant. Der Materialwert des Bargelds ist gering und steht in keinem Verhältnis zu dem aufgedruckten Geldbetrag. Der Besitz von Geld gibt aber einen Anspruch auf einen entsprechenden Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, der in käuflicher Form vorliegt, ermöglicht den Kauf von Waren in einem entsprechenden Wert, der im gesellschaftlichen Produktionsprozess immer wieder neu produziert wird. Geld vermittelt somit einen Anspruch auf Aneignung von Werten gegenüber der Gesellschaft bzw. den Wirtschaftssubjekten in dem Gebiet, in dem die jeweilige Geldsorte bzw. Währung gilt.

In letzter Instanz wird das Geld durch den Staat gesichert, der es als gesetzliches Zahlungsmittel bestimmt. Der Staat verpflichtet die Bevölkerung zur Zahlung von Steuern, die mit diesem Geld zu bezahlen sind. Der Staat wiederum bezahlt mit diesem Geld Käufe von Waren, die Löhne der öffentlich Bediensteten sowie soziale und andere Geldleistungen. Wenn von außenwirtschaftlichen und gegebenenfalls rechtlichen Restriktionen wie Schuldenbegrenzungen hier abgesehen wird, ist der Staat in der Lage, nötigenfalls nahezu unbegrenzt Ausgaben zu tätigen und Banken und Unternehmen zu „retten“, wenn sie zahlungsunfähig werden. Soweit dies rechtlich zulässig ist kann dabei die eigene Zentralbank als Gläubiger der Staatsschulden auftreten.

Für das heutige Geld gilt dann im Wesentlichen, wie Steinhardt schreibt: „Geld gibt es tatsächlich nur, wo es Schulden gibt, die in Geld denominiert sind. Kein Geld also ohne Geldschulden.“ In Bezug auf den Staat fasst er das dann im Anschluss an die Modern Monetary Theorie so, dass mit der Ausgabe von Geld durch den Staat eine „eine Schuldbeziehung des Staates gegenüber seinen ‚Untertanen‘ aus zum Beispiel einer Warenlieferung aufgelöst“ wird, dagegen steht auf der anderen Seite die „durch die Steuerpflicht begründete Schuld der Untertanen“. Ob es besonders sinnvoll ist, das so zu fassen, kann aber bezweifelt werden. Alle diese Elemente gehören zu einem Gesamtsystem von Wirtschaft und Gesellschaft und funktionieren nur in diesem Rahmen.

Geldschöpfung ist Bilanzverlängerung, keine Wertschöpfung

Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken durch Kreditgewährung stellt eine Bilanzverlängerung dar. Das geschaffene Buchgeld, die Sichteinlage des Kunden, steht als Verbindlichkeit auf der Passivseite der Bankbilanz, die entsprechende Forderung der Bank gegenüber dem Kunden auf der Aktivseite erfasst. Wird der Kredit zurückgezahlt, wird das Buchgeld entsprechend wieder „vernichtet“.

Bei den Zentralbanken stehen analog die Einlagen der Geschäftsbanken (Reserven) und der öffentlichen Haushalte sowie die ausgegebenen Banknoten auf der Passivseite der Bilanz und stellen Zentralbankgeld dar. Dem stehen entsprechende Forderungen, aufgekaufte Wertpapiere und das Währungsgold auf der Aktivseite gegenüber. Durch Kreditvergabe an Banken oder Ankauf von Wertpapieren wird die Zentralbankgeldmenge ausgeweitet, durch Verkauf von Wertpapieren oder Reduzierung der Kreditvergabe wird sie verringert. Bei direkter Staatsfinanzierung kauft die Zentralbank unmittelbar Wertpapiere vom Staat oder gibt ihm Kredit; im Eurosystem ist das unzulässig.[11]

Geldschöpfung, Ausweitung der Geldmenge ist also heute Erweiterung der Bankbilanzen. Das bedeutet unmittelbar keinerlei Wertschöpfung, macht die Gesellschaft nicht reicher, sondern ist als solches nur eine Aufblähung des Bestands an Forderungen einerseits, Verbindlichkeiten andererseits. Zu erhöhter Wertschöpfung führt das dann, wenn das zusätzliche Geld von privaten Kreditnehmern oder vom Staat für zusätzliche Käufe von Gütern oder Dienstleistungen oder für zusätzliche Lohnzahlungen oder Geldleistungen verwendet wird, und wenn dies dann zu zusätzlicher Produktion durch zusätzliche Erwerbsarbeit führt.

Wenn bzw. soweit diese zusätzliche Nachfrage auf bereits ausgelastete Kapazitäten trifft, führt sie zu zusätzlichen Preissteigerungen und entsprechend geringerer zusätzlicher Wertschöpfung. Wenn bzw. soweit das Geld dazu verwendet wird, bereits bestehende Vermögensgüter zu kaufen, seien es Wertpapiere, Immobilien oder auch Gold, treibt es unmittelbar nur deren Preise nach oben und produziert gegebenenfalls Asset-Inflation, wenn nicht andere Wirtschaftssubjekte gleichzeitig vermehrt diese Vermögensgüter verkaufen.

Geldschöpfung schafft und verteilt gewissermaßen „Schuldscheine“, unmittelbar einlösbare Forderungen an die Gesellschaft, denen entsprechende Verbindlichkeiten Privater oder des Staates gegenüberstehen. Bei Geschäftsbanken können Buchgeldvermögen im Falle einer Insolvenz verlustig gehen. In der Regel sind die Einlagen aber gesichert oder werden letztlich durch den Staat gesichert. Hinter dem Zentralbankgeld und den öffentlichen Schulden steht unmittelbar der Staat mit seiner Fähigkeit Steuern einzutreiben und damit die Schulden zu begleichen. In letzter Instanz ist es also die Gesellschaft, die für diese Summen haftet bzw. deren Sachvermögen und Wertschöpfungsfähigkeit gegebenenfalls den Gegenwert bilden, der damit gekauft werden kann.

Der Reichtum der Gesellschaft, der reale, preisbereinigte Wert ihres Nettovermögens und der ihrer jährlichen Produktion und Einkommen, beruht auf dem Umfang und der Produktivität der Erwerbsarbeit in der Gesellschaft. Dazu kommt der Reichtum durch die nicht monetär bewerteten Güter und Arbeitsleistungen. Die relativen Preise der Waren bestimmen sich auch in diesem Geldsystem so wie in der marxistischen Arbeitswerttheorie beschrieben (abgesehen von Abweichungen durch staatliche Eingriffe, die faktisch Umverteilungen darstellen).

Die direkte oder indirekte Finanzierung des Staates durch die Zentralbank und eine expansive Ausgabenpolitik auf dieser Grundlage kann zu höherer Wertschöpfung und Einkommen führen, wenn sie ansonsten unausgelastete Kapazitäten für zusätzliche Produktion aktiviert. Sie hat verteilungspolitische Vorteile gegenüber einer normalen Staatsverschuldung, aber sie hat ähnliche Grenzen. Wo sie diese überschreitet, führt die durch monetäre Staatsfinanzierung erhöhte Gesamtnachfrage ebenso wenig zu höherer Wertschöpfung wie die Ausgabe junger Aktien den Wert eines Unternehmens erhöht, sondern zu höheren Preisen und höheren Importen.

Wo diese Grenze liegt, hängt ab von der Wirtschaftslage und dem Wachstumspfad, aber in der Regel bei einstelligen Prozentwerten am BIP. Der moderne Staat muss auf die Dauer immer den überwiegenden Teil seiner Ausgaben aus Steuern und anderen Abgaben decken. Die technische Möglichkeit der Staatsfinanzierung allein durch entsprechende Buchungen der Zentralbank bedeutet nicht, dass das ökonomisch funktionieren würde.

Geldsystem, Wirtschaft, Gesellschaft

Viele theoretische und ggf. auch wirtschaftspolitische Probleme resultieren daraus, dass der Charakter der Ökonomie als Systemzusammenhang und zugleich als Subsystem der Gesellschaft insgesamt nicht beachtet wird. Das Geldsystem hat besondere Funktionsweisen und Eigendynamiken, aber es ist zugleich nur ein Subsystem der Wirtschaft insgesamt, und zwar ein regulatives Subsystem, das vor allem für die Steuerung der ökonomischen Prozesse bedeutsam ist. Es ist aber zugleich in seiner Entwicklung bedingt durch die Entwicklung der nichtfinanziellen Unternehmen und Haushalte der „realwirtschaftlichen“ Ökonomie, des Staates und der außenwirtschaftlichen Verhältnisse, und steht in Wechselwirkung mit diesen. Es gibt dabei zwar dominante Wirkungsrichtungen, aber immer auch Rückwirkungen und Auswirkungen auf andere Bereiche.

Die wirtschaftlichen Vorgänge sind dabei eingebunden und selbst nur ein – zentraler und bestimmender – Teil der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt. Was auch heißt, es gibt hier ständige Weiterentwicklung und Veränderung von Beziehungen, da ist nichts fix und dauerhaft fixierbar. Es geht um komplexe und dynamische materielle Systeme, in denen sich die einzelnen Akteure eingebunden und zugleich mehr oder weniger relativ autonom bewegen. Dabei verfolgen sie und die verschiedenen sozialen Klassen unterschiedliche und widersprüchliche individuelle und kollektive Interessen und ihre Konflikte prägen die Entwicklung. Eine besondere Rolle in diesem Rahmen spielt der Staat. Ökonomie ist eine spezielle Sozialwissenschaft, die all das berücksichtigen muss.

Es kann also nicht nur darum gehen, wie das Geldsystem funktioniert, sondern wie die heutige kapitalistische Wirtschaft insgesamt funktioniert. Nur im Rahmen eines grundlegenden Verständnisses davon kann auch das Geldsystem in seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutung verstanden werden. Wie Marx im Vorwort zum „Kapital“ schrieb: „es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“.[12] Bei der Analyse von Geld und Wert und der Wirtschaft insgesamt geht es letztlich darum, wie die Gesellschaft ihre Produktion, Arbeitsteilung und Kooperation, Austausch und Verwendung der Produkte in einem dauerhaft funktions- und entwicklungsfähigen Gesamtprozess des gesellschaftlichen Lebens organisiert und regelt.

Kapitalismus ist eine Gesellschaft, in der kapitalistische Produktionsweise vorherrschend ist, also die Produktion von Waren durch private Unternehmen zum Zweck der Profiterzielung. Kapitalistische Produktionsverhältnisse beruhen auf dem Privateigentum einer Minderheit an den größeren Produktionsmitteln und der Anwendung und Ausbeutung von Lohnarbeit. Es ist der Trieb des Kapitals bzw. der Kapitalisten (m/w/d) als seiner „Charaktermasken“[13], den Profit und das Kapital immer weiter zu vermehren und dazu die Produktivkräfte immer weiter zu entwickeln, der die Dynamik dieser Gesellschaft letztlich bestimmt – nicht das Geldsystem.

Erst im Kapitalismus werden die Produktion und der Austausch von Waren mit Geld zur vorherrschenden Wirtschaftsform. In einer solchen Gesellschaft spielt das Geld eine zentrale Rolle und entwickelt sich das moderne auf Kreditbeziehungen beruhende Geldsystem. Es gibt aber auch weiterhin nichtkapitalistische „einfache“ Warenproduktion, öffentliche und andere nichtkapitalistische Wirtschaftsbereiche sowie den großen Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, der unbezahlt v.a. in privaten Haushalten geleistet wird.

Es ist kein Zufall, dass „Das Kapital“ so beginnt: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.“[14] Erst wenn die grundlegenden Begriffe der Ware und ihres Werts geklärt sind, kann das Geld und das Kapital verstanden werden – auch wenn das Geldsystem heute Formen hat, die sich davon abgelöst zu haben scheinen.

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[1] Vgl. Franz Schneider: https://makroskop.eu/07-2023/wie-halt-es-die-mmt-mit-den-werten/, https://makroskop.eu/04-2023/weisser-elefant-im-raum-wullwebers-politische-theorie-des-geldes/, https://makroskop.eu/41-2022/der-gold-anker-historische-luege/; Paul Steinhardt: https://makroskop.eu/05-2023/streit-uber-den-geldbegriff/, https://makroskop.eu/43-2020/ein-vertracktes-ding-voll-metaphysischer-spitzfindigkeiten/ , aus diesen Texten stammen die Steinhardt-Zitate hier im Text; Hans Wiederhold: https://makroskop.eu/02-2023/geld-ohne-schulden-geht-das/
[2] Übrigens sind auch viele, die meisten physischen Eigenschaften von Dingen nicht fix, sondern beruhen auf ihrer Wechselwirkung mit anderen Dingen. Wenn wir z.B. bei einem Liter Wasser nicht abstrakt die Masse betrachten, sondern das Gewicht, also die Gravitationskraft, mit der diese Wassermasse an der Erdoberfläche nach unten drückt, dann hängt diese nicht nur ab von der Masse dieses Liters Wasser, sondern ebenso von der Masse der Erde und vom Abstand der Schwerpunkte dieser beiden Massen voneinander. Im Gravitationsfeld des Mondes, der viel weniger Masse als die Erde hat, ist ein Kilogramm Wasser bekanntlich erheblich leichter, weiter weg vom Erdmittelpunkt ebenfalls, und in einer Umlaufbahn wird die Gravitationskraft durch die Fliehkraft kompensiert, so dass kein Gewicht spürbar ist, die Masse ist schwerelos.
[3] Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, Marx-Engels-Werke Bd. 23, Berlin DDR, S. 53. Marx wird zumeist nach dieser Ausgabe zitiert, im Folgenden als MEW 23 abgekürzt. Sämtliche MEW-Bände stehen hier zum freien Download als PDF-Dateien zur Verfügung.
[4] MEW 23, S. 54.
[5] Dabei ist zu beachten, dass die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zwar wesentliche Zusammenhänge und Proportionen widerspiegelt, in vielen Einzelkonzepten aber von der Marxsche Werttheorie abweicht. Zudem gibt es zur Werttheorie eine umfangreiche und vielfältige und in Einzelfragen erheblich kontroverse marxistische Diskussion, auf Deutsch zuletzt hier: http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/topic/163.diskussion-werttheorie.html. Vgl. auch Nils Fröhlich: Die Aktualität der Arbeitswerttheorie, Marburg 2009, der auch eine – positiv ausfallende – empirische Überprüfung vornimmt.
[6] MEW 23, 74.
[7] MEW 23, S. 88.
[8] Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 6.
[9] Vgl. dazu meinen Text, veröffentlicht in: Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, Hg. Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf, Münster 2006. Eine ausführlichere Einführung in die marxistische Wert- und Kapitalismustheorie mit Bezugnahme auf die heutigen Verhältnisse insb. in Deutschland für ökonomisch Interessierte findet sich in meinem Buch „Kapitalismus verstehen“, Hamburg 2015, online zum freien Download.
[10] Vgl. https://www.gold.de/goldfoerderung/ Wobei hier wie bei allen Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten die Besonderheit auftritt, dass Produzenten mit besonders günstigen natürlichen Bedingungen sich ökonomische Renten über den Normalprofit hinaus aneignen können.
[11] Vgl. die Jahresabschlüsse der Bundesbank und der EZB und die Kapitel zur Geldmenge und zur Geldschöpfung in der sozusagen amtlichen Einführung Deutsche Bundesbank, Geld und Geldpolitik.
[12] MEW 23, S. 15f.
[13] MEW 23, S. 100.
[14] MEW 23, S. 49.