Genial daneben

Ein vorhersehbares Eigentor

| 05. Juni 2024
IMAGO / teamwork

Das gelbe Finanzministerium buhlt mit einer Zeitungskampagne um die Gunst junger Menschen für die Schuldenbremse. Die Zielgruppe könnte jedoch kaum schlechter sein.

Der widerspenstigste parlamentarische Arm der Schuldenbremse scheint zu ermüden. Die Rede ist von der FDP. Sie rangiert schon seit längerem um die fünf-Prozent-Hürde. In der Gunst sinkt sie nicht nur bei Älteren, sondern vor allem auch bei jungen Wählern.

Während sich gemäß der jährlichen Trendstudie Jugend in Deutschland 2022 mit 19 Prozent die zweitmeisten 14- bis 29-Jährigen vorstellen konnten, FDP zu wählen, sind es 2024 nur noch 8 Prozent. Heute würden Jungwähler nicht mehr vorrangig Grünen und FDP ihre Stimme geben, sondern AfD und CDU.

Es wäre höchste Zeit für die FDP, gegenzusteuern. Und was eignet sich dafür nicht besser als eine zielgruppengerechte Kampagne? Seit kurzem schaltet das FDP-geführte Finanzministerium unter anderen in der Frankfurter Allgemeinen und der Badischen Zeitung Anzeigen, die sich speziell an junges Wählerklientel richten und die vermeintlichen Vorteile der Schuldenbremse herausstellen. Zu finden ist die unten besprochene Anzeige etwa hier.

Die Models sind keine in die Jahre gekommenen Hausfrauen aus Schwaben, sondern junge, ernst schauende Menschen. Die Sprache soll jugendlich daherkommen, gleitet aber ins ungewollt Komische ab. Bei Slogans wie „Schuldenbremse abschaffen? Nich‘ ok, Boomer“ kommt Fremdscham auf.

Das vermittelte Bild der Babyboomer gleicht verschuldungswütigen alten Menschen, die nicht an die finanzielle Zukunft junger Leute denken, weil sie die Tilgungslast auf die künftigen Generationen abwälzen können. Denn schon Ludwig Erhardt meinte zu wissen: „Einmal wird der Tag kommen, da der Bürger erfahren muss, dass er die Schulden zu bezahlen habe, die der Staat macht“.

Erhardt ist nun seit fast 50 Jahren tot. Doch die Kinder und Enkel der Eltern seiner Zeit warten noch heute darauf, die Staatsschulden zurückzuzahlen. Kein Wunder, denn Staatsschulden werden nicht mit „Steuergeldern“ zurückgezahlt, sondern überrollt. Das heißt: Man ersetzt alte Staatsanleihen durch neue und ermöglicht so den weiteren Zinsdienst. Das ist ohne weiteres möglich, weil der deutsche Staat nicht auf absehbare Zeit „stirbt“ und daher auch in Zukunft seine Schulden durch Überrollen begleichen kann.

Ironischerweise ist für die Buchungsvorgänge des jahrzehntelangen Überrollens ebenjenes Finanzministerium verantwortlich, welches in der Anzeige davor warnt, dass heutige Schulden die (Handlungs-)Möglichkeiten von morgen einschränken würden. Davon kann aber keine Rede sein, solange sich die Politik sich nicht selbst entsprechende Fesseln anlegt.

Zwar kann je nach Zinsniveau für Staatsanleihen der öffentliche Schuldenstand stärker oder weniger stark steigen. Aber erst durch fiskalpolitische Regeln kann das Staatsschuldenniveau irgendwann zu einem Problem werden. Und welche Regel ist dafür zentral? Richtig, die Schuldenbremse.

Dass der Normal-Bürger dieser zirkulären Argumentation auf den Leim geht, ist nach jahrzehntelanger Beschallung durch die Spar-Ideologie verzeihlich. Zwar plädiert gut die Hälfte der Bürger noch für die Schuldenbremse, doch es gibt Hoffnung: Gemäß einer Studie der Finanzinitiative Fiscal Future und des Forschungsinstituts d|part befürworten fast zweidrittel der Deutschen defizitfinanzierte Staatsinvestitionen, also eine sogenannte „Goldene Regel“.

Die erdrückende materielle Realität wird den Sinneswandel wesentlich bedingen. Kontextualisiert man nämlich in Umfragen die Staatsschulden-Frage und setzt voraus, dass sich der Staat beispielsweise für Schulen und Gesundheitsvorsorge Geld leiht, dann steigen die Zustimmungswerte, so die Studienautoren. Und das hat seine Gründe:

Bürger erfahren jeden Tag den katastrophalen Investitionsstau an der öffentlichen Infrastruktur, wenn regelmäßig die Bahn zur Arbeit nicht kommt, oder sich die Klassenraum-Fenster im Hochsommer nicht zum Lüften öffnen lassen. Die Liste wird immer länger. Das merken gerade jene jungen Menschen, die sich kein Auto leisten können und deshalb mit der Bahn fahren müssen, die eine Ausbildung machen, die noch zur Schule oder Universität gehen.

Mit einer Kampagne rhetorisch auf jugendlich zu tun, aber einer Sparpolitik zu verfolgen, die den Interessen vieler junger Menschen zuwiderläuft, kann kaum gut gehen. Ein vorhersehbares Eigentor.