Makroskop
Essay

Die soziale Frage

| 07. Oktober 2025
Julian Hochgesang / Unsplash

Wie sich die politischen Antworten von links nach rechts verschieben.

Man muss kein Meinungsforscher sein, um zu realisieren, dass immer mehr Menschen in dieser Republik sich abgehängt sehen vom fortschreitenden Lauf der ökonomischen und sozialen Entwicklungen. Das bleibt in keiner Gesellschaft über längere Zeit folgenlos. Aus der Geschichte sollten wir wissen, dass es bei extremen Wendungen von Demokratien im politischen Willen zumeist ums Existenzielle geht – es macht sich Sorge breit und Angst geht um: vor finanziellen Einschnitten und sozialem Abstieg. Schließlich sind das die Faktoren, die politische Umbrüche, oft ins Autoritäre, anstoßen.

In dieser Gemengelage von unguten Ahnungen und Verlustängsten wirkt Fremdenfeindlichkeit sicher mit als ein Ventil, mit dem sich aufgestaute Ohnmachtsgefühle und Wut dumpf auf vermeintliche Schuldige abreagieren lassen. Diese Prozesse sind affektgesteuert und lassen sich nur allzu leicht populistisch ausweiden. Aber zwischendurch muss selbst schlichteren Gemütern dämmern, dass ein stumpfes „Ausländer raus!“ nicht wirklich die Lösung ihrer Probleme sein kann.

Klimawandel ist nicht die größte Sorge

Geht man also dem näher auf den Grund, wodurch die anschwellende Masse der Verunsicherten ihre Lebensführung und ihre Zukunft mehr in Gefahr sieht, so sind das nicht der von der landläufigen Nachrichtenlage endloskommentierte Klimawandel und auch nicht die täglichen Meldungen von der seit dreieinhalb Jahren umkämpften Ostfront in der Ukraine.

Das soll nicht heißen, dass die genannten Vorgänge in ihrer Tragweite falsch wahrgenommen würden. Dass etwas mit dem Klima nicht stimmt, es unberechenbarer und latent bedrohlicher wird, stellen nur noch extrem realitätsentrückte Zeitgenossen in Zweifel, insgesamt ein Häuflein Quergepolter. Insofern gibt es keine nennenswerte Anzahl oder Gruppen von „Klimaleugnern“. Die Bezeichnung ist ein Kampfbegriff, mit dem linke und grüne Aktivisten Menschen abbügeln, die ihre Interpretationen der erdatmosphärischen Veränderungen nicht in vollem Umfang teilen.

Denn für den Teil der Bevölkerung, in deren Alltag es in erster Linie darum geht, den wöchentlichen Lebensunterhalt zu finanzieren und zu organisieren, sind es eben nicht – wie die mediale Darstellung von Wetterereignissen permanent suggerieren will – die Naturgewalten selbst, die die größte Furcht erzeugen. Die Bedrohung durch die Umwelt bleibt, trotz fortgesetzter Katastrophenbeschwörungen, fürs humane Empfinden zu abstrakt. Nein, es sind vielmehr die Konsequenzen, die wortführende politische Instanzen (Parteien, Verbände, Staat und EU) festsetzen und die den Bürger mittlerweile ein Maß an privaten Ressourcen abverlangen, von dem sie sich schlicht überfordert fühlen.

Collateral zu der Finanzlast im täglichen Unterhalt und der wachsenden Furcht, diese nicht mehr aufbringen zu können, steht die Wahrnehmung, dass der Staat unfassbar hohe Summen nach außen abgibt (Stichwort Sondervermögen, etwa für die Ukraine), deren Sinnhaftigkeit für das Gemeinwohl kaum oder nicht mehr nachvollzogen wird. Gleichzeitig steigen die Beiträge zu den Sozialversicherungen und Leistungen – zum Beispiel in der medizinischen Versorgung, der Pflege oder der Rente – werden schleichend gekürzt oder auf den Prüfstand gestellt.

Angst vor finanziellem Abstieg plagt die Bevölkerung am stärksten

Wenn es also zu den Wahlurnen geht, erachtet augenscheinlich eine wachsende Zahl von Wählern nicht die Rettung der Umwelt, die Respektierung verschiedenster Identitäten, eine wie auch immer gesteuerte Migration als Ausgleich zum Fachkräftemangel, eine unternehmensfördernde Steuer- und Energiepolitik, die Aufrüstung gegenüber Russland und den Sieg westlicher Werte über autokratische Anmaßung als erstrangige Ziele für eine Regierung, auf die sie ihre Stimme setzen.

Was sie vielmehr erwarten ist ein politisches Handeln, das real erfahrbare soziale Akzente setzt und entschlossen dafür einsteht, dass sie vor wirtschaftlichem Verlust bewahrt werden und sich Perspektiven für ihre persönliche Zukunft und die ihrer Angehörigen öffnen.

Insbesondere die Wahlergebnisse der GRÜNEN und der SPD aus den letzten fünf Jahren demonstrieren geradezu, dass beiden Parteien nicht mehr geglaubt wird, sich für eine den realen Verhältnissen von unteren und durchschnittlichen Einkommensgruppen angemessenen sozialen Wägung einzusetzen. Drei Jahre Ampel haben offensichtlich bei vielen den nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass das Ökologische ohne Rücksicht aufs Soziale durchgeboxt werden sollte, und ob DIE Arbeiterpartei noch zu Recht das große S im Namen führt, haben seit der Agenda 2010 rund 22 Prozent ihrer damaligen Wähler (2003) sukzessive mit „nein“ beantwortet. Tendenz weiter abnehmend.

Anhand von drei Bereichen, die Wähler rechtspopulistischer Parteien besonders auf den Nägeln brennt, lässt sich aufzeigen, wie sich die sozialpolitischen Akzente dabei von links nach rechts verschoben haben: Erwerbsarbeit und Vermögensbildung, Wohnen, Energie.

Erwerbsarbeit reicht oft nicht mehr für einen durchschnittlichen Lebensstandard

Man muss gar nicht mit den Folgen der Pandemie argumentieren, während der viele Erwerbstätige, etwa durch Kurzarbeit, empfindliche Einbußen bei ihrem Einkommen hinnehmen mussten. Ganz stark gebeutelt waren zum Beispiel Arbeitnehmer im Gastgewerbe. Bis heute sehen sich Millionen Pendler seitdem belastet durch ansteigende Spritpreise. Der Ablass an den Zapfsäulen steckt permanent in den EC-Karten. Mit jeder Stufe der CO2-Abgabe kommen ein paar Cent obendrauf. Wer als Durchschnitts- oder Geringverdiener mit anschauen muss, wie das digitale Rechenwerk ohne zu zucken die 50-Euro-Grenze durchläuft, denkt in diesen Verlustmomenten nicht daran, dass man gerade seinen Beitrag zur Rettung des Klimas leisten soll.

Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört fast jede fünfte Person in Deutschland zur Gruppe der Geringverdienenden. Demnach müssen rund 20 Prozent der Deutschen mit einem Bruttogehalt von lediglich 2284 Euro im Monat auskommen. Dabei sind insbesondere Frauen, vor allem als Alleinerziehende, junge Vollzeitbeschäftigte und Personen ohne Berufsabschluss von einem geringen Einkommen betroffen. Der Anteil dieser Gruppe ist in den neuen Bundesländern besonders hoch. Auch ein Indikator dafür, warum sich dort Stimmung gegen die Ampel-Parteien geradezu aggressiv aufgeladen hat.

Rechnet man, wie das Handelsblatt, das Ganze auf Grundlage der Bruttoeinkommen, so liegen 2024 die meisten Beschäftigten in den Bereichen Dienstleistungen, Touristik, Unterhaltung, Handel, Wasserversorgung und Bau unter dem errechneten Durchschnitt von 4346 Euro brutto, ganz am Ende darbt, wer im Gastgewerbe tätig ist (3042 Euro, entspricht ca. 1950 Euro netto). Defensiv gerechnet liegen mindestens 20 Millionen Beschäftigte unter dem Einkommensdurchschnitt.

Ins Prekäre wendet sich das, wenn eine Person ein Einkommen von weniger als 1.314 Euro im Monat hat. Gemäß des Sozialberichts der Bundeszentrale für politische Bildung (2023) lag das Nettoäquivalenzeinkommen für 14,4 Prozent der Bevölkerung unter diesem Schwellenwert. Aufschlussreich im Hinblick auf die wachsende Wählerschaft der AfD sind die statistischen Zahlen über junge Erwachsene, demnach waren 24,6 Prozent von ihnen am stärksten armutsgefährdet.

Ungleichheit der Vermögen nimmt zu

Diese Knappheit im Einkommen wiegt für die unteren 20 Prozent der Bevölkerung – und von denen ist hier vor allem die Rede – doppelt schwer: Schon aufgrund ihrer sozialen Herkunft sind sie meistens nicht in der Lage, nur ansatzweise anrechenbare Rücklagen zu bilden, von Vermögen gar nicht zu reden. Laut Hans-Böckler-Stiftung sind die Privatvermögen in Deutschland notorisch ungleich verteilt. Die unteren Schichten besitzen gar kein Vermögen. Sie sind auf überteuerte Dispositionskredite angewiesen, wenn ihre Sparkasse ihnen diesen überhaupt noch einräumt.

Da verwundert es nicht, dass im Jahr 2023 35 Prozent der Bevölkerung angaben, „unerwartet anfallende Ausgaben in Höhe von 1.250 Euro nicht aus eigenen Finanzmitteln bestreiten zu können. Ein Anteil von 22,8 % besaß nicht die finanziellen Mittel, jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen. Das Ersetzen abgewohnter Möbel konnten sich 16,7 % nicht leisten. Für 13,3 % der Bevölkerung war es aus finanziellen Gründen nicht möglich, jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder gleichwertiger Proteinzufuhr zu essen. 14,1 % der Bevölkerung waren finanziell nicht in der Lage, sich eine regelmäßige Freizeitbeschäftigung zu leisten, und 11,5 % hatten keinen geringen Geldbetrag übrig, um ihn wöchentlich für sich selbst auszugeben. Einmal im Monat mit Freunden oder der Familie essen oder trinken zu gehen, konnten sich 9,8 % nicht leisten.“

Zur Entbehrung zählt in gewissem Maß auch, dass die jährliche Fahrt in den Urlaub für einen relativ hohen Anteil in der Bevölkerung (22,8 Prozent) nicht selbstverständlich ist.

Der enge Zusammenhang zwischen den finanziellen Ressourcen eines Haushalts und der Teilhabe am allgemeinen Lebensstandard wird aus der Statistik dieses Berichts noch einmal deutlich, wenn die Einkommenssituation der Personen und das Vorhandensein von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung für alle Schichten betrachtet werden. Demnach sind davon nicht nur die einkommensärmsten 20 Prozent betroffen, sondern in den nächsthöheren Einkommensschichten bis hin in die untere Mittelschicht müssen immer mehr Haushalte auf das verzichten, was zum durchschnittlichen Standard in der Republik gehört.

Privatinsolvenzen auf Rekordhoch

Zu diesem Bild passt, dass die Zahl der Privatinsolvenzen zunimmt – was nicht nur auf die anhaltenden Belastungen durch Lebenshaltungskosten zurückzuführen ist, sondern auch auf die sich häufenden Pleiten vor allem im Industriesektor. Im Mai 2025 gab es 16,1 Prozent Verbraucherinsolvenzen mehr als im gleichen Monat des vergangenen Jahres. Auch die Unternehmensseite wird nach und nach von einem Negativtrend erfasst. 5,3 Prozent mehr als im Mai 2024, wobei die Bereiche Verkehr/Lagerei, Bau und Gastronomie besonders betroffen sind.

In der Folge ergeben sich zwangsläufig Arbeitsplatzverluste, was wiederum die Zahlen der Bundesagentur in die Höhe schießen lässt. Arbeitslosigkeit, lange kein Top-Problem unserer Gesellschaft, nimmt nicht nur real zu (Ihre Zahl ist erstmals seit Februar 2015 wieder über die Marke von drei Millionen gesprungen), sondern die Angst davor sickert langsam, aber stetig ins Bewusstsein. Eine Abwärtsspirale, die das Wasser auf den Propagandamühlen der AfD antreibt, während bei denen, die es trifft, sich Zahlungsrückstände bei Miete, Hypotheken, Konsumentenkrediten oder Rechnungen von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel Stromrechnung, Gasrechnung) aufstauen.

Da hilft es wenig, wenn BILD vermeintlich nützliche Tipps anbietet, was man tun kann, wenn Mahnungsschreiben und Zahlungsaufforderungen den Postkasten füllen, Gerichtsvollzieher klingeln, Inkassobüros nötigen oder gar Zwangsvollstreckung droht.

Inflationsschock und bedrückende Energiepreise

Die ökonomischen Folgen der Corona-Krise wurden begleitet von einem Inflationsschub, wie wir ihn seit fast dreißig Jahren (Folgen der Wiedervereinigung) nicht mehr hatten. Extrem in die Höhe katapultiert wurde die Quote mit dem Beginn des Ukraine-Krieges und dem daraus resultierenden Cut der fossilen Energie aus Russland, sodass die Preise im Mittel im Jahr 2022 um 6,9 Prozent anschwollen. Mittlerweile haben sich die Steigerungen von 5,9 Prozent 2023 auf 2,2 Prozent im August 2025 zurückgeschraubt, bleiben aber auf einem gefühlt hohen Niveau, weil gerade Lebensmitteldiscounter weiterhin ungebremst auf ohnehin hohe Preise draufschlagen.

Dazu nerven halbstaatliche Institutionen, wie zum Beispiel bei die Deutsche Post oder der öffentliche Nahverkehr, turnusmäßig mit Gebührenerhöhungen wie das berühmte Murmeltier. Im Januar, dem traditionellem Monat der Fälligkeit von Versicherungsprämien, tut das noch ein bisschen mehr weh.

Vom extremen zum notorischen Preistreiber hat sich der Energiesektor gemausert. Parallel zu den Spritpreissprüngen stiegen die Gaspreise von 2020 auf 2021 schon um rund 20 Prozent, aber der nächste, ungleich schmerzhaftere Sprung, kam mit dem Ukraine-Krieg auf über 15 Cent/kWh. Ein zweifelhaftes Licht auf diese exorbitanten Erhöhungen werfen Nachrichten, nachdem die Kartellämter Ermittlungen gegen zahlreiche Grundversorger eingeleitet haben. Der Verdacht: diese hätten die Krise genutzt, um unangemessen Gewinn zu machen.

Nach den Spitzenwerten 2022 sind die Großhandelspreise zwar wieder gesunken, doch aufgrund gestiegener Netzentgelte und von der EU beschlossenen CO2-Abgabe liegen die Endkundenpreise 2025 immer noch deutlich über dem Niveau vor der Energiekrise. Diese sukzessiv geplante künstliche Erhöhung soll einen Beitrag dazu leisten, dass die Klimaziele europaweit eingehalten werden (CO2-neutral bis 2045), sorgt jedoch aktuell mehr dafür, die Privathaushalte dauerhaft zu belasten. Die Folgen für die vom Markt Betrogenen liegen auf der Hand und können in den zitierten Sozialberichten nachgelesen werden. Immer noch geben 8,2 Prozent der Bevölkerung an, ihre Wohnung aus finanziellen Gründen nicht angemessen heizen zu können.

Die Strompreise sind in den letzten fünf Jahren ebenfalls deutlich gestiegen, wobei 2022 und 2023 die größten Sprünge aufwiesen. Die Großhandelspreise haben sich seitdem etwas entspannt, aber Abgaben wie Stromsteuer, Mehrwertsteuer und mehrere Umlagen wie die KWKG-Umlage, die Offshore-Netzumlage und der Aufschlag für besondere Netznutzung halten das Gesamtpreisniveau hoch. Gerechtfertigt werden die Zuschläge damit, die Energiewende und den Ausbau der Netze zu finanzieren. Sie betragen 2025 insgesamt 4,701 ct/kWh und sind somit um 29,72 Prozent zum Vorjahr gestiegen.

Mietpreise tendieren ins Unbezahlbare

Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes lebten 12 Millionen Menschen in Deutschland im Jahr 2024 in durch ihre Wohnkosten überlasteten Haushalten. Rund 14 Prozent der Bevölkerung. Eine Überbelastung durch Wohnkosten besteht, wenn ein Haushalt mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Wohnen ausgibt.

Trotz Mietpreisbremse hat sich diese Situation eher verschärft als verbessert und die Mietspiegel in den Metropolen nicht gedeckelt. Die Preise pro Quadratmeter bewegen sich zwischen 25,4 Euro in München und 11,1 Euro in Bielefeld. Da die Preise außerhalb der Großstädte und auf dem Land niedriger liegen, schwanken sie zwischen 7,56 Euro in Sachsen-Anhalt und 18,06 Euro in Berlin.

Wohlgemerkt, die Rede ist von Kaltmieten, da sind die Hausnebenkosten für Wartung, Wasser, Müll etc. sowie die Aufwendungen für Heizung und Strom nicht einbezogen.

Latent prekär gestaltet sich das Wohnen für Menschen, die in Wohnungen leben, die nach europäischer Definition als überbelegt gelten. In Deutschland waren davon im Jahr 2024 knapp 11,5 Prozent der Bevölkerung betroffen. Als überbelegt gilt eine Wohnung, wenn sie über zu wenige Zimmer im Verhältnis zur Personenzahl verfügt. Insbesondere in den großen Städten wächst die Zahl dieser prekären Wohnverhältnisse. Wegen der steigenden Nachfrage, progressiver Mieten und Wohnungspreisen müssen dort immer mehr Menschen mit wenig Raum auskommen.

Bekämpfen wollte diese Misere schon die Ampelkoalition mittels einer konzertierten Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Ergebnis: Statt mehr sozialen Wohnraum ist der Bau staatlich geförderter Wohnungen mancherorts zum Erliegen gekommen. Die Gründe dafür liegen in gestiegenen Baulandpreisen und immer strenger formulierten Bauauflagen, insbesondere hinsichtlich der energetischen Anforderungen seitens der Politik.

Aufgrund explodierender Herstellungskosten lohnt sich der soziale Wohnungsbau kaum noch für potenzielle Investoren, da die Rendite-Aussicht trotz staatlicher Förderung laut Handelsblatt auf 2 Prozent gesunken ist. Und auf Mieterseite stellt sich immer öfter die Frage, ob eine Kaltmiete von über 8 Euro pro Quadratmeter (und so viel kostet eine Sozialwohnung nach neustem Standard heute) für sie überhaupt noch erschwinglich ist.

Eine grüne Zukunft der SPD können sich (zu) viele nicht leisten

Wer erwartet, dass Menschen, die sich unter den geschilderten Bedingungen tagtäglich um ihre Existenz sorgen, von einer grünen Zukunft träumen, hat die Dramatik der aktuellen sozialen Lage in der Bundesrepublik nicht erkannt. Dazu gehören auch die Verantwortlichen der geltenden Programmatik der SPD, die – auf den Punkt gebracht – eine Sozialpolitik für die Zukunft nur ökologisch gestalten will. Über allen hehren Zielen, die Bürger zu entlasten schwebt der Grundsatz, an den „Klimazielen für Deutschland und die EU“ unverändert festzuhalten

Wie das sozial verträglich umgesetzt werden soll, wird durch schwammige Programmrhetorik vernebelt. Real stellt sich das so dar, dass die von der SPD versprochene Entlastung bei den Netzgebühren nur teilweise bei den Verbrauchern ankommt, da die Partei eben nicht die Regulierung bestimmt, sondern die Bundenetzagentur. Die CO2-Steuern steigen trotz anderslautender sozialdemokratischer Planungen weiter in dem Tempo an, das die EU vorgibt. Die gesamte sozialdemokratische Kampagne nach dem Scheitern der Ampel vermittelt den Eindruck, als habe sie es in erster Linie darauf abgesehen, Wähler von den GRÜNEN abzuwerben, allein, wenn man liest, wie die E-Mobilität im Individualverkehr gepusht werden soll.

Richtig erkannt wird, dass das Auto für viele „ein unverzichtbarer Begleiter“ ist. Gerade durch Corona hat der Wunsch nach individueller Verkehrsfreiheit weiter an Bedeutung gewonnen. Automobilität als ein gefühlter Genuss von Freiheit. Diesem Wunsch hat unter anderem die SPD zusammen mit der EU das Verbrenner-Aus vor die Garage gestellt. Auch ein Grund, warum die Preise für Gebrauchtwagen, die für die unteren 20 Millionen immer noch die einzige Alternative sind, extrem anziehen.

Trotzdem werden Bürger mit einem geringen oder unterdurchschnittlichen Verdienst eher nicht in Erwägung ziehen, sich im Falle einer glücklichen finanziellen Wendung ein Elektroauto zu kaufen. Das können sie sich einfach nicht leisten. Selbst für einen E-Kleinstwagen muss man immer noch nach Abzug der Förderprämien einen Betrag aufbringen, der deutlich über 15.000 Euro liegt – und dafür bekommt man lediglich ein Fahrzeug für Reichweiten bis max. 300 km.

Falls man sämtliche Kreditmöglichkeiten für eine solche Anschaffung ausschöpfen sollte oder einen Leasingvertrag eingeht, der das Budget für unterdurchschnittlich Verdienende eigentlich sprengt, hilft das wenig. Denn für alle, die auf verlässlichem Weg zu Arbeit fahren müssen, kommt aus wirtschaftlichen Gründen ein Elektroauto nur infrage, wenn sie eine Wallbox am Haus haben. In der Realität werden daher die elektrisch angetriebenen Privatfahrzeuge, die sich heute in den Verkehr mischen, größtenteils von Eigenheimbesitzern gefahren, die eine staatlich geförderte Solaranlage auf dem Dach haben, aus der sie ihren eigenen Autostrom speisen. Eine Ausgangslage, von der die Masse nur träumen kann.

Ergo, mit einer E-mobilen Zukunft Wähler zu werben, kann nicht jene Bürger im Auge haben, die erwägen, beim nächsten Mal AfD zu wählen.

Ähnlich wie Millionen kleiner Verbrenner-Fahrer lässt die Sozialdemokratie jene Bürger im Ungewissen, deren Heim durch eine Gas- oder Ölheizung erwärmt wird. Und das sind mit 75 Prozent aller Haushalte (Stand 2022) immer noch die meisten. Natürlich wird die Kernaussage, an der Energiewende nach EU-Linie festzuhalten, auch in diesem Punkt mit vagen Aussichten auf Unterstützung abgefedert. Verwiesen wird auf die kommunale Wärmeplanung, die die Partei als ihre Erfindung lobt. Wer einmal auf einer Info-Veranstaltung dazu gewesen ist, weiß, wenn er in die langen Gesichter der Anwesenden schaut, was da an bitteren Wahrheiten noch für Mieter und private Eigentümer lauert.

Grundsätzlich „kämpfen“ Sozialdemokraten dafür, dass alles „bezahlbar“ bleibt oder wird. Aber wenn sie im Hinblick auf das Wohnen nur auf die Idee kommen, weiter an der Mietpreisbremse festzuhalten, einem Instrument, von dem man zur Genüge weiß, wie gut es nicht funktioniert, dann klingt das mehr resignativ als kämpferisch.

Ebenso sieht die Partei „Wohnraummangel und erkennt die Sorge vor hohen Kosten. Doch bei der Lösung bleibt sie vage“, resümiert der Bundesverband der Kalksandsteinindustrie. „Ein neues Instrument (Deutschlandfonds) und ein neuer Akteur (bundeseigene Wohnungsgesellschaft) müssten erst geschaffen werden. Das Programm setzt den Schwerpunkt auf Bestandsschutz, nicht jedoch auf die unkomplizierte Schaffung von neuem Wohnraum.“

Ähnlich lasch klingen die ins Auge gefassten Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation. Die anvisierte Senkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel wird von der Regierung nicht ernsthaft diskutiert. Als Rest im Köcher bleibt der fast schon verzweifelt klingende Appell an die zuständigen Überwachungsbehörden, gefälligst ihren Job zu machen.

Das einzig Zählbare, was der Preistreiberei gegenübergestellt wird, ist der Einsatz für den Mindestlohn. Eine Herzensanliegen der SPD. 15 Euro sollten es sein zum 1. Januar 2026, herausgekommen sind 14,60 zum 1. Januar 2027.

Ob die aufgezählten Wunschvorstellungen jedoch reichen, um die Gemengelage von finanziellen Zumutungen, mit denen viele tagtäglich konfrontiert sind, in absehbarer Zeit angemessen abzufedern, darf bezweifelt werden. Es erscheint im Ganzen kaum hinreichend, um eine Wählerwende einzuläuten.

Die sozialen (Lock)Angebote der AfD

Möglichst viele Menschen, die von den Mitte-Links-Koalitionen enttäuscht sind, auf ihre Seite zu ziehen, ist das Hauptziel der AfD. Und man muss einräumen, dass die Partei daran erfolgreich arbeitet – trotz „gesichert rechtsextrem“. Dabei scheint sie besonders bei der SPD zu wildern.

Diese Strategie bestimmt ihr Programm. Nicht zufällig wird dem das uneingeschränkte Bekenntnis zum Sozialstaatsprinzip vorangestellt. Das wirkt wie aus früheren Programmen der SPD abgeschrieben, und zwar mit Kalkül. Damit wird künftigen Wählern suggeriert, die AfD sei die neue Volkspartei für die arbeitende Masse – und habe damit die Sozialdemokraten in dieser Funktion abgelöst.

Natürlich weiß die AfD wie alle Parteien, wie selten Grundsatz- oder Wahlprogramme tatsächlich gelesen werden. Viel wirkmächtiger sind da die populistisch aufgeheizten Essenzen ihrer Leitziele, wie sie in den sozialen Medien dementsprechend gepostet werden. So heißt es auf Facebook an exponierter Stelle: „Ob Wärmewende, Migration oder Energiepolitik: Die AfD ist die einzige politische Kraft in Deutschland, die ihr Handeln nach dem Wohl der Bürger ausrichtet. Vernunft statt Ideologie!“, was dann mehr blau als bunt bebildert auf Instagram auf eingängige Slogans reduziert etwa so rüberkommt: „Abgabenlast senken, SPD-Pläne zur Abschaffung des Ehegattensplittings sind familien- und kinderfeindlich (!), CDU treibt Millionen Haushalte in die Armut“ und Ähnliches.

Die Alternativen der Blauen werden dagegen als „fair“ verkauft, wobei schließlich Vorhaben wie faktische Kürzungen beim ALG-Bezug eher sparsam gedruckt gehalten werden. Wie in der Politik üblich steckt auch bei der AfD der Teufel im Detail.

Was Energiepolitik und Verkehr betrifft, Themen, mit denen man bei großen Teilen der Unzufriedenen punkten kann, wird wiederum ein Katalog von vermeintlichen Verbesserungen aufgemacht und punktgenau angeboten, was bei den von Ampel und CDU verprellten auf offene Ohren stößt. Eine „ideologiegetriebene Klimapolitik“, in erster Linie von den GRÜNEN zu verantworten, habe „Deutschland in eine energiepolitisch prekäre Lage gebracht“, was zu einer „Deindustrialisierung und zur Verarmung der deutschen Bevölkerung führen wird“. Daher werde die AfD wird „im Sinne der Bürger und Wirtschaft auf Marktwirtschaft und Technologieoffenheit setzen und konsequent den Dreiklang der Energieversorgung aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz wieder herstellen“. Damit würden „erneut preiswertes Gas, bevorzugt aus Pipelines, oder Heizöl zur Verfügung stehen.“ CO2-Steuer und EEG-Umlage würden abgeschafft.

Im Verkehrssektor werde sich die Partei „auf allen Ebenen dafür einsetzen, das Verbot des Verbrennungsmotors aufzuheben“. Überhaupt werde die AfD den „motorisierten Individualverkehr als beliebteste Möglichkeit der Fortbewegung“ schützen und fördern.

Um das Wohnen wieder bezahlbar zu machen, würden Wohn- und Baunebenkosten gesenkt werden (unter anderem durch Streichung der Grundsteuer und der GEZ-Gebühren). Das von vielen privaten Eigenheimbesitzern gefürchtete Gebäudeenergiegesetz (GEG), ein in der jüngsten Vergangenheit besonders medienwirksamer Zankapfel, würde abgeschafft. Für Bedürftige solle es noch mehr Wohngeld geben, da die bisherigen Konzepte des sozialen Wohnungsbaus gescheitert seien.

Die Wahlergebnisse der AfD belegen ein aufs andere Mal, dass die Partei mit ihren Strategien und Losungen Erfolg hat. Wenn sie auf Instagram stolz verkündet, bei den Jugendlichen Nr. 1 zu sein und nach der Kommunalwahl in NRW jubiliert, sich zur Volkspartei gemausert zu haben, ist das nicht gelogen.

Ein Kernstück ihrer Angebote an unschlüssige Wähler, seien es Enttäuschte, die sich von den etablierten Parteien der Republik abwenden oder bisherige Nichtwähler, ist der hier aufgelistete Fächer sozialpolitischer Perspektiven, der vor von der Unterschicht bis hinein in die Mitte der Gesellschaft als zunehmend verlockend wahrgenommen wird. In einem Leitartikel der FAZ vom 5. September heißt es, dass man mit "Haltung" oder dem Beschwören einer "demokratischen Mitte" den Zug des Rechtspopulismus nicht mehr aufhalten könne. „Dies wird nur mit einer Politik möglich sein, die den Fragen nicht ausweicht, die die Wähler der Rechtspopulisten umtreibt“.

Dem kann man sich in einem Fazit nur anschließen, denn solange die demokratischen Parteien wie die SPD die Bedürfnisse einer anschwellenden Masse der Bevölkerung weitgehend ignorieren oder als rechtsradikal abtun, wird die AfD weiter wachsen (nicht das BSW).

Demonstrationen und sonstige Empörungsrituale bewirken kaum etwas und Kampagnen zur Steigerung der Wahlbeteiligung helfen am meisten der AfD selbst. Notorische Wahlmuffel fühlen sich eher durch Parolen getriggert, die ihre Wut auf das vorherrschende Etablierte befriedigt sowie Erleichterung ihrer Lebenssituation plus Führung versprechen.

Umfragen im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen 2026 bestätigen diesen Trend. Demnach hat die AfD die sozialdemokratische Konkurrenz in Baden-Württemberg weit überholt und in Sachsen-Anhalt steht zu befürchten, dass die AfD dort die Chance hat, die CDU deutlich zu überrunden, während die SPD mit knapp über fünf Prozent brutal abschmieren könnte.